Wie die moderne Physik missbraucht wird, um esoterische Medizin und Politik zu begründen
Teil 1
Martin Lambeck
In einem bekannten deutschen Verlag ist ein Buch über ein medizinisches Verfahren erschienen, das ich aus physikalischen Gründen für unmöglich halte. Daraufhin habe ich den Lektor gefragt, ob er dieses Verfahren für möglich und die Physik für falsch halte. In seinem Antwortschreiben heißt es: "Wir beobachten in der Medizin immer wieder Phänomene, für die wir keine Erklärung bereit halten – sei sie physikalisch, biochemisch, psychologisch begründet oder welcher Art auch immer. Spätestens seit Albert Einstein und Werner Heisenberg hat die Physik gelernt, sich mit Phänomenen des Paradoxon intensiv auseinanderzusetzen, dies zeichnet sie unter allen Wissenschaften aus."
Wir finden hier eine Argumentation, die uns durch die Artikelserie hindurch begleiten wird: Die moderne Physik, insbesondere ihre Paradoxien, soll jede gewünschte Aussage der esoterischen Medizin und Politik begründen. Einige Beispiele werden im Folgenden vorgestellt.
Quanten-Paradoxien
Die moderne Physik, also Relativitätstheorie und Quantenphysik, bieten viele Phänomene, die unserer Alltagserfahrung widersprechen und uns daher als paradox erscheinen. Sehen wir uns einige davon an: Ein Skiläufer fährt auf einen Baum zu, teilt sich, fährt sowohl links als auch rechts um den Baum herum und setzt sich danach wieder vollständig zusammen. Das erscheint uns paradox. Aber so sind die Quanten!
An diesem Bild können wir schon einiges lernen. Der Skifahrer kommt als ein Körper, als ein Teilchen, an, aber dann verhält er sich wie eine Welle, die um ein Hindernis herum laufen kann. Das nennt man den Welle-Teilchen-Dualismus der Quantenphysik. Dieses Verhalten als Welle und als Teilchen tritt jedoch nur auf, wenn nicht bekannt ist, ob das Teilchen links oder rechts vorbei geht.
Denn jetzt kommt das Überraschende: Wenn man weiß, ob es links oder rechts vorbei gegangen ist, verhält es sich nicht mehr wie eine Welle, sondern nur noch wie ein Teilchen. Dieses "Wissen" wird als Beobachter-Effekt bezeichnet.
In der klassischen Physik hätte man erwartet, dass sich der Skiläufer entweder rechts oder links vom Baum befindet. In der Quantenphysik ist jedoch beides möglich.
Also sagt man, dass in der Quantenwelt die klassische Entweder-Oder-Logik nicht mehr gilt. Man spricht daher von einer Quantenlogik, die auch ein "Sowohl-Als-auch" kennt. Diese Quantenlogik wurde in der Physik und Mathematik untersucht. In der klassischen Physik hätte man gesagt, man könne sowohl die Bahn des Teilchens (also links oder rechts) als auch seine Geschwindigkeit kennen. In der Quantenphysik ist das nicht mehr so, vielmehr gibt es Paare von Größen, die miteinander verbunden sind. Diese Verbindung besagt: Je mehr vom einen, desto weniger vom anderen. Größen, die durch eine solche Beziehung miteinander verbunden sind, nennt man "komplementär".
Walter Köster und die Quantenlogik
In der Quantenphysik gibt es eine Logik des Sowohl-Als-Auch. Auf diese "Quantenlogik" stützt Dr. med. Walter Köster, Professor für Homöopathie an der Universität Sevilla, seine Deutung der Homöopathie. Zur Förderung dieser Ideen wurde die Gesellschaft für Quantenlogische homöopathische Medizin QLM e.V. (1) gegründet. Köster entfaltet eine breite Öffentlichkeitsarbeit; er trat u. a. viermal in der Fernsehsendung von Jürgen Fliege auf.
"Die Gesellschaft für Quantenlogische Homöopathische Medizin QLM e.V. ist ein Zusammenschluss quantenlogisch homöopathisch tätiger Ärzte und Zahnärzte zur Erforschung, Vertretung und Verbreitung der Quantenlogischen Homöopathischen Medizin. Alle Mitglieder der QLM e.V. haben eine umfassende homöopathische Ausbildung; die ordentlichen Mitglieder zusätzlich ein 2-jähriges Masterstudium an der Universität Sevilla bzw. ein 3-jähriges Curriculum an der Universität Heidelberg mit erfolgreicher Prüfung abgeschlossen." (2)
Das physikalische Grundproblem der Homöopathie, die Wirkung einer nicht vorhandenen Substanz, kann auch durch Kösters Argumentation nicht gelöst werden. Sondern ich sage: Die Quantenphysik ist die Lehre von der Materie, die vorhanden ist – nicht von der, die nicht vorhanden ist. Es wäre interessant zu erfahren, was die Universität Heidelberg dazu sagt.
Maya-Kalender
In 2 1/2 Jahren, genauer am 22. Dezember 2012, wird die Menschheit in ein neues, kosmisches Zeitalter eintreten, weil an diesem Tag der Maya-Kalender abläuft (siehe auch Skeptiker 1/2009, S. 21-25). Darauf sollte man sich schon gut vorbereiten. Dieser Vorbereitung diente die Tagung "Lebenskraft", die vom 5.-8. März 2009 in Zürich stattfand.
"Zum Jahr '2012' werden bekannte Referenten das kosmische und mystische Verständnis der Mayas erläutern und dieses mit den Erkenntnissen von Astrologie, Astronomie und Quantenphysik verbinden." (3)
Fritjof Capra und der Beobachter
Einen Sprung machte die Deutung der Quantenphysik durch die Bestseller-Bücher von Fritjof Capra. Sehen wir uns zunächst an, wie Capra (Capra 1986, S. 90, 91) die Rolle des Beobachters versteht: "Das entscheidende Kennzeichen der Quantentheorie ist, dass der Beobachter nicht nur notwendig ist, um die Eigenschaften eines atomaren Geschehens zu beobachten, sondern sogar notwendig, um diese Eigenschaften hervorzurufen. Meine bewusste Entscheidung, wie ich beispielsweise ein Elektron beobachten will, wird bis zu einem gewissen Maße die Eigenschaften des Elektrons bestimmen. (...) Das Elektron besitzt keine von meinem Bewusstsein unabhängigen Eigenschaften.
Nach Auflösung der doppelten Verneinung lautet der Satz: "Alle Eigenschaften des Elektrons hängen von meinem
Bewusstsein ab". Nach dieser Deutung hat der Beobachter die Macht, mit seiner bewussten Entscheidung Eigenschaften hervorzurufen.
Ulrich Warnke und die Quantenphilosophie
Diese Lehre wird nun auch auf die Medizin angewendet. In der Zeitschrift Komplementäre und Integrative Medizin schreibt Dr. Ulrich Warnke (Warnke 2007) von der Universität des Saarlandes unter der Überschrift "Quantenphilosophie – Grundlage der Urheilung. Subjekt und Objekt sind untrennbar – Materie existiert nur in Verbindung mit dem Geist".
Eine solche Sicht kann ich weder zeitlich noch räumlich bestätigt finden. Aus der Geologie wissen wir, dass schon vor hunderten von Millionen Jahren, also lange vor dem Auftreten des Menschen, z. B. die Fische im Wesentlichen genau so aussahen wie heute. Also müssen Physik, Chemie und Biologie damals genau so abgelaufen sein wie heute. Ebenso kennen wir aus der Astronomie Objekte, die Hunderte von Millionen, ja sogar Milliarden Lichtjahre entfernt, also noch nie mit einem Menschen in Berührung gekommen sind. Trotzdem sehen wir, dass dort Physik und Chemie genauso ablaufen wie heute bei uns.
Warnke hebt besonders hervor: "Das Meer aller Möglichkeiten ist überall und gleichzeitig (also ohne jede Zeitdifferenz an
allen erdenklichen Orten). Es ist in jedem von uns, in aller Materie der Erde und Natur und ebenso in der Atmosphäre und im gesamten Kosmos." (Warnke 2007, S. 43) Das ist wieder ein ganzheitliches Weltbild.
Nach dem griechischen Wort "holos" für "ganz", nennt man dieses Weltbild "holistisch", das uns in späteren Folgen noch mehrfach begegnen wird. Diese Aussage kann ich weder physikalisch nachvollziehen, noch kann ich erkennen, wie auf der Grundlage dieser Aussage irgendeine Krankheit geheilt werden könnte.
Anmerkungen:
(1) http://www.qlm-online.de
(2) http://www.qlm-online.de/fileadmin/user_upload/flyer_kollegen.pdf
(3) http://kedarvideo.wordpress.com/2009/02/20/lebenskraft-zurich-2009-aufbruch-in-eine-neue-zeit/]
Literatur
Capra, F. (1986): Wendezeit. Scherz, Bern/München/Wien.
Warnke, U. (2007): Quantenphilosophie – Grundlage der Urheilung. Subjekt und Objekt sind untrennbar – Materie existiert nur in Verbindung mit dem Geist. Komplement. Integr. Med. 07/2007, S. 42-46.