Journalismus ist für eine funktionierende Demokratie unabdingbar. Doch in den letzten Jahren zeigt sich eine verstärkte
Tendenz, diesen als „Lügenpresse“ zu diffamieren und die Verbreitung von Verschwörungsmythen zu bedienen.
Die Diplom-Psychologin und Journalistin Bärbel Schwertfeger schreibt seit vielen Jahren über fragwürdige
Methoden und Anbieter in der Wirtschaft und speziell in der Personal- und Weiterbildungsbranche.
In der jüngsten Vergangenheit hat sie am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet in den Fokus solcher
Attacken zu geraten. Für uns als befreundete Organisation ist das eine kritische Entwicklung. Wir sprachen
daher mit Bärbel Schwertfeger über ihre Erfahrungen als investigative Journalistin und die Hintergründe
für ihren Spendenaufruf, den wir gern unterstützen.
Foto: Helga Kaindl
GWUP: Frau Schwertfeger, Sie haben regelmäßig unter anderem für Spiegel, Handelsblatt und Zeit geschrieben
und auch im Skeptiker einige Artikel veröffentlicht. Wie fing Ihr aufklärerisches Engagement als Journalistin an?
Angefangen habe ich Ende der 1980er bei der Fachzeitschrift “Congress & Seminar”. Dort habe ich öfter Seminarberichte
geschrieben und bereits damals erlebt, dass so manches Angebot eher fragwürdig ist. 1992 hörte ich auf einer Tagung
erstmals von dem Thema MBA – also Master of Business Administration. Die akademische Manager-Weiterbildung war
damals in Deutschland noch weitgehend unbekannt. Ich begann mit Recherchen und stieß schon nach kurzer Zeit auf
eine fragwürdige Schweizer Schule und ihren PR-Berater. Der hatte ein europäisches MBA-Ranking veröffentlicht,
in dem diese international unbekannte Schule besonders gut abschnitt. Daraus entstand ein regelrechter Wirtschaftskrimi.
Ich werde nie vergessen, wie mich damals der Schweizer Botschafter nach Bonn einlud, um mir unmissverständlich klarzumachen,
dass ich nichts Kritisches mehr über die Schweizer Schule schreiben dürfe. Zum Glück war damals ein Kollege dabei
und ich ließ mich nicht einschüchtern.
GWUP: Wie ging es bei Ihnen thematisch weiter?
Mitte der 1990er Jahre war das Thema Scientology überall in den Medien. Ich habe mich zwar nie direkt mit
Scientology beschäftigt, aber ich habe mir fragwürdige Psychogruppen und Persönlichkeitstrainer sowie
ihre Trainings näher angeschaut. Mein Interesse galt insbesondere den Mechanismen und Techniken,
mit denen man Menschen so beeinflussen kann, dass sie sich teils abstrusen Anweisungen und Denkstrukturen
ausliefern. Die Geschichten von Betroffenen, die durch die Trainings quasi umgedreht wurden, waren
manchmal echt schockierend. Da wurden manchmal Karrieren und Familien zerstört. Die jahrelangen
Recherchen führten dann zu meinem 1998 erschienen Buch “Der Griff nach der Psyche”. Das ist für mich
bis heute mein wichtigstes Buch und sorgte damals für viel Wirbel in der Szene. Später folgte die Welle
der Motivationstrainer wie Jürgen Höller, Emile Ratelband und Bodo Schäfer. Auch da habe ich den Finger in
die Wunde gelegt. Die umfangreichen Recherchen zu den Motivationsgurus und anderen fragwürdigen
Akteuren im Weiterbildungsmarkt mündeten 2002 in mein Buch “Die Bluff-Gesellschaft". Ein Dauerthema
damals wie heute sind Persönlichkeitstests. Man erwartet von Personalabteilungen und Managern
kompetente und wissenschaftlich fundierte Entscheidungen. Die Praxis sieht leider oft
anders aus. Bei völliger Ahnungslosigkeit werden selbst die abstrusesten Verfahren eingesetzt.
Foto: GWUP
GWUP: Welche Reaktionen gab es auf Ihr kritisches Engagement? Wurden Sie juristisch attackiert?
Nach der Veröffentlichung von “Griff nach der Psyche” habe ich natürlich damit gerechnet, dass es Klagen
geben würde. Bis auf einen Protagonisten lief es aber eigentlich recht harmlos ab. Der überzog mich allerdings
mit Klagen und einmal waren sogar drei Anwaltskanzleien des Buchverlages und der Medien, in denen ich Artikel
zu dem Thema geschrieben hatte, gleichzeitig mit der juristischen Abwehr beschäftigt. Damals war es allerdings
noch selbstverständlich, dass die Medien meinen Rechtsschutz übernahmen. Eine neue Qualität zeigte sich 2015,
als ich den Professor einer privaten Münchner Hochschule ins Visier genommen hatte, der mir wegen seiner
überzogenen Selbstdarstellung aufgefallen war. Mit seiner Klage gegen mich ist er zwar vor einigen Jahren
gescheitert, aber seitdem bin ich weiteren Attacken ausgesetzt. Vor mehr als zwei Jahren bin ich dann auf
eine Speakerin und Profilerin gestoßen, die alles bisher Erlebte noch toppte und mit zahlreichen Abmahnungen
und Klagen gegen mich vorging und bis heute vorgeht. Dabei hat das Gericht die Bezeichnungen
„Profilerin mit Hang zur Lüge“ und „Hochstaplerin" nicht bemängelt. Wer sich für die Hintergründe interessiert,
sei auf folgende Beiträge verwiesen:
Haufe, GWUP Blog, Ruhrbarone und MBA-Journal.de.
GWUP: Ist es nicht legitim, seine Rechte vor Gericht prüfen zu lassen?
Das ist natürlich zulässig und wenn es bei zwei bis drei Verfahren geblieben wäre, hätte ich damit auch gut
leben können, aber inzwischen sind es mehr als zehn Verfahren und Klagen und noch mehr teils absurde Abmahnungen.
Das bindet enorme zeitlich und finanzielle Ressourcen. Am meisten ärgert es mich eigentlich, dass sie damit auch
meine Arbeit als investigative Journalistin torpediert und mir die Zeit für Recherchen und kritische Berichte über
andere fragwürdige Anbieter fehlt.
GWUP: Welche Konsequenzen hat diese Eskalation für Sie persönlich?
Zum einen bin ich seit Monaten vor allem mit der juristischen Abwehr ihrer Abmahnungen und Klagen beschäftigt,
zum anderen ist da mittlerweile eine enorme Summe zustande gekommen. Inzwischen belaufen sich die Kosten
auf mehr als 40.000 Euro und in den noch laufenden Verfahren stehen rund 25.000 Euro für weitere Anwalts- und
Verfahrenskosten an. Doch das ist mein Job und nicht mein privates Hobby. Als Journalistin sehe ich es als meine
Aufgabe, die Weiterbildungs- und Personalszene kritisch zu durchleuchten. Zumal hier zum Beispiel durch
unseriöse Tests und Auswahlmethoden manchmal sehr viel Schaden angerichtet wird.
GWUP: Das ist viel Geld für Sie als freischaffende Journalistin. Das Ganze muss für Sie belastend sein.
Wie halten Sie das aus?
Bisher trägt mich mein Gerechtigkeitssinn und meine ausgeprägte Abneigung gegen Blender, Hochstapler und
Scharlatane sowie der unerschütterliche Glaube daran, dass sie alle irgendwann auffliegen und ihr Lügengebäude
zusammenfällt. Allerdings habe ich da inzwischen auch meine Zweifel. Gerade in der Speaker-Szene scheint man
bei den Redner-Agenturen dann besonders beliebt zu sein, wenn man besonders dreist hochstapelt und lügt.
Und wenn man heute Blender oder Hochstapler kritisiert, versuchen diese immer häufiger, ihr kritikwürdiges
Geschäftsmodell durch Klagen und Abmahnungen abzusichern. Natürlich gab es schon immer Scharlatane und
Blender, aber inzwischen ist das schon fast so etwas wie der Normalzustand. Ich halte es einfach für ethisch und
moralisch verwerflich, wenn gutgläubige Menschen so unverfroren über den Tisch gezogen werden. In einer Zeit,
in der Selbstinszenierung mehr zählt als der Inhalt, ist kritischer Journalismus daher mehr denn je ein notwendiges
Korrektiv. Daher habe ich mich entschlossen, einen Spendenaufruf zu starten und würde mich sehr über die
Unterstützung und Solidarität von möglichst vielen freuen – auch wenn meine Gegner das vermutlich sofort als
ihren Triumph ausschlachten werden.
Vielen Dank für das Interview und wir wünschen ihnen weiterhin alles Gute und viel Erfolg mit
dem Spendenaufruf.
Bitte unterstützt den Spendenaufruf von Frau Schwertfeger. Auch kleine Beträge helfen bereits.
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(Personal-)Management und Weiterbildung. Ihre Artikel erscheinen in der Fachpresse sowie in Magazinen,
Tages- und Wochenzeitungen, darunter „Personalführung“, „Personalmagazin“, „Wirtschaft & Weiterbildung“,
„Capital“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Handelsblatt“, „Welt“, „Wirtschaftswoche“ und „Zeit“. Seit 1992
beschäftigt sie sich auch mit dem Thema „Master of Business Administration“ (MBA) und betreibt dazu die
Website MBA Journal. Sie veröffentlichte mehrere Bücher, darunter „Der Griff nach der Psyche - Was
umstrittene Persönlichkeitstrainer in Unternehmen anrichten“ (1998) und „Die Bluff-Gesellschaft – Ein
Streifzug durch die Welt der Karriere“ (2002). Von 2007 bis Juni 2020 war sie zudem freiberuflich
Chefredakteurin der Zeitschrift „Wirtschaftspsychologie aktuell“, die von der Sektion Wirtschaftspsychologie
des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) herausgegeben wird. In diesen
13 Jahren hat sie die Zeitschrift von einem reinen Verbandsblatt zu einem Fachmagazin weiterentwickelt,
das weit über den Berufsverband bekannt ist. Im Juli 2020 startete sie das Online-Magazin
WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE HEUTE.
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8. November 2020, RS