04.02.2018(GWUP): Haben Wissenschaftler das rätselhafte Voynich-Manuskript entschlüsselt? Wir sprachen dazu mit dem Experten Klaus Schmeh.
Experte für Kryptographie: Klaus Schmeh (Foto: Christina Förster)
Das Voynich-Manuskript ist ein vermutlich über 500 Jahre altes Buch, das in einer unbekannten Schrift verfasst wurde. Seit seiner Entdeckung im Jahr 1912 ist das nach seinem früheren Besitzer Wilfried Voynich benannte, auf Pergament geschriebene Werk Gegenstand zahlreicher Spekulationen. Wissenschaftler wie Esoteriker mutmaßen darüber, was der Inhalt des Buches sein könnte. Laut dem Informatiker Klaus Schmeh gibt es von einer Abhandlung über Abtreibung über ein ketzerisches Traktat bis zu einem Kräuterkunde-Buch nahezu nichts, was nicht schon vorgeschlagen wurde. Schmeh ist Experte für Kryptografie und Sachbuchautor und beschäftigt sich seit langem mit dem geheimnisvollen Werk. Für die GWUP hat er schon einige erhellende Beiträge verfasst. Angesichts der aktuellen Debatte haben wir ihm wieder ein paar Fragen gestellt.
GWUP: Herr Schmeh, „Forscher knacken Voynich-Code", „Künstliche Intelligenz löst Mysterium um antikes Voynich-Manuskript". Die Schlagzeilen derzeit lesen sich euphorisch. Ist das Voynich-Manuskript nun entschlüsselt?
Klaus Schmeh: Eindeutig nein. Es gibt inzwischen mindestens 50 „Entschlüsselungen" des Voynich-Manuskripts. Jedes Jahr kommen neue dazu. Die aktuellen Schlagzeilen beziehen sich auf eine Forschungsarbeit der kanadischen Linguisten Greg Kondrak und Bradley Hauer, die bereits vor zwei Jahren veröffentlicht wurde. Ich weiß nicht, warum diese Arbeit gerade jetzt in die Presse gekommen ist.
GWUP: Was ist den beiden Forschern konkret gelungen?
Klaus Schmeh: Es handelt sich um eine absolut seriöse Forschungsarbeit. Die beiden stellen ein neues Verfahren zur Lösung bestimmter Verschlüsselungen (Buchstaben-Ersetzung mit Änderung der Buchstabenreihenfolge innerhalb eines Worts) vor, das vor dem eigentlichen Lösen die Sprache ermittelt, in der der Klartext wahrscheinlich verfasst ist. Im letzten Kapitel ihrer Arbeit, quasi als Schlussgag, wenden die beiden ihr Verfahren auf das Voynich-Manuskript an. Als Ergebnis erhalten sie, dass Hebräisch als Sprache am besten passt. Selbst eine Entschlüsselung des ersten Satzes („Sie gab einem Priester, dem Hausherren, mir und anderen Menschen Empfehlungen") liefert das Verfahren.
GWUP: Was ist an dieser Lösung auszusetzen?
Klaus Schmeh: Die Voraussetzungen sind falsch. Das Voynich-Manuskript ist höchstwahrscheinlich nicht durch eine Buchstaben-Ersetzung mit Reihenfolgeänderung entstanden. Das Verfahren von Kondrak und Hauer ist daher zur Lösung des Voynich-Manuskripts gar nicht geeignet. Das wissen die beiden Autoren auch. Sie behaupten daher auch gar nicht, das Voynich-Manuskript gelöst zu haben. Stattdessen war diese Aktion ein Experiment, das den Abschluss ihrer Forschungsarbeit bildete.
GWUP: Welchen Zweck hatte dieses Experiment?
Klaus Schmeh: Wohlwollend kann man sagen, dass auch der Missbrauch eines Verfahrens (darum geht es ja hier) interessante Erkenntnisse bringen kann. Ansonsten war es eine Spielerei ohne allzu großen Nutzen. Jedenfalls sollte man das Ergebnis nicht ganz so ernst nehmen. Die beiden Autoren tun es ja auch nicht.
GWUP: In Ihrem Blog schreiben Sie, es gebe bereits mindestens 50 Voynich-Manuskript-Entschlüsselungen, die durchaus ernst gemeint seien. Was sind die typischen Fehler?
Klaus Schmeh: Die meisten angeblichen Lösungswege sind zu beliebig. Der Entschlüssler geht meist davon aus, dass ein Geheimbuchstabe mehrere Bedeutungen haben kann, während ein Klartextbuchstabe in mehrere Geheimtextbuchstaben verschlüsselt werden kann. Wenn man dann noch annimmt, das manche Geheimbuchstaben gar keine Bedeutung haben, während an manchen Stellen Geheimbuchstaben ergänzt werden müssen, lässt sich oft etwas konstruieren, was das eine oder andere sinnvolle Wort enthält. Diesen Kauderwelsch muss man dann nur noch richtig interpretieren, und schon ist das Rätsel gelöst.
Herr Schmeh, vielen Dank für das Gespräch!
Mehr zu diesem Thema auch im kommenden SKEPTIKER 2/2018.
Das Gespräch führte Holger von Rybinski