02. Februar 2019 (GWUP): Gerade neu erschienden ist das Buch „Anthroposophie: Eine kurze Kritik" des Bremer Lehrers André Sebastiani, vielen sicherlich bekannt als einer der drei „Schlaulicht"-Macher. Wir haben Sebastiani zu seinem Buch ein paar Fragen gestellt.
GWUP: André, in diesen Tagen erscheint dein Buch „Anthroposophie: Eine Kritik". Warum eine Kritik? Was stört dich an der Anthroposophie?
André Sebastiani: Die Anthroposophie ist eine esoterische Weltanschauung. Anthroposophen behaupten, dass es einegeistig-kosmische Welt hinter der Welt gibt. Durch hellsichtige „Schauung“ glauben Anthroposophen Erkenntnisse ausdieser Welt gewinnen zu können, die uns Normalsterblichen verborgen bleiben. Vor allem Rudolf Steiner, der Begründerder Anthroposophie, hat ein breites, teils verstörendes, Werk hinterlassen, in dem er seine Erkenntnisse aus höheren Welten mitteilt. Daraus leitet sich der Glaube an Karma und Wiedergeburt ab, kombiniert mit dem Glauben an eine Artkosmische Evolution. Anthroposophen glauben, an der Höherentwicklung der Menschheit zu arbeiten.Die Praxisfelder der Anthroposophie, wie die Medizin, Landwirtschaft oder Waldorfpädagogik, sind von dieser abstrusen Weltanschauung durchdrungen, genießen aber nichtsdestotrotz hohes Ansehen in der Öffentlichkeit. Ich finde, da tut Aufklärung Not.
GWUP: In den letzten 20 Jahren sind bereits eine Reihe anthroposophiekritischer Bücher erschienen. Was unterscheidet dein Buch von diesen Titeln?
A.S.: Die meisten kritischen Bücher beschäftigen sich mit einzelnen Praxisfeldern, vor allem mit der Waldorfpädagogik, oder mit einzelnen Aspekten der Anthroposophie, wie z.B. dem Rassismusvorwurf. Die wissenschaftlichen Standardwerke zur Anthroposophie sind mitunter mehrere tausend Seiten starke Mammutwerke. Aus meiner Sicht fehlte bislang eine kritische Einführung, die einen Überblick über das weite Feld der Anthroposophie liefert. Eine solche kritische Einführung, soll mein Buch liefern. Ich untersuche mehr oder weniger populäre Thesen, wie z.B. dass die anthroposophische Medizin „ganzheitlich" arbeitet, und führe sie zu einem Fazit. Deshalb kann man es auch als eine Art Diskussionshilfe nutzen.
GWUP: Als Lehrer störst du dich an den pseudowissenschaftlichen Konzepten der Waldorf-Schulen. Von den Waldorf-Schulen mal abgesehen, gibt es Aspekte der Anthroposophie, denen du etwas abgewinnen kannst? Gibt es nicht auch gute reformpädagogische Konzepte an den Waldorfschulen?
A.S.: Ich wüsste nicht, welche reformpädagogischen Konzepte das sein sollten, denn alle Konzepte werden mit der Anthroposophie angereichert. Auch bei der Anthroposophie insgesamt und den anderen Praxisfeldern kann ich nichts entdecken, was ich wirklich gut finden würde. Denn überall spielt das anthroposophische Welt- und Menschenbild hinein, das ich für irrational, esoterisch, elitär und rassistisch halte.
GWUP: In deinem Buch schreibst du, in vielem gleiche die anthroposophische Weltanschauung einer Religion. Nun gibt es auch in Deutschland konfessionsgebundene Schulen.
Sind die dann nicht auch kritisch zu sehen?
A.S.: Ich bin kein Freund von konfessionsgebundenen Schulen in öffentlicher wie privater Trägerschaft. Besonders bei öffentlichen Schulen bin ich der Meinung, dass der Staat sich weltanschaulich neutral verhalten sollte. Konfessionsgebundene Schulen unterscheiden sich aber weder vom Fächerkanon her noch von den Lerninhalten oder -methoden von nicht konfessionsgebundenen Schulen. Waldorfschulen leisten sich eine eigene anthroposophische Lehrerausbildung und Waldorflehrer sind gehalten, den Unterricht so zu gestalten, dass die anthroposophischen Konzepte zur Kindesentwicklung, von der esoterisch-anthroposphischen Entwicklungslehre über das Karmakonzept bis hin zur Temperamentenlehre, berücksichtigen. Waldorfunterricht ist angewandte Anthroposophie und damit habe ich ein Problem.
GWUP: Du arbeitest selbst als Grundschullehrer. Was kann man Schülern beibringen, dass sie nicht selbst zu Esoterikern werden?
A.S.: Darüber habe ich schon oft nachgedacht und ich würde es sehr begrüßen, wenn dazu mehr geforscht würde. Kinder haben ja sehr viele Fragen an die Welt und ich finde, sie verdienen tragfähige Antworten. Deshalb finde ich, dass man schon in der Grundschule wissenschaftliche Methoden anbahnen muss. Das ist auch bereits Teil der Lehrpläne. Gleichzeitig glaube ich, dass Grundschüler unbedingt die Erfahrung machen müssen, dass wir alle die Welt subjektiv wahrnehmen und uns ständig täuschen. Wahrnehmungstäuschungen sind ein tolles Thema in der Grundschule. Aber auch kognitive Verzerrungen kann man mit den Kindern thematisieren. Zum Beispiel erzählen Kinder nach einem Streit oft völlig unterschiedliche Geschichten, die sich gegenseitig ausschließen, ohne dass die Kinder bewusst lügen würden. Wer gelernt und erfahren hat, dass man sich täuschen kann und dass man mit wissenschaftlicher Methodik zu objektiven Antworten auf die eigenen Fragen kommen kann, wird hoffentlich nicht so schnell auf irrationale Glaubenssysteme hereinfallen. So ist zumindest meine Hoffnung.
André Sebastiani, vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Holger von Rybinski
Im nächsten SKEPTIKER 2/2018 gibt es einen Beitrag von André Sebastiani zum Thema sowie eine ausführliche Besprechung von „Anthroposophie: Eine kurze Kritik" (Alibri-Verlag, 2019).