Claus Schwing
Magische Heilungsangebote finden Zuspruch, okkulte Medizin ist en vogue. Explosionsartig breitet sich eine parareligiöse Okkultszene aus, deren Glaubensheilungstechniken die wissenschaftliche Medizin herausfordern. Ärzte und Theologen forderten auf der Medizinmesse MEDICA, Mitte November 1985 in Düsseldorf die Errichtung einer zentralen Meldestelle für durch Wunderheiler geschädigte und betrogene Opfer.
Das Ergebnis der Kollekte war ansehnlich: 470 000 DM, eingetrieben von der Heilungsprophetin Erika Bertschinger, alias Uriella, Gründerin einer pseudoreligiösen Okkultsekte bei drei Gottesdiensten in Egg bei Zürich, an denen jeweils nur rund 120 Besucher teilgenommen hatten. Etwa 1300 DM mußte demnach jeder Besucher der Veranstaltung ausgegeben haben, auf denen kleine Fläschchen, gefüllt mit einem Wunderelixir, verkauft wurden, die natürlich auf Krankenschein nicht erhältlich sind. Krebs, so lautet die angstauslösende falsche Botschaft, werde von jedem Tier, insbesondere der gemeinen Stubenfliege, übertragen. Die Wundermedizin findet reißenden Absatz. Denn die selbsternannte Prophetin diagnostiziert auf ihren Messen bei fast allen ihren Anhängern Krebs, den sie mittels der 60 DM teueren Tinktur therapiert.
Keine Angst dagegen hatten Münchener Mitglieder einer fernöstlichen Glaubensrichtung namens „Reiki“, als sie kurz nach der Tschernobyl-Katastrophe radioaktiv kontaminiertes Frischgemüse konsumierten. Mittels eines magischen Ritus „entstrahlten“ sie den hochbelasteten Feldsalat - mit ihren Händen. “Es ist möglich, uns in unseren Schwingungen aufwärts z-u entwickeln, so daß die relativ dazu niedrige Frequenz radioaktiver Strahlung uns kaum beeinflussen kann“, zitiert der Münchener Theologe Friedrich Wilhelm Haack die lebensgefährliche Gebrauchsanweisung des Würzburger Arztes Dr. Manfred Doepp. Wer so einen atomaren Supergau schadlos überstehe, folgert Haack, werde wohl mit so „geringwertigen Krankheiten“ wie Krebs und AIDS spielend fertig - dank Glaubenskraft. Zum Preis von 298 DM wird ein Amulett, ein „Nuklear-Rezeptor“, vertrieben, der vor mannigfaltigen Widrigkeiten des täglichen Lebens schützen soll. Entwickelt von dem amerikanischen Physiker Fredric Bell, soll das in „neun verschiedenen Frequenzen“ erhältliche Umhängsel mit frei wählbarem „Filterstein“ die Körperzellen vor den Folgen der Umweltvergiftung schützen. Werbetext: „Luft- und Wasserverschmutzung und vergiftetes Essen zerstören unser Hormonsystem, welches uns eigentlich in einen höheren Bewußtseinszustand bringen soll.“
Ob Geistheiler magische Scheinoperationen durchführen, Scharlatane okkulte Krankheitsbesprechungen praktizieren, Gesundbeter auftreten oder mit Hilfe von Amuletten paranormale Heil- und Schutzkräfte übertragen werden, „hier werden Hoffnungen. geweckt, die nicht erfüllt werden“, sagt Haack. Heilungsratschläge okkult medizinischer Rezepte „finden sich in nahezu allen Neuprophetenreligionen“, die sich gegenwärtig „explosionsartig“ verbreiteten, und zwar durch diese magischen Glaubensheilungstechniken. Auf dem Höhepunkt des philippinischen Wunderheil-Tourismus reisten in einem Zeitraum von zehn Jahren jährlich etwa 50.000 Heilung Suchende nach Manila, die ihre letzte Hoffnung auf fremde Heiler gesetzt hatten. Über 27 000 DM investierten die Eltern ihres an einem unheilbaren Hirntumor erkrankten Kindes, um es von dem philippinischen Geistheiler Angelo behandeln zu lassen. Das Kind starb Ende 1982, wie es die behandelnden Ärzte prognostiziert hatten.
Dabei ist die Reise in fernöstliche Länder nicht vonnöten. Wunderheiler sind auch in der Bundesrepublik anzutreffen. Sie bedienen sich oftmals fremdländischer Begriffe. entliehen aus östlichen Glaubensinhalten, um ihrer Geschäftemacherei einen magisch exotischen Nimbus zu verleihen. So beklagte sich die in Indien geborene englische Journalistin Gite Mehta in ihrem 1979 erschienenen Buch „Karma Cola“ über die naive Vulgarisierung von Begriffen und Praktiken der Hindu-Religion durch westliche Adepten. „Rauschhafte Erregungen, mit denen man jeden verirrten Gedanken als Weisheit ausgibt“, zeichneten die Assimilanten aus. Mehta: „Die Leute nahmen ihre Gurus, wo sie sie fanden.“ Joga, im Westen als eine Art Gymnastik verkauft und praktiziert „ist die Kunst zu sterben“ und nicht die zu leben, verweist Haack auf den illegitimen Umgang, auf Verdrehung und Vermarktung religiöser Konzepte außerwestlicher Kulturkreise. Haack: „Ich würde mich dagegen verwahren, wenn Christentum als Therapie gegen Zahnschmerzen verkauft würde.“
“Es kommt nicht darauf an, daß der Heiler glücklich wird, wie oft zu hören ist, sondern daß dem Patienten geholfen wird“, kritisiert die Marburger Ärztin und Universitätsprofessorin Irmgard Oepen das Geschäft mit außerrationalen Heilungsangeboten. Wenn, wie geschehen, magische Edelsteine dem Patienten als Alternative zu einem Herzschrittmacher angeboten werden, „Energietransfusionen“ und , „Bioenergie“-Apparaturen, Talisman und Amulett die ärztliche Kunst ersetzen sollen, dann, so Oepen, sei die wissenschaftliche Medizin gefordert, aufzuklären. Es sei unredlich, ja höchst bedenklich, therapeutische Pläne auf solch irrealen Vorstellungen aufzubauen. Oepen: "Was ich versuche zu verhindern, ist, daß der nicht informierte Patient in eine 'Falle' läuft." Daß sich mitunter auch die Schulmedizin suggestiver Praktiken bedient, ist für Oepen demgegenüber durchaus akzeptabel: „Bei jeder Therapie ist ein Maximum an Placeboeffekt (Scheinbehandlung) mit erwünscht.“ Dieser Effekt werde von jedem guten Arzt bei Bedarf, beispielsweise durch Einfluß seiner Persönlichkeit, als Zugabe zur spezifischen Therapie oder als schonendes Verfahren zum Beispiel bei Warzenbehandlungen genutzt. Doch suggestive Methoden in der Hand des Arztes dürften nicht dazu führen, von der Nutzen-Risiko-Abwägung abzuweichen. „Wir können auf den Wirksamkeitsanspruch nicht verzichten“, beispielsweise in bezug auf Phytotherapeutika (pflanzliche Arzneimittel), die teilweise erhebliche Nebenwirkungen aufwiesen und für die derzeit „viel zu lasche Zulassungskriterien“ gelten.
“Solange unsere Gesellschaft Gesundheit als einen Zustand der Fähigkeit zur Partizipation an der Konsumgesellschaft beschreibt“, solange, sagt Haack, „werden wir die Tür öffnen für alles, was sich in diesem pseudospirituellen Bereich tut.“ Magische Heilung ist meist mit einer magischen Bedrohung vergesellschaftet. „Menschen, die zu magischen Heilern gegangen sind“, zieht Haack das Resümee seiner 20-jährigen Forschungsarbeit in Sachen Okkultismus, „sind am Ende magisch erpreßt worden.“ In Abhängigkeit geraten, würden diese Opfer aus Angst zahlen, weil sie niemanden haben, mit dem sie sich aussprechen können. Haack: „Das ist spirituelle Unzucht mit Abhängigen.“
Dieser Artikel erschien im Skeptiker 2/1989.