Flop mit Flipper
Rolf Degen
Als „Doc Delfin“, „Arzt in Grau“ oder schlicht „Wunderheiler“ werden Delfine in den Medien gefeiert. Denn angeblich sind die Meeressäuger hochintelligente und hilfsbereite Tiere, die vor allem zu seelisch kranken Kindern besondere Kontakte knüpfen. Sind die Heilserwartungen an die Delfin-Therapie gerechtfertigt?
Malte Oldermann aus Emden ist elf Jahre alt und sitzt im Rollstuhl. Seit seiner Geburt leidet er an Cerebral Parese, einer schweren Bewegungsstörung. Malte kann in Key Largo, Florida, an einer Schwimm- und Streicheltherapie mit Delfinen teilnehmen. Die Behandlungsplätze sind sehr begehrt – und teuer. Emdener Bürger haben für den kranken Jungen gespendet. Und so gleitet Malte Tag für Tag, getragen von einer Schwimmweste, mal hinter, mal neben dem Delfin Nicky durch das Wasserbecken. Karin und Walter Oldermann wünschen sich sehr, dass ihr Sohn nicht mehr so viel „zappelt“ und sich besser zu artikulieren lernt. Foto aus NDR-Reportage „Der Junge und der Delfin“
In grauer Vorzeit sollen sie Menschen gewesen sein und sich unbemerkt unter ihresgleichen aufgehalten haben. Doch dann stiegen sie auf Weisung des Gottes Dionysos ins Meer hinab, um trotz ihrer Fischgestalt unsere treuen Freunde zu bleiben. Den Delfinen mit ihrem steten Lächeln auf den Lippen wird in der Philosophie des New Age eine einzigartige, animalische Spiritualität unterstellt. Die verbreitete Hoffnung, die heiligen Kühe des Meeres könnten schwer gestörten Kindern großen therapeutischen Segen bringen, hat sich jedoch als famoser Schlag ins Wasser entpuppt.
Delfinen und Walen wurden in den vergangenen Jahren ungeahnte mentale Kapazitäten angedichtet: Ein Sprachsystem mit hoch stehender Syntax und Semantik sollen die Meeressäuger besitzen. Delfine würden das Leid Ertrinkender erfühlen und umgehend Leben retten. Der englische Psychiater und Delfin-Guru Horace Dobbs behauptete gar, seine Schützlinge würden „nur Liebe kennen und auf einer spirituellen Ebene die Ozeane reinhalten“.
Die aufgeputschtesten Hoffnungen richten sich seit einiger Zeit auf die „Delfintherapie“, die der amerikanische Psychologe David Nathanson Ende der siebziger Jahre in Florida erfand. Das Schwimmen mit den sanften Kolossen, hatte Nathanson beobachtet, setze Angst, Stress und motorische Unruhe herab. Die Tiere, deren Physiognomie an das fröhliche Lachen eines unbekümmerten Menschen erinnert, könnten die Tür zum abgeschotteten Innenleben seelisch kranker Kinder öffnen.
Regelmäßig springen uns in den Medien seitdem Berichte von den sensationellen Therapieerfolgen entgegen, die „Doktor Flipper“ in einem der internationalen Delfinzentren erbracht haben soll. Nicht selten sind die Schlagzeilen in der Boulevardpresse mit Spendenaufrufen („Letzte Hoffnung für den kleinen Dominik“) verknüpft. Die Behandlungskosten von rund 12 500 Euro werden schließlich nicht von der Krankenkasse ersetzt. Allein der Anblick eines Delfins komme einer Erleuchtung gleich, macht eine Werbebroschüre diese Investition schmackhaft.
„Die Liebe und hohe Intelligenz dieser Tiere verändern den Menschen“, gerät das „Delphines Centre“ auf den Bahamas ins Schwärmen. Eltern, deren Kinder unter Autismus, Spastik oder Down-Syndrom leiden, fahren auf solche Heilsversprechen ab. Aber auch erwachsene Patienten mit unheilbarem Krebs oder chronischen Schmerzen lassen sich auf eine Wasserwunderheilung ein.
Aus einer soliden wissenschaftlichen Theorie lässt sich dieser positive Einfluss nicht ableiten. Die einen verweisen auf die fast telepathische Gabe der Meeressäuger, per Ultraschall den Gemüts- und Gesundheitszustand abzutasten. Die etwas banalere Erklärung geht dahin, dass das berühmte „Lächeln“ und Schnattern eine positive Stimmung bei den kleinen Patienten erzeugt, unterstützt durch das Wasser und das sonnige Klima. In den USA existiert eine Stiftung namens Aqua Thought, die sich der medizinischen Heilwirkung der Tümmler verschrieben hat. Mit einem mobilen EEG leiteten die Stiftungsforscher die Hirnwellen von Patienten ab, die gerade ein paar Runden mit den Delfinen drehten. Die Zacken im Ausdruck deuteten auf einen relaxten Zustand des Gehirns hin. Allerdings lässt sich der gleiche Grad an Entspannung auch durch das Kuscheln mit einem Hund oder einer Katze – oder schlicht durch ein heißes Bad – erreichen. Menschen, die horrende Summen für das mentale Äquivalent eines heißen Bades bezahlen, müssen sehr verzweifelt sein.
Auch die angeblich dramatische Linderung von Autismus oder dem Down Syndrom hält der empirischen Prüfung nicht stand. Nur bei 30 Prozent der behandelten Kinder, so das Ergebnis der statistischen Auswertung, führte die Delfintherapie eine Besserung herbei, die selten länger als wenige Tage anhielt. Dabei geht aus der Literatur hervor, dass zwischenmenschliche Interaktionsprogramme oder positives Verstärkungslernen in 65 Prozent aller Fälle eine günstige Wirkung haben.
Manche Kritiker aus der Tierschützer-Szene finden das Flipper-Idyll ohnehin alles andere als herzerwärmend. Seit langem werden Delfinarien mit Skepsis betrachtet. „Delfine leiden in Gefangenschaft sehr“, sagt die Biologin Petra Deimer von der Gesellschaft zum Schutz der Meeressäugetiere. „Ihr Echolot, mit dem sie im Meer ihre Umgebung auskundschaften, stößt sofort an Grenzen. Sie verkümmern zu Behinderten.“
Im Meer können die Tiere einige hundert Kilometer am Tag zurücklegen. Im monotonen Nürnberger Delfinbecken dagegen misst die Strecke zwischen den türkisblau getünchten Betonwänden 15 Meter. Während die Lebenserwartung frei lebender Delfine bei 20 bis 30 Jahre liegt, halten die gefangenen Artgenossen im gechlorten Wasser im Durchschnitt nur 16 Jahre durch.
Viele Zoos in Europa verzichten unter dem Druck der Öffentlichkeit bereits auf die Delfinhaltung. Auch der Berliner Psychologe Rainer Brockmann, Fachmann in Sachen tiergestützter Psychotherapie, hält solche Projekte für überflüssig: „Forschungen mit Delfinen haben in unserem Lebensraum keinerlei Perspektive“, empört sich der Psychologe. Die „Eisbrecherfunktion“, die Delfinen im Umgang mit kontaktgestörten Menschen nachgesagt wird, sei bei landestypischen Vierbeinern, die auf dem Trockenen leben, längst gut belegt.
Der Stress durch die Nähe des Menschen kann die Flipper sogar dazu bringen, auszuflippen. Den Besuch von Delfinzentren halten die Experten zwar für ungefährlich, da dort mit gefangenen, trainierten Tieren gearbeitet wird. Viele Ausflugsboote dagegen fahren zu wilden Delfinen, locken sie mit Futter an und lassen ihre Gäste dann zu den Meeressäugern ins Wasser. Dutzende, bislang eher kleinere Verletzungen sind dabei schon registriert worden. Manche Schwimmer wurden unter Wasser gezogen; eine Frau lag eine Woche im Krankenhaus, nachdem sie ihr Bein aus dem Maul eines Delfins reißen musste, wie sie Reportern berichtete. Und in Brasilien soll 1994 ein Delfin sogar einen Menschen, der ihn quälte, durch einen Kopfstoß getötet haben.
Das Bild vom friedlichen Tümmler wurde in der letzten Zeit ohnehin durch einige unappetitliche Entdeckungen erheblich angekratzt. An den Ufern der schottischen Moray-Förde stranden immer wieder Kadaver von Schweinswalen und Delfinen. Vor allem junge Tiere werden an den Strand gespült. Die innerlich schwer verletzten Tiere wurden offenbar von ausgewachsenen Delfin-Männchen regelrecht niedergemetzelt. Die Wissenschaftler vermuten, dass Delfin-Männchen gezielt den Nachwuchs fremder Väter töten. Der Infantizid (Kindesmord) soll wohl dazu dienen, die eigenen Begattungschancen bei den plötzlich kinderlosen Weibchen zu erhöhen. Die artfremden Mordopfer, die in etwa die Körpergröße eines jungen Delfins besitzen, dienen entweder als „Trainingsobjekte“ oder aber die Tümmler verwechseln sie mit Jungtieren ihrer eigenen Spezies, die ihren Hochzeits- und Paarungswünschen im Wege stehen.
Die Verhaltensforscherin Rachel Smolker von der Universität Michigan hat bei Delfin-Männchen zur großen Enttäuschung vieler Flipper-Freunde sogar einen Hang zu sexueller Gewalt entdeckt: Manchmal verfolgen Gruppen von männlichen Delfinen ein Weibchen, kreisen es ein und vergewaltigen es. Wenn andere Männchen die drangsalierten Delfin-Damen befreien wollen, um sich selbst mit ihnen zu paaren, schließen die Gangs sich kurzfristig zu Superallianzen kleiner Gangs zusammen, die nach Zählungen bis zu 14 Männchen umfassen. Solche großen Gruppen garantieren ihren Mitgliedern praktisch den Sieg. Doch der Irrglaube an den notorisch „guten“ Delfin ist bei vielen Gläubigen durch nichts zu erschüttern, diagnostiziert der britische Evolutionsbiologe Matt Ridley. Als vor einiger Zeit Delfine vor der Küste Schottlands sogar Schildkröten angriffen, schrieben „Experten“ dieses „abweichende“ Verhalten einer irgendwie gearteten Umweltverschmutzung zu – eine Unterstellung, für die sie nicht den geringsten Beweis hatten. Ridley: „Das Negative wird einfach ausgeblendet, das Positive romantisch verklärt.“
Nicht einmal die viel gerühmte, erhabene Intelligenz der Delfine hat den Test der Zeit bestanden. Der Biopsychologe Onur Güntürkün von der Bochumer Ruhr-Universität und der Nürnberger Verhaltensforscher Lorenzo von Fersen, die am argentinischen Meeresinstitut „Mundo Marino“ die Gehirne und Intelligenzleistungen von Delfinen untersuchten, legten ein ernüchterndes Fazit vor: Die vermeintlichen Schlaumeier der Meere müssen demnach eher als minderbemittelt eingestuft werden. Bei der Untersuchung des stattlichen, stark gefurchten Gehirns stellte sich heraus, dass es im Verhältnis zur Größe weniger Nervenzellen besitzt als das einer Ratte. Auch bei den einschlägigen Labortests sind die Tümmler recht begriffsstutzig. Monate dauert es, bis sie etwa gelernt haben, ein Dreieck von einem Viereck zu unterscheiden.
Auch mit der praktischen Intelligenz der Wale und Delfine ist es offenbar nicht weit her: Sie verfangen sich in Treibnetzen und kollidieren mit Supertankern. „Falls Grönlandwale mit ihrem ,hochraffinierten’ Wahrnehmungsapparat riesige Schiffe übersehen, muss das Wort ,hochraffiniert’ neu definiert werden“, sagt der Engländer James Hamilton-Paterson von der Royal Geographical Society.
Dieser Artikel erschien im "Skeptiker", Ausgabe 2/2002.