Wie die moderne Physik missbraucht wird, um esoterische Medizin und Politik zu begründen.
Teil 2
Martin Lambeck
Rolf Froböse und das Universum
Die Quantenverschränkung ist ein Phänomen aus dem Bereich der subatomaren Teilchen. Eine neue Anwendung der Quantenverschränkung präsentiert Dr. Rolf Froböse in Zusammenhang mit seinem Buch "Die geheime Physik des Zufalls" (Froböse 2008):
Der Urknall hat nicht nur das bekannte Universum mit seinen Sternensystemen, sondern auch ein geradezu geniales Kommunikationssystem hervorgebracht. Dieses folgt den Gesetzen der Quantenphysik und ermöglicht einen permanenten Informationsaustausch. Da neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft zufolge diese Kommunikation mit unendlich hoher Geschwindigkeit stattfindet, schließen Forscher nicht mehr aus, dass es im Universum hoch entwickelte Zivilisationen gibt, die sich dieses Prinzips bedienen und über ein galaktisches Internet in Echtzeit miteinander kommunizieren. Es klingt nach Esoterik, ist aber das Nonplusultra der modernen Physik. (1)
Seine Aussagen verdeutlicht er in einem Interview für das Presseportal Readers Edition anlässlich der Veröffentlichung seines Buches "Der Lebenscode des Universums. Quantenphänomene und die Unsterblichkeit der Seele" (Froböse 2009), wo es heißt:
Readers Edition: In Ihrem Buch geht es vorrangig um Quantenphysik. Worin liegt für Sie der besondere Charme dieses Teilgebietes der Physik? Froböse: Es ist die Tatsache, dass die Quantenphysik über das Verschränkungsprinzip den Schlüssel bereithält, um das letzte und größte Geheimnis des Lebens zu ergründen. Da die seit dem Urknall über den gesamten Kosmos verteilten Teilchen auf geheimnisvolle Weise voneinander "wissen", kommunizieren sie untereinander und stimmen sich ständig gegenseitig ab. Und das Faszinierendste: Wir sind keine Zaungäste, sondern vielmehr selbst aktive Teilnehmer dieses im wahrsten Sinne des Wortes universellen Dialogs! (2)
Günter S. Hanzl und die Bioresonanz-Verschränkung
Dieses holistische Weltbild wird auch zur Erklärung der Schwingungs-Fernmedizin, wie der Bioresonanz, herangezogen. Der deutsche Arzt Dr. Günther S. Hanzl hat völlig richtig erkannt, dass die Bioresonanz sowie ähnliche Verfahren eine Revolution von Physik und Medizin bedeuten, und daher ein Buch geschrieben mit dem programmatischen Titel "Das neue medizinische Paradigma". Hanzl versucht keineswegs, diese Revolution mittels einer neuen, bislang unbekannten Wissenschaft zu begründen, sondern er unternimmt es, die Revolution auf die schon bekannte Physik, nämlich das EPR-Phänomen, zu stützen.
Hieraus leitet Hanzl eine "nichtlokale" Verbindung der Gegenstände ab. Bei der Elektroakupunktur nach Voll wird ein Medikament in geschlossener Ampulle dem Patienten in die Hand gegeben oder in die Messwabe eines Gerätes gesteckt. Hierdurch sollen die medizinischen Eigenschaften des Medikaments in Bezug auf den Patienten festgestellt werden (siehe dazu auch Ostendorf 2009).
Zur Begründung der erstaunlichen Tatsache, dass das Medikament wirken soll, obwohl es mit dem Patienten gar nicht in Kontakt kommt, greift Hanzl auf die quantenphysikalische Verschränkung und ihre Deutung nach Capra zurück. Hanzls Begründung für die Fernmedizin entspricht genau Capras Aussage von der quantenphysikalischen Fernwirkung.
"Nicht-lokale Wechselwirkungen wirken augenblicklich und ohne Verzögerung, da ja zwischen den Objekten nicht-lokaler Verknüpfung weder Materie noch Raum eine Rolle spielen kann. Sie sind — bei beliebiger Distanz — in der nichtlokalen
Realität ungetrennt!" (Hanzl 1995, S. 86). „Die universelle vernetzte Kausalität (...) bewirkt, (...) dass alles mit allem in Beziehung steht (Hanzl 1995, S. 135). Das ganze Universum ist ein Hologramm“ (Hanzl 1995, S. 137, Hervorhebungen im Original, M.L.) Hierzu hatte ich schon im Skeptiker 1/09, S. 15, Stellung genommen.
Hans-Peter Dürr und das Potsdamer Manifest
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass Hanzl sich noch einer zweiten Autorität bedient. Im Vorwort heißt es: "deutet diese Physik doch darauf hin, dass es im Grunde keine Realität gibt." (Hanzl 1995, S. 11, Hervorhebung im Original, M.L.)
Das Vorwort stammt von Prof. Hans-Peter Dürr PhD. Dürr war Schüler und Mitarbeiter von Heisenberg und als dessen Nachfolger Direktor des Max-Planck-Instituts für Physik. Durch seinen Einfluss auf die Abrüstungspolitik ist er mittelbar am Friedensnobelpreis (1995) beteiligt. Er ist Gründer des Global Challenges Network, Mitglied im Club of Rome, Träger des Alternativen Nobelpreises (1987), des Großen Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland und Ehrenbürger der Stadt München.
Zur Erklärung des obigen Satzes muss ich in die Fachausdrücke der Physiker einsteigen. Sehr vereinfacht geht es um Folgendes: Wir sehen zwei Teilchen, eins hier, das andere auf dem Jupiter. Nun nehmen wir an, dass eine Messung an dem hiesigen Teilchen nur lokal auf dieses Teilchen wirkt, nicht aber gleichzeitig auf das Teilchen auf dem Jupiter. Das nennt man "lokal". Außerdem nehmen wir an, dass die Eigenschaften eines Teilchens schon real feststehen, bevor sie gemessen werden. Das nennt man "realistisch".(3) Daher ist die klassische Physik "lokal-realistisch". Das ist die Physik des "gesunden Menschenverstandes".
Aber die Quantenphysik ist, das haben viele Experimente gezeigt, nicht "lokal-realistisch". Die Physiker diskutieren darüber, welche der Eigenschaften aufgegeben werden muss: Die Lokalität, die Realität oder eine bis jetzt noch unbekannte Kombination dieser Eigenschaften. Diese Frage wird heute in der Grundlagenforschung der Physik intensiv bearbeitet. Dabei diskutieren Physiker untereinander in ihrer Fachsprache und wissen, dass sie vom Quantenbereich sprechen.
Aber Dürr überträgt diese Aussage in die Alltagssprache, indem er sagt: Es gibt im Grunde keine Realität. Ich halte es für unzulässig, einen Begriff aus der Fachsprache der Physiker in die Alltagssprache im Vorwort eines Medizinbuches zu übertragen. Mindestens frage ich: "Wenn es keine realen Patienten mit realen Krankheiten gibt, wozu brauchen wir dann überhaupt eine Medizin?"
Im Jahr 2005 feierte man die hundertste Wiederkehr des Jahres, in dem Einstein mit drei grundlegenden Arbeiten die Manifest geschrieben, das in Kurzfassung lautet: "Ein Brückenschlag zwischen Quantenphysik, Ökologie und Philosophie zeigt Vielfalt, Unterschiedlichkeit und Wandel als genuin in unserer lebendigen Welt, unverzichtbar für unsere Evolution. Kreativität, Differenziertheit wie Verbundenheit sind ureigenste Charakteristika des Lebendigen. (4)
Das Potsdamer Manifest fordert: "Wir müssen lernen, auf neue Weise zu denken." Ein Beispiel für dieses neue Denken gibt Dürr unter der Überschrift "Lebendige Identitäten – Holistische Aspekte der Identität" :
'Lebendige Identität' meint eine intrinsisch nicht-auftrennbare, dynamische nicht isolierte, statische Identität. 'Lebendige Identität' soll zum Ausdruckbringen, dass, weil alles in ständigem Wandel ist, wie es das deutsche Wort 'Wirklichkeit' vermittelt, so etwas wie 'Identitäten' im strengen Sinne gar nicht zulässt, im Gegensatz zu einer verstümmelten Wirklichkeit, einer 'Realität' die auf isolierter Objektivierung,auf statischer Dinglichkeit, aufbaut. Die moderne Physik hat uns im Gegensatz zur klassischen Physik die Einsicht gegeben, dass es eine Wirklichkeit ist, aus dem unsere Welt 'entspringt' und nicht die uns geläufigere und lebensdienlichere, energetisch-materiell-mechanistische Realität das solide Fundament ist, auf dem sie errichtet wird. (5)
Die physikalische Begründung hierfür lautet im Potsdamer Manifest:
Die im Grunde offene, kreative, immaterielle Allverbundenheit der Wirklichkeit, erlaubt die unbelebte und auch die belebte Welt als nur verschiedene – nämlich statisch stabile bzw. offene, statisch instabile, aber dynamisch stabilisierte – Artikulationen eines 'prä-lebendigen' Kosmos aufzufassen. (…) Der einzelne Mensch, wie alles Andere auch, bleibt prinzipiell nie isoliert. Er wird im allverbundenen Gemeinsamen in seiner nur scheinbaren Kleinheit zugleich unendlich vielfältig einbezogen und bedeutsam. In all unserem Handeln wirkt die Vielzahl von Einflüssen und Impulsen anderer Menschen und unserer Geobiosphäre mit, und nicht nur über die durch unsere Sinne vermittelte Brücke materiell-energetischer Wechselwirkungen, sondern auch direkt über die allen gemeinsame immaterielle potenzielle Verbundenheit. (6)
Daher frage ich: Was ist eine "immaterielle Allverbundenheit der Wirklichkeit", was ist ein "allverbundenes Gemeinsames", was ist eine "allen gemeinsame immaterielle potenzielle Verbundenheit", was ist ein "prä-lebendiger Kosmos"?
Das holistische Weltbild hatte ich bereits im Zusammenhang mit der Hufelandgesellschaft kritisiert (Lambeck 2009) und an dessen Stelle mein nichtholistisches Weltbild entwickelt, das ich nesistisch genannt habe. Damit haben Sie auch jetzt die Wahl zwischen zwei Weltbildern: "Holismus" oder "Nesismus". Eine echte Alternative.
Das Potsdamer Manifest will aber nicht nur ein Weltbild definieren, sondern auch zum Handeln aufrufen. Die Wahrheit ist immer konkret: Bleiben wir in Potsdam: Der Potsdamer Landtag hat ausführlich über die zukünftige Energieversorgung Brandenburgs diskutiert. Die Alternative war: Russisches Erdgas oder Brandenburger Braunkohle. Oder denken wir an andere konkrete politische Entscheidungen: Sollte Helmut Schmidt der Erpressung der Entführer von Hanns Martin Schleyer nachgeben? Sollte Angela Merkel den Dalai Lama empfangen? Ich kann dem Potsdamer Manifest keine Richtlinie zur Entscheidung derartiger Fragen entnehmen.
Dürr geht von der Quantenphysik, also von einer Beschreibung der Natur aus, leitet daraus aber die Forderung ab, auf neue Weise zu denken. Das erscheint mir als ein Schluss vom Sein auf das Sollen, der philosophisch unzulässig ist. Somit erscheint mir das Potsdamer Manifest physikalisch und philosophisch fragwürdig sowie als Handlungsrichtlinie wenig hilfreich.
Anmerkungen:
(1) http://www.kultura-extra.de/extra/feull/buchtipp_froboese_die_geheime_physik_des_zufalls.php, Zugriff am 24.10.2010.
2 http://www.readers-edition.de/2009/04/02/interview-der-lebenscode-des-universums/, Zugriff am 08.11.2010.
3 http://de.wikipedia.org/wiki/Bellsche_Ungleichung, Zugriff am 08.11.10.
4 http://vdw-ev.de/manifest/, Zugriff am 08.11.2010.
5 http://www.auditorium-netzwerk.de/AutorInnen/Duerr-Hans-Peter/Duerr-Hans-Peter-Lebendige-Identitaeten-Holistische-Aspekte-der-Identitaet::3241.html, Zugriff am 14.11.2010.
6 http://vdw-ev.de/manifest/manifest_de.pdf, Zugriff am 08.11.2010.
Literatur
Froböse, Rolf (2008): Die geheime Physik des Zufalls. Quantenphysik und Schicksal – kann die Quantenphysik paranormale Phänomene erklären? Books on Demand, Norderstedt.
Froböse, Rolf (2009): Der Lebenscode des Universums. Quantenphänomene und die Unsterblichkeit der Seele. Lotos Verlag, München.
Hanzl, Günther S. (1995): Das neue medizinische Paradigma. Theorie und Praxis eines erweiterten wissenschaftlichen Konzepts. Haug Verlag, Heidelberg.
Lambeck, M. (2009): Was tun 20 000 Ärzte? Die Hufelandgesellschaft, das holistische Weltbild und ein Gegenentwurf. Skeptiker 1/2009, 11-17.
Ostendorf, G. M (2009): "Erfahrung" statt Evidenz? Kritische Anmerkungen zur Eklektroakupunktur nach Voll (EAV). Skeptiker 3/2009, 146-148.