Erklärt uns die Quantenphysik auf seine Weise: Florian Aigner (Copyright Brandstätter-Verlag; Gianmaria Gava)
22.04.2023 (GWUP): Soeben ist Florian Aigners neues Buch „Warum wir nicht durch Wände gehen-unsere Teilchen aber schon" erschienen. Wir haben ihm dazu ein paar Fragen gestellt.
GWUP: Florian, als Wissenschaftler und Autor bemühst du dich um eine Popularisierung von Wissenschaften, natürlich insbesondere um dein Fachgebiet Physik. Nun also ein eigenes Buch über die Quantenphysik. Ist das nicht ein sperriges Thema? Selbst Pysiker:innen tun sich damit schwer.
Florian Aigner: Genau das ist das Reizvolle daran. Quantenphysik hat, wie wohl kein anderes wissenschaftliches Fachgebiet, den Ruf, etwas schwer Verständliches zu sein, etwas Verrücktes, das mit dem menschlichen Verstand kaum zu fassen ist. Das finde ich schade. Denn in Wahrheit ist Quantenphysik weder unverständlich noch mystisch, sondern eine wissenschaftliche Theorie, die uns dabei hilft, unsere Welt besser zu verstehen. Ich bin überzeugt davon, dass man die wichtigsten Grundprinzipien der Quantenphysik recht einfach erklären kann, sodass sie für alle verständlich sind. Und das versuche ich in meinem Buch.
Quantenphysik kommt uns nur deshalb ein bisschen seltsam vor, weil sie von unserer Alltagserfahrung ziemlich weit entfernt ist. Auf Quantenphänomene stößt man normalerweise nur dann, wenn man ganz bestimmte Experimente durchführt - meist sehr komplizierte Experimente, mit winzig kleinen Teilchen. Würden wir von Geburt an in einer Welt aufwachsen, in der die Gesetze der Quantenphysik im Alltag eine zentrale Rolle spielen, dann käme sie uns genauso selbstverständlich vor wie die Tatsache, dass ein Ball nach unten fällt, wenn wir ihn fallen lassen.
GWUP: Wie auch schon in deinem vorherigen Buch widmet sich ein Teil deiner Erläuterungen den Skeptikern wohlbekannten ,,esoterischen Irrtümern". Warum ist die Quantenphysik bei Esoterikern, also etwa Anhängern der „Alternativmedizin", so populär? Und warum, das erfährt man mit Erstaunen im Kapitel ,,Quantenphilosophie und Quantenesoterik", sind selbst preisgekrönte Physiker nicht vor pseudowissenschaftlichen Fehlschlüssen daraus immun?
Florian Aigner: Ich glaube, das hat historische Gründe: Ganz zu Beginn, vor etwa hundert Jahren, war die Quantentheorie tatsächlich etwas höchst Verwirrendes. Es gibt Zitate großer Physiker aus dieser Zeit, die Quantenphysik als etwas Undurchschaubares, beinahe Mystisches darstellen. Das ist aus damaliger Sicht verständlich - aber die Wissenschaft hat sich weiterentwickelt. Vieles von dem, was damals für die größten Genies der Welt tatsächlich verwirrend war, haben wir mittlerweile recht gut verstanden. Nicht weil wir klüger sind als die Gründerväter und -mütter der Quantentheorie, sondern weil wir heute auf einen reichen Schatz an unzähligen Experimenten, Beobachtungen und Theorien zurückgreifen können. Heute gibt es wirklich keinen Grund mehr, die Quantenphysik zu mystifizieren.
Aber diese Entwicklung, in der die Quantenphysik zu einer ganz normalen wissenschaftlichen Theorie geworden ist, kam im öffentlichen Bewusstsein kaum an. Und so ist die Quantenphysik natürlich ein sehr wirkmächtiger Ausgangspunkt für Esoterik oder Alternativmedizin: Man verwendet irgendeine Methode, die weder mit Quanten noch mit Physik etwas zu tun hat, zum Beispiel das gute alte Heilen durch Handauflegen. Und dann behauptet man einfach, ohne jeden Beleg, dass diese Methode irgendetwas mit Quantenphysik zu tun hat. Wer soll da widersprechen? Die meisten Leute wissen kaum etwas über Quantenphysik und nehmen diesen behaupteten Zusammenhang einfach hin. Es klingt gleichzeitig wissenschaftlich-seriös und ein bisschen magisch - die optimale Verpackung für esoterischen Unsinn.
GWUP: Im selben Kapitel beschäftigst du dich auch kurz mit der aktuell durch einen oscarprämierten Spielfilm wieder populären These von Paralleluniversen. Ist die Viele-Welten-Theorie also gar nicht wissenschaftlich?
Florian Aigner: Nein, für mich ist das keine Wissenschaft. Die Theorie der Paralleluniversen liefert keine Vorhersagen, die sich überprüfen und falsifizieren lassen. Insofern ist sie eine philosophische Theorie, die zwar mit Physik zu tun hat, aber sie ist selbst kein Teil der Physik. Das heißt aber nicht, dass es nutzlos ist, über solche Dinge zu reden. Wer Spaß daran hat, soll gerne Quanten-Philosophie betreiben und über unendlich viele Paralleluniversen nachdenken. Ich selbst finde das nur mäßig spannend - ich bin bei solchen Fragen agnostisch. Mich begeistert jener Teil der Quantentheorie mehr, der tatsächlich überprüfbare Konsequenzen hat und zu neuen Technologien führt. Aber das ist letztlich Geschmackssache.
GWUP: Liest man „Warum wir nicht durch Wände gehen", erfährt man, wie vielfältig die Quantenphysik ist. Gleichwohl handeln einzelne Kapitel von eher abstrakten Gedankenexperimenten wie der Möglichkeit einer „Quantenbombe". Als Laie könnte man fragen: „Was hat das konkret mit mir zu tun?" Dieser Frage hast du das letzte Kapitel gewidmet. Also, mal kurz zusammengefasst: Warum sollte man über die Quantenphysik ein wenig Bescheid wissen?
Florian Aigner: Aus zwei Gründen: Erstens ist unsere Welt massiv von Quantenphysik geprägt - das ist uns oft gar nicht bewusst. Aber ohne Quantenphysik gäbe es keine Laserscanner an der Supermarktkassa, keine Computerchips und keine Flachbildschirme. Lebensrettende Methoden der Medizin - von der Strahlentherapie bis zum Kernspintomographen - wären nicht möglich. Die Quantenphysik prägt unsere Technologie, daher sollte man auch ein Grundverständnis ihrer wichtigsten Ideen haben.
Der zweite Grund ist für mich aber eigentlich sogar noch wichtiger: Es ist einfach schön. Es fühlt sich im Kopf gut an, wenn man mit Ideen konfrontiert wird, die ganz anders sind als die Ideen, die wir aus dem Alltag kennen. Festzustellen, welchen Regeln die Natur auf Ebene kleinster Teilchen gehorcht, kann auf ähnliche Weise erfreulich sein, wie ein Kunstwerk oder ein Musikstück. Man hat danach etwas erlebt, was einem vorher verborgen geblieben ist. Man hatte Gedanken im Kopf, die man sonst nicht gehabt hätte. Und was gibt es Schöneres als das?
GWUP: Florian, vielen Dank für das Interview!
Die Fragen stellte Holger von Rybinski