Der Arzt Samuel Hahnemann (1755-1843) stand unter dem Eindruck der damals herrschenden Medizin, die er pauschal Allopathie nannte. Hahnemann bemängelte, dass die Ärzte aufgrund ihrer „materiellen" Einstellung versuchten, die materielle Ursache der Krankheit z.B. durch Aderlässe, Klistiere und chirurgische Eingriffe zu beseitigen. Diese Versuche schwächten lediglich den Körper und verschlimmerten die Krankheit. Bei den damals verwendeten "Drastika" traf dies nicht selten zu. Um dies zu vermeiden, erfand Hahnemann die Homöopathik oder Homöopathie, deren Grundlagen er für unvereinbar mit der Allopathie hielt. Keiner könne guten Gewissens beide anwenden, denn sie widersprächen einander von Grund auf. (Die Allopathie seiner Zeit wird allerdings in der heutigen wissenschaftlichen Medizin nicht mehr praktiziert. Einige der von Hahnemann kritisierten Therapien würde man übrigens heute eher - zu Recht oder zu Unrecht - der „Naturheilkunde" zurechnen, wie Akupunktur und Fußbäder (1, S. 21).)
Krankheiten als „geistartige Verstimmungen"
Dass Krankheiten materielle Ursachen haben, hielt Hahnemann für reine Spekulation. Insbesondere lehnte er die Existenz von infektiösen Keimen, „innerlich verborgenen, obgleich noch so fein gedachten Wesen" als Krankheitsauslöser ab (1, §13), ja bezeichnete sie als „Unding". Vielmehr seien Krankheiten „geistartige Verstimmungen" der „Lebenskraft" bzw. des „Lebensprinzips". (Seine Ablehnung materieller Krankheitsursachen war damals verständlich: Bakterien und Viren konnten erst nach seinem Tode sicher identifiziert werden und damit auch ihre Rolle als Krankheitsauslöser.) Die von ihm als verstandeslos bezeichnete Lebenskraft nehme beispielsweise ohne Bedenken die drei Miasmen (Psora, Syphilis, Sykosis) auf (1, S. 22). Diese Miasmen (griechisch: Verunreinigungen) galten früher als krankheitsauslösende Stoffe in der Luft oder in den Ausdünstungen des Bodens. Ziel einer Therapie müsse es sein, die Lebenskraft dazu zu bringen, sich von diesen Miasmen abzuwenden. Die allein so wieder hergestellte „Integrität des Lebensprinzips", nicht die Bekämpfung derSymptome, führe zur Wiederkehr der Gesundheit. Als weiteren Irrtum der Allopathen sah er ihr Bestreben an, Mittel gegen die Krankheit zu geben (contraria contrariis). Da Krankheiten „geistartige Verstimmungen" seien, könnten solche Mittel gegen die Krankheit nichts ausrichten. Auch wenn sie die Symptome unterdrückten, hätte dies keine Wirkung auf die Krankheit, denn die Lebenskraft würde nach dem Abklingen des Gegenmittels aufgrund der Miasmen weiterhin die gleichen Symptome hervorbringen. Hinzu kämen laut Hahnemann aber neue spezifische Symptome aufgrund des Gegenmittels selbst. Auch die palliative (schmerzbehandelnde) Medizin sei lediglich in der Lage, die Symptome kurzfristig auszulöschen, danach würden sie umso mehr hervortreten. Hahnemann kritisierte hier neben der Chinarinde auch den Einsatz von Baldrian (1, S. 33). (Beide gelten heute als Naturheilmittel.)
Das Simileprinzip
Hahnemann setzte demgegenüber auf das Ähnlichkeitsprinzip (similia similibus), wonach sich Krankheiten mit Arzneien, die ähnliche Symptome erzeugen, „auslöschen" lassen. Er meinte, eine Krankheit komme dann vollkommen zum Erliegen, wenn sie durch eine stärkere ähnliche Krankheit überlagert würde. Danach bestehe nur die stärkere Krankheit fort, nicht mehr aber die schwächere. Diese stärkere Krankheit müsse nicht natürlich sein - auch eine durch Arzneien oder sonstige verabreichte Stoffe verursachte Krankheit, sofern sie ähnliche Symptome hervorrufe, führe zur Auslöschung der ursprünglichen, schwächeren Krankheit. Dies gelte jedoch nicht, wenn es sich um eine stärkere, unähnliche Krankheit handele. Hier könne es, wenn überhaupt, nur zu einer vorübergehenden Unterdrückung der ursprünglichen Krankheit kommen. So suchte Hahnemann nach Arzneien, die ähnliche Symptome auslösen wie die vorliegende Krankheit selbst, aber eine stärkere Auswirkung haben als diese natürliche Krankheit. Die Lebenskraft würde sich dann von der natürlichen Krankheit abwenden und auf die künstliche, durch die Arznei verursachte Krankheit ausrichten. Hierdurch könne es zu einer vorübergehenden homöopathischen Verschlimmerung kommen, da die Arznei ja stärker sei als die Krankheit. Am Ende wäre aber nach vorsichtigem Absetzen der Arznei die Krankheit besiegt, denn die Lebenskraft habe die Affektion gegenüber der Krankheit durch die homöopathische Ablenkung verloren. Für Hahnemann spielte es also keine Rolle, ob die Arzneien „natürlich" oder „chemisch" waren: Nicht die Art der Arznei spielte eine Rolle, sondern ihre Wirkung nach dem Simileprinzip.
Die drei Schritte der Homöopathie
Nach Hahnemann erfolgt die homöopathische Behandlung in drei Schritten. Zunächst müsse das vollständige Krankheitsbild ermittelt werden. Zentral ist hier die gewissenhafte Aufzeichnung aller Symptome. Bei einer Epidemie ist es nach Hahnemann auch legitim, die Symptome anderer Kranker hinzuzuzählen, nicht nur die des Patienten selbst. Zu berücksichtigen seien auch andere Begleitumstände, wie dessen Gemütslage. Zweitens ist es wichtig, ein Sortiment von Arzneien zu haben, die bestimmte Krankheitssymptome bei Gesunden auslösen - bei Gesunden deshalb, weil es auf die reine Wirkung der Substanz ankomme. Diese Arzneien sollen an freiwilligen und besonders glaubwürdigen Versuchspersonen ausprobiert werden. Dabei werden die Symptome nicht nur bei einzelnen Personen, sondern bei vielen ermittelt. Denn da nicht jedes Symptom bei jedem zum Vorschein kommt, die Arznei aber das Potenzial habe, diese Symptome auszulösen, sollen sie summiert werden. In die Liste der durch Arzneien hervorgerufenen Symptome nahm Hahnemann auch solche auf, von denen Schriftsteller berichteten, die Suchtmittel genommen hatten - sofern er deren Berichte für glaubwürdig hielt. Sind alle Symptome aufgeschrieben, so komme es jetzt als drittes auf die richtige Wahl des Medikaments an. Ist kein Arzneimittel vorhanden, das die gleichen Symptome verursacht, so soll der Arzt dasjenige Medikament aussuchen, dessen Auswirkungen am besten mit den Krankheitssymptomen übereinstimmt. Nach Verabreichung dieses Medikamentes würden diejenigen Symptome bei den Kranken verschwinden, die genau diese Arznei bei Gesunden verursacht. Nach der Behandlung untersucht man den Patienten erneut, stellt die verbliebenen Symptome fest und sucht ein neues homöopathisches Medikament aus.
Das „Potenzieren"
Durch Verdünnung der Ursubstanz sowie durch „Reiben und Schütteln" sollen sich laut Hahnemann die „latenten", „wie schlafend" verborgenen „dynamischen Kräfte" des Mittels entwickeln (1, §269). Dies könne so weit gehen, dass nur „geistige Kraft" übrig bleibe, die dann extrem stark sei. Um den Kranken möglichst wenig zu belasten, solle dann bei einer Arzneianwendung diese „künstliche" Kraft als „rechte Gabe" so gewählt werden, dass sie nur wenig stärker ist als die der „natürlichen" Krankheit.
Kritik
Das Konzept einer Lebenskraft oder eines Lebensprinzips wurde zwar in den damaligen Biowissenschaften diskutiert (Vitalismus), ist aber schon seit langem aufgegeben. Damit wurde Hahnemanns Homöopathie die theoretische Grundlage entzogen (2).
Die von Hahnemann abgelehnten „fein gedachten Wesen" existieren tatsächlich - als Bakterien oder Viren. Sie sind Ursache vieler Krankheiten, und sie lassen sich in ihrer Ausbreitung kaum von Arzneimitteln beeindrucken, die ähnliche Symptome erzeugen wie sie selbst. Nicht infektiös bedingte Krankheiten können heute ebenfalls in keiner Weise mehr als "geistartige Verstimmungen" gesehen werden, weil auch deren Ursachen bis hinein in den molekularbiologischen Bereich erforscht werden können.
Das Prinzip der Potenzierung ist aus physikalischer und chemischer Sicht unhaltbar. Schon ab einer „Potenzierung" von D23 ist wahrscheinlich kein einziges Molekül der ursprünglichen Substanz in der „Arznei" mehr enthalten; bei D30 ist die Chance eines vorzufinden, weitaus kleiner als die eines Sechsers im Lotto. Auch heutigen Homöopathen bleibt also letztlich - nichts anderes übrig, als eine "geistige Kraft" zu bemühen, die die Heilung bewerkstelligen soll - eine Kraft, die keine naturwissenschaftliche Grundlage hat.
Dass Homöopathie - über Placebo-Effekte hinaus - wirksam ist, konnte bislang durch wissenschaftliche Untersuchungen nicht belegt werden (3-8).
Amardeo Sarma
Literatur
- Hahnemann S (1999) Organon der Heilkunst. Hippokrates Verlag: Suttgart (Nachdruck der 6. Auflage von 1921)
- Brunn WL von (1964) Homöopathie als medizingeschichtliches Problem. Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften 48: 137-156
- Hopff W (1991) Homöopathie - kritisch betrachtet. Thieme-Verlag: Stuttgart
- Oepen I, Schaffrath B (1991) Homöopathie heute. Skeptiker 4(2): 38 - 43
- Prokop O (1995) Homöopathie. Was leistet sie wirklich? Ullstein: Frankfurt
- Schäfer AT (1995) Ein misslungener Nachweisversuch homöopathischer Wirkprinzipien. Skeptiker 8(1): 15-19
- Strubelt O, Claussen M (1999) Ist Homöopathie mehr als Plazebo? Skeptiker 12(1): 40-43
- Windeler J (2000) Sind homöopathische Mittel besser als Plazebo? Skeptiker 13(4): 202-203
- Wolf R, Windeler J (2000) Erfolge der Homöopathie - nichts als Placebo-Effekte und Selbsttäuschung? Chancen und Risiken der Außenseitermedizin. In: Shermer M, Traynor L (Eds) Heilungsversprechen - zwischen Versuch und Irrtum. Alibri-Verlag: Aschaffenburg, pp 110-144
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