Die Graphologie (griech. graphein, schreiben; logos, Lehre) versucht aus der Handschrift Aussagen über Persönlichkeit und Fähigkeiten des Schreibenden herauszulesen, wie etwa Intelligenz, Temperament, soziale Kompetenz und Zuverlässigkeit.
Formal orientiert sich die Graphologie an Merkmalen wie Größe, Gestalt und Position der Buchstaben auf dem Papier. Ihre Anhänger sind indes den Beleg ihrer Behauptungen bisher schuldig geblieben. In kontrollierten Tests hat sich die Methode als wertlos erwiesen. In der Handschrift eines Menschen spiegelt sich weder die Persönlichkeit, noch kann man mit graphologischen Gutachten beruflichen Erfolg vorhersagen. Vielmehr bringt der Einsatz der Graphologie das Risiko falscher Rückschlüsse mit sich, etwa der unbegründeten Diagnose von angeblichen Charakterschwächen.
Von der Graphologie ist die Arbeit der Schriftsachverständigen zu unterscheiden. Diese überprüfen, ob verschiedene Schriftproben, etwa Unterschriften, von derselben Person stammen.
Es existiert keine einheitliche Theorie der Graphologie. Grundsätzlich lassen sich zwei Schulen unterscheiden. Während die deduktive Graphologie vom Gesamteindruck des Schriftbildes auf einzelne Charaktermerkmale des Schreibenden schließt, versuchte die empirische Graphologie mit wissenschaftlichen Methoden intersubjektiv überprüfbare Aussagen aus einzelnen Merkmalen der Handschrift abzuleiten.
Die Anfänge der Graphologie lassen sich bis ins Jahr 1625 zurückverfolgen, als der italienische Mediziner Camillo Baldi das erste entsprechende Buch veröffentlichte. Ein System zum Vergleich von Schriftzügen und Charaktermerkmalen wurde von dem französischen Gelehrten J.H. Michon (1806-1881) entwickelt. Von Anfang des 20. Jahrhunderts bis zu den 1960er Jahren wurde die Graphologie an deutschen Universitäten gelehrt und fand noch in den 70er Jahren Verwendung in der psychologischen Diagnostik. Heute sind nur mehr selbständige „Schriftdeuter“ tätig, die unter anderem von Unternehmen bei Personalentscheidungen als Gutachter hinzugezogen werden.
In Deutschland ist ihr Einsatz seit den 1990er Jahren jedoch insgesamt zurückgegangen und beschränkt sich weitgehend auf die Auswahl von mittleren und höheren Führungskräften. Bei einer Untersuchung im Jahr 2007 gaben nur 2,4 Prozent der befragten Unternehmen an, dass sie bei der Personalauswahl graphologische Gutachten zu Rate ziehen. 1993 waren es noch 9 Prozent gewesen. Größere Verbreitung hat die Graphologie in Frankreich und in der Schweiz.
Inge Hüsgen, Prof. Uwe Kanning
Literatur:
- Beyerstein, B.; Beyerstein, D. F. (Hrsg., 1992): The Write Stuff. Evaluations of Graphology – The Study of Handwriting Analysis. Prometheus Books, Buffalo.
- Halder-Sinn, P. (1989): Graphologie in Deutschland: Eine Renaissance?. Skeptiker 3/89.
- Halder-Sinn, P. (1993): Graphologie erneut durchgefallen. Bemerkungen zu einer aktuellen Bestandsaufnahme: „The Write Stuff“. Skeptiker 2/93, S. 43.
- Kanning, Uwe (2010): Schreibe mir ein A und ich sage dir, wer du bist. In: ders.: Von Schädeldeutern und anderen Scharlatanen. Unseriöse Methoden der Psychodiagnostik. Pabst Science Publishers, Lengerich 2010. S. 83-115.
- Kanning, Uwe (2010): Schädeldeutung & Co. Absurde Methoden der Psychodiagnostik. Skeptiker 3/2010, S. 112-119.
- Kanning, Uwe (2012): Diagnostik zwischen Inkompetenz und Scharlatanerie: Phänomen, Ursachen, Perspektiven. In: Report Psychologie, Jahrgang 37, Heft 3, S. 110 - 113.
- Neter, E. & Ben-Shakar, G. (1989). The predictive validity of graphological inferences: A meta-analytic Approach. Personality and Individual Differences, 10, 737-745
- Schäfer, R. (2009): Die Graphologie in der Personalauswahl – eine kritische Analyse. Skeptiker 1/2009, S. 36-39.
- Schuler, H.; Hell, B.; Trapmann, S.; Schaar, H.; Boramir, I. (2007): Die Nutzung psychologischer Verfahren der externen Personalauswahl in deutschen Unternehmen. Ein Vergleich über 20 Jahre. In: Zeitschrift für Personalpsychologie, 6(2), S. 60-70.
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Stand: 08.03.2017