10.10.2015 (GWUP): Am 10. Oktober vor 30 Jahren starb der amerikanische Regisseur und Schauspieler Orson Welles. Der Filmemacher wusste genau, wie man Menschen beeindruckt. In einem Interview erklärt er, wie Wahrsager ihre Klienten manipulieren.
Der vielseitig begabte Orson Welles, der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, wurde 1938 mit nur 23 Jahren schlagartig bekannt, als er H. G. Wells´ „Krieg der Welten" als Hörspiel adaptierte, indem er in Form einer Radioreportage von einer Invasion Außerirdischer berichtete - was bei vielen Menschen angeblich Panik auslöste, weil sie das Hörspiel für eine echte Reportage hielten. H.G. Wells äußerte in einem späteren Interview amüsiert Zweifel an der vermeintlichen Massenpanik bei der Radioübertragung. Allerdings zeigt das als Aufzeichnung noch erhältliche Hörspiel bereits das psychologische Geschick des jungen Künstlers Orson Welles, der 1941 mit dem Film „Citizen Kane" seinen größten künstlerischen Erfolg feierte. Welles´Karriere verlief in den folgenden Jahren wechselhaft, er brillierte in seinen besseren Filmen als vielseitiger Schauspieler, seine ambitionierten Shakespeare-Verfilmungen wurden jedoch keine kommerziellen Erfolge. Vielleicht waren es ja gerade seine Vielseitigkeit und seine zahlreichen künstlerischen Interessen, die dem bereits in jungen Jahren zum Genie geadelten Amerikaner später größere Erfolge verwehrten. Dass er wusste, wie man als darstellender Künstler die Menschen beeindrucken kann, zeigt der Hobby-Magier Welles in einem bemerkenswerten Interview aus dem Jahre 1970. Darin erklärt er, wie das von angeblichen Wahrsagern praktizierte „Cold Reading" funktioniert. Er selbst, so Welles, habe sich schon immer für Gedankenlesen und Wahrsagerei interessiert. Dabei habe er von älteren (falschen) Wahrsagern hilfreiche Tricks zur Beeinlussung von Menschen bekommen. So müsse man die hilfesuchenden Klienten erst aufwärmen und mit Informationen konfrontieren, die man als Fremder unmöglich wissen könne, etwa „Zwischen 13 und 15 gab es in ihrem Leben eine große Veränderung" oder „Sie haben eine Narbe an ihrem Knie". Trifft häufig zu, hinterlässt aber bei vielen großen Eindruck. Nach diesem Warm-up geben die Klienten dann oft von sich aus Informationen preis, die der vermeintlich Hellsichtige zu seinen Gunsten in seine Aussagen miteinflechten kann. Als Welles einst bei einer Theatertournee an einem Samstag keine Matinee zu spielen hatte, nahm er die Gelegenheit wahr, sich als „Dr. Swami" selbst als Wahrsager zu versuchen. Den ganzen Tag lang habe er Interessierten Auskunft erteilt. Aus schlechtem Gewissen habe er jedoch kein Geld genommen. Die Wahrnehmung von Wahrsagern und ihr Geschick, aus dem Auftreten ihrer Kunden Informationen zu gewinnen, vergleicht er in dem Gespräch mit Rezeptionisten, die nachts in einem Hotel arbeiten. Nach einer Weile seien diese in der Lage, ohne länger hinzusehen, die richtigen Schlüsse in Bezug auf den Status ihrer ankommenden Gäste zu ziehen. Welles selbst beendete seine kurze, ohnehin nicht ernst gemeinte Tätigkeit als Hellseher nach eigenen Angaben, nachdem er einer Frau, die er nie zuvor gesehen hatte, ins Gesicht sagte, dass sie eine Woche vorher Witwe geworden sei. Nicht, dass er zu einem ,,Shut-Eye" geworden sei, also einem Wahrsager, der seinen eigenen Aussagen glaube, habe ihm diese korrekte Aussage ermöglicht. An Wahrsagerei sei nichts Magisches. Unzweifelhaft habe es bei der Frau alle möglichen Hinweise auf eine Tragödie gegeben, die vom Gehirn (das er als Computer bezeichnet) verarbeitet wurden. „And that's how it works." Besser kann man es kaum erklären.
Ein falscher Wahrsager ist Welles glücklicherweise nicht geworden. Als Regisseur hingegen war er ein wahrer Magier.
Holger von Rybinski