04.10.2020 (GWUP): Vor wenigen Tagen ist Florian Aigners neues Buch „Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl" erschienen. Wir haben ihm dazu ein paar Fragen gestellt.
Dr. Florian Aigner; Physiker und Sachbuchautor
GWUP: Florian, in deinem neuen Buch beschreibst du, auf welchen Grundlagen die Thesen von Esoterikern beruhen, und auf welchen die Erkenntnisse der Wissenschaft. Einen großen Stellenwert nimmt für dich dabei die Mathematik ein. Laien, die sich damit in der Schule schon immer schwertaten, wird das erstaunen. Warum benötigt man die Mathematik, um die Welt besser zu verstehen?
Florian Aigner: Die Mathematik ist das Gebiet, auf dem wir das größtmögliche Maß an Sicherheit erreichen: Wenn jemand mathematisch bewiesen hat, dass es unendlich viele Primzahlen gibt, dann kann man daran nicht zweifeln. In allen anderen Wissenschaften brauchen wir Beobachtungen und Experimente – die Mathematik ist anders: Sie ist aus sich alleine heraus wahr. Genau deshalb können wir aus von der Mathematik die Kunst des klaren Argumentierens lernen: Aus einer Behauptung folgt zwingend eine andere, und aus dieser eine nächste. Wir erzeugen ein logisches Netz aus lauter Wahrheiten – und wenn wir an die Grundannahmen glauben, bleibt uns gar nichts anderes übrig, als auch an die Schlussfolgerungen zu glauben.
GWUP: Ist das Misstrauen mancher Menschen gegenüber der Wissenschaft nicht berechtigt? Schließlich schreibst du selbst in einem Kapitel davon, dass es für die absurdesten Thesen („Schokolade macht schlank") eine Referenz-Studie gibt. Homöopathen berufen sich gerne auf Studien, die die Wirksamkeit ihrer Heilmethode belegen. Eine Frage, die wir auch schon Ärzten gestellt haben: Wie soll ein Laie seriöse wissenschaftliche Informationen von unseriösen unterscheiden?
Florian Aigner: Darauf lege ich in meinem Buch großen Wert: Natürlich stimmt nicht alles, was von wissenschaftlichen Studien behauptet wird. Wissenschaft wird von Menschen gemacht, und Menschen sind nicht perfekt. Es gibt schlechte Studien, es gibt Irrtümer, es gibt Betrug. Aber die Wissenschaft ist unglaublich gut darin, sich selbst zu kontrollieren: Experimente werden wiederholt, Aussagen werden hinterfragt, Ergebnisse werden immer wieder neu überprüft. Genau darauf müssen wir achten, wenn wir seriöse Ergebnisse von unseriösen unterscheiden wollen: Handelt es sich bloß um ein einzelnes Ergebnis, das den bisherigen Ergebnissen widerspricht? Oder fügt es sich logisch ein großes, logisches Gesamtbild ein? Gibt es noch weitere Belege dafür? Handelt es sich um die Meinung einer einzelnen Person, oder um einen Konsens der wissenschaftlichen Community? Das sind ganz wichtige Fragen – leider ist es in der Praxis oft sehr mühsam, sie zu beantworten.
GWUP: Als studierter Physiker hast du zum Thema Quantenphysik promoviert. Wie du in dem Kapitel ,„Es lebe die Revolution!" anschaulich beschreibst, war man im letzten Jahrhundert sehr irritiert über das Verhalten kleiner Teilchen, das den Naturgesetzen zu widersprechen schien. Gerade Esoteriker berufen sich darauf, man könne mit Quantenphysik viele außergewöhnliche Dinge erkären, etwa Gedankenübertragung. Zurecht?
Florian Aigner: Natürlich nicht. Die Quantenphysik ist eine naturwissenschaftliche Theorie wie jede andere: Man hat mathematische Formeln, mit denen man die Welt beschreibt. Man rechnet, und am Ende kommt eine Zahl heraus. Die Quantenphysik ist nichts Mystisches oder gar Übersinnliches – auch wenn sie leider immer wieder so dargestellt wird.
Es ist schon wahr, dass manche Ergebnisse der Quantenphysik unserem physikalischen Bauchgefühl widersprechen. Aber das ist kein Wunder, denn unser Bauchgefühl hat sich im Lauf der Evolution entwickelt, um konkrete Alltagsprobleme zu lösen, nicht um das Verhalten winzig kleiner Teilchen vorherzusagen. Die Esoteriker machen daraus einen klassischen Analogie-Fehlschluss: Die Quantenphysik ist irgendwie seltsam. Unser Bewusstsein ist auch irgendwie seltsam. Daher muss unser Bewusstsein irgendwie auf magische Weise mit der Quantenphysik in Verbindung stehen. Das ist natürlich keine korrekte Argumentation.
GWUP: Du bist Physiker. Ich habe gerade nachgezählt: Zwar haben wir in der GWUP ein ausgewogenes Verhältnis von Geistes- und Naturwissenschaftlern im Wissenschaftsrat, aber auch bei uns gab es schon die Diskussion, dass der wissenschaftliche Diskurs zu sehr von Naturwissenschaftlern bestimmt wird. Siehst du das auch so?
Florian Aigner: Man kann es auch umgekehrt sehen: Wenn es unserer Gesellschaft am logisch-rationalen Denken mangelt – sind dann nicht gerade Leute aus dem Bereich von Mathematik und Naturwissenschaft in der moralischen Pflicht, dagegen etwas zu tun? Wir Physiker sind es gewohnt, uns auf eindeutige Fakten verlassen zu können, über die man nicht mehr streiten muss. Daher ist es verständlich, wenn wir uns besonders dafür einsetzen, solche Erkenntnisse in der Gesellschaft zu verankern. Trotzdem ist es natürlich von ganz entscheidender Bedeutung, auch Geistes- und Sozialwissenschaften mit an Bord zu haben.
Bei manchen großen Problemen unserer Zeit – etwa beim Klimawandel – habe ich das Gefühl, dass den Naturwissenschaften hier gar nicht die entscheidende Rolle zukommt. Naturwissenschaftlich gesehen wissen wir längst, dass es den Klimawandel gibt und dass er bedrohlich ist. Daran scheitern wir nicht. Wir scheitern an sozialwissenschaftlichen Fragen: Wie gelingt es uns, unsere Gesellschaft auf zielführende Weise zu verändern, sodass wir das Klima retten können?
Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften sind unterschiedliche Bereiche, in denen aus guten Gründen unterschiedliche Methoden angewendet werden. Aber wir sollten uns lieber auf das Gemeinsame konzentrieren, nicht auf die Unterschiede. Am Ende haben wir alle dasselbe Ziel: Wir wollen gemeinsam die Welt besser verstehen.
GWUP: „Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl" könnte man als an die Allgemeinheit gerichtetes Plädoyer für die Anwendung wissenschaftlichen Denkens im Alltag beschreiben. Wann ist es besser, auf sein Bauchgefühl zu hören?
Florian Aigner. Der rationale Verstand hat seinen Platz – und das Bauchgefühl ebenso. Das Bauchgefühl ist keine Dummheit, sondern eine Form von Intelligenz, die sich evolutionär bewährt hat. Wenn ich eine Suppe koche, muss ich sie nicht im Massenspektrometer untersuchen, ich muss nur kurz daran schnuppern, dann sagt mir mein Bauchgefühl, ob sie gut wird. Viele Bereiche unseres Lebens – Gemeinschaftserlebnisse, Rituale, Traditionen – lassen sich nicht mit reiner Naturwissenschaft erklären. Das ist auch nicht nötig. In manchen Situationen ist es völlig ausreichend, sich auf das Bauchgefühl zu verlassen. Schöne Dinge muss man nicht immer erklären. Manchmal genügt es, sie zu genießen.
GWUP: Florian, vielen Dank für das Interview!
Die Fragen stellte Holger von Rybinski