Wie bewerten Sie den Erfolg der diesjährigen internationalen Kampagne „10:23 – Homeopathy – There´s nothing in it“?
Wir sind mit der Aktion sehr zufrieden. In über 70 Städten weltweit haben die Teilnehmer eine „Überdosis“ hochpotenzierter Homöopathika eingenommen, um ein Zeichen für Vernunft und kritisches Denken zu setzen. Wir wollten die Absurdität eines der Hauptprinzipien der Homöopathie demonstrieren: die „Potenzierung“ oder, wie Nicht-Homöopathen einfach sagen, „Verdünnung“. Bei Hochpotenzen haben wir es nur noch mit der „Trägersubstanz“, d.h., Zucker, Wasser oder Alkohol, zu tun. Von dem, was auf dem Etikett steht, ist einfach nichts mehr drin. Kein Wirkstoff, keine Naturkräuter, keine Information. Beispiel: Zwischen einem Fläschchen Belladonna D30 und einem Fläschchen Sulfur D30 besteht der Unterschied nur in den Etiketten der beiden Fläschchen.
Was wollten Sie konkret mit der Aktion erreichen?
Hauptziel der Aktion war es, die breite Öffentlichkeit zum Nachdenken über die Homöopathie anzuregen. Wie kann es sein, dass man bei Einnahme einer Überdosis „normaler“ Arzneien schwere Gesundheitsschäden, ja eventuell sogar den Tod riskiert, während bei der Einnahme einer Überdosis Hochpotenz-Homöopathika schlichtweg gar nichts passiert? Ist da entgegen der Behauptungen von Homöopathen doch nichts mehr drin, das eine Wirkung haben könnte? Wir haben bewusst auch Homöopathika auf der Basis von Arsen, Quecksilber und Blausäure eingenommen. Wie kann man dann Homöopathie weiter als Medizin vermarkten, ja gar als Naturmedizin? Wieso bezahle ich für wirkungslose Mittel so viel Geld? Warum dürfen solche Mittel überhaupt als Arzneien verkauft werden? Solche kritischen Fragen sollten angeregt werden.
Wie waren die Reaktionen der Homöopathieanhänger?
Die vielfältigen und oft rührend hilflosen Kritiken oder Rechtfertigungsversuche sind am besten im GWUP-Blog nachzulesen. Typische Reaktionen wiesen etwa daraufhin, wir hätten die Homöopathie gar nicht verstanden oder wir wüssten nichts von der individuellen Anamnese oder vom Simile Prinzip und so weiter. Ähnliche Einwürfe kennen wir auch von Astrologen und Wahrsagern. Natürlich sind uns die Thesen der Homöopathen bekannt. Aber wir betrachten Parawissenschaften auf Grundlage des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes und nicht auf Grundlage einer Theorie und Praxis, die weitgehend auf illusionärem Denken beruht. Bringen wir es auf den Punkt: Wir haben mit Globuli in Hochpotenzen nur Zucker zu uns genommen, sonst nichts.
Und wie bewerten Sie die Reaktion der Medien?
Wir freuen uns, dass viele seriöse Medien endlich die richtigen Fragen stellen und das Nebelkerzenwerfen der Homöopathie-Lobby zu durchschauen beginnen. Leider lassen sich andere Medien, wie neuerdings der Kölner Stadtanzeiger, weiterhin von den Homöopathen vereinnahmen.
Die Homöopathen behaupten, dass die Aktion doch belegt hätte, dass homöopathische Medikamente sicher sind.
Darüber haben wir uns besonders amüsiert. Auch wir wissen, dass die Einnahme von Zucker „sicher“ ist, wenn man nicht gerade Diabetiker ist. Sie wollen offenbar der Hauptfrage, die mit der Aktion verbunden ist, aus dem Weg gehen: Warum werden Zucker oder Alkohol als Medikamente für 7 bis knapp 40 Euro verkauft?
Warum glauben einige Anhänger der Homöopathie, dass die Pharmaindustrie hinter der Aktion gegen eine natürliche und ganzheitliche Medizin stecken muss?
Zunächst sollte man feststellen, dass auch Homöopathika und andere alternativmedizinische „Arzneien“ industriell hergestellt werden und damit viel Geld verdient wird. Man gehört also längst selbst zur Pharmaindustrie und damit zum Big Business! Freilich versucht man verzweifelt, das vermeintlich naturmedizinische Image aufrechtzuerhalten und sich gegenüber der „bösen“, weil „unnatürlichen“ und „chemischen“ Pharmaindustrie abzugrenzen. So wird etwa behauptet, man könne viel Geld sparen, wenn wir „schulmedizinische“ Arzneien durch homöopathische ersetzen würden. Die „böse“ Pharmaindustrie würde entsprechend alles tun, um ihre Profite gegen die „gute“ und angeblich billigere alternativmedizinische Konkurrenz zu verteidigen. Dazu passen dann Verschwörungstheorien über von BigPharm gekaufte Skeptiker. Mit diesem Freund-Feind-Schema kaschiert man zudem geschickt, dass homöopathische Produkte oft gar keine pflanzen- bzw. kräutermedizinischen Aspekt haben, wie man es oft in der Öffentlichkeit hört. Die Homöopathie verwendet giftigste Stoffe, wie Arsen, Quecksilber oder Blausäure, oder absurdes Zeugs wie Hundekot oder Hundemilch. Eine Liste mit homöopathischen Inhaltsstoffen bieten wir HIER an.
Was fordern Sie konkret oder worum geht es Ihnen?
Wir wollen, dass Politikern und allen Verantwortlichen für das Gesundheitswesen klar wird, was Homöopathie wirklich ist, statt sich an der Fantasiewelt der Homöopathie zu orientieren. Die Vertreter der Homöopathie und der anthroposophischen Medizin glauben inzwischen, ihre Behauptungen gar nicht mehr belegen zu müssen. Bisher konnten sie stattdessen erfolgreich auf die Politik setzen, denn es ist ihnen gelungen, durch geschickte Lobbyarbeit einen gesetzlichen Freiraum zur Selbstbedienung zu schaffen. Dies gilt inzwischen auch für Europa, wo Produkt- und Arzneimittelsicherheit für die Homöopathie und die anthroposophische Medizin außer Kraft gesetzt worden ist. Das wollen wir ändern, zum Beispiel indem der Binnenkonsens endlich abgeschafft wird.
Sie sprechen vom so genannten Binnenkonsens: können Sie diesen kurz erläutern?
Die meisten Patienten denken, dass Medikamente, die in einer Apotheke verkauft werden, vorher auf ihre medizinische Wirksamkeit geprüft worden sind. Dem ist nicht so. Drei besondere Therapierichtungen (Homöopathie, anthroposophisch erweiterte Heilkunst und Phytotherapie) sind von einer Wirksamkeitsprüfung ausgenommen. Sie müssen beim Bundesgesundheitsamt teils nur registriert werden oder werden nach Beurteilungen durch Sachverständige der „entsprechenden Therapierichtung“ zugelassen. Der eigentliche Skandal ist jedoch, dass Wissenschaftler, Ärzte und Fachverbände hierzu nicht nur schweigen, sondern Scharlatanerie unverblümt fördern. Auch den schleichenden Einzug der Homöopathie an Universitäten, etwa durch Stiftungsprofessuren, halten wir für bedenklich. Sollen demnächst auch Astrologie und Kreationismus gelehrt werden? Das ist kein Wissenschaftspluralismus, sondern ein Rückschritt. So wird Deutschland seinen Stand in der seriösen Wissenschaft weltweit nicht halten können.
Wir fordern, dass wir zur seriösen Wissenschaft und zur seriösen Medizin im Interesse der Patienten zurückkehren. Das heißt vor allem, den skandalösen Binnenkonsens der Selbstbedienung abzuschaffen. Selbstverständlich sind wir grundsätzlich dafür, dass alle Medikamente ihre Wirksamkeit nach anerkannten wissenschaftlichen Kriterien belegen müssen.
Moderate Anhänger der Homöopathie sagen, dass sie den Placebo-Effekt nutzen. Was spricht dagegen, den Placebo-Effekt durch ein System wie die Homöopathie effektiver zu nutzen?
Der Placebo-Effekt wird leider auch von manchen Skeptikern überschätzt. In klinischen Studien fasst man darunter alles, was das Ergebnis positiv beeinflusst. Dazu gehören alle Arten von Verzerrungen (Bias) aufgrund der Erwartungshaltung, zum Beispiel zu positive Berichte der Patienten und zu positive Beobachtungen und Aufzeichnungen der Ärzte. Mit einem Placebo-Effekt ist nicht unbedingt eine tatsächliche Verbesserung des Gesundheitszustandes verbunden.
Und auch bei einer Besserung ist nicht unbedingt das verabreichte Placebo verantwortlich. Ich halte es für falsch und ethisch bedenklich, Patienten für dumm zu verkaufen, nur um einen vermeintlichen Effekt zu erzielen, der sogar auf tönernen Füßen steht. Dass jetzt sogar die Bundesärztekammer gestützt durch ihren wissenschaftlichen Beirat dermaßen durchsichtig fordert, man solle doch Placebos mehr nutzen, ist völlig unverständlich. Ein Schelm, der dabei denkt, dass damit die Tore für weitere Arten von Quacksalberei weit geöffnet werden sollen.
Demgegenüber sollten Ärzte natürlich alles Mögliche tun, was den Patienten aufbaut und unterstützt, ohne dafür auf magisches Denken zu setzen. Den Patienten ernst nehmen und ihn auf die Behandlung optimal einzustellen, sollte im Mittelpunkt stehen, nicht Hokus-Pokus.
Was sagen Sie zum Vorwurf des Deutsche Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ), dass die Teilnahme von Kindern an der Aktion unethisch ist?
Wir finden es amüsant, dass Homöopathen einerseits unsere Aktion als Nachweis für die Unbedenklichkeit der Homöopathie aufführen und gleichzeitig Bedenken gegen die Teilnahme von Kindern äußern. Das ist umso heuchlerischer, als die Homöopathen dank willfähriger Hebammen und Mütter praktisch einen Dauerversuch an Kindern mit ungeprüften Medikamenten durchführen, wozu nicht nur die unbedenklichen Hochpotenzen gehören. Wir haben zur Teilnahme von Kindern nicht aufgerufen und würden das auch nie tun, weil wir glauben, dass Kinder nicht für Demonstrationen bzw. Aktionen instrumentalisiert werden sollten. Wenn Eltern aber ihre Kinder zu dieser Aktion mitnehmen, dann liegt das im Rahmen ihres natürlichen Rechts auf Erziehung, das auch durch das Grundgesetz geschützt ist. Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte versucht mit dieser sehr durchsichtigen Taktik lediglich, Sympathiepunkte zu sammeln. Alles Nebelkerzen in der Diskussion, mangels vernünftiger Argumente. Wenn Kinder sich frei für oder gegen Homöopathie entscheiden sollen, dann warte ich auf eine Stellungnahme des DZVhÄ, wonach Homöopathie künftig bei Kindern nicht mehr eingesetzt werden darf. Wenn Eltern hier jedoch weiterhin die Entscheidungsfreiheit haben, dann gilt dies in beide Richtungen.
Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte meint außerdem, die sogenannte Überdosierung sei „völliger Nonsens“, da es bei Hochpotenzen keine Rolle spiele, ob gleichzeitig 2 oder 500 Globuli eingenommen werden.
Die Homöopathen haben Recht: Bei Hochpotenz-Homöopathika spielt es tatsächlich keine Rolle, ob 0, 2 oder 500 Globuli eingenommen werden. Genau das haben wir mit der Aktion demonstriert: den Nonsens homöopathischer Hochpotenzen!
Letzte Frage: Wird es in 2012 auch eine 10:23-Aktion geben?
Wir gehen davon aus, dass die Aktion jährlich stattfinden wird und sich ähnlich wie unsere erfolgreichen PSI-Tests oder Prognoseauswertungen zu einem Dauerbrenner entwickeln wird
Das Interview führte Rouven Schäfer
Redaktion: Dr. Martin Mahner