Von Rainer Wolf und Jürgen Windeler
Die Homöopathie ist eine umstrittene alternativmedizinische Methode. Vor etwa 200 Jahren von dem Arzt Samuel Hahnemann entwickelt, widersprechen ihre Vorstellungen weitgehend den Erkenntnissen, die die wissenschaftliche Medizin seither über Entstehung und Verlauf von Krankheiten gesammelt hat. Die Medizinische Fakultät der Universität Marburg erklärte im Ärzteblatt vom 3. März 1993 die Homöopathie zur Irrlehre: Ihr Wirkprinzip sei (unabsichtlich durchgeführte) Täuschung des Patienten, verstärkt durch die Selbsttäuschung des Behandlers". Zahlreiche Verbände und ärztliche Gesellschaften dagegen haben die Homöopathie auf ihr Banner geschrieben. Befürworter und Gegner der Homöopathie stehen einander meist verständnislos, ja feindlich gegenüber (12, 20, 25, 34, 39, 43, 55, 49). "Das Fragezeichen hinter dem Titel muss weg!", sagen die Gegner. Und Hardliner fügen hinzu, Homöopathie sei nichts als Scharlatanerie. Befürworter halten dagegen: Die gut dokumentierten Heilerfolge in Fällen, bei denen die sogenannte "Schulmedizin versagt" habe, seien Legion, und wer heilt, der habe doch Recht. 1975 setzte jeder sechste in Deutschland niedergelassene Arzt regelmäßig homöopathische Mittel ein und bestätigte in einer schriftlichen Umfrage, dass sie spezifisch wirksam seien. Heute verschreiben 75% der niedergelassenen Ärzte in Deutschland zumindest gelegentlich homöopathische Mittel.
Und die Patienten? 90% der Bundesbürger seien laut Umfragen erklärte Fans der Außenseitermedizin - so der der "Nürnberger Anzeiger" vom 17.7.1996. Zwei Drittel der Patienten seien mit der Behandlung zufrieden, bei der wissenschaftlichen Medizin nur ein Fünftel.
Heiler, die keine fundierte medizinische Ausbildung hatten, nannte man früher krass "Kurpfuscher" und "Quacksalber". Heute spricht man von sanfter Medizin, Erfahrungsheilkunde, Naturmedizin, von unkonventioneller oder biologischer Medizin, Komplementär- oder Alternativmedizin: Begriffe, die suggerieren, dass es hier um Verfahren mit speziellen, natürlich-biologischen Merkmalen geht, die in der "verstaubten Schulmedizin", wie sie abwertend genannt wird, nicht vorhanden seien. Solche Abgrenzungsversuche sind in keiner Weise angebracht, denn der Unterschied zur wissenschaftlichen Medizin liegt ganz woanders. Werden dort die Verfahren immer wieder mit wissenschaftlichen Methoden überprüft und korrigiert, lehnen Verteter der Paramedizin sorgfältige wissenschaftliche Untersuchungen überwiegend ab: Sie seien für sie "unangemessen". Aber wie anders kann man wirksame Verfahren von unwirksamen Verfahren unterscheiden?
Indoktrination durch unreflektierte Schlagworte
- In die wissenschaftliche Medizin muss Weisheit und Erfahrung eingebracht werden
- des Volkes
- der Inder
- der Chinesen
- der Primitiven
- Man muss die unkonventionellen Therapieformen besser erforschen
- Die "Schulmedizin" kann nicht heilen
- unkonventionelle Heiler sind die "Verfolgten" einer verstaubten Schulmedizin
- Dagegen muss es doch etwas geben!
- Eine glaubwürdige Person hat es bestätigt
- Aber das weiß man doch ... !
- Ich habe es doch selbst gesehen!
- Man kann es nicht ausschließen ...
- Für meine Gesundheit darf nichts zu teuer sein
- Wer heilt, hat Recht
Placebogene
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Nocebogene
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Natur ist gesund | Chemie vergiftet |
Pflanzlich ist besser als tierisch | Technik ist seelenlos |
Naturkräfte helfen | Wissenschaft ist gefährlich |
ganzheitliche Wirkung | partikularistische Wirkung |
Die Homöopathie scheint sich, ebenso wie andere alternative Verfahren, in der Praxis zu bewähren. Ist also ihre Theorie wahr, soll sie in die wissenschaftliche Medizin integriert werden, an Hochschulen erforscht und gelehrt? Unbestritten ist, dass homöopathische Mittel bei vielen Beschwerden helfen können, also wirksam sind. Hier geht es aber darum, zu beweisen, dass ihre Wirksamkeit über einen reinen Placebo-Effekt - die positive Folge einer Scheinbehandlung - hinausgeht. Die Forderung nach objektiver Überprüfung hat nichts zu tun mit materiell-reduktionistischem Denken, sondern allein mit logischem Denken und dem redlichen Bemühen, zwischen wahren und falschen Aussagen zu unterscheiden.
Was ist Homöopathie und wie arbeitet sie?
Am Anfang der Homöopathie, die oft irrtümlich mit der Anwendung pflanzlicher Heilmittel (Phytotherapie) gleichgesetzt wird, steht die
- Simile-Regel: Ähnliches soll durch Ähnliches geheilt werden. Krankheiten werden nur durch solche Arzneien geheilt, die an Gesunden ähnliche Krankheitssymptome hervorrufen wie die, an denen der Patient leidet. Deshalb werden
- Arzneiprüfungen am gesunden Menschen durchgeführt. Bekommen sie dabei bestimmte Symptome, dann gibt man dasselbe Medikament Patienten, die eben diese Symptome zeigen. Hahnemann entdeckte das Simile-Prinzip zufällig, nachdem er im mutigen Selbstversuch Chinarinde eingenommen hatte und davon "Fieber" bekam - diagnostiziert allerdings nicht an der Körpertemperatur, sondern an erhöhter Pulsrate. Diese höchst ungewöhnliche Wirkung beruhte vermutlich auf einem Nocebo-Effekt (s.u.). Hahnemann stieß also auf sein Simile-Prinzip nur, weil er sich irrte. Bei den ersten homöopathischen Behandlungen, mit wenig verdünnten Wirkstoffen, kam es angeblich oft zu einer "Erstverschlimmerung": Die Krankheitssymptome verstärkten sich - nach der "Simile-Regel" verständlich, denn das Arzneimittel soll sich ja gleichartig auswirken. So begann Hahnemann, seine Heilmittel zu verdünnen, zu
- "Potenzieren": Die Arznei wird auf genau festgelegte Weise in jeder Verdünnungsstufe durchgeschüttelt. Dabei soll sich etwas vom "geistigen Wesen" der Ursubstanz auf das Lösungsmittel (Wasser oder Alkohol) übertragen, Schritt für Schritt Stoffliches in Unstoffliches umwandeln, etwa in "heilsame Schwingungen". Das Potenzieren erfolgt in Dezimal- oder Centesimalschritten, bei festen Präparaten durch Verreibung mit Milchzucker. Die Potenz D3 enthält meist etwa 1g Wirkstoff pro Liter. D20 entspricht bereits einer Verdünnung von 1:10 hoch 20, ungefähr sviel wie eine Tablette Aspirin, gelöst und gleichmäßig verteilt im gesamten Atlantik. Denn, so Hahnemann: Je mehr verdünnt, desto stärker die Heilkraft.
Wo Aussagen der Homöopathie zutreffen
Zur Zeit Hahnemanns verschrieb die wissenschaftliche Medizin oft unwirksame, ja sogar giftige Substanzen, sogenannte Drastika. Paracelsus verwendete z.B. Bleiacetat oder Quecksilberchlorid, und viele Patienten starben daran. Demgegenüber hatte Hahnemann durchaus gewisse, wenn auch keineswegs überwältigende Erfolge. Durch den Verzicht auf schädliche Drastika war die Homöopathie damals wohl die bessere Alternative.
Hat Hahnemann also Recht? Oberflächlich betrachtet lassen sich Analogien zur Simile-Regel finden (27). Man kann die körpereigenen Abwehrsysteme, von denen Hahnemann nichts ahnte, manchmal durch dasselbe Mittel, das eine Krankheit auslöst, dazu anregen, diese zu besiegen. Diese wenigen Fälle aber sind seltene Ausnahmen. Genau betrachtet hat nämlich z.B. das Prinzip der Impfung mit Homöopathie nichts zu tun, denn man kann damit eine Krankheit nicht behandeln: Impfen muss man, bevor sie ausbricht. Auch die "gleichsinnige" Behandlung eines Durchfalls mit Rhizinusöl, die den Organismus beim Ausscheiden von Schadstoffen unterstützen soll, entspricht formal der Simile-Regel, ohne diese damit zu einem Naturgesetz ("Ähnliches heilt Ähnliches") zu erheben.
Beispiele, die bei oberflächlicher Betrachtung der Simile-Regel zu folgen scheinen:
- manche Schutzimpfungen (Stimulation der Infektionsabwehr: Antikörperbildung durch lebende oder inaktivierte Erreger)
- Hyposensibilisierung von Allergikern
- Aktivierung chronischer Gelenkentzündungen durch Mittel, die lokal entzündlich wirken
- Reduzierung der schädlichen Wirkung von Tetrachlorkohlenstoff auf die Leber durch Vorbehandlung mit kleinen Dosen (40). Ähnliche Gewöhnungseffekte treten auf bei Barbituraten, Benzo-Diazepinen und Alkohol
- Toxische Schwermetalle sollen die Bildung von schwermetallbindenden Proteinen induzieren. So würde der Organismus unempfindlicher gegen eine erneute Belastung (27, 40). Das könnte die vorbeugende Wirksamkeit einiger Homöopathika gegenüber Vergiftungen erklären
- Manche Arzneien lösen in hoher Dosis tatsächlich Symptome aus, die denen der Krankheiten ähneln, die mit diesen Arzneimitten behandelt werden, so etwa Carbamacepin, das man gegen epileptische Anfälle verwendet Auch für das Phänomen der "Arzneipotenzierung" gibt es gewisse Belege (27). Diese "Wirkungsumkehr", dass verdünnte Arzneimittel besser wirken als konzentrierte, gilt in gewissen Grenzen für das bereits erwähnte
- Carbamacepin, das in kleinen Dosen krampfhemmend wirkt - allerdings unabhängig davon, ob es "potenziert" oder nur verdünnt wird! - in hoher, toxischer Dosis aber Krämpfe auslöst; für das
- Narkotikum Ketamin, das in hohen toxischen Dosen den Patienten nicht mehr in Narkose hält, weil unterschiedliche Rezeptoren verschieden empfindlich reagieren, und für den
- Morphin-Antagonisten Naloxon, der in niedriger Konzentration präsynaptische Opiat-Rezeptoren blockiert und damit Endorphine freisetzt, in hoher Konzentration aber postsynaptische Opiatrezeptoren blockiert, also die Wirkung endogener oder exogener Opiate aufhebt.
Gelegentlich wirken also niedrige Dosen besser als hohe. Das heißt aber nichts anderes, als dass Medikamente, die man in der richtigen Dosis einsetzt, besser helfen, als wenn man zu viel davon nimmt.
Und wie wirken die etwa 12000 handelsüblichen Homöopathika, die in Deutschland ohne jegliche Kontrolle vertrieben werden? Sind sie konzentiert genug, gibt es immer Wirkungen. Alle Fremdstrukturen in Konzentrationen, die das körpereigene Abwehrsystem als unphysiologisch erkennt, führen zu einer zunächst unspezifischen Aktivierung zellulärer Komponenten des Immunsystems (4, 22, 27, 28), im Einklang mit der Lehre Hahnemanns, die sich als Reiztherapie versteht. Aber: Auch die Injektion einer harmlosen Kochsalzlösung führt zu einer unspezifischen Aktivierung des Immunsystems (4)! Bei einer Reihe von Erkrankungen gibt es hohe Erfolgsraten: bei Heuschnupfen 65-85%, bei weiblicher Unfruchtbarkeit soll die Erfolg vergleichbar sein wie bei wissenschaftsmedizinischer Behandlung.
Was ist der Placebo-Effekt und was ist er nicht?
Um aber die Wirksamkeit irgendeiner Therapie zu beurteilen, müssen wir wissen, welchen Anteil daran ein Effekt hat, der oft verkannt, missverstanden, ja geleugnet wird: der Placebo-Effekt.
Placebo (lateinisch) heißt: "Ich werde gefallen". Es kann eine Scheinbehandlung sein oder ein Scheinmedikament, ein Leerpräparat, Blindpräparat oder Falsum - im Gegensatz zur echten Arznei, zum Verum. Ein Medikament von gleichem Aussehen, gleicher Konsistenz und gleichem Geschmack, aber ohne Wirkstoff, das der "psychotropen Therapie" dient. Der Placebo-Effekt beruht also auf reiner Suggestion, die sich auf sehr komplexe, noch weitgehend unerforschte Weise psychosomatisch auswirkt.
Sollte der Erfolg der Außenseitermedizin nur auf dem Placebo-Effekt beruhen? Hier gibt es sofort lautstarken Protest: "Wir foppen doch die Patienten nicht mit Placebos!" Ein kleiner Test ist hier aufschlussreich. Prüfen Sie selbst: Welche der Aussagen halten Sie für richtig?
Welche Eigenschaften hat der Placebo-Effekt? | Ja | Nein |
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Der Placebo-Effekt ist reine Einbildung, mit ihm arbeiten nur Scharlatane | ||
Auf Placebos reagieren nur Patienten, deren Krankheit eingebildet ist
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Placebos wirken nur bei Patienten, die an die Behandlung glauben | ||
Placebos können nicht schaden | ||
Placebos wirken nicht bei Kleinkindern und Tieren |
Wieviele NEINs haben Sie? Weniger als fünf? Dann liegen Sie falsch. Alle fünf Aussagen stimmen nicht! Verbreitet ist die Meinung: "Placebos wirken nur bei Spinnern, Okkultisten, labilen Personen, die sich leicht beeinflussen lassen, und bei sonstigen Idioten". Natürlich fühlt sich niemand einer dieser Kategorien zugehörig. Ergo: "Bei mir wirken Placebos nicht. Das, was bei mir wirkt, muss etwas Echtes sein!"
Völlig falsch! Placebos können bei allen Menschen wirken, gerade auch bei denen, die sich für absolut nicht "anfällig" halten. Es ist also das herrschende Vorurteil zu bekämpfen, Placebos seien "Medikamente für Dumme". Begriffe wie "Suggestion" oder "psychosomatisch" werden immer missverstanden: "Psychosomatisch? Nicht bei mir! Ich bin doch nicht verrückt!"
Obwohl der Placebo-Effekt prinzipiell mit einer Selbsttäuschung verbunden ist, ist er keine Einbildung, und es ist keine Selbsttäuschung, wenn er hilft. Er bietet vielmehr eine wunderbare Chance, die körpereigenen Selbstheilungssysteme zu mobilisieren. Davon profitiert auch die wissenschaftliche Medizin in hohem Maß, aber nur, solange der Patient ihr im Grunde seines Herzens vertraut.
Wie kann man den Placebo-Effekt einer Behandlung messen? Jedenfalls nicht, indem man in sich hineinhört und sich fragt: "Habe ich an die Behandlung geglaubt oder nicht?" Denn was wir bewusst glauben, kann etwas ganz anderes sein als das, was wir unterbewusst glauben, hoffen oder fürchten.
Jede medizinische Behandlung enthält grundsätzlich zwei Komponenten: eine psychosoziale und eine physikalisch-chemische Botschaft, die sich direkt physiologisch auswirkt. Bei der Behandlung einer psychosomatischen Erkrankung ist der psychosoziale Anteil maximal, bei chirurgischer Entfernung einer Krebsgeschwulst ist er klein, aber dennoch vorhanden.
Der Idealfall liegt vor, wenn gläubige Patienten von charismatischen Ärzten behandelt werden. Denn es gibt Placebo-Effekte natürlich auch in der wissenschaftlichen Medizin. Roberts et al. (38) fassten fast 7000 Fallstudien zusammen, in denen bei völlig wirkungslosen Therapien das Heilungsergebnis bei 70% der Patienten ausgezeichnet oder gut war:
- Herpes mit Levamisol zu behandeln, stellte sich nach Jahren als wirkungslos heraus, aber 48% der Patienten fanden sie erfolgreich.
- Ähnliches gilt bei Operationen: Die Glomektomie (Entfernung des Carotidenkörpers auf der Halsarterie) bei Asthma erwies sich als wirkungslos. 57% der Patienten waren mit der Behandlung zufrieden.
- Die erfolgreich eingesetzte Unterkühlung des Magens bei Zwölffingerdarmgeschwüren erwies sich als Placebo-Effekt.
- Bei Verengung der Herzkranzgefäße band man ein Blutgefäß im Brustraum ab, damit mehr Blut den Weg durch sie nehme. Mit bestem Erfolg: Die Patienten konnten danach erstmals wieder Treppen steigen. Erst Kontrollversuche zeigten: Eine reine Placebowirkung!
Unwirksame, aber erfolgreiche Behandlung von "gläubigen" Patienten durch "gläubige Ärzte" (nach 38):
Glomektomie bei Asthma | Levamisol bei HSV | Heterozyklen +UV bei HSV | Gefrieren des Magens bei Ulcus duodeni | Erfolg |
16% | 15% | 11% | 55% | unbefriedigend |
26% | 37% | 30% | 20% | befriedigend |
57% | 48% | 59% | 25% | sehr gut |
Die Geschichte der Medizin ist übersät mit Überbleibseln wirkungsloser Therapien, von denen einst fast alle annahmen, dass sie wirkten! Wie leicht sich Menschen psychisch beeinflussen lassen, zeigen Massenhysterien: kollektive Illusionen, die zum plötzlichen Ausbruch von "mysteriösen Krankheiten" führen mit unspezifischen Symptomen wie Erbrechen, Kopfschmerzen, Atemnot und Ohnmacht.
Die meisten Erfolge hat die Homöopathie bei Erkrankungen, bei denen Placebos bei rund 50% der Patienten helfen können: bei Magengeschwüren, Schlaflosigkeit, Verstopfung, Angina pectoris, Migräne. Bei Patienten mit Migräne oder Tinnitus, denen wissenschaftliche Medizin nicht helfen konnte, gab es z.B. Heilerfolge nach "klassischer" Akupunkturbehandlung. Die Erfolgsrate lag aber ebenso hoch, wenn, ohne Wissen des Patienten, "falsche" Placebo-Akupunkturpunkte gereizt wurden (2, 17). Bei Infektionskrankheiten und Leukämie dagegen, für die man wirksame wissenschaftsmedizinische Arzneien kennt, scheint Alternativmedizin kaum zu wirken.
Placebos wirken auch bei Kleinkindern und Tieren
Bei Kleinkindern und Tieren gebe es keinen Placebo-Effekt, also sei in diesen Fällen der Behandlungserfolg direkt abzulesen? Weit gefehlt! Selbstverständlich gibt es Placebo-Effekte in Form von Suggestion auch bei Kindern. Jeder Kinderarzt weiß, dass man die Mutter in die Behandlung einbeziehen muss: Sie ist Hauptempfänger der psychosozialen Botschaft und gibt sie als ihre Erwartungshaltung unbewusst an das Kind weiter.
Placebo-Effekte wies man in Doppelblindversuchen auch bei Haustieren nach. Diese können die Körpersprache vertrauter Bezugspersonen lesen. Erleben sie deren Vertrauensverhältnis zu dem ihnen unbekannten Therapeuten, so reagieren sie konditioniert im Sinn einer Placebowirkung. Wird das Placebo-Präparat auch noch mit liebevoller Hinwendung verabreicht, hat die Heilung gute Chancen (26, 27). Zusätzlich führt die Erwartungshaltung des behandelnden Arztes bei diesem selbst zu "selektiver Wahrnehmung": Er neigt dazu, Heilerfolge zu diagnostizieren, die er unbewusst zu finden erwartet.
Wie stark wirken Placebos?
Krebspatienten, die unter Schmerzen litten, bekamen entweder das bewährte Schmerzmittel Naproxen oder ein Placebo. Wussten sie nicht, dass sie das echte Schmerzmittel geschluckt hatten, so wirkte dieses schwächer als ein Placebo, das sie als vermeintliches Schmerzmittel eingenommen hatten (3, 5)! Von 40-60% von 3848 Patienten, bei denen keine eindeutige Diagnose möglich war, erhielten 43%, zufällig ausgewählt, Placebos. 82% von ihnen fühlten sich dadurch nach eigenen Angaben gebessert (43).
Der Versuch war aber noch aufschlußreicher. Die Patienten wurden nämlich randomisiert, ohne ihr Wissen, in vier vergleichbare Gruppen unterteilt. Zwei Gruppen erhielten eine "positive Konsultation": Der Arzt verschwieg, dass er die Ursache ihrer Beschwerden nicht erkannt hatte und versicherte stattdessen emphatisch, bei ihnen werde alles in Ordnung kommen und sie würden sich bald besser fühlen. Die eine Untergruppe bekam "zur Unterstützung der Heilung" ein Placebo-Medikament, die andere nicht. Die beiden anderen Gruppen erhielten eine "negative Konsultation": Der Arzt sagte wahrheitsgemäß, er sei sich über die Ursache der Beschwerden nicht im klaren. Wiederum erhielt eine Untergruppe ein Placebo-Medikament mit der Bemerkung, dass es ihnen vielleicht helfen werde, und die andere Gruppe bekam nichts. Die Heilungsrate betrug nach positiver Konsultation 64% und nach negativer 39%, unabhängig davon, ob Placebo-Medikamente gegeben wurden, oder nicht! Keine Behandlung vorzunehmen, war also ebenso erfolgreich wie die Verschreibung eines Placebo-Medikaments, unabhängig davon, ob die Konsultation positiv oder negativ war. Die Diagnose "keine Behandlung nötig" wird also vom Patienten ohne Nachteile akzeptiert!
Die Wunderdroge der Außenseiter-Medizin ist also gar nicht das Placebo-Medikament selbst. Es steht allein in der Macht des Therapeuten, seine Patienten sich besser fühlen zu lassen. Es genügt ein Arztbesuch ohne jede Behandlung. Der "Wirkstoff" des Placebos ist also der Heiler selbst!
Leider glauben die meisten Ärzte, dass über 80% ihrer Patienten die Verschreibung eines Medikaments erwarten. In Wirklichkeit sind es nur knapp die Hälfte (43-52%). Nur wenige Ärzte wissen, dass Patienten oft keine Behandlung brauchen außer dem Kontakt mit ihnen. Und so nutzen sie Placebos zu wenig aus, weil sie sie irrtümlich mit Scharlatanerie assoziieren. Dabei sind die objektiv messbaren Behandlungserfolge erstaunlich: bei Kopfschmerzen 62%, bei Seekrankheit 58%, bei rheumatischen Erkrankungen 49%, bei Erkältungskrankheiten 45% (16,29).
Ein Beispiel macht klar, das nicht alles, was hilft, auch wirkt. Ein Kind ist hingefallen und weint. Die Mutter holt eine Dose mit, wie sie sagt, "schmerzlindernden Leckerli" und zieht das Kind zu sich auf den Schoß. Ein Stückchen Schokolade auf die schmerzende Stelle gelegt, mit der Zusage, das Kind könne es haben, sobald der Schmerz vorüber sei, wirkt Wunder.
Will man die Wirkung von echten Arzneien mit der von Homöopathika vergleichen, so ist es unerlässlich, zusätzlich eine Placebo-Gruppe einzuplanen. Drösemeier (8) fand keinen Unterschied zwischen Homöopathikum und Placebo und ebensowenig zwischen Arznei und Placebo. Ohne Placebogruppe wäre also das Homöopathikum als ebenso wirksam erschienen wie die echte Arznei! Tatsächlich waren aber in diesem speziellen Fall homöopathische und wissenschaftsmedizinische Behandlung gleich wirkungslos.
Das Argument, Homöopathie sei "ein Gebiet, wo man mit streng wissenschaftlicher Methodik nicht vorgehen könne", ist falsch. Der Erfolg jeder Therapie lässt sich objektiv statistisch prüfen, aber nur in Doppelblind-Experimenten, bei denen der Placebo-Effekt quasi "herausgekürzt" wird. Im Idealfall sollte selbst der Therapeut nicht wissen, dass er einen Test durchführt, was in der Praxis schwer realisierbar ist. Da Menschen allein aufgrund des unspezifischen Placebo-Effekts gesunden können, muss man mindestens, zufallsverteilt, zwei gleichartige Patientengruppen bilden: Die eine erhält die zu prüfende Behandlung, die Kontrollgruppe eine Scheinbehandlung oder ein Placebo-Präparat. Damit beide Gruppen ansonsten völlig gleich behandelt werden, dürfen weder die Patienten noch die Therapeuten wissen, wer die echte Arznei und wer das Placebo erhält. Damit ist der Placebo-Effekt in beiden Gruppen gleich, und Unterschiede zwischen ihnen müssen dann allein auf die Behandlung zurückgehen. Noch unverfälschtere Ergebnisse liefern "überkreuzte" Doppelblindstudien, bei denen nach einer vorher festgelegten, genügend langen Behandlungszeit Placebo und Arznei gegeneinander ausgetauscht und die Behandlung fortgeführt wird. Formal sauber sind eigentlich nur Untersuchungen, bei denen auch die Forderung der Homöopathen erfüllt ist, jeden Patienten individuell zu therapieren. Schließlich muss alles unter kontrollierten Versuchsbedingungen geschehen, um Manipulationen auszuschließen (35, 39).
Solche objektiven Tests, bei der wissenschaftlichen Medizin Standard, verliefen bisher negativ (27, 28, 32-34). Von Außenseitermedizinern werden sie meist als unangemessen abgelehnt. Stattdessen verweist man auf eindrucksvolle Fallbeispiele von geheilten Patienten. Diese anekdotischen Belege sind zwar emotional überzeugend, aber ohne jede Beweiskraft: Positive Einzelfälle - Patienten mit längerer Überlebenszeit - kommen in allen Kollektiven vor (1), es bleibt völlig unklar, welchen Anteil der Placebo-Effekt hatte, und es wird verschwiegen, bei wie vielen Patienten die Behandlung erfolglos war.
Bei zweifelhaften Behandlungsmethoden reichen auch "klinische Tests" nicht aus, um die Wirksamkeit objektiv zu prüfen, denn sie sind, oft trotz gegenteiliger Beteuerung, fast nie doppelblind: Die Resultate werden ungewollt durch Erwartungshaltungen von Versuchsleiter und Patient verfälscht.
Wir halten es für unethisch, eine Behandlung zu propagieren, bei der nicht geprüft wurde, ob sie besser hilft als ein Placebo. Aussagekräftig wäre nur ein Test, den man möglichst ganz hinter dem Rücken der Hauptbeteiligten durchführt. Individuell verschriebene homöopathische Präparate müssten bei der Hälfte der Patienten, ohne deren Wissen und ohne Wissen der behandelnden Homöopathen, mit gleich aussehenden, anerkannt unwirksamen Placebos vertauscht werden. Ist die Behandlung damit unvermindert erfolgreich, entlarvt sich das Grundkonzept der Homöopathie als reines Phantasieprodukt, dessen praktische Wirksamkeit allein auf dem Placebo-Effekt beruht.
Selbst in Doppelblind-Studien kann es zu positiven Effekten unwirksamer Arzneien kommen, weil Patient und Arzt anhand der Nebenwirkungen der Arznei manchmal erkennen können, wer es bekam. Und das führt unbewusst zu der Erwartung, dass es solchen Patienten besser gehen muss ("self fulfilling prophecy"). Das kann man prüfen, indem man Placebos gibt, die dieselben Nebenwirkungen haben wie das echte Medikament: Dann schwindet der Unterschied zum Placebo meist dahin.
Einer Gefahr sind alle Therapeuten ausgesetzt: der "therapeutischen Illusion": Bei zweifelhafter Diagnose verordnen Ärzte häufig Behandlungen, von der sie wissen, dass sie nur als Placebo wirken. Gesundet der Patient, verführt der scheinbare Erfolg dazu, Diagnose und Behandlung irrtümlich für richtig zu halten. Ein Beispiel ist die sinnlose Verschreibung von Antibiotika bei viralen Infektionen. Vielen Ärzten wird nämlich in ihrer Ausbildung nicht beigebracht, dass Patienten oft keine Behandlung brauchen außer ermutigende Worte eines Arzt, der sich ihnen menschlich zuwendet.
Obwohl seit 50 Jahren intensiv erforscht, ist noch kaum bekannt, auf welche Weise der Placebo-effekt den Krankheitsverlauf beeinflusst. Man weiß, dass Placebo-Behandlungen auf das Immunsystem einwirken, endogene Opiate freisetzen können, und dass es kaum Placebo-resistente Erkrankungen gibt (11, 29). Ärzte wissen, dass man Medikamente, die neu auf den Markt gekommen sind, schnell verwenden sollte, solange sie noch wirken. Denn sie erzeugen Hoffnung bei Patient und Arzt, und das führt bei beiden zu starken Placebo-Effekten.
Homöopathie hat einen großen Vorteil: Im Gegensatz zur Wissenschaftsmedizin, wo der Patient oft auf besserwisserische Arroganz der "Götter in Weiß" trifft, geht der Homöopath intensiv auf die psychische Befindlichkeit seiner Patienten ein. So fühlt sich der Patient verstanden, was den Placebo-Effekt ungemein steigert.
Wer heilt, hat Recht? Der Nocebo-Effekt
Was spricht eigentlich dagegen, medizinische Außenseiterverfahren in der Praxis einzusetzen, solange sich ihr Placebo-Effekt segensreich auswirkt? Wer hier nach dem Motto urteilt "Wer heilt, hat Recht", der irrt. Denn der Placebo-Effekt der paramedizinischen Behandlung ist untrennbar gekoppelt mit seinem negativen Gegenspieler, dem "Nocebo-Effekt", und der geht zu Lasten der konventionellen Wissenschaftsmedizin! Er bewirkt, dass objektiv anerkannte, bestens erprobte Arzneien weniger gut wirken, wenn der Patient Angst hat vor der "schädlichen Chemie", die darin enthalten sei, oder wenn er dem Arzt, bewusst oder unbewusst, misstraut.
Der Nocebo-Effekt lässt sich leicht messen. Bei jeder Neuzulassung eines Medikaments müssen ja Placebo-kontrollierte Doppelblind-Tests vorgewiesen werden. Natürlich werden dabei alle Patienten über evtl. zu erwartende Nebenwirkungen des echten Medikaments informiert, unabhängig davon, ob sie dieses erhalten oder das Placebo. Ahnen Sie, unter welchen Nebenwirkungen die Placebo-Empfänger litten? In einer Chemotherapie-Studie fielen einigen der Beteiligten, die Placebos erhalten hatten, die Haare aus, weil sie glaubten, dass Chemotherapie immer zu Haarausfall führt (5).
Der "Nocebo-Effekt" zeigt sich deutlich in einer krankmachenden Angst vor eingebildeten Gefahren (15, 16). Welches Gefahrenpotential die Angst hat, könnte sich in der Tatsache zeigen, dass die Leukämierate bei Kindern etwas erhöht war, wenn sie in der Nähe von Kernkraftwerken wohnten - auch in der Nähe von Werken, die erst in Planung waren (23, 30)! Nocebos können also unerwartet stark wirken (29). Durch sie leiden viele Patienten an rein psychosomatischen Beschwerden wie z.B. Hypoglykämie (niedriger Blutzuckerspiegel), Allergien, Dermatitis, Hefe-Infektionen und Amalgamvergiftung.
Ein anderes Beispiel ist der "Elektrosmog". Dass er die Gesundheit gefährdet, ist unter Fachleuten umstritten. Der ängstliche Laie aber glaubt rasch an Gefahren, hört er doch von Fällen, bei denen chronische Gesundheitsprobleme nach Beseitigung der angeblichen Störquelle verschwanden. Beweise erbringen aber nur echte Doppelblindstudien, bei denen weder die Betroffenen noch ihre Therapeuten wissen, ob die Geräte, um deren mögliche Schadwirkung es geht, eingeschaltet waren oder nicht.
Es geht hier nicht darum, mögliche Gefahren, die von Elektrosmog ausgehen könnten, zu verharmlosen. Natürlich kann man die elektromagnetischen Wechselfelder, die durch die Elektrotechnik entstehen, messen - im Gegensatz zu den angeblichen "Erdstrahlen", die Wünschelrutengänger vergeblich nachzuweisen suchten (48). Und es ist Vorsicht geboten, solange man mögliche Gefahren nicht ausschließen kann. Wir halten es aber für unverantwortlich, Angst zu machen vor etwas, dessen schädliche Wirkung nicht durch sorgfältige Untersuchungen belegt ist, denn das bedeutet eine echte Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung.
Merkmale von Nocebo-Effekten:
- sie erscheinen auch in Abwesenheit der chemischen Botschaft
- sie sind kaum dosisabhängig
- sie sind "ansteckend"
- sie sind Zielsymptome der Homöopathika, die bei der "Arzneimittelprüfung an Gesunden" auftreten
- sie sprechen auf psychosoziale Maßnahmen (Placebos) an
Kritisches zur Homöopathie
Wie sieht die Erfolgsbilanz der Homöopathie aus, wenn wir den Placebo-Effekt berücksichtigen? Keine signifikant bessere Wirksamkeit im Vergleich mit Placebos beschreiben z.B. Hill & Doyon (18, 37). Homöopathisch erfahrene Ärzte haben über 100 kontrollierte Studien durchgeführt. Sie hatten z.T. positive, z.T. - meist bei Wiederholung einer positiven Studie! - negative Ergebnisse. Fast alle sind methodisch fehlerhaft. Sie sind in der, allerdings umstrittenen, Arbeit von Kleijnen et al. (27) zusammengefasst. Brauchbare Doppelblindstudien sind selten:
Statistisch signifikante Ergebnisse von Doppelblindstudien bei homöopathischer Behandlung:
- Rheumatoide Arthritis (14): positives Ergebnis, aber die Untersuchung wurde nicht reproduziert, und die Behandlung erfolgte nicht randomisiert
- Migräne (6): positives Ergebnis, aber nicht reproduziert. Wiederholungsversuche schlugen fehl: Bei einer Studie am Charing Cross Hospital/London wirkte das Placebo signifikant besser als das Homöopathikum(!), eine Studie in einer erfahrenen deutschen homöopathischen Fachpraxis ergab keine signifikanten Unterschiede, aber Trends zugunsten des Placebos (44)
- Durchfallerkrankungen bei Kindern (21): positives Ergebnis, bisher nicht reproduziert
- Wiederholte Infekte bei Kindern (7): kein signifikantes Ergebnis
- Schwellung und Schmerzen nach Operationen (28, 29): Kein Unterschied zwischen Placebo und homöopathischer Behandlung
Dass "potenzierte" Arzneimittel im Vergleich zu nur im selben Grad verdünnten Mitteln im Doppelblindversuch besser abschneiden, wurde bisher noch nie glaubhaft bewiesen. 1988 aber schien der Durchbruch gelungen. Jaques Benveniste behauptete in der internationalen Wissenschaftszeitschrift Nature, dass hochpotenzierte (anti-IgE-) Lösungen, die keine Wirkstoffmoleküle mehr enthielten, wirksam waren: der erste Beweis der homöopathischen Theorie! Die Publikation führte aber zu einem Wissenschaftsskandal (35). Eine neutrale Untersuchungskommission deckte auf, dass die Ergebnisse entgegen den Aussagen von Benveniste nicht doppelblind gewesen waren und dass man gefälschte, nämlich selektierte Daten verwendet hatte. 1993 wiederholte ein britisches Forscherteam die Versuche, unterstützt von homöopathischen Arzneifirmen und Homöopathie-Forschungseinrichtungen. Ergebnis: negativ.
Woher aber kommt dann der gute Ruf, den die Homöopathie genießt? Viele chronische Krankheiten, beispielsweise Arthritis und multiple Sklerose, haben einen variablen Symptomverlauf. Alternativmedizinische Behandlung sucht man natürlich besonders in schlechten Phasen. Daher sind die Chancen gut, dass man sich in den Tagen danach besser fühlen wird, auch wenn das mit der Behandlung nichts zu tun hat. In solchen Fällen können Paramediziner jeglicher Couleur, aber auch Ärzte, leicht "Erfolge" vorweisen. Zudem können selbst schwere Erkrankungen spontan ausheilen: Es gibt 170 gut dokumentierte Fälle von Spontanheilungen bei Krebs (10).
Spontane Besserungsraten
- bei Rückenschmerzen (43):
- nach 1 Woche bei 48%
- nach 1 Monat bei 75-80%
- nach 2 Monaten bei 92%
Liest der Patient auf dem Beipackzettel seines Homöopathikums, Nebenwirkungen seien unbekannt, fühlt er sich sicher. Dabei hat meist keiner nach ihnen geforscht! Der Slogan "Heilen ohne Nebenwirkungen", der quasi eine Steigerung des Heilungsanspruchs verspricht, ist falsch. Entgegen der Volksmeinung enthalten Homöopathika nicht selten gefährliche Stoffe wie Arsen, Antimon, Anilin, Blei, Cyanid, Phosphor, Quecksilber, Eiter, Extrakte von Mutterkorn, Osterluzei und Knollenblätterpilzen sowie andere Gifte in pharmakologisch relevanter Menge! Da erscheint es paradox, dem Laien Unbedenklichkeit vorzugaukeln.
Dass diese negative Bilanz anders wird, weil uns ein "Paradigmenwechsel" ins Haus stünde, halten wir für unwahrscheinlich. Dieser Begriff wird hier nur als Worthülse verwendet, weil die Wissenschaftsmediziner wegen fehlender Daten es ablehnen, das zu glauben, was sie nach dem Wunsch der Außenseitermediziner glauben sollen. Begriffe wie "energetische Betrachtungsweise" oder "feinstoffliche Wirkungen" sind leere Worte, solange ihr Inhalt nicht durch experimentelle Daten belegt wird.
"Ich kann mir nicht vorstellen, daß das mächtigste Volk der Erde, dazu noch ein sehr intelligentes, ein Verfahren verwendet, das nur auf Placebo- und Psychowirkung beruhen soll", sagte Thiel (41) von der Volksrepublik China. Aber war es nicht vielmehr so, dass die politische Führung die traditionelle chinesische Medizin nur deswegen favorisierte, weil wissenschaftsmedizinische Versorgung für die Bevölkerung unbezahlbar war und man stattdessen wenigstens klassische Placebo-Effekte nutzen wollte? Auch das Argument, unkonventionelle Medizin sei kostengünstig, ist zweifelhaft. Eine wissenschaftlich höchst fragwürdige homöopathische Anamnese kann über 400.- Mark kosten. Ein Erprobungsversuch, seit 1994 mit 42 ganzheitlich behandelnden Ärzten im Ruhrgebiet durchgeführt, hat die ambulanten Arztkosten durchschnittlich um mehr als das Zehnfache steigen lassen (Spiegel 21:32, 1997).
Zur Skepsis mahnt nicht zuletzt auch die gleichartige Behandlung unterschiedlichster "Krankheiten". Ischias wird ebenso behandelt wie Eifersucht bei Mädchen: mit Pulsatilla D6. Bei Keuchhusten und Ehesorgen hilft Ambra D3. Brechnuss hilft gegen Verdauungsbeschwerden, Streitsucht, Hämorrhoiden, Kater, Migräne, verklebte Augenlider, Erkältungen, Darmverschluss, Prostatabeschwerden, Nierenkolik, Impotenz, Hexenschuss, Harnträufeln und Akne.
Kritik der Homöopathie:
- Die Simile-Regel führt zur Gleichbehandlung unterschiedlicher Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik und
- zur Behandlung von Krankheitssymptomen ohne Ansehen ihrer Ursachen.
- Bestehende Krankheitssymptome werden bei Anwendung wenig verdünnter Homöopathika oft verstärkt ("Erstverschlimmerung") und
- es gibt Fehldiagnosen bei Krankheiten, die im Frühstadium symptomfrei sind.
Eine "Bilanz der Misserfolge" listet Wolter (49) auf. Könnten homöopathische Mittel positive Effekte vorweisen, sie wären längst von der Wissenschaftsmedizin übernommen worden. In ihrer langen Geschichte hat die Homöopathie aber in keinem einzigen Fall durch ihr Verfahren der Arzneimittelprüfung an Gesunden eine Therapie entdeckt, die Eingang in die Wissenschaftsmedizin gefunden hätte.
Auch bei den Versuchen, ihre Theorie rational zu erklären, ist die Homöopathie bisher gescheitert. Ist es nicht merkwürdig, dass andere Verfahren wie Bach-Blüten-Therapie und selbst Geist-Heilung, die auf ganz unterschiedlichen Theorien beruhen, von ähnlichen Erfolgsraten berichten?
Was Homöopathen glauben müssen:
- Das Massenwirkungsgesetz gilt in der gesamten Biochemie und Biologie, aber nicht in der Homöopathie
- Wässrige Lösungen enthalten äußerst stabile Strukturen, die beim "Potenzieren" verstärkt werden oder sich vermehren
- Die Loschmidt`sche Zahl ist irrelevant
- Homöopathisches Verdünnen potenziert die gewünschten Heilwirkungen, nicht aber die unerwünschten Wirkungen desselben Mittels
- Das Potenzieren betrifft nur die Arzneimittel, nicht aber die Begleitstoffe, die Verunreini- gungen des Verdünnungsmittels
- "Das Symptom ist die Krankheit" (Hahnemann)
- Doppelblindversuche sind kein geeignetes Kriterium für den Wirksamkeitsnachweis
- negative Resultate dürfen ignoriert werden, positive nicht
Homöopathie ist aus der Sicht der heutigen Wissenschaft inhärent unplausibel. Ein Haupthindernis ist die Idee des "Potenzierens". Schon die Bezeichnung ist irreführend, denn dieser Prozess hat weder etwas zu tun mit dem mathematischen Potenzieren noch mit dem positiv belegten Begriff der sexuellen Potenz. Nicht nachvollziehbar ist vor allem, dass eine Lösung durch Schütteln wirksamer werde, ja dass das Lösungsmittel allein noch wirksam sei, selbst wenn kein einziges Wirkstoffmolekül mehr darin enthalten ist.
Verdünnt man einmolare Lösungen um den Faktor 1:6x10 hoch 22, so ist in einem Kubikzentimeter davon mit einer Wahrscheinlichkeit von 99% kein einziges Molekül des Wirkstoffes mehr enthalten. Homöopathen verwenden Verdünnungen bis zu 1:10 hoch 120, ja 1:10 hoch1500! Das ist dasselbe, wie wenn man ein Reiskorn zermahlt, das Pulver in einem Wasserball von der Größe unseres Sonnensystems gleichmäßig verteilt, einen Tropfen davon nimmt und nochmals in derselben Menge Wasser verdünnt und dasselbe zwei Milliarden mal (35)!
Die Frage ist: Welche Art von Beweis gilt als ausreichend, Unglaubliches zu glauben? Grundsätzlich ist derjenige beweispflichtig, der etwas behauptet. Und je ungewöhnlicher die Behauptung ist, desto strengere Maßstäbe sind an ihre Begründung anzulegen. Wenn jemand sagt, in seinem Garten stehe eine Ziege, kann man das glauben. Wenn er aber sagt, es sei ein Einhorn, dann könnte selbst ein Foto davon nicht überzeugen. Seine Echtheit muss mit objektiven Methoden geprüft werden, denn man darf selbst den eigenen Augen nicht trauen (46-48). Man muß prüfen, ob hier nicht einfach einem Pferd ein Plastikhorn an die Stirn geklebt oder ein echtes Horn transplantiert wurde. Überzeugender wäre es, wenn auch die Nachkommen Einhörner wären. Und selbst dann: Könnte es nicht ein genmanipuliertes Pferd sein, das nichts mit dem sagenumwobenen Einhorn zu tun hat?
Der Gesetzgeber hat Hochpotenzen generell erlaubt, nach dem Motto: "So starke Verdünnungen können nicht schaden". Sie müssen lediglich unter der Rubrik "besondere Therapierichtungen" registriert werden. Als Vorbedingung dafür genügt ein Bericht über "positive ärztlich-therapeutische Erfahrung". Das ist so ähnlich wie wenn es zwei Sorten von TÜVs gäbe: einen für fahrende und einen für nichtfahrende Autos. Der Vorteil der letzteren ist zweifellos, dass es weniger Unfälle gibt. Entsprechend selten kommt es bei der Verschreibung von Hochpotenzen zu negativen Nebenwirkungen. Eine große Gefahr ist aber, dass bei ernsten Erkrankungen die Therapie oft fahrlässig verzögert wird. Immer wieder mussten Patienten sterben, weil sie eine lebensrettende konventionelle Behandlung versäumten (31-33).
Hahnemann wusste nichts von der Existenz von Bakterien, Viren, Molekülen, Atomen, nichts von der Loschmidt`schen Zahl und von der Placebo-Forschung, obwohl auch er bewusst mit Placebos arbeitete ("Unarzneiliches" oder Milchzucker; Organon §96 in Hochstetters Ausgabe 6B). Und schon er musste sich damit auseinandersetzen, dass eine homöopathische Heilung eher die Ausnahme ist als die Regel. Wer das nicht glaubt, weil er immer nur von Heilungen gehört hat, sollte sich klarmachen, dass fast immer nur die Erfolge weitererzählt werden. Tote Patienten reden nicht, und man spricht auch selten von ihnen.
Manchem Außenseitermediziner, der neben kritischem Denken über genügend schauspielerisches Talent verfügt, hat ein einfacher Selbsttest die Augen geöffnet. Egal, ob man als Homöopath "falsche" Potenzen verschreibt, als Irisdiagnostiker bewusst den "Iris-Schlüssel" verfälscht, indem man ihn bei der Analyse z.B. um 90° verdreht, ob man als Astrologe falsche Geburtsdaten verwendet, ob man als Hand- oder Tarotkarten-Leser das Gegenteil von dem sagt, was in den "Lehrbüchern" steht: Die Erfolgsrate bleibt erstaunlicherweise ungefähr gleich.
Der Begriff "psychische Behandlung" spiegelt übrigens eine Ungenauigkeit unserer Alltagssprache wider, die zu Missverständnissen führt. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, daß ein Mensch psychisch, etwa durch Geisteskräfte, beeinflusst werden kann. Auch der Psychotherapeut kann einen Mensch nicht beeinflussen, ohne ihn dabei zugleich auch physisch zu verändern, sei es durch die Schallwellen seiner Worte oder durch Körpersprache. Die so vermittelte Information löst Veränderungen im Gehirn des Patienten aus, die letztlich zu messbaren körperlichen Folgeerscheinungen der "psychischen" Beeinflussung führen. Sich dessen bewusst zu sein, trägt dazu bei, die Psychotherapie zu entmystifizieren, eine höchst wirksame Methode, die auch von Außenseitermedizinern erfolgreich genutzt wird: vom "Übertragung von Kraft und Energie" bis zum Auflegen der Hand.
Was haben Kritiker eigentlich gegen eine sanfte Medizin? Nichts! Allerdings sollen Wörter wie "sanft", "ganzheitlich" oder "natürlich" oftmals nur verschleiern, dass Wirkungen der angepriesenen Therapie über den Placebo-Effekt hinaus nicht nachgewiesen sind. Für "sanfte" Medizin reichen "sanfte" Beweise eben nicht aus. Hier gilt es also, genau hinzusehen. Im Übrigen hat sich gezeigt, dass einiges, was sich als "sanfte Medizin" ausgibt, in Wirklichkeit aggressiv, ja lebensbedrohend ist.
Die "Theorien" der Parawissenschaften sind äußerst bildhaft und erscheinen deshalb dem Laien so glaubwürdig. Wie eingängig ist doch der Slogan der Außenseitermedizin, dass wir "der ganzheitlichen Natur mehr vertrauen sollten als der bruchstückhaften Wissenschaft"! Aber "Erfahrungsheilkunde" ist kein Merkmal der Außenseitermedizin: Auf ihr beruht die gesamte wissenschaftliche Medizin. Und wie steht es mit "Ganzheitlichkeit"? Die wissenschaftliche Medizin ist mit ihrem Bemühen, den ganzen Menschen zu sehen, viel weiter. Wenn bei Ohr-Akupunktur, Akupunktur nach Voll, Handlinien-Lesen, Irisdiagnostik und Fuß-Reflexzonenmassage anhand eng begrenzter Körperteile diagnostiziert und therapiert wird, dann wird die Ganzheit zur leeren Phrase. Denn die Behauptung, man könne damit kranke Organe spezifisch beinflussen, ist wissenschaftlich schwer nachvollziehbar und nicht belegt. Die Vorstellung, durch Drücken eines speziellen Punktes am Fuß Darm oder Magen beeinflussen zu können, zeugt von mechanistischer Schalttafel-Mentalität, was grotesk ist angesichts der Kritik an der angeblich mechanistischen Wissenschaft (45).
Die Bilanz: Heilen selten, bessern oft, trösten immer
Wie andere alternativmedizinische Heilmethoden ist auch die Homöopathie keine Wissenschaft, sondern Weltanschauung, ja existentielle Glaubenssache: das zeigen die heftigen, oft unsachlichen Auseinandersetzungen darüber. Ihr Ähnlichkeitsprinzip ist dem in Naturvölkern verbreiteten Analogiezauber verwandt, ihre Vertreter sind die Medizinmänner und Schamanen der Jetzt-Zeit. Aber die Behauptung, Homöopathie sei eine wirksame Alternative zur Wissenschaftsmedizin und homöopathische Mittel seien über den Placebo-Effekt hinaus wirksam, lässt sich mit wissenschaftlichen Methoden objektiv überprüfen und widerlegen.
In einer Diskussion über den Placeboffekt sagte ein katholischer Würzburger Theologe: "Den hat doch schon Jesus bei seinen Heilungen eingesetzt. Das sehen Sie als Skeptiker doch hoffentlich nicht negativ?" In der Tat: Zu einer Zeit, in der von wissenschaftlicher Medizin noch keine Rede sein konnte, war jegliche Therapie gerechtfertigt, die, ob bewust oder unbewusst eingesetzt, auf Hilfe durch den Placeboffekt hoffte. Und wenn man der Bibel glauben darf, so wusste Jesus das sehr wohl. Denn er erwiderte den Dank der Geheilten bescheiden mit den Worten: "Nicht ich habe dich geheilt. Dein Glaube hat dir geholfen"! Wir sagen heute: Es ist der Glaube an den Therapeuten, der hilft: der Placebo-Effekt.
Paul Tillich wies auf einen anderen psychosomatischen Aspekt hin: auf die Beziehung zwischen Schuld und Krankheit. Ungelöste Gewissenskonflikte können Menschen in eine Krankheit treiben. Jesus hat wohl auch diesen Zusammenhang gekannt, denn er verkündete dem Gelähmten zuerst Vergebung seiner Sünden, und dann erst die Gesundung. Mit sich selbst und der Welt versöhnt, wird man leichter und schneller gesund.
Kranke homöopathisch zu behandeln, scheint also in jeder Hinsicht der klugen wissenschaftsmedizinischen Strategie zu entsprechen, nichts zu tun, abzuwarten, bis sich der Organismus selbst hilft, und dabei den Placebo-Effekt optimal einzusetzen. "Die Kunst der Medizin besteht darin, den Patienten zu unterhalten, während die Natur seine Krankheit heilt", sagte Voltaire.
Einen richtigen Aspekt der Paramedizin kann man darin sehen, dass diese, wie die Erfolge zeigen, den Placebo-Effekt besser einzusetzen scheinen als der Wissenschaftsmediziner. Dieser Pluspunkt ist natürlich nicht Homöopathie-spezifisch. Hier muß die Wissenschaftsmedizin Konsequenzen ziehen und sich ihren Patienten ähnlich intensiv zuwenden, wie das Homöopathen tun.
Es gäbe keine Magie, keinen Aberglauben in der Heilkunde, wenn beim Menschen nicht ein Bedürfnis danach vorhanden wäre. Es gründet in einem tiefen, antiautoritären Misstrauen gegenüber der Gegenwartsmedizin, gepaart mit transzendenten Heilserwartungen und der Sehnsucht nach Verinnerlichung auf der Suche nach sich selbst. Und leider treibt die systematische "Entzauberung" der Beziehung zwischen Arzt und Patient diesen in die Hände der Paramediziner wie auch der Scharlatane, der Parasiten unseres Gesundheitswesens.
"Entweder ist alles eitel Schwindel, oder ... das medizinisch-naturwissenschaftliche Weltbild bedarf einer Korrektur", sagte der Homöopathie-Befürworter Reuß (36). Diese Polarisierung ist falsch. Homöopathen und andere Außenseiter-Mediziner sind in aller Regel keine Scharlatane, auch wenn die Zukunft weiterhin bestätigen sollte, dass ihre Erfolge ausschließlich auf dem Placebo-Effekt beruhen. Denn die meisten von ihnen sind "shut-eyes": Menschen, die von der Wirksamkeit ihrer Behandlungsmethode fest überzeugt sind.
Es geht nicht darum, irgendwelche Phänomene zu ignorieren, die, wären sie real, von der heutigen Wissenschaft nicht erklärt werden könnten. Und auch nicht darum, Kranken, denen die Wissenschaftsmedizin nicht helfen kann, den Placebo-Effekt paramedizinischer Behandlungen vorzuenthalten. Er sollte genutzt werden, aber nicht von Scharlatanen und shut-eyes, sondern von Wissenschaftsmedizinern, die das Vertrauen ihrer Patienten genießen und denen es mit psychosomatischen Methoden gelingt, natürliche Selbstheilungsmechanismen optimal zu aktivieren. Praktiziert ein Wissenschaftsmediziner alternative Medizin, besteht allerdings die Gefahr, dass die Patienten manipuliert werden: Sie verwechseln beides miteinander und halten alles gleichermaßen für seriös. Es gibt Ärzte, die, dem Wunsch ihrer Patienten folgend, homöopathische Mittel verschreiben, aber sozusagen zur Sicherheit und ohne Wissen der Patienten zusätzlich noch ein Antibiotikum notieren. Was Wunder, dass die Besserung dann auf Homöopathie zurückgeführt wird!
Glaubenssätze der Homöopathie:
- Similia similibus curentur
- entscheidend sind die Symptome
- das Heilmittel wird durch Verdünnen "potenziert"
- Magie: "geistige Kraft" der Arzneimittel, passt zur
- "geistigen Herkunft" der Krankheiten
- das Symptom ist identisch mit der Krankheit
- Gift gilt als Symbol der Heilkraft. Hinzu kommt das
- Zeremoniell der Verschüttelung (Potenzierung).
- universeller Anspruch: "hilft immer", "gottgewollt"
Etwas zu glauben, ist Privatsache. Aber die öffentliche Behauptung, parawissenschaftliche Theorien hätten sich als zutreffend erwiesen, ist es nicht. Die Erkenntnisse der Wissenschaft sind ein kostbarer, kollektiver Besitz der Menschheit, der in der Vergangenheit schwer erkauft worden ist. Märtyrertum und Scheiterhaufen stehen unübersehbar am Weg. Für diesen Besitz, dessen Gültigkeit immer wieder vorurteilsfrei überprüft worden ist, tragen wir alle eine große Verantwortung. Wenn es sich um Behauptungen handelt, die man testen kann - und nur solche gelten definitionsgemäß als (natur)wissenschaftlich - dürfen und müssen wir daher die Autorität der wissenschaftlichen Methodik in Anspruch nehmen, um die Richtigkeit der Behauptung zu klären. Ein Rückfall in abergläubisches Denken ist ein Prozess, dem die Hüter kultureller Werte nicht gleichgültig zusehen sollten. Es liegt an uns, etwas dagegen zu tun, dass unsere Nachfahren das auslaufende Jahrhundert mit einem Rückfall in das Zeitalter magischen Denkens verbinden werden.
Leider tragen wir alle die Anlage dazu in uns. Wir nehmen vor allem das wahr, was wir bewusst oder unbewusst erwarten und was eine Art "Zensur-Prozess" in unserem Gehirn für realistisch hält (46-48). Ganz ähnlich die "Denk-Zensur": Ungeachtet aller Gegenbeweise neigen wir dazu, an einer einmal gefassten Überzeugung unbeirrbar festzuhalten. Unser Geist liebt fremde Ideen in der Regel ebensowenig wie unser Körper ein fremdes Protein: Beides wird mit großer Energie bekämpft. Diese "Credomanie" (Glaubsüchtigkeit, "true-believer-Syndrom") erweist sich als eine tierische Erblast und ist eine unerschöpfliche Quelle menschlichen Aberglaubens.
Wenn die Europäische Vereinigung der Ärzteverbände der besonderen Therapieeinrichtungen (ECPM) den "Pluralismus in der Medizin" einklagt, so bedeutet das, jegliche Kontrollmöglichkeit abzuschaffen. Damit kann jede Art von therapeutischem Unsinn unterschiedslos angeboten werden. Das ambivalente Argument "Wer heilt, hat Recht" verwischt ganz bewusst den Unterschied zwischen geprüften und ungeprüften Methoden. Dass die spezifische Wirksamkeit homöopathischer Mittel mit wissenschaftlicher Logik auch nicht statistisch nachgeprüft werden könne (19), ist eine willkürliche Schutzbehauptung. Denn positive Ergebnisse der Homöopathie werden mit Emphase zitiert: Keine Rede ist mehr davon, dass die Wirkungen nicht nachprüfbar seien. In diesem inkonsequenten Verhalten offenbart sich eine zutiefst dogmatische Grundeinstellung.
Gute Gründe, sich homöopathisch behandeln zu lassen:
- Erfahrungsgemäß können homöopathische Mittel helfen bei chronischen und bei akuten Gesundheitsstörungen, auch bei Kleinkindern und Tieren
- Die Homöopathie sucht den ganzen Menschen zu heilen. Sie will nicht die Krankheit unterdrücken, sondern zielt auf Stärkung der Selbstheilungsmechanismen
- Therapeuten lassen sich für ihre Patienten viel Zeit, und sie nehmen ihn ganz ernst, sowohl in der Anamnese als auch während der Behandlung (psychosoziale Botschaft): Der Patient wird psychisch in die Heilung eingebunden (13)
- Homöopathische Behandlung dauert meist lang und lässt dem Organismus Zeit, die er zur Selbstheilung nutzen kann
- Der Placeboeffekt bedeutet für viele Patienten effektive Hilfe
- Homöopathische Medikamente sind kostengünstig
- Die Medikamente haben, da oft hochverdünnt ("potenziert") in der Regel keine schädlichen Nebenwirkungen
Gute Gründe, sich NICHT homöopathisch behandeln zu lassen:
- Homöopathie geht per definitionem von den Symptomen der Krankheit aus und lehnt kausales Ursachendenken ab
- In reinstem Wasser und Alkohol, die man beim "Potenzieren" zum Verdünnen nimmt, kommen in Spuren fast alle wichtigen, natürlichen Elemente vor, die es gibt. Diese Verschmutzungen sind viel höherer konzentriert als der angestrebten Verdünnung entspricht. Woher "weiß" das zu verdünnende Heilmittel, dass allein nur es potenziert werden soll?
- Die Theorie, dass Gleiches mit Gleichem kuriert werde und dass beim "Potenzieren" sich "feinstoffliche Information" vom Wesen der Ursubstanz auf den Verdünnungsstoff übertrage, wobei "Stoffliches sich schrittweise in Unstoffliches verwandle", ist wissenschaftlich unbelegt
- Unterschiedlichste Homöopathieschulen melden ähnliche Heilerfolge wie andere paramedizinische Methoden, die vermutlich alle auf Placebo-Effekten beruhen
- Homöopathie ist eine irrationale, dogmatische, autoritäre, in sich geschlossene Heilslehre, die keinen Widerspruch zulässt
- Wer an die Homöopathie glaubt, ist, bewust oder unbewusst skeptisch gegenüber der wissenschaftlichen Medizin: Mit der Angst vor der "schädlichen Chemie" ist ein "Nocebo-Effekt" verbunden, der die Wirkung von gut bewährten konventionellen Verfahren beeinträchtigt
- Es entstehen Kosten ohne belegten Nutzen
- Bei ernsten Erkrankungen wird die Therapie oft fahrlässig verzögert, was bei vielen Patienten zum Tod geführt hat
Die Schlussfolgerungen
Solange keine wissenschaftlich begründete Therapie bekannt ist, mögen Methoden mit günstigem unspezifischen Effekt bei geringem Risiko, wie etwa die Homöopathie, als Lückenbüßer für mangelndes Wissen akzeptabel sein. Denn Hahnemanns Bestreben, "sanft, schnell, gewiß und dauerhaft zu heilen" (Organon, Einleitung, Ausgabe 6B, 1978), wird jeder Wissenschaftsmediziner zustimmen. Verzichten sollte man auf Methoden, die weder nützlich noch gefährlich, aber finanziell aufwendig sind, und auf Methoden mit ungünstiger Nutzen/Risiko-Relation. Ist der Nutzen unbelegt oder gar widerlegt, sind auch geringe Risiken nicht zu tolerieren.
Die These, Außenseitermedizin sei nichts als Placebo-Therapie, ist eigentlich eher ein Lob als ein Vorwurf. Denn der Mensch heilt sich in einem hohem Maß selber, Hauptsache, er wird auf irgendeine Weise behandelt und glaubt daran (5). Also: Placebos einsetzen, sofern keine wissenschaftsmedizinisch bewährte Therapie bekannt ist: uneingeschränkt ja. Aber, damit verbunden, pseudowissenschaftlichen Unsinn verbreiten: nein. Was die Wissenschaftsmedizin den Außenseitermedizinern vorwirft, sind nicht die Placebos, die sie verordnen, sondern das missionarische Besserwissen und das gläubige Festhalten an wissenschaftlich unhaltbaren Vorstellungen. Nur deshalb sollte es Außenseitermedizinern verwehrt werden, an den Universitäten zu lehren. Natürlich macht die Wissenschaftsmedizin auch Fehler, aber sie hat einen unschätzbaren Vorteil: einen Fehlerbeseitigungsalgorithmus, der falsche Theorien im Lauf der Jahre ausmerzt.
Es ist zu fürchten, daß die Zahl an Wissenschafts-Analphabeten erschreckend zugenommen hat. Die mangelnde Bildung betrifft weniger das Tatsachenwissen, sondern etwas ganz Fundamentales: nämlich die Art und Weise, wie wissenschaftliche Erkenntnis zustande kommt. Ein verbreitetes Vorurteil lautet: "Ein Wissenschaftler glaubt dies, der andere jenes. Verschiedene Theorien, die einander widersprechen, stehen also gleichwertig nebeneinander, die Wahrheit ist relativ!" Nein, man kann zwar prinzipiell nicht beweisen, dass eine Theorie wahr ist, aber man kann falsche Theorien objektiv als falsch erkennen und ausmerzen. Wenn eine Heilmethode im Doppelblindexperiment keine signifikant besseren Resultate hervorbringt als eine adäquate Placebo-Behandlung, dann ist die Wirksamkeit dieser Methode damit objektiv widerlegt. Außerhalb dieser Logik gibt es keinen anderen Weg zu objektiver Erkenntnis. Antirationales Denken hat noch nie in der Geschichte der Menschheit bleibende Fortschritte gebracht.
Dass sich die oft verfemte Homöopathie überhaupt halten konnte, verdankt sie dem Multiplikationsfaktor Patient, der es honorierte, dass hier der Mensch und nicht die Krankheit behandelt wird. Schließen wir mit einem Wort von Elliot Emanuel (9): "Hoffnung ist ein wesentliches Grundelement der Medizin. Sie hilft über alle möglichen therapeutischen Irrtümer hinweg, und vertreten wird sie am besten durch einen optimistischen Arzt. Hoffnung ist der Zauberstab des Scharlatans, aber auch zugleich unser eigener". Seien wir froh, dass es ihn gibt: den Placebo-Effekt.
Wir danken Prof. Dr. Ernst Habermann/Gießen, daß er uns die tabellarisch aufgeführten Daten zur Verfügung gestellt hat.
Dieser Artikel erscheint in der Oktoberausgabe 1997 des REGIOMONTANUSBOTEN, dem Organ der Nürnberger Astronomischen Arbeitsgemeinschaft e.V., dem wir für die Erlaubnis danken, ihn auch an anderem Ort publizieren zu dürfen.
PD Dr. Rainer Wolf | PD Dr. Jürgen Windeler |
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