Claus Schwing
Elfen, Feen und gute Geister, die klassischen Heilsbringer der Esoterik, geraten in Bedrängnis. Vertreter außerirdischer Kulturen, mit phantastischen Strahlenschiffen durch die Tiefen der Galaxis tingelnd, sind angetreten, die archaischen Fabelwesen abzulösen. Ihr Auftrag, so verkünden es die Wegbereiter des „Neuen Zeitalters", selbsternannte Auserwählte, die in mentaler Telekommunikation mit kosmischen "Geistlehrern" stehen: Es gelte, die Menschheit zu erlösen, den arg ramponierten Planeten Erde zu heilen - noch in dieser Generation.
“Mir war sofort klar, die sind nicht von unserer Welt". Was der jugendliche Himmelsspäher und mit ihm weitere Zeugen der unheimlichen Begegnung am sternenklaren Firmament gewahr wurde, inszenierte Michael Hesemann zum Höhepunkt des spiritistischen Spektakels: Die "galaktische Konföderation" schickte ihre Abgesandten. Über dem nächtlichen Himmel der bayerischen Kurstadt Murnau öffnete sich ein Kanal zum Kosmos. Unbekannte Flugobjekte (UFOs), verfolgt von Abfangjägern der bundesdeutschen Luftwaffe, gaben der Ersten Internationalen Channeling-Konferenz "Kanal zum Kosmos" Mitte Juni 1988 den gebührenden intergalaktischen Rahmen.
Hesemann, Organisator der viertägigen Konferenz und Herausgeber des Magazin 2000, einer "Monatszeitschrift für das Neue Bewußtsein", läßt keinen Zweifel aufkommen: Es sind mit Sicherheit unbekannte Flugobjekte gesichtet worden - Lichtarbeiter aller Länder vereinigt euch!" Über 500 Teilnehmer, Teilnahmegebühr 350 DM, bei Voranmeldung 280 DM, bereiten sich auf den Kontakt vor, begleitet von Sphärenmusik und Originalaufnahmen« von Geräuschen kreisender Plejaden-Raumschiffe des amerikanischen UFO-Propheten und ehemaligen NASA-Physikers Fredrick Bell. Freudige Erregung breitet sich im überfüllten Saal aus. Die "erste öffentliche Kontaktaufnahme" mit galaktischen Intelligenzen Magazin 2000) konnte beginnen.
Frank Alpers, promoviertes amerikanisches Starmedium und Gründer der "Arizona Metaphysical Society", wird konkret: Eine gigantische Raumschifflotte formiere sich über den Häuptern der Gläubigen, nur zwei Meilen über dem Kurgästehaus. In medialer Telekommunikation mit dem Raumschiffkommandanten des Mutterschiffs "Excalibur" verbunden, gibt er imposante technische Daten des kosmischen Vehikels bekannt: Es ist 3,5 Meilen breit und trägt über 100.000 Seelen." In ehrfürchtiger Erstarrung verharrend, wartet die Gemeinde auf den ersehnten Kontakt mit den Außerirdischen.
Was anfänglich wie die Jahreshauptversammlung der Freunde und Gönner des Perry-Rhodan-Fanclubs, des Weltraumhelden einer beliebten Groschenromanserie, erschien, entpuppte sich als Versammlung tief gläubiger Menschen. Der phantastische Spielfilm des amerikanischen Filmemachers Steven Spielberg, ,.Unheimliche Begegnung der Dritten Art", wird zur detailgetreuen Kopie einer Glaubenslehre. Visionen einer Zukunft, von phantasiebegabten Autoren in utopischen Romanen skizziert, werden Wirklichkeit. Die profanen Helden einer drittklassigen Science Fiction-Trivialliteratur avancieren zu lebenden Sternenwesen, willig, die Menschheit zu erlösen. Ihr Heiland ist ein Raumfahrer. Hesemann: "Wir schaffen uns unseren eigenen Realitätstunnel".
Stille im Saal. Wird der Kontakt gelingen? Mit geschlossenen Augen und halb geöffneten Händen bereitete sich die Schar der Gläubigen zum kollektiv gebündelten Energieausstoß und zu anschließender Empfängnis vor. Doch ganz ohne technische Hilfsmittel will das spiritistische Energiehappening, der energetische Höhenflug mit den Geistlehrern aus "anderen Winkeln der Galaxis" (Magazin 2000) nicht gelingen. Ex-NASA-Mitarbeiter Bell aktiviert seinen "Firestar Orbit", eine auf Anleitung von "Semjase", einer Bewohnerin des Siebengestirns der Plejaden, von ihm entworfene Pyramidenkonstruktion, die mit Hilfe eines Rubinlasers mentale Signale bündelt und ins All schickt.
Die Apparatur funktioniert. Die Sternenbotschaft kommt rüber. Der Kanal ist frei. Der ersehnte Kontakt zur ..Weltraumbruderschaft" ist hergestellt: Die vielen Energien, die vielen Strömungen - Ihr habt uns angezogen", übermittelt Andreas Schneider, ein deutscher Kontaktler, der selbstredend seit dem 13. Lebensjahr in telepathischem Kontakt mit Meistern der galaktischen Hierarchie stehe, die Botschaft von oben. Schneider, vor etlichen Jahren von der Jugendzeitschrift Bravo und dem Fernsehen entdeckt, gilt in der Szene als zugkräftige UFO-Nummer.
Der Bann ist gebrochen. "Ich weine vor Freude, unsere Freunde sind unterwegs, um uns zu helfen", haucht mit vibrierender Stimme eine Frau ihren kontaktbereiten Schwestern und Brüdern durchs Mikrofon entgegen. Ein Raumschiff sei vorbereitet, sie könne es körperlich fühlen. "Es liegt nur an uns, es herbeizuholen". Und in Verzückung geratend, ruft sie dem imaginären Raumschiffkommandanten zu: "Ich bin bereit, mein Freund, Du kannst kommen." Vor Sehnsucht fast vergehend, will sie ihn in ihre Arme schließen, ihn den großen "Ashtar-Sheran", Oberbefehlshaber einer 144.000 Schiffe umfassenden Raumflotte, der erstmals im Jahre 1956 von einem deutschen Medium „gechannelt" worden sei. Mit ihm in mentaler Telekommunikation verbunden, bringen die "Kanäle", wie sich die vorgeblich medial veranlagten Propheten des ,Neuen Zeitalters" nennen, die Gemeinschaft nahe an den Rand der Massensuggestion. Denn was zuvor der bundesdeutsche Kulturhistoriker und Ashtar-Sheran-Experte, Professor Konrad Dröse, als äußerst wahrscheinlich bezeichnet hatte, wird nun zur Gewißheit: Der smarte Kommandant schwebt mit seinem Weltraum-Strahlenschiff über Murnau, bereit zu landen.
Sind das die Vertreter einer Bewegung, die sich dem „Neuen Zeitalter" verschrieben haben? Sind die Propheten ihrer Botschaft raumschiffbemannte Sternenwesen hochstehender außerirdischer Kulturen, die die bedrängte Menschheit erlösen, eine "universelle Wahrheit" lehren? Ein Aspekt dieser schillernden, heterogenen New Age-Bewegung, und das wurde in Murnau jedenfalls offenkundig, ist das „Channeling". Channeling, auch Kanal-Sein genannt, ist die Übermittlung von Inspirationen aus vielfältig gearteten übersinnlichen Quellen. Vermeintlich medial begabte Menschen, Kanäle, empfangen Botschaften von im Universum vagabundierenden "Geistlehrern" versunkener irdischer oder gegenwärtig existierender kosmischer Hochkulturen. Wer sie gewahr wird, ist erleuchtet, wird Teil der "planetarischen Familie", ist ein Auserwählter. Oder wie es ein Erleuchteter in Murnau formulierte: "Ich bin in der göttlichen Versorgung".
An der zur Realität gewordenen Phantasiereise der Auserwählten könne, so die frohe Botschaft der Bewegung, prinzipiell jeder Mensch teilnehmen. Denn jedes menschliche Wesen sei eir, Kanal kosmischer Energie. Was bisher ein Privileg weniger Mystiker und Erleuchteter war, soll nun im Zeitalter des Wassermanns allen Menschen zuteil werden: Seine Unbegrenztheit, die völlige Einswerdung mit dem göttliche,-i Willen. Das Zeitalter des "Gottmenschentums" ist angebrochen. Der Mensch legt sein Ego ab, wird 7eil der kollektiven Erleuchtung und somit gottähnlich. Mehr noch, mehr noch! Mit gespreizten Fingern beider Hände schaufelt sich ein fast in Trance versunkener Jünger die Botschaft förmlich ein. la, "da kommt eine Energie rüber", konstatiert ein Kanal namens Kyala, "die geht weit über die Worte hinaus".
Alle Wirklichkeit findet im Kopf statt. Die materielle Welt ist lediglich eine Scheinwelt. Purer GeisT ist alles. Das ganze Universum, so die Vorstellung der New Age-Bewegung, ist ein einziges lebendes spirituelles Wesen, der Mensch ein Teil davon. Was für den Außenstehenden wie eine Anhäufung von Banalitäten klingt, wie Versatzstücke aus etablierten Erkenntnissen der Psychologie und Philosophie, wirkt auf die Schar der Gläubigen wie eine transzendentale Offenbarung. Und wer sich im metaphysischen Geraune verstrickt, "ist das meine Phantasie, oder ist das etwas, was von außen kommt?", im esoterischen Begriffswirrwar steckenbleibt, der wird belehrt. Da gebe es kein Konzept, "das sind alles Worte, die ein und dasselbe meinen", führt Helga Kahnert, deutscher Kanal und Leiterin der "Uranus-Schule praktische Pychosynthese", die wenigen um Begriffsabgrenzung bemühten Jünger wieder zurück in den kollektiven Gleichklang.
Über was soll man auch streiten, sich auseinandersetzen? Denken ist out. Fühlen ist in. Die Einswerdung ist angesagt: "Helga, du denkst zuviel", muß sich Kahnert von einem Jünger sagen lassen, als sie, welch Sakrileg, ihre Gedanken in Form einer simplen Graphik auf eine Tafel niederschreibt. Unangefochten dagegen darf Dorothea Dietzel ihre Botschaften unters esoterische Volk bringen. Seit zwei Jahren steht der deutsche Kanal aus Neuberg mit mehreren höheren Wesenheiten in mentaler Telekommunikation. Darunter eine Stimme, die vorgibt, Jesus Christus zu sein. Und in Murnau feierte eir, Paar sein Debut, das von Geistwesen einer versunkenen Kultur, lokalisiert in der Wüste Gobi, soeben erst heimgesucht wurde. Daß die in der Szene noch unerfahrenen Heimgesuchten beim Verlesen des "gechannelten" Manuskriptes ständig ins Stottern gerieten, die Aussprache der Fremdworte ihnen hörbare Probleme bereitete, ließ unter der "planetarischen Familie" keinerlei Argwohn aufkommen. Kanäle sind heilig. Sie zu kritisieren, kommt einer Blasphemie gleicn.
Was sind das für transzendentale Botschaften, die es der Menschheit zu übermitteln gilt? Janet McCluie, amerikanischer Kanal und selbsternannte "spirituelle Psychiaterin", läßt ihren "Geistlehrer" sprechen. Seine Botschaft: „Alles ist möglich, wenn ihr es zulaßt. Denk' positiv".
Ihr Geist, sie nennt ihn "Vywamus", ist zuversichtlich: "gemeinsam kreiert ihr hier einen neuen Anfang. Ihr, meine Geliebten, nennt es das neue Zeitalter. Und das wird jetzt, genau jetzt, von euch begründet." Und wer sind die Vertreter des "Neuen Zeitalters" auf Erden? Jean-Paul Beffort und ihr Geist wissen die Antwort. "Es wurde in einigen außerwählten Leuten spiralförmige Energie eingebaut."
Auserwählt fühlen sich alle, davon zeugt auch ihr sozialer Status. Und der läßt sich sehen. Einer Leserumfrage der New Age-Szenenzeitschrift Magazin 2000, das sich besonders dem Channeling verschrieben hat, vom Februar 1987 zufolge, verfügen 58 Prozent der Leser im Durchschnittsalter von 45 Jahren über ein monatliches Nettoeinkommen von 2000 DM, fast einem Viertel stehen über 4000 DM netto zur Verfügung. Dabei fallen auffallend häufig gebildete Menschen, etliche mit Promotion, dem kosmischen Angebot anheim. Fast die Hälfte, 44 Prozent, der Bezieher des Magazin 2000 können einen Hochschulabschluß vorweisen, 20 Prozent haben es bis zum Abitur geschafft. Annähernd ein Drittel sind Selbstständige oder Freiberufler. Ein Fünftel liest die Zeit, fast ebensoviele den Spiegel, jeweils 16% geben Philosophie Heute, Natur und den Stern als regelmäßge Lektüre an. Über ein Drittel besitzt mehr als 100, 28 Prozent zwischen 50 und 100 Bücher. Inhalt: New-Age, Esoterik und Psychologie. Zehn Prozent des Umsatzes im deutschen Buchhandel werden mit spiritueller Literatur erzielt. Sechs überregionale Zeitschriften, Magazin 2000, Hologramm, Astrologie Heute, Esotera, Das Neue Zeitalter und Bio Spezial, befriedigen die esoterisch-metaphysischen Bedürfnisse ihrer Klientel. Rund 40 Prozent meditieren regelmäßig und ein Fünftel sehen sich in einer "geistigen Nähe" zu Bürgerinitiativen angesiedelt. 69 Prozent sehen ihre Vorstellungen von keiner Partei, auch nicht den Grünen, repräsentiert. Und jeder Dritte will sein Leben an. den Inhalten der New Age-Bewegung ausrichten.
Ob diese Ausrichtung streng himmelwärts gerichtet ist, wurde nicht erfragt. In Murnau jedenfalls waren die Blicke gen Himmel gerichtet. Sehnsüchtig zum sternenklaren Nachthimmel gewandt, faßten sie sich an den Händen und bildeten Landekreise. Zwar zog das Flugzeug unbeeinflußt seine Bahn. Die ersehnte Landung des smarten Weltraumabgesandten fand nicht statt. Aus der angekündigten unheimlichen Begegnung der Dritten Art wurde nichts. Doch für etliche gab es keinen Zweifel mehr, das war ein UFO mit Landehemmungen. Aber in zwei Jahren, davon ist Kahnert überzeugt, ist es endgültig so weit: da "werden die ersten UFOs aus dem All hier landen". Niemand hegte Zweifel an der Botschaft.
Claus Schwing, Diplom-Ingenieur der Biomedizinischen-Technik, ist freier Wissenschafts-Journalist in Frankfurt.
Dieser Artikel erschien im Skeptiker 2/1988.