17.12.2002 (GWUP) - In Frankfurt toben Straßenkämpfe, Berlin brennt, Stuttgart liegt in Trümmern - aber Boris und Babs sind wieder zusammen, Osama Bin Laden ist gefasst und die Wirtschaft nimmt seit Sommer einen rasanten Aufschwung: So sähe der Jahresrückblick 2002 aus, wenn Deutschlands Hellseher, Wahrsager und Astrologen mit ihren Prognosen Recht behalten hätten.
Doch offenkundig lässt sich die Zukunft weder aus den Sternen noch aus der Kristallkugel oder den Nostradamus-Schriften ablesen. Denn wieder einmal lag die professionelle Orakel-Zunft völlig daneben, hat der Mathematiker Michael Kunkel von der "Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften" (GWUP) bei der Auswertung von mehr als 75 konkreten Prognosen für das zu Ende gehende Jahr festgestellt.
Völlig? Der Barmbeker Star-"Seher" Jean Paul Zamora hatte zum Jahresanfang 2002 Binsen zu Weisheiten gebündelt und garantiert unfehlbar "technische Pannen, Umwelt-Unfälle" und Wetterkapriolen vorausgesagt. Die Astrologin Patricia Schwennold (ehemals Bahrani) rühmt sich, die Wiederwahl von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) aus den Konstellationen der Himmelskörper abgeleitet zu haben. Allerdings hätte man zu diesem Zweck ebenso gut eine Münze werfen können, denn die Wahrscheinlichkeit, den Wahlausgang richtig zu raten, lag bei fünfzig Prozent. Dass die Astrologin anscheinend tatsächlich bloß geraten hat, wird daran deutlich, dass sie als Grund für den Schröder-Sieg einen "kurz vor der Wahl aufgedeckten Finanzskandal in der Stoiber-Truppe" nannte. Kaum besser machte es der Münchner Astro-Star Winfried Noe, der im Mai 2002 die FDP "sicher in der nächsten Regierung" sah.
Die von Schwennold prophezeiten Anschläge auf das NATO-Hauptquartier in Brüssel und den Berliner Reichstag wollten sich dagegen partout nicht einstellen - auch wenn die Tochter eines indischen Architekten und einer österreichischen Astrologin den vermeintlichen Zeitpunkt der Terroraktionen im Laufe des Jahres immer weiter nach hinten verschob, nachdem Termin um Termin folgenlos verstrichen war.
Auch den Tücken des runden Leders zeigten sich die berufsmäßigen "Medien" nicht recht gewachsen. Der bekannte Astrologe Rei Souli legte sich absolut "sicher" auf eine Niederlage der deutschen Mannschaft bei der diesjährigen Fußball-WM im Vorrundenspiel gegen Kamerun fest. Als Titelgewinner prognostizierte er Spanien. Liebesplanet Venus ließ die Stern- und Hellseher ebenfalls im Stich: Boris Becker und Ex-Frau Barbara kamen entgegen aller Prognosen nicht wieder zusammen. Das angekündigte "schwere Erdbeben im Raum Aachen" (Schwennold) fand ebenso wenig statt wie ein "erst im Juli aufgelöstes Chaos bei der Euro-Einführung" (Edeltraud Lukas Moeller), ein Attentat auf Bundesaußenminister Joschka Fischer Ende September oder der Tod von Jassir Arafat "noch vor Ende Juni".
Die 20 000 Astrologen, Wahrsager und Hellseher in Deutschland machen einen geschätzten Umsatz von 500 Millionen Euro jährlich. Doch zurückliegende Untersuchungen haben ergeben, dass nur etwa vier Prozent ihrer konkreten Prognosen stimmen. Und selbst diese äußerst geringe Zahl kommt nach der so genannten "Methode des texanischen Scharfschützen" zustande - der mit einer Schrotflinte auf ein Scheunentor schießt und erst anschließend um jedes der zahllosen Einschusslöcher eine Zielscheibe malt, um so eine überragende Trefferquote vorzutäuschen.
Das gilt auch für die vielen selbst ernannten Nostradamus-Deuter. Der Autor Manfred Dimde zum Beispiel wühlte einmal mehr im Barte des geheimnisumwitterten Renaissance-Propheten und kündigte für 2002 eine bemannte Mars-Expedition und das Auseinanderbrechen der UNO in einen westlichen und einen islamischen Block an.
Der Münchner Astrologe und Nostradamus-Experte Kurt Allgeier ragte allenfalls durch die Vielzahl und durch die Krassheit seiner Prophezeiungen heraus. Für die Bundeshauptstadt Berlin etwa las Allgeier "gewaltsame Auseinandersetzungen und Brände" aus den Nostradamus-Schriften heraus. In Frankfurt "lehnt sich das Volk auf, es kann zu Straßenkämpfen kommen", schwante Allgeier zu Jahresbeginn düster. Der Stadt Hamburg drohe "höchste Gefahr durch Wasser, Gifte, biologische und chemische Waffen". In München "streiten sich die Menschen, viele werden krank und sterben". Doch das ist nichts gegen das Schicksal, das Allgeier dem Großraum Stuttgart für 2002 ("oder 2006") prophezeite: "Sieben Millionen Tote" hätte hier eine "atomare Explosion" fordern sollen. Doch auch Positives hatte der Astro-Vielschreiber auf Lager: "Ein starker Jupiter zeigt für den Sommer 2002 einen wirtschaftlichen Aufschwung an." Und: "Amerika feiert Triumphe. Vielleicht wird Bin Laden gefasst."
Für GWUP-Sprecher Bernd Harder sind Allgeiers erschreckende Nostradamus-Deutungen kaum mehr als "übelste Scharlatanerie". Denn hier werde "Menschen bewusst und gezielt Angst gemacht, um ihnen dann die Mittel dagegen verkaufen zu können" - nämlich Bücher, Zeitschriften und Sonderhefte, in denen eine Art "Fahrplan" für das künftige Geschehen sowie "Überlebens-Tipps" zu finden seien. "Immer, wenn etwas Schlimmes oder Aufregendes in der Welt passiert, ruft man Nostradamus in den Zeugenstand", so Harder weiter. Doch die verrätselte Düster-Poesie des Pestarztes aus dem 16. Jahrhundert weise mitnichten in die Zukunft, sondern spiegele lediglich die Ängste des Spätmittelalters wider.
Und so wagt Harder für 2003 die Prognose: "Der Weltuntergang, wie ihn einige Nostradamus-Deuter auch für 2003 wieder ankündigen, wird noch lange auf sich warten lassen." Nicht aber die nächste Voraussage desselben.
Mehr Informationen bei den Skeptikern: Lexikoneintrag "Wahrsager"