Schwarz wie die Nacht, mit glühenden, gelben Augen
Bernd Harder
Sie sind pechschwarz wie die Nacht oder beigefarben. Sie haben ein glänzendes, glattes Fell und einen langen Schwanz. Ihre Augen glühen gelb. Man kann sie weder fangen noch fotografieren. Und doch streifen sie angeblich durch unsere Wälder und Großstädte: geheimnisvolle Riesenkatzen, die von Augenzeugen als Panther, Puma oder Löwe identifiziert werden.
So wie in Berlin. Am 23. 8. 2000 erreicht gegen 10.30 Uhr ein ungewöhnlicher Notruf die Polizei: In einem Gewerbegebiet treibe sich ein „großes, dunkelbraunes Tier, größer als ein Schäferhund“ herum. 60 Polizeibeamte, 15 Feuerwehrleute, ein Jäger und ein Tierarzt durchsuchen daraufhin das Gebiet südwestlich des Stadtteils Krummensee bis zur Autobahn A 13. Zwei Hubschrauber versuchen das exotische Raubtier aus der Luft zu orten – jedoch ohne Erfolg. Das Tier war zunächst von einer Frau im Gewerbegebiet in Schenkendorf gesichtet worden. Kurz darauf macht ein 15-jähriger Junge eine ähnliche Beobachtung in einem Waldstück nahe des Sees. Gerüchte, dass auch Polizisten das Tier im Wald gesehen hätten, kann das Polizeipräsidium Potsdam allerdings nicht bestätigen. Nach Aussagen der Zeugen habe das Tier braunes Fell und einen „gelassenen“, katzenartigen Gang, aber keine Mähne. Daraus schließt die Einsatzleitung zunächst, es handele sich vermutlich um eine Löwin. Die Beobachtungen seien sehr ernst zu nehmen, heißt es. Die Polizei setzt Funkstreifenwagen ein und fordert die Bevölkerung per Lautsprecher auf, die Häuser nicht zu verlassen und sich von dem Wald fern zu halten. Ein Gruppe von Kindern wird sogar von einer Polizeistreife aus einem Krummenseer Café evakuiert und nach Königs Wusterhausen gebracht. Fährten, die die Einsatzkräfte finden, entpuppen sich als Spuren von Wildschweinen und Hunden. „Wir haben nichts entdeckt, was auf ein Raubtier hindeutet“, erklärt Polizeisprecher Geert Piorkowski schließlich. „Löwe, Hund, Pony oder Ente?“, titelt die Berliner Morgenpost.
Drei Tage zuvor in Bayern: Polizei und Jäger im Landkreis Pfaffenhofen sind – zum Teil mit Maschinenpistolen bewaffnet – auf Großwildjagd, seit mehrere Zeugen gemeldet haben, einer schwarzen Raubkatze begegnet zu sein. Etwa 1,80 Meter lang soll sie sein, womöglich ein Panther oder ein Jaguar – so die Beschreibung eines Spaziergängers, der das Tier am Abend des 20. August gesehen haben will. Als das mysteriöse Wesen ihn bemerkt habe, sei es in den Wald geflohen. Ein Hubschrauber sucht die Umgebung mit Wärmebildkameras ab, ohne das Rätsel erhellen zu können. Derweil berichtet eine Pfadfindergruppe von einem „großen Tier“ in der Nähe des Klosters Steinerskirchen. Auch eine ältere Dame meldet sich auf dem Pfaffenhofer Polizeirevier. Sie habe beim Gassigehen mit ihrem Hund gegen 7.10 Uhr am Morgen das Hinterteil eines „großen schwarzen Tieres mit einem langen Schwanz“ erspäht, bevor es in einem Maisfeld verschwand. „Die Sache ist schon seltsam“, sagt ein Polizeisprecher. Einerseits werde nirgendwo ein schwarzer Panther vermisst. Andererseits seien die Zeugen durchaus sehr glaubhaft.
Wenn Kanadier am flackernden Kaminfeuer sitzen, schottische Wissenschaftler im Schein ihrer Computerbildschirme diskutieren oder Nomaden im Himalaya beim Rinderhüten plaudern, dann haben sie alle ein Thema: die gefährlichen Monster ihrer Heimat: Bigfoot. Nessie. Yeti. Im Bayerischen Wald treiben immerhin Wolpertinger ihr Unwesen. Zum Glück sind die kleinen Pelz-Feder-Viecher vom Gemüt her der Bevölkerung Bayerns ziemlich ähnlich – gemütlich und wenig blutrünstig. Und die schwarzen Großkatzen? Falls einem der Panther begegnet, sollte man keinesfalls auf ihn zugehen oder ihn gar in die Enge treiben, raten Raubtierexperten. Auch Weglaufen wird nicht empfohlen, da sonst der Jagdtrieb geweckt werden könnte. Am besten sei es, stehen zu bleiben und dem Tier in die Augen zu schauen. Spätestens dann würden Panther weglaufen. Bleibt allerdings die Frage, ob Zoologen wirklich die richtigen Ansprechpartner in Sachen Geisterkatzen sind.
Ein einziger Panther benötigt 250 Rehe als Futter pro Jahr. Doch bisher fand man in Deutschland keine Anzeichen dafür, dass sich die Rotwild-Population derart verkleinert hätte. Eine Raubkatze „muss sich ernähren, sie hinterlässt Kadaver der getöteten Tiere und Exkremente, sie plündert Mülltonnen und wird wahrscheinlich irgendwann einmal fotografiert“, weiß der deutsche Mythenforscher Ulrich Magin. All dies geschah jedoch auch dieses Mal nicht – weder in Berlin noch in Pfaffenhofen. Auch nicht in Saarbrücken. Dort hielt 1992 wochenlang eine geheimnisvolle schwarze Raubkatze die Bevölkerung in Atem. Täglich meldeten sich Bürger, die eine Großkatze in freier saarländischer Wildbahn beobachtet haben wollten. Die Behörden legten eine Panther-Akte und und rückten mit Hunde-Staffeln aus. Ohne Ergebnis. „Gustav“ taufte ein Journalist die mysteriöse Erscheinung – „weil sie sich so eisern versteckt hält“.
Doch wenig später brach die Panther-Panik von neuem aus: Zuerst im niederbayerischen Landkreis Landau/Isar, dann in Parsberg in der Oberpfalz. Zwei Angler behaupteten, am Ufer der Laaber streune eine große schwarze Katze herum. Im bayerischen Deggendorf wollten im Frühjahr 1993 ebenfalls zahlreiche Menschen einen Panther gesehen haben. Viermal ordnete die Polizei Treibjagden an. Alle waren vergeblich. Im vergangenen Sommer spürten die Behörden einem Panther bei Bad Camberg in Hessen nach. „Panther fressen keine Hessen“, amüsierten sich die örtlichen Medien über die ergebnislose Aktion.
Natürlich reißen hin und wieder tatsächlich exotische Tiere aus Gehegen oder zoologischen Gärten aus. Doch in der Regel werden solche realen Geschöpfe schnell entdeckt, von Tierfängern oder der Polizei gestellt und getötet oder eingefangen. Jüngstes Beispiel: Der Tiger „Sahib“, der im Dezember 2000 beim Zirkus Sarrasani ausbüxte und einen Tag lang quer durch Wiesbaden flüchtete – ehe er mit einem Betäubungsgewehr außer Gefecht gesetzt werden konnte. Reichlich Stoff für ein Stück à la „Menschen, Tiere, Sensationen im Großstadtdschungel“ lieferten auch Brillenkaiman „Sammy“ und Känguru „Manni“, das 1998 dem Zoo von Bad Pyrmont den Rücken kehrte und am Ende von einem Zug überfahren wurde.
Bemerkenswert: Auch während „Mannis“ kurzer Exkursion gab es zahlreiche Phantom-Sichtungen. Mal wurde der graue Hüpfer beim Rübenfrühstück in Hameln beobachtet – und gleichzeitig 160 Kilometer weiter nördlich in einem Maisfeld bei Stade. Diese Tatsache weist womöglich auch einen neuen Weg zur Erhellung der Panther-Epidemie in Deutschland. Beziehungsweise zu jenen katzenähnlichen Wesen, die von Skeptikern als „fliegende Untertassen der Tierwelt“ bezeichnet werden.
Ein Panther jagender Polizist aus dem Dorf Fürth im Kreis Bergstraße lässt sich vorsichtig ein, dass „nicht alles, was zuverlässige Zeugen sehen“, Realität sein müsse. Wahrnehmungspsychologen haben längst herausgefunden, dass unser Gehirn eine Art „Glaubensmaschine“ ist – die uns hilft, Dinge vorzufinden, von denen wir glauben, dass wir sie vorfinden werden. Selbst wenn es sie in Wirklichkeit gar nicht gibt. „Irgendwo da draußen“, folgert Mythen-Fachmann Magin, „im dunklen Wald, packt manchen die Angst vor der Begegnung mit einer Natur, die noch nicht vollkommen unterworfen erscheint, vor einer Wildnis, in der viele ohne die Errungenschaften der Zivilisation nicht überleben könnten. Und hin und wieder faucht diese feindliche Natur aus dem Gebüsch, wie sie schon vor 500 Jahren unsere Vorfahren bedroht hat. Wo sie Werwölfe sahen, sehen wir heute exotische Raubkatzen. Ein Stück der in Zoos gebändigten Natur, das uns wieder entglitten ist.“
Dieser Artikel erschien im "Skeptiker", Ausgabe 2/2001.