Zu den Gründungsmitgliedern der GWUP gehört die Ärztin Prof. Irmgard Oepen. Sie war von 1965-1994 am Institut für Rechtsmedizin tätig. Als erste Präsidentin hat sie die GWUP seit den Anfängen entscheidend mitgeprägt, sodass die unkonventionelle Medizin eines der Hauptthemen der Organisation wurde. Doch bereits vor der GWUP-Gründung hatte Irmgard Oepen sich als kompetente Kritikerin unkonventioneller medizinischer Methoden einen Namen gemacht. Inge Hüsgen und Rouven Schäfer sprachen am Rande der 17. GWUP-Konferenz mit Irmgard Oepen.
Wie kommt es, dass Sie im Gegensatz zu vielen anderen Medizinern über Jahrzehnte hinweg so stetig und konsequent gegen fragwürdige Behandlungsmethoden Position bezogen haben? Woher kam der Wille, selbst gegen massiven Druck die kleine Flamme der Vernunft am Leben zu erhalten?
Schon von Kindheit an war ich es gewohnt, mich dem Mainstream nicht anzupassen. Es begann damit, dass ich als Katholikin in einer evangelisch geprägten Umgebung aufwuchs. Weitaus schwerere Konflikte brachte meine Schulzeit im Nationalsozialismus. Meine Eltern waren Regimegegner. Zwar gehörten sie keiner der verfolgten Organisationen an, aber es wurde doch manches offene Wort gesprochen, was außerhalb des Hauses leicht schlimme Konsequenzen hätte haben können, und ich hatte schon damals eine, wenn man so will, skeptische Haltung gegenüber den Machthabern. Aber ich musste eine Schule mit politischem Einfluss besuchen. Wenn ich dort verraten hätte, was zu Hause gesprochen wurde, hätte ich die ganze Familie ins Unglück gerissen. Deshalb entschied ich mich dafür, zu schweigen. Meine religiöse Erziehung half mir dabei, die Situation als Prüfung zu betrachten.
Ich habe mich also schon in der Kindheit entschlossen, bei Problemen am Leben zu bleiben, abzuwarten und den bestmöglichen Ausweg zu suchen. Die Strategie hat sich im späteren Leben immer wieder bewährt.
Prof. Dr. med. Irmgard Oepen,
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Sie haben die Entwicklung der Medizin über die letzten Jahrzehnte beobachtet. Wie hat sich das Verhältnis zwischen Arzt und Patient in dieser Zeit verändert?
Früher war es üblich, den Patienten falsche Versprechungen zu machen und sogar Todgeweihten vorzugaukeln, dass sie wieder gesund würden. Es wurde oft gesagt, man dürfte den Patienten die Hoffnung nicht nehmen. Als Beispiel galt der Dichter Theodor Storm. Nachdem ihm bei einer Erkrankung eine schlechte Prognose gestellt wurde, verlor er alle seine Schaffenskraft, die Diagnose hatte ihn völlig niedergedrückt. Daraufhin stellten ihm die Ärzte eine andere, bessere Prognose, und tatsächlich erholte sich Storm wieder und schrieb den „Schimmelreiter".
Von den falschen Versprechungen erhoffte man sich eine Schonung des Patienten. Aber trügerische Hoffnungen sind eben auch nicht hilfreich. Hinzu kam, dass die Ärzte immer wieder Patienten erlebten, die ihre Diagnose sehr wohl kannten und ihrerseits Ärzte und Angehörige trösteten.
Inzwischen wird der „mündige Patient" angestrebt und geschätzt, der nach individuell vermittelten und formulierten Informationen verstehen und akzeptieren kann, was geplant und vorgeschlagen wird. Hinzu kommt, dass es ein Irrtum ist, dass jedes Mittel angewandt werden dürfe, wenn die wissenschaftliche Medizin keine Möglichkeit der Heilung mehr sieht. Auch in solchen Fällen dürfen aus ethischen Gründen nur Methoden angewandt werden, die mehr helfen als schaden. Das Verhältnis zwischen Risiko und Nutzen muss in einem vertretbaren Verhältnis stehen.
Wie sah die Szene der unkonventionellen Medizin zu Beginn Ihres Engagements aus?
Es gab, wie auch heute noch, eine ganze Reihe solcher unkonventioneller, also wissenschaftlich nicht begründeter Methoden, die von Ärzten vertreten wurden. Manchmal geschah dies aus ehrenhaften Motiven: Einige Mediziner wollen den Patienten damit so viel Hoffnung machen wie möglich. Anderen hingegen ging es nur um den eigenen Vorteil. Einige Methoden waren altbekannt, andere neu, bei wieder anderen handelte es sich um alte Methoden im neuen Gewand. Allen gemein waren die klingenden Namen; ihre Anhänger schlossen sich zu Gesellschaften zusammen und veranstalteten eigene Tagungen.
Haben Sie ein Beispiel für solch eine umstrittene Methode?
Bei der Zelltherapie injiziert man den Patienten Präparationen von tierischen Organen, um eine Vielzahl von Leiden zu behandeln. Die Methode sollte auch einem Laien suspekt sein, denn Menschen können das artfremde, tierische Eiweiß nicht vertragen. Umso mehr hat es mich erschüttert, dass sogar Ärzte unter den Befürwortern der Zelltherapie waren. Wenn das Immunsystem nur schwach reagiert, kann die Behandlung eine Weile lang ohne Komplikationen durchgeführt werden. Aber es kam auch zu Todesfällen. Diese waren für mich der Anlass für eine Beschäftigung mit der Zelltherapie. Zwar gab es vereinzelt Kritik, aber es wurden nur sehr selten rechtliche Konsequenzen gezogen. Die Hinterbliebenen nahmen die Todesfälle als Schicksal hin - obwohl es sich eben nicht um Schicksalsschläge handelte.
Als ich mich zu einer solchen Gesellschaft begab und nach der Erfolgsquote fragte, beteuerte man, die Methode sei grundsätzlich in Ordnung, werde aber oft unsachgemäß angewandt. Einige betroffene Ärzte wurden wie heiße Kartoffeln fallengelassen, weil sie die Methode in Verruf gebracht hätten. Anderen wiederum sah man Todesfälle als einmalige Fehlschläge nach.
Eine weitere unkonventionelle Methode - die ich allerdings zunächst der Schulmedizin zurechnete - war die Neuraltherapie. Die Neuraltherapie geht davon aus, dass Krankheitsherde im Körper Fernwirkung haben. Die Ursache von Zahnproblemen könne beispielsweise im Darm oder einem anderen Organ sitzen. Bei Schmerzen, die man nicht recht behandeln kann, injiziert der Arzt Schmerzmittel; dabei kam es gar nicht selten vor, dass der Therapeut, um das unbekannte „Störfeld" zu treffen, mit seiner „Zauberspritze" die Haut des Patienten in 10 bis 20 verschiedenen Körperregionen verletzte und diese Prozedur mehrmals pro Woche wiederholte.
Ich wurde also Mitglied der Neuraltherapeutischen Gesellschaft, weil ich sie für ein schulmedizinisches Verfahren hielt, das nur ins Kraut geschossen war. Ich wollte mithelfen, zu einer sinnvollen Schmerztherapie zurückzukehren.
Mein Misstrauen wurde jedoch geweckt, als es zu drei Todesfällen in der Praxis eines Kollegen kam, ohne dass die Neuraltherapeutische Gesellschaft ernsthafte Konsequenzen zog. In dieser Zeit war ich am Rechtsmedizinischen Institut tätig. Ich sammelte entsprechende Fälle, publizierte sie und trug auf diese Weise dazu bei, die Neuraltherapie als zweifelhafte Methode bekannt zu machen.
Gab es bereits andere kritische Stimmen in der Wissenschaft?
Der Ostberliner Mediziner Prof. Otto Prokop (siehe Kasten) hatte sich damals schon einen Namen als Mediziner und Kritiker von unkonventionellen medizinischen Methoden gemacht. Neben der Neuraltherapie waren dies unter anderem Akupunktur und Homöopathie.
Prof. Otto Prokop, geboren 1921, war von 1958 bis 1987 Direktor des Instituts für Gerichtliche Medizin der Berliner Charite. Der weltweit anerkannte Spezialist für forensische Medizin ist auch für seine kritischen Veröffentlichungen zu den Themen Okkultismus, Homöopathie und Wünschelruten bekannt. Als Klassiker gilt das Buch „Der moderne Okkultismus. Magie und Wissenschaft im 20. Jahrhundert", das er 1976 gemeinsam mit dem Mannheimer Strafrichter Wolf Wimmer veröffentlichte. Zusammen mit Irmgard Oepen traten Prokop und Wimmer in den 1980er Jahren öffentlich als Skeptiker auf. 1986 gaben Oepen und Prokop das Buch „Außenseitermethoden in der Medizin" heraus. Rouven Schäfer |
Prokop ist ein verdienstvoller Forscher mit einer sehr klaren Denkweise, auch wenn ich seine Wortwahl manchmal nicht ganz geglückt finde. So bezeichnete er etwa die Gesamtheit der unkonventionellen medizinischen Methoden als Okkultismus. Aber ohne seine Basisarbeit hätte ich meine spätere Tätigkeit nicht in dieser Breite fortsetzen können, wie es nach Gründung der GWUP möglich war. Ich denke da nur an sein riesiges Literaturverzeichnis - man muss sich vorstellen, dass dieses Mammutwerk noch ohne Computer erstellt und verwaltet wurde.
Wir haben gemeinsam ein Buch zum Thema Außenseitermedizin herausgeben (siehe Literatur-Kasten oben, die Red.) und über mehrere Jahre Vorträge gehalten, so hat sich schließlich auch das Fernsehen für mich interessiert.
Wie kam es dann zur Gründung der GWUP?
Durch Fernsehsendungen ist Amardeo Sarma auf mich aufmerksam geworden. Ich kannte ihn zuvor noch nicht, aber ich wusste vom Skeptical Inquirer, der Zeitschrift der amerikanischen Skeptiker-Organisation CSICOP (heute: CSI). Amardeo Sarma rief mich eines Tages an und frage mich, ob ich Präsidentin einer neu zu gründenden Gesellschaft werden wollte. Zu dieser Zeit lief gerade eine Hetzkampagne gegen mich - nicht, wie im Vorfeld befürchtet, von der Industrie, sondern von Kollegen. Anwender der kritisierten Methoden hatten sich bei der Bundesärztekammer (BÄK) über meine Kritik beklagt, denn ich hätte im Gegensatz zu ihnen überhaupt keine praktische Erfahrung mit den Methoden, wäre nur ein „Schreibtisch-Kritiker". Tatsächlich hatte ich im Auftrag der BÄK Fortbildungsseminare über diese Methoden geleitet und Doktorarbeiten zu den Themen vergeben. Die Kollegen aber vertraten die Ansicht, dass die Seminare in ihren Aufgabenbereich fielen und legten der BÄK 200 Unterschriften gegen meine Seminartätigkeit vor. Die Ärztekammer ist letztlich darauf nicht eingegangen, aber der Konflikt zog sich über zwei Jahre hin.
Ein Mediziner-Kollege etwa verleumdete mich in einem mehrseitigen Pamphlet als „Kuckucksei im Nest der Rechtsmedizin", andere Kollegen ließen mich im Stich. Zwar standen die Ärztekammer und die Mehrzahl der Kollegen immer noch auf meiner Seite, es war dennoch eine sehr harte Zeit. In dieser Situation kam Amardeo Sarmas Anfrage. „Ich werde Sie unterstützen, so gut ich kann", war meine Antwort, „aber ich weiß nicht, wie ich aus dieser Situation hervorgehen werde, und Sie haben außerdem dann gleich meine Feinde am Hals". Da meinte Herr Sarma nur: „Ihre Feinde können ruhig auch unsere Feinde werden."
Beim ersten Treffen in Darmstadt traf ich den Gießener Psychologieprofessor Robert König, der Vizepräsident der GWUP (damals: ASUPO) wurde. Ohne Robert König hätte ich meine Arbeit nicht durchführen können. Wir hatten verschiedene Schwerpunkte, beispielsweise stand er weniger in der Öffentlichkeit, betreute aber viele Diplomanden und war Dekan seiner Fakultät. Wir haben uns sehr gut ergänzt.
Auf dem Gebiet der Wissensvermittlung hat uns CSICOP wichtige Anregungen gegeben. Der Zauberkünstler James Randi weist damals wie heute immer wieder auf Täuschungsmöglichkeiten hin, an die Wissenschaftler in der Regel gar nicht denken, weil sie in der universitären Ausbildung kaum thematisiert werden. Für die GWUP hat Wolfgang Hund eine vergleichbare Rolle übernommen. Er besucht Schulklassen und zeigt, wie leicht sich mit Zaubertricks paranormale Kräfte vortäuschen lassen. Wolfgang Hund wurde für zwei Jahre vom bayerischen Kultusministerium vom Schuldienst beurlaubt, um ein Unterrichtskonzept zu erstellen, in dem Kinder Täuschungsmöglichkeiten kennenlernen, die eigene Geschicklichkeit trainieren und für Kritik gegenüber esoterischen Verführern sensibilisiert werden. Ich halte dies für ein sehr gutes pädagogisches Konzept, denn es verbindet Unterhaltung und Wissensvermittlung. In dieser interdisziplinären Herangehensweise liegt bis heute ein besonderer Reiz der GWUP-Arbeit.
An welche Ereignisse der ersten zwanzig Jahre GWUP erinnern Sie sich besonders gern?
Da wären vor allem die beiden ersten Konferenzen. Die erste GWUP-Konferenz fand 1987 in Bonn statt. Schon zur zweiten Konferenz reiste eine ganze Reihe von CSICOP-Aktiven auf eigene Kosten aus den USA, um zum Aufbau unseres Programms beizutragen. James Randi hat uns beim Wünschelrutentest 1990 wertvolle Unterstützung gegeben. (Siehe auch Skeptiker 1/91, S. 118-124, die Red.)
Wie reagierten die Anwender von unkonventionellen Methoden auf die Kritik der GWUP?
Ob Medizin oder Astrologie, immer geht es den Anwendern darum, ihre Methode vor Kritik zu retten. Dabei macht es keinen Unterschied, ob sie aus Unwissenheit und gutem Willen oder aus Kalkül beziehungsweise Geldgier handeln. Besonders tragisch ist es, wenn es aufgrund von falschen, unkonventionellen Behandlungen beziehungsweise wegen des Abbruchs von Erfolg versprechenden Therapien zu Todesfällen kommt.
Wenn Eltern für ihr krankes Kind solch eine Entscheidung getroffen haben, geht die Verleugnung manchmal so weit, dass sie es selbst nach der Obduktion nicht fertig bringen, den eigene Fehler einzugestehen, und stattdessen in der Gefolgschaft des Heilers bleiben. Derartige Katastrophen konnte auch die GWUP nicht verhindern, aber wir haben dazu beigetragen, dass Menschen in Not sich nicht so leicht von einem Heilsversprecher verführen lassen, sondern über das gewaltige Risiko informiert werden, und dann ihre Entscheidung treffen können.
Die Verbände beziehen selten klare Stellung zu unkonventionellen medizinischen Methoden. Worauf führen Sie dies zurück?
So ist es wohl immer schon gewesen, wenn es auch vereinzelt positive Beispiele gibt. Auch auf die Durchsetzung der Hygienemaßnahmen mussten wir noch lange warten, als die Grundlagen theoretisch schon bekannt waren. Die Abstellung solcher Zustände scheitert an verschiedenen Problemen, etwa an der Trägheit der Institutionen, Partikularinteressen und Lobbyismus und an Finanzfragen und Personalmangel.
Es braucht Geld und Personal, um Änderungen durchzusetzen, aber leider wird oft am falschen Ende gespart. Es ist generell so, dass die Macht nicht immer in der Hand der richtigen Leute liegt, und Mitarbeiter setzen oft ihren Job aufs Spiel, wenn sie gegen falsche Entscheidungen von Vorgesetzten protestieren. Deshalb ist es von entscheidender Wichtigkeit, dass eine neutrale Stelle wie die GWUP die Öffentlichkeit auf die Gefahren von unkonventionellen Behandlungsmethoden aufmerksam macht.
Wie sehen Sie die Zukunft der GWUP und des kritischen Denkens?
Die Situation dürfte sich auch in Zukunft kaum ändern. Die Menschen werden immer krank, werden immer sterben, Gelder werden unterschiedlich verteilt.
Wir müssen dafür sorgen, dass gleichmäßig für alle Teile der Gesellschaft gesorgt wird. Früher haben die Kirchen diese Aufgabe übernommen, aber deren Einfluss wird geringer. Wir müssen - ohne gegen die Kirche zu sein - dieses Erbe der Kirchen mit unseren wissenschaftlichen Kenntnissen vereinigen und weiterführen.
Eine wichtige Aufgabe für uns ist es, Überzeugungsarbeit zu leisten. Da sehe ich gute Chancen, denn die Argumente sind auf unserer Seite, und wer möchte schon hintenan bleiben? Ich bin zuversichtlich, dass wir genug Energie, Phantasie und Profil besitzen, um unsere Aufgaben auch in Zukunft zu erfüllen.
Dieser Artikel erschien im Skeptiker 3-4/2007.