Kenner und Kritiker „alternativer" Heilmethoden: Der Mediziner Edzard Ernst (Copyright: Edzard Ernst)
26.05.2023 (GWUP): Professor Edzard Ernst hat ein neues Buch zu seinem Lebensthema Alternativmedizin veröffentlicht. In ,,Vorsicht Heilpraktiker: Eine kritische Analyse“ widmet er sich dem titelgebenden Berufsstand und schildert ausführlich, was die „alternativen“ Heilerinnen und Heiler eigentlich machen, und ob ihr Wirken sinnvoll oder gar schädlich ist. Wir haben ihm dazu ein paar Fragen gestellt.
GWUP: Herr Professor Ernst, nach einer ganzen Reihe kritischer Bücher zum Thema „Alternativmedizin“ nun ein eigener Band über Heilpraktiker. Warum? Was fehlte in anderen Büchern, die Heilpraktikern eigene Kapitel widmeten?
Edzard Ernst: Soweit ich weiß, existiert kein Buch, das kritisch und systematisch das Thema aus allen Perspektiven beleuchtet. Auch ich hatte es schon mehrmals bearbeitet – das erste Mal 1996 (Towards quality in complementary health care: is the German "Heilpraktiker" a model for complementary practitioners? - PubMed (nih.gov)) – aber das Thema ist komplex, und man kann es daher kaum in einem Artikel oder Buchkapitel vollständig adäquat abhandeln.
GWUP: Von der Geschichte des Heilpraktikerwesens bis in die Gegenwart spannen Sie einen weiten Bogen. Sind Sie bei der Recherche auf etwas gestoßen, das Sie selbst noch nicht wussten?
Edzard Ernst: Wie gesagt, ich beschäftige mich damit schon so lange, dass Überraschungen kaum zu erwarten waren. Was mir aber dennoch neu war, ist die Tatsache, dass es in Deutschland sehr wohl Gesetze gibt, die einen Großteil des Heilpraktikerunwesens verbieten würden. Der Haken ist jedoch, dass sie ganz einfach nicht auf diesen Beruf angewendet werden. Der Heilpraktiker, so scheint es mir, ist so etwas wie das ‚goldene Kalb‘ der deutschen Politik, eine Tatsache, die mein Buch wohl umso wichtiger macht.
GWUP: Sie leben selbst seit vielen Jahren in England. Heilpraktiker in der bekannten Form mit spezieller Gesetzgebung sind offensichtlich eine deutsche Besonderheit. Oder gibt es ein Äquivalent zu diesem Berufsstand in England? Welche ,,alternativmedizinischen“ Anwendungen spielen in Großbritannien keine Rolle?
Edzard Ernst: Stimmt nicht ganz: ich lebe 50:50 in England und Frankreich. In England gibt es jede Menge nicht-medizinischer Heiler, die Alternativmedizin betreiben und offiziell anerkannt sind (z.B. Chiropraktiker, Homöopathen, Osteopathen, Akupunkteure). In Frankreich ist das ähnlich mit dem Unterschied, dass sie nicht offiziell anerkannt, sondern eher nur geduldet sind. In beiden Ländern ist es jedoch so, dass sich ein Heiler in aller Regel auf eine spezifische Methode konzentriert, während in Deutschland natürlich Heilpraktiker jeden nur erdenklichen Blödsinn einsetzen.
GWUP: Ihr Buch ,,Vorsicht Heilpraktiker!“ ist seit wenigen Wochen auf dem Markt. Gab es schon Reaktionen von Berufsverbänden? Ihr Fazit ist immerhin mehr als kritisch. Ungenügende oder keine Ausbildung, mangelhafte Fachliteratur, Gefahr durch praktizierte Anwendungen. Im Schlusskapitel fordern Sie deshalb– nach Abwägen des Für und Wider – ein Verbot dieser Berufe.
Edzard Ernst: Ich habe da ganz heftigen Gegenwind erwartet. Bislang kam davon nichts. Ich nehme an, das kommt noch. Wahrscheinlich sind die Heilpraktikerverbände noch dabei, meinen Text Zeile für Zeile auf Fehler zu prüfen. Wenn sie dann einen gefunden haben, werden sie triumphieren und behaupten: Der Ernst weiß nicht, von was er schreibt. Sie werden wohl auch nach Interessenskonflikten suchen. Kleinere Fehler können sie sicher finden, aber mit den Konflikten werden sie sich schwer tun – ich stecke in niemandes Tasche, nicht einmal in der der Skeptiker.
GWUP: Ärzte sind derzeit in vielen Ländern gesucht. Gäbe es einen alternativen Berufsstand, der anstelle von sektoralen Heilpraktiker:innen geschaffen werden könnte, und der eine sinnvolle Ergänzung zu Mediziner:innen darstellen könnte?
Edzard Ernst: In England wird das gerade diskutiert (The apprenticeship scheme for fixing the doctor shortage in the UK (edzardernst.com)). Ich persönlich halte das für einen gefährlichen Unsinn.
GWUP: Sie haben in den letzten Jahren in kurzen Abständen gleich mehrere Bücher veröffentlicht. Sind noch weitere in Planung oder machen Sie jetzt eine Pause?
Edzard Ernst: Ruhepausen sind langweilig. Ich habe dieses Jahr Neuauflagen von zweien meiner Bücher publiziert und hoffe, dass ein längst überfälliges Werk endlich erscheinen wird. Zudem publiziere ich fast jeden Tag einen neuen Blogpost (edzardernst.com) und schreibe regelmäßig für ‚Die Welt‘ und ‚L’Express‘. Langweilig wird‘s also nicht.
Herr Professor Ernst, vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Holger von Rybinski