Von Ulrich Berger
Teil 3
Pendler und Wünschelrutengeher - in Österreich ist ihre Beliebtheit ungebrochen. Egal, ob es um die Errichtung eines Brunnens geht, ob den Schlaf oder die Gesundheit beeinträchtigende „Erdstrahlen" und „Störzonen" aufgespürt werden sollen oder ob es gilt, jemanden auf eine etwaige Nahrungsmittelunverträglichkeit zu testen - die Rutengeher oder „Radiästheten", wie sie sich selbst gerne nennen, sind zur Stelle. Mit Wünschelrute, Pendel oder Biotensor streifen sie über heimische Wiesen und durch heimische Schlafzimmer. Eher bequem veranlagte Radiästheten muten am Schreibtisch, über eine Landkarte gebeugt oder per Telefon, was zweifelsohne Kosten und Mühen spart. Der Österreichische Verband für Radiästhesie und Geobiologie liefert auf Wunsch gerne seitenlange Listen mit empfohlenen erfahrenen Rutengängern.
Die Rutengeher
Alle sind sie felsenfest von ihren Fähigkeiten überzeugt. Jeder von ihnen kann sich um den 1-Million-Dollar Preis der James Randi Foundation bewerben, doch nur wenige versuchen es - und scheitern regelmäßig. Der Mitte Oktober von RTL II ausgestrahlte Wünschelrutentest1 der GWUP war nur der letzte in einer langen Serie von kontrollierten Doppelblindversuchen, in denen noch nie ein Rutengänger seine behaupteten Fähigkeiten nachweisen konnte. Weniges ist in den letzten Jahrzehnten so gründlich widerlegt worden wie die Rutengeher- und Pendlerei.
Bis in die österreichischen Beamtenstuben hat sich das allerdings kaum herumgesprochen. Gutgläubige Gemeindebedienstete im ganzen Land rufen immer wieder Rutengeher zu Hilfe, auf dass diese Kindergärten, Spitäler und Rathäuser auf Erdstrahlen testen und gegebenenfalls gleich Abhilfe schaffen. Auch als im September 2006 ein Grazer Polizeiwachzimmer wegen des Austritts von giftigen Dämpfen aus dem Keller geschlossen werden musste, holte man nach vergeblichen Bemühungen, die Ursache zu ermitteln, neben Feuerwehr, Geologen und Chemikern auch einen Rutengeher zu Hilfe. Nachdem ein Jahr später endlich eine nahe gelegene unterirdische ehemalige Spitalsabfalldeponie als Ursache ermittelt worden war, wussten die Medien natürlich zu berichten, dass es die Wünschelrute war, die den genauen Ort angezeigt hatte2.
Umweltbildung per Wünschelrute
Das Forstamt der Stadt Wien, das sich selbst als „eine der größten Umweltbildungseinrichtungen Österreichs" bezeichnet3, bietet im Lainzer Tiergarten seit Jahren Wünschelrutenwanderungen an. Diese richten sich vor allem an unsere Kleinen, damit sie schon in jungen Jahren lernen, was hierzulande unter Umweltbildung verstanden wird. „Spüren Sie mit Hilfe einer Wünschelrute die Erdstrahlen und gehen Sie den Hinweisen auf Wasseradern, geologische Bruchzonen und Gitterstrahlungen nach", lautet die Aufforderung auf der Webseite4. Auf meine verwunderte Nachfrage hin erklärte mir die Behörde, dass das Interesse groß und die Rückmeldungen durchwegs positiv seien. Außerdem, so wurde ich beruhigt, würden die Exkursionen von einem Rutengeher geleitet, „der die Zusammenhänge, Gerüchte und Tatsachen zum Thema sehr objektiv und auch in für Skeptiker akzeptabler Form darstellen kann." Zweifel an dieser Mitteilung sind angebracht.
Der Exkursionsleiter Michael Lackinger hat im Stephansdom die radiästhetischen Eigenschaften von Bischofsstäben untersucht und will dabei entdeckt haben, dass diese geheimnisvolle Strahlen aussenden, die müde Kirchenbesucher wach halten. Außerdem ist er nach eigenen Angaben hellsichtig und vertreibt auf Anfrage auch schon mal schwarze Geister5. Angesichts dieser Tatsachen erscheint es eher unwahrscheinlich, dass er wissbegierigen Kindern im Lainzer Tiergarten den Ideomotor-Effekt erläutert.
Die Pendler der ASFINAG
Den größten Beitrag zur gestiegenen Akzeptanz des Pendelns und Rutengehens in den letzten paar Jahren hat vermutlich die staatliche Autobahn- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft, kurz ASFINAG, geleistet. Die seit Einführung der Autobahnmaut eher mäßig beliebte Autobahngesellschaft, deren Ex-Vorstände mit ihrem 720.000 € schweren goldenen Handschlag kürzlich die heimischen Medien dominierten, lässt nämlich besonders unfallträchtige Zonen auf Autobahnen durch Rutengeher „entstören". Hochoffiziell, quasi im Auftrag der Republik. Über diese „alternativen" oder auch „esoterischen Maßnahmen", wie die ASFINAG sie nennt, berichtet sie ohne Scham auf ihrer Webseite.6
Das war nicht immer so. In den 80er und 90er Jahren dominierten noch vereinzelte „Entstörprojekte" der Straßenmeistereien. Die Kärntnerin Melitta Messner etwa muss nach eigenen Angaben ein wahrer Tausendsassa sein. Als Wahrsagerin und Hellseherin ist sie nur nebenbei tätig, ihr Hauptgebiet ist die Wassersuche. Mit der Wünschelrute kann sie angeblich nicht nur Wasseradern orten, sie gibt sogar deren Tiefe zentimetergenau an, bestimmt die Fließrichtung und -geschwindigkeit und diagnostiziert dann Trinkwasser, Mineralwasser oder Thermalwasser.7 Ob ihres phänomenalen Rufes wurde sie von der Straßenverwaltung zur Entstörung des unfallträchtigen Autobahnknotens Klagenfurt-Nord gebeten. Dass ihr Mann Mitarbeiter der Straßenmeisterei war, war dabei sicher nicht hinderlich. Frau Messner entstörte den Autobahnknoten nicht durch technische Hilfsmittel, sondern rein „mental". Die Störzonen wurden von ihr auf telepathischem Wege einfach von der Autobahn entfernt und „auf eine verkehrsfreie Fläche übertragen". Ob der Eigentümer dieser verkehrsfreien Fläche zuvor um Erlaubnis gefragt worden war, ist den Medienberichten nicht zu entnehmen.
Gerald Knobloch
Zur Aufarbeitung weiterer Projekte fand sich eine Studentin der Technischen Universität Wien, die zu diesem Thema 1998 eine erstaunlich unkritische Diplomarbeit verfasste.8 An die Öffentlichkeit traute man sich trotzdem nicht so recht. Als die ASFINAG 2001 damit begann, Radiästheten systematisch einzusetzen, wurde die Sache noch als geheim eingestuft. Aus Angst vor Spott und Häme wurde Gerald Knobloch, der sich als „Druide" bezeichnete und selbst bei der Autobahngesellschaft vorstellig geworden war, heimlich, still und leise damit beauftragt, ein 300 Meter langes Stück der A9 zu entschärfen, auf dem sich Unfälle „unerklärlich" häuften. Knobloch schritt zur Tat und ortete mit der Rute eine Zone „gestörter Energieflüsse", die nach seinen Angaben zu spontanen Blackouts bei vorbeifahren den Autofahrern führen können.9 Testreihen, die er als „wissenschaftlich" bezeichnete, ergaben angeblich bei Durchfahrung der Störzone einen „Energieabfall" von bis zu sieben Prozent. Nähere Angaben darüber, was da genau gemessen wurde und wie, finden sich in den Medienberichten nicht.
Auf die Diagnose folgte die Therapie. Nachdem der Druide die Erde links und rechts der Autobahn durch Aufstellung je eines weißen Quarzblocks akupunktiert hatte, verringerte sich die Zahl der „unerklärlichen" Unfälle laut ASFINAG-Sprecher Harald Dirnbacher von vorher durchschnittlich sechs jährlich auf null innerhalb der nächsten zwei Jahre.10 Skeptische Beobachter denken in so einem Fall vielleicht an „Regression zum Mittelwert", die ASFINAG sah jedenfalls einen „100%igen Erfolg". Aufgrund dieses Erfolges traute man sich 2003 schließlich an die mediale Öffentlichkeit. Die war aber nicht interessiert - zumindest in Österreich. Das Ausland dagegen griff zu. So kam es, dass über die wundertätige Heilung der A9 in deutschen, englischen, amerikanischen und kanadischen Zeitungen berichtet wurde, nur nicht in österreichischen.
Dirnbacher gestand ein, dass der Erfolg nicht ohne weiteres auf die Bemühungen des Druiden zurückzuführen war. Immerhin habe man vorher die üblichen Mittel ausgeschöpft: Geschwindigkeitsbeschränkungen, Ausbesserungen des Straßenbelags, bessere Markierung der Kurven und so weiter. Erst als diese aber nichts bewirkt hätten, habe man den Rutengeher beauftragt. Das Motto war also im Grunde „Hilft's nix, so schadt's nix." Die Vorgangsweise erinnert dabei frappant an die jener Homöopathieanhänger, die den Antibiotika zur Sicherheit noch ein paar Globuli nachwerfen. Bei der ASFINAG wurde sie zur Methode.
Ilmar Tessmann
Der längstdienende Autobahnheiler ist wohl der mittlerweile 76-jährige Kärntner Ilmar Tessmann. 1994 begann er mit der Straßenentstörung. Anfangs waren die Auflagen der ASFINAG relativ streng. Auf seiner Webseite11 zitiert Tessmann einen Mitarbeiter der Straßenverwaltung mit den Worten: „Es darf uns nichts kosten, kein Geld und vor allem kein Prestige!". Als Unfallverursacher entlarvte Tessmann nicht nur die üblichen Verdächtigen wie „Erdstrahlen", „Bruchlinien" und „Wasseradern", sondern auch „Kultstrahlen" und „morphogenetische Felder". Eine besondere Gefahr sieht er in Handymasten, die die Erdstrahlen gleichsam aus dem Boden saugen, verstärken und gnadenlos in alle Himmelsrichtungen abstrahlen. Dies verursacht laut Tessmann beim Menschen Benommenheit und eine verzögerte Reaktion, was schließlich zum gehäuften Auftreten von Unfällen führe.
Inzwischen ist Tessmann ein Profi. Wünschelruten braucht er schon lange keine mehr, die Störzonen ortet er mit der bloßen Hand und die Erdstrahlen spürt er auf den Fußsohlen.12 Als Gegenmaßnahme dienen ihm magnetisierte grüne Plastikkärtchen, aufgemalte Symbole, „dipolare Antennen"13, kleine und große „Hohlraumresonatoren" und eine Menge anderer mit pseudowissenschaftlichen Namen versehener Gegenstände. Als studierter Theologe beherrscht Tessmann zwar auch die katholische Variante der mentalen Entstörung, also Segnungen und Gebete, allerdings haben die den Nachteil, dass sie durch „fluchende Autofahrer" rasch wieder unwirksam werden.
Ilmar Tessmanns Dienste sind aus der Sicht der ASFINAG ein wahres Schnäppchen. Während Gerald Knobloch noch um die 3.000 € pro Entstörung kassiert hatte, bekommt Tessmann dafür gerade einmal 40 €. Bei diesem Lohnniveau finden sich nur wenige willige Pendler. Genau genommen nur Enthusiasten, für die Geld keine Rolle spielt. Einer davon ist der Vorarlberger Gerhard Pirchl.
Gerhard Pirchl
Gerhard Pirchl, ehemals ein erfolgreicher Unternehmer und bekannter Kunstsammler, wollte es nach einer Herztransplantation erst einmal ruhiger angehen. Er schnappte sich ein Pendel und wanderte über die Wiesen und Almen seiner Heimat. Dabei, so seine Schilderung, machte er eine sensationelle Entdekkung. Die unterirdischen „Adern", die ihm sein Pendel anzeigte, waren gar keine Wasseradern, sondern „Steinadern". Unter der Erde vergraben fanden sich unzählige kleine gelbe Kieselsteine, von Pirchl nach der Göttin Rätia „Rätiasteine" getauft. Diese Steinchen, so der heute 66jährige Pirchl, strahlen ein „längsdrehendes Kraftfeld" ab, und hintereinander aufgelegt verstärken sich die Kraftfelder der Steine. Die so gebündelten Erdstrahlen fahren den ahnungslosen Autofahrern mitten ins Hirn, zumindest den „adernsensitiven". Die Folge: Blackout und Autounfall. Die ASFINAG, die Tessmann weiter in Ostösterreich entstören ließ, teilte Pirchl Westösterreich zu. Der nahm sich zuerst die berüchtigte Arlberg-Schnellstraße, die S16, vor. Erfolgreich natürlich, laut Pirchl und laut ASFINAG.
Die Entstörung nach der Pirchl-Methode ist arbeitsaufwändig. Alle paar Meter müssen Steine im Boden vergraben werden, deren Kraftfeld dem störenden genau entgegenwirkt. Die Richtung des Kraftfeldes bestimmt Pirchl über die Drehrichtung seines Pendels. Wie das geht, demonstrierte er vor den Fernsehkameras der „Barbara Karlich Show". Die zeigten in gnadenloser Nahaufnahme, wie Pirchls Pendel die Drehrichtung änderte, als er es über einen Rätiastein hinweg bewegte. Dass er für diesen Effekt kräftig mit der Pendelhand rudern musste, versuchte er gar nicht erst zu verbergen, was selbst die nicht gerade für ihre beinharte Kritik bekannte Gastgeberin zu dem verwunderten Ausruf veranlasste „Das haben Sie jetzt aber mit der Hand gemacht!"
Der technische Fortschritt macht auch vor der Esoterik nicht Halt. Um Störzonen zu finden, muss Pirchl die Straße nicht mehr zu Fuß abschreiten. Er braust mit seinem Geländewagen dahin und lässt das Pendel neben dem Lenkrad baumeln. Nach Monaten des mühsamen händischen Vergrabens von Kieselsteinen neben Autobahnen und Schnellstraßen entdeckte Pirchl, dass auch die Entstörung im Eilzugtempo machbar ist. Tatsächlich entwickelte er den sogenannten „Entstörungswagen". Eine Handvoll Rätiasteine im Auto dient dabei als „Kraftfeldkompensator". Die Entstörung des strahlenden Straßenuntergrundes erfolgt genial einfach durch das Befahren der Strecke mit dem Entstörungswagen.14 Dass das alles sehr ernst gemeint ist, merkte der Vorarlberger Künstler Ulrich Gabriel, der dazu einen satirischen Zeitungsartikel verfasst hatte. Ihm flatterte eine Klage wegen übler Nachrede ins Haus.15
Die Steinkreise vom Bürserberg
Von allen Entstörmeistern ist Gerhard Pirchl mit Abstand der bekannteste. Das liegt nicht nur daran, dass ihm das Magazin ZEIT-Wissen im Jänner 2007 einen ausführlichen Artikel16 widmete, sondern vor allem an seiner denkwürdigsten „Entdeckung". Auf der Tschengla, einem Hochplateau der Vorarlberger Alpen nahe der Gemeinde Bürserberg, will Pirchl nämlich anno 2002 nichts weniger als einen prähistorischen Kultplatz entdeckt haben, in seiner Bedeutung Carnac und Stonehenge ebenbürtig. Die Adern, die er dort oben ortete, liefen nämlich sternförmig zusammen; bis zu 56 Stück trafen sich in einem einzigen Punkt. Die Strahlung dieses Kraftplatzes war so intensiv, dass das Pendel noch in 20 km Entfernung ausschlug. Damit nicht genug, entdeckte Pirchl kreisförmig um diesen Kreuzungspunkt angeordnete Felsblöcke. Keine Frage, ein Steinkreis, errichtet von geheimnisvollen Vorarlberger Urvölkern! Es blieb auch nicht bei nur einem Steinkreis, nein, es fanden sich über 40 weitere, und alle waren sie auf sternförmigen Adern aus Rätiasteinen errichtet. Das „Geheimnis Adernsterne" war geboren und das gleichnamige Buch17 folgte im Oktober 2004 nach. Auch der ORF und 3sat ließen sich nicht lumpen und strahlten eine unkritische „Dokumentation", koproduziert von Pirchl, zu den Steinkreisen aus.
Die Gemeinde Bürserberg witterte touristische Morgenluft. Tausende von zahlungskräftigen Touristen aus aller Welt sollten auf die Tschengla strömen und voll Ehrfurcht die prähistorischen Megalithen bestaunen. Dafür wurden weder Kosten noch Mühen gescheut. Vorsorglich stellte man auf der Tschengla schon Hinweisschilder auf und richtete eine Webseite ein, auf der von einem „megalithischen Himmelsobservatorium" die Rede war und die „Weltsensation" als „folgenreicher als die Entdeckung des Ötzi" angepriesen wurde. Über 60.000 € aus Fördermitteln der EU trieben das Projekt Steinkreise voran. Spirituelle Pfade wurden angelegt, Broschüren gedruckt und Baggerarbeiten auf der Tschengla finanziert. Dabei wurden „umgefallene" Steine aufgerichtet, unpassende weggeräumt und verloren gegangene ersetzt, so dass die Steinkreise am Ende auch für jedermann als solche erkennbar waren. Spötter witzelten bereits über den geplanten „Obelixpark", doch der Bürgermeister war begeistert und Pirchl war zufrieden.
Mentale Felder und Neutronenstrahlung
Die Wissenschaft wollte nicht so fröhlich mitmachen, wie man sich das gewünscht hatte. So kam es, dass die „wissenschaftlichen Tagungen" 2003 und 2004 zu den Bürserberger Steinkreisen zwar kaum Wissenschaftler aufweisen konnten, aber dafür jede Menge Hobbyarchäologen, Freizeitastronomen und Rutengeher.18 Letztere traten in den üblichen pseudowissenschaftlichen Einkleidungen je nach Ausrichtung als „Radiästheten", „Geomanten" oder „Baubiologen" auf. Ihre Ausführungen bezogen sich allerdings kaum auf die Steinkreise selbst; eher nutzte jeder von ihnen die Gelegenheit, seine persönliche Erdstrahlentheorie vorzutragen. So waren es einmal „mentale Felder", die das Pendel zucken ließen, dann wieder „Neutronenstrahlung" oder „Resonanzen", die kein Messgerät, sondern nur der strahlenfühlige Mensch wahrnehmen könne. Da durfte freilich auch der umtriebige Physiker Konstantin Meyl nicht fehlen, der wie immer seine Skalarwellentheorie propagierte.
Mit dem Projekt wuchs dann schließlich auch die Kritik. Historiker und Archäologen wiesen auf die mangelnde Dokumentation der Steinkreise vor den Baggerarbeiten hin und bemängelten das Fehlen jedweder wissenschaftlicher Belege für die aufgestellten Behauptungen. Die Grünen brachten im Landtag eine dringliche Anfrage ein. Andere fanden noch deutlichere Worte. Für den Historiker Manfred Tschaikner waren die angeblichen Steinkreise ein „Anlass zur Heiterkeit" aus dem Reich der Esoterik.19 Der Landtagsabgeordnete und studierte Physiker Siegfried Neyer ortete „esoterischen Unfug" und eine „Volksverblödung ersten Ranges" .20 Rüdiger Krause, Archäologe von der Universität Frankfurt, sprach von einer „Riesenverarschung" und von „Betrug",21 der Biologe Alois Reutterer von „reinster Scharlatanerie".22 Pirchl wiederum sah sich einer „Hexenjagd" ausgesetzt, verlangte Entschuldigungen und drohte mit Klagen. Das Angebot, einen kontrollierten wissenschaftlichen Test durchzuführen, lehnte er empört ab. Stattdessen fand er eine Schweizer Therapeutin, die seine Fähigkeiten mittels der „GDV-Technologie" bestätigte, einer moderneren Variante der längst diskreditierten Kirlianfotografie.
Am Ende entschieden die Touristen - durch ihr massenhaftes Ausbleiben. Das touristische Projekt geriet zum gewaltigen Flop. 120 Steinkreisbesucher zählte man im Sommer 2005, obwohl Pirchl darauf beharrt, es seien über 200 gewesen.23 Zu wenige jedenfalls, befand die Gemeinde und beendete das Projekt. Die Finanzmittel wandern seither wieder in Kanalarbeiten und Schneekanonen.
Ötzis Steinzeit-GPS
Gerhard Pirchl ist keiner, der leicht aufgibt. Er will unzählige weitere Spuren aus der Vorzeit entdeckt haben. Grundrisse von rätischen Siedlungen genauso wie gewaltige rätische Schriftzeichen, die in Form von Adern aus Rätiasteinen im Boden versteckt sind, hat er ausgependelt.24 Den Sinn und Zweck der ganzen Anlage hat er ebenfalls herausgefunden. Es handle sich um eine Orientierungshilfe für Wanderer und Seefahrer, quasi ein Steinzeit-GPS, meint Pirchl, der mit dieser Theorie gerade auf Vortragstour ist. Sogar Ötzi selbst habe sich mit einem Pendel in den Alpen orientiert. Pirchl hat einen Koautor gefunden und ein neues Buch geschrieben, einen Bildband mit dem etwas sperrigen Titel „Das Rätiastein GPS oder die Wiederentdeckung eines 6000 Jahre alten Navigationssystems im Mittelmeer".25 Die bornierte Wissenschaft kann ihn gern haben, und den Spöttern wird er es schon noch zeigen. „Da wird vielen Neidern und Skeptikern der Mund offen bleiben", kündigte Pirchl die nächste große Sensation an. Das war im Oktober 2006. Die Skeptiker warten.
Dieser Artikel erschien im Skeptiker 3-4/2007.
1 http://www.gwup.org/aktuell/news.php?aktion=detail&id=418
2 Ein Rutengeher löste. Kleine Zeitung, 01.09.2007
3 http://www.wien.gv.at/wald/bildung.htm
4 http: / /www.wien.gv.at /wald/ lainz -tg/fuehrung .htm#wuensch
5 Niederösterreich: Im Bann der Steine. Süddeutsche Zeitung, 27.08.2005
6 http://www.vignette.at/index .php?idtopic=232
7 http://www.top-10.at/messner/inhalt.htm
8 http://www.ivv.tuwien.ac.at/lehre/archiv-studentenarbeiten/diplomarbeiten/diplomarbeiten-1998/unerklaerliche-unfallhaeufungsstellen.html
9 http://www.nebelpfade.de/artikel/meldung.php?ID=2049
10 Stone me! Druid saves drivers. The Sunday Times, 01.03.2003
11 http://www.rutengehen.info/
12 Beruf Straßenprediger. Datum, 10/07, http://www.datum.at/1007/stories/4295948/
13 Lammfilet von Rutenmeister, burgenland.orf. at, 29.12.2004
14 http://vorarlberg .orf.at/stories/147659/
15 http://vorarlberg.orf.at/stories/163283/
16 Der Magier von Bludenz. ZEIT Wissen, 01/2007
17 Gerhard Pirchl: Geheimnis Adernsterne. Folio-Verlag, 2004
18 http://www.telesis.at/projects/regionalentwicklung/bergsommer/document1/telfile_download1
19 Kontroverse um Steinkreise. Vorarlberger Nachrichten, 04.02.2005
20 Die Steine des Anstoßes. Vorarlberger Nachrichten, 14.07.2005
21 http://www.zeit.de/zeit-wissen/2007/01/Erdstahlen
22 http://activepaper.tele .net/vntipps/Stellungnahme_Steinkreise_Reutterer.pdf
23 Bürserberg zieht sich aus „Steinkreise" zurück. Vorarlberger Nachrichten, 12.10.2006
24 Zeichen aus der rätischen Vorzeit. Der Standard, 16.02.2006
25 http://www.raetiastone.eu