Dr. Natalie Grams, Ärztin und Sachbuchautorin
13.02.2020 (GWUP): Die Ärztin Dr. Natalie Grams wurde vor einigen Jahren bekannt, weil sie ihre homöopathische Praxis schloss, da sie es nach eigenere Aussage nicht mehr verantworten konnte, Menschen mit wissenschaftlich widerlegten Therapien zu behandeln. Seither setzt sie sich beim „Informationsnetzwerk Homöopathie" (INH) und als Mitglied des GWUP-Wissenschaftsrates sowie aktuell mit einem Podcast mit Erfolg für Aufklärung und Konsumentenschutz im Bereich der Medizin ein. Nach „Homöopathie neu gedacht" und dem Ratgeber „Gesundheit!" erscheint in diesen Tagen Tage ihr aktuelles Buch „Was wirklich wirkt", mit dem sie Menschen helfen will, sinnlose von sinnvollen Therapien zu unterscheiden. Wir haben ihr dazu ein paar Fragen gestellt.
GWUP: Natalie, mit deinem Buch „Was wirklich wirkt" verschärfst noch einmal deine Kritik an sogenannter „Alternativmedizin", deren Therapieformen du ausführlich erläuterst. Mal naiv gefragt: Was stört die Ärztin Natalie Grams denn an sanften und ganzheitlichen Verfahren?
Natalie Grams: Mich stört daran vor allem, dass sie oftmals gar nicht sanft und ganzheitlich sind. Wenn ich einem Menschen mit einer nachweislich bakteriellen
Blasenentzündung nach einem langen, ausführlichen Anamnese-Gespräch ein paar homöopathische Globuli oder Bachblüten gebe, dann habe ich weder die
Ursache behandelt (Bakterien), noch ihn sanft behandelt, da er ja bis auf den Placebo-Effekt keine Hilfe erhält. Mich stört auch, dass immer noch
eine Kontroverse aufgemacht wird zwischen „sanften, natürlichen, nebenwirkungsfreien" Mitteln und den „schulmedizinisch pharmagesteuerten und chemischen"
Pillen der Medizin. Es wäre viel sinnvoller, wenn die Menschen die Grenze zwischen wirksam und unwirksam ziehen würden. Ich möchte mit dem Buch dazu beitragen,
diese Grenze besser erkennen zu können.
GWUP: Generell fällt auf, dass du in deinem neuen Buch sehr ins Detail gehst, beispielsweise bei der Erläuterung der Placebowirkung. Und du erläuterst,
für Laien verständlich, allgemeine medizinische Sachverhalte, etwa, wie das Immunsystem funktioniert. Was kommt deiner Meinung nach bei der Vielzahl der
erhältlichen medizinischen Ratgeber zu kurz?
Natalie Grams: Leider ist vielen Menschen manchmal gar nicht bewusst, was wir bereits alles wissen. Gerade in Bezug auf unseren Körper, seine physiologischen Vorgänge,
und auf eine Vielzahl von Krankheitsursachen und deren Bewältigung, haben wir bereits sehr große Kenntnisse. Diese möchte ich in Ansätzen in meinem Buch vermitteln,
auch um zu zeigen, dass sie nicht auf Spekulationen, Mythen und Wunschvorstellungen beruhen und damit viel seriöser und sicherer sind, als das vielmals beschworene „alte" oder „geheime Wissen" vieler „alternativmedizinischer" Verfahren. Natürlich gibt es auch hier noch Lücken, die wir hoffentlich in der Zukunft schließen können, jedoch auch da nicht mit Spekulationen, sondern neu gewonnene Erkenntnisse. Das ist es ja, was die Wissenschaft bestenfalls tut: sie schafft Wissen.
GWUP: Über die Wirkungsweise der Homöopathie und deine eigenen Erfahrungen damit als homöopathische Ärztin hast du in den letzten Jahren in zahlreichen Medien ausführlich berichtet, deshalb ist sie in deinem neuen Buch nur ein Teil von vielen. Viel Platz nehmen die informativen Kapitel über Impfungen und Impfgegner ein. Offensichtlich ist dir das Thema ein Anliegen. Warum?
Natalie Grams: In den letzten Jahren meiner Aufklärungsarbeit sind mir viele weitere Abgründe der Medizin bewusst geworden. Hier ist die Impfgegnerschaft sicherlich ein viel größeres Problem als ein paar zu viel gegebene Globuli. Impfen ist eine soziale Veranstaltung und Menschen, die sich nicht impfen lassen, können nicht nur sich selbst schädigen, sondern auch ihre Mitmenschen. Deshalb halte ich dieses Problem für ein gesellschaftlich und medizinisch viel relevanteres Problem, als die Homöopathie das je sein könnte. Wobei immer wieder deutlich wird, dass Menschen, die an die Homöopathie oder auch die Anthroposophie glauben, dem Impfen gegenüber skeptischer eingestellt sind. Allerdings nicht mit einer gesunden Skepsis, sondern vielmehr einer, die aus Unwissenheit, Verschwörungstheorien und Ängsten besteht. Die Homöopathie ist oftmals der Einstieg zum Ausstieg aus der Medizin und dem wirklich kritischen Denken.
GWUP: „Was wirklich wirkt!" ist ein Plädoyer für die wissenschaftlich belegte (evidenzbasierte) Medizin. Gleichzeitig machst du auch vor Kritik an Teilen der pharmazeutischen Industrie nicht halt. Gibt es Kritikpunkte, die du mit Anhängern „alternativer" Heilverfahren teilst?
Natalie Grams: Gerade chronisch und schwer erkrankte Patienten haben es in unserem Gesundheitssystem oft schwer, wirklich gesehen und gut behandelt zu werden. Unsere wissenschaftsbasierte und oft hochspezialisierte Medizin hat sie im Zuge der Effizienzsteigerung als Menschen aus den Augen verloren. Dann fühlt man sich selbst mit dem besten Wissen schlecht behandelt, schlimmstenfalls sogar schlicht abgefertigt. Hier kann die Medizin in der Tat von der Zuwendung und Wertschätzung der so genannten Alternativmedizin lernen, allerdings hoffentlich ohne, wie dort manchmal zu sehen, in regelrechte Manipulation und ein „anything goes" auszuarten.
GWUP: Du kritisierst auch, dass viele gesetzliche Krankenkassen „alternative" Therapien finanzieren, für die kein Wirkungsnachweis vorliegt. Befürworter halten dem entgegen, dass diese Therapien oft nur einen Bruchteil der Kosten ausmachen. Sollten die Skeptiker hier also weniger kritisch sein?
Natalie Grams: Unser Gesundheitssystem ist als Solidarsystem organisiert und hier gilt: Die Allgemeinheit sollte nur für das zahlen müssen, was allgemein als wirksam und sicher anerkannt ist. Bei Homöopathie und Co. ist ein solcher Nachweis in 200 Jahren Forschungsgeschichte nicht sicher über Placebo-Niveau hinaus gelungen und eine Erstattung als Arzneimittel ist einfach widersinnig. Hier stören mich weniger die konkreten Kosten, sondern die Doppelmoral im Gesundheitswesen. Während richtige Medikamente in aufwändigen Verfahren ihre Wirksamkeit nachweisen müssen, wird sie der Homöopathie per Gesetz zugestanden, ohne dass dieser Nachweis erfolgt ist. Aus meiner Sicht sollten Krankenkassen nur für Medikamente und Methoden bezahlen, für die ein solcher Nachweis gelungen und plausibel ist.
GWUP: Die meisten Menschen haben keine medizinische Ausbildung. Was kann ein Patient selbst tun, wenn ihm, von Ärzten oder über die Werbung, „alternative" Heilverfahren angeboten werden?
Natalie Grams: Ich denke, dass der einfache Leitsatz „wenn etwas zu schön klingt, um wahr zu sein, dann ist es auch meist nicht wahr" schon sehr viel weiterhelfen kann. Verfahren, die Heilung gegen alles versprechen, Therapeuten, die dies tun, oft mit dem Zusatz, dass die Schulmedizin doch auch nicht alles wisse, sollten einen misstrauisch machen. Bei Angeboten im Internet lohnt sich immer ein kritischer zweiter Blick oder ein Faktencheck, wie er zum Beispiel auf www.gesundheitsinformation.de vorgenommen wird. Leider kann man hier nicht immer sagen: „Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker", denn auch diese Gesundheitsexperten hängen ja leider oft noch einigen Mythen in der Medizin an. Die Aufklärung wird wohl nur über die Zeit bei Laien und Experten ankommen.
GWUP: Natalie, vielen Dank für das Gespräch!
Natalie Grams: Ich danke!
Die Fragen stellte Holger von Rybinski
Eine ausführliche Rezension des Buches „Was wirklich wirkt" von Natalie Grams lesen Sie in der Zeitschrift Skeptiker 1/2020, der Mitte März erscheint.