Das Geheimnis homöopathischer Potenzen gelüftet
Irmgard Oepen
Die Verfechter der Homöopathie sahen sich in ihrer Lehre bestätigt. Antikörper sollen eine biologische Reaktion selbst dann hervorrufen, wenn sie in einer wässrigen Lösung derart verdünnt sind, daß kaum eine Chance besteht, daß sich in jeder Probe auch nur ein einziges Molekül befindet." Endlich, so jubelten die Homöopathen, hat ihre Philosophie die langersehnte wissenschaftliche Anerkennung gefunden. Doch ihr Jubel war nur von kurzer Dauer.
In der angesehenen Zeitschrift Nature wurden im Juni dieses Jahres "unglaubliche" Befunde einer französischen Forschergruppe um den Pariser Biologen Jaques Benveniste veröffentlicht. Danach soll extrem verdünntes Antiserum gegen das Immunglobulin IgE, das - bei richtiger Durchführung der Verdünnungsprozedur - kein einziges Antikörper-Molekül mehr enthalten dürfte, dennoch mit besonderen weißen Blutkörperchen (basophilen Granulozyten, die mit IgE beladen waren) reagiert haben. Die Reaktionen seien nicht immer, sondern nur in periodischen Intervallen aufgetreten. Entscheidend für das Vorkommen des unerklärlichen Effekts sei gewesen, daß das Antiserum bei jedem Verdünnungsschritt zehn Sekunden lang heftig geschüttelt wurde. Bei einer Verdünnung ohne begleitendes Schütteln sei das Antiserum ineffektiv geblieben. Dieses Vorgehen ist in der Immunologie unüblich und entspricht der Vorschrift für die Herstellung homöopathischer Arzneien.
Die Ergebnisse des Pariser Teams waren von Forschern aus vier weiteren Instituten in Israel, Italien und Kanada bestätigt worden. Da demnach erstmals biologische Effekte in „physikalischer Abwesenheit" derjenigen Moleküle bewiesen worden seien, ohne die eine solche Reaktion normalerweise nicht abläuft, sprachen die französischen Wissenschaftler bereits von einer "metamolekularen" Biologie.
Das "Unglaubliche" rief bei den Lesern der Zeitschrift lebhafte Reaktionen hervor. Verständlicherweise glaubten Anhänger der Homöopathie, daß nun endlich Beweise für ihre Lehre erbracht worden seien. So sah z.B. der homöopathische Arzt Reilly aus Glasgow, auf den sich Benveniste und Koautoren bereits berufen hatten, in den Pariser Ergebnissen eine Bestätigung seiner Befunde. Er hatte mit seinen Mitarbeitern 1986 in der Zeitschrift Lancet eine Studie veröffentlicht, in der Pollenantigen bei Patienten mit Heufieber wirksam gewesen sei und zwar ebenfalls in so extremer Verdünnung, in der - bei richtiger Zubereitung - kein Molekül der Ausgangssubstanz mehr enthalten sein konnte. Bezug nehmend auf Benvenistes periodische Aktivitäten räumte Reilly ein, daß seine Erfolge auch wechselhaft gewesen seien.
Dies war ihm jedoch ebenso wenig wie den Pariser Autoren Anlaß, seine Befunde zu überdenken und die Versuchsanordnung zu prüfen. Vielmehr bot er für dieses Phänomen" spekulative Erklärungen von gegensätzlichen Faktoren an sowie von einem Gedächtnis des Wassers (memory in water)“. Auch der Düsseldorfer Akupunkturarzt Gabriel Stux ist überzeugt vom Unglaublichen" und spricht von einem eindeutigen Beleg für die Wirkung von Lösungen, die keine molekulare Wirksubstanz mehr enthalten." Aber auch kritische Leserbriefe kamen bei der Nature-Redaktion an. So erörterten belgische Autoren, daß beim Pipettieren Spritzer des Antiserums in andere Tüpfel einer Mikrotiterplatte gelangt sein und das Ergebnis verfälscht haben könnten. Vom Institut Pasteur in Paris kam der Einwand, daß mit dem Schütteln des oberflächenaktiven Antiserums Reaktionen mit Spurenelementen stattgefunden haben könnten. Ferner sei vor 15 Jahren schon einmal ein "Superwasser" propagiert worden, das sich als "tricky artefact" erwiesen habe. Die wichtigste Kritik kam jedoch aus Zürich und betraf die statistische Auswertung der Ergebnisse. Denn die Standard-Abweichung des Mittelwertes stehe nicht in Einklang mit der angegebenen Zahl der gezählten Zellen. Daraus könne man entnehmen, daß es sich nicht um einwandfreie Untersuchungen handelt. Sie seien jedenfalls kein Anlaß, "unser intellektuelles Erbe aufzugeben". Das hatten die Herausgeber der Zeitschrift als Konsequenz definiert, falls Benvenistes Befunde zuträfen.
Des Rätsels Lösung wurde jedoch durch drei kritische Untersucher gefunden, die sich im Einverständnis mit Benveniste und seinen Mitarbeitern die Versuchsanordnung im Pariser Laboratorium zeigen ließen und dann drei doppelblinde Versuche durchführten. Es handelte sich um den Herausgeber der Zeitschrift Nature, John Maddox, den Zauberkünstler James Randi, der u.a. vor 14 Jahren die Tricks des Löffelbiegers Uri Geller entlarvt hatte, und einen amerikanischen Arzt und Spezialisten für Wissenschaftsbetrug, Walter Stewart. Das Ergebnis der Versuche war vernichtend: Unter kontrollierten Bedingungen blieb der "metamolekulare" Effekt aus. Die stark verdünnten Antiseren reagierten nun so normal, wie es nach naturwissenschaftlichen Gesetzen zu erwarten ist, und riefen keine Reaktionen mit basophilen Granulozyten hervor. Die Prüfer stellten gravierende Mängel in der Versuchsanordnung sowie in bezug auf die statistische Auswertung fest. Dem französischen Team war z.B. der Begriff der methodischen Fehlerbreite überhaupt unbekannt. Vor der Veröffentlichung dieser peinlichen Tatbestände wurde es Benveniste freigestellt, seine Ergebnisse zu widerrufen oder abzuschwächen. Er machte jedoch von diesem Angebot keinen Gebrauch und verglich vielmehr das Kontrollverfahren mit einer "Hexenjagd".
Das Pariser Ergebnis steht in Einklang mit dem negativen Resultat einer Studie "zum Wirksamkeitsnachweis der Homöopathie", die 1982 bis 1986 im Auftrag des Bonner Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit an der Universität Kaiserslautern von dem Physiker Popp durchgeführt wurde. Der angestrebte Beweis sollte mit Hilfe "ultraschwacher" Zellstrahlung erbracht werden, die von biologischen Substraten in Form von kleinsten Lichteinheiten, sogenannten Photonen, von Popp "Biophotonen" genannt, ausgesendet werden. Der Physiker mußte am Ende seiner Untersuchung zugeben, daß Substrate ab einer "Potenz D3", die einer Verdünnung 1:1000 entspricht, "keine verläß1iche Aussage über das Ansprechen des biologischen Systems mehr zulassen." Dementsprechend ist mit dem angewendeten Modell gerade über die in der Homöopathie relevanten hohen Verdünnungen bzw. Potenzen nichts anzufangen.
Popp erklärt zum Abschluß seines Forschungsberichts resignierend, daß weder ein Beweis für das Simileprinzip noch für die Potenzierungsregel, zwei Hauptprinzipien der Homöopathie, geliefert werden konnte. In den USA haben ähnliche Erkenntnisse dazu geführt, daß das das Forschungs- und Lehrprogramm des Hahnemann Medical College in Pennsylvania aufgegeben wurde. Der Lehrplan für Medizinstudenten am Hahnemann-Institut entspricht heute dem klassischen Lehrplan der Universitäten - ohne Propagierung der Homöopathie. Der Titel Dr. med. homöopath. kann bereits seit 1952 nicht mehr erworben werden (Hopff). Dessen ungeachtet hat die „Akademie für Homöopathie und Naturheilverfahren" in Celle, die auf Initiative des niedersächsischen Sozialministers Hermann Schnipkoweit gegründet wurde, regen Zulauf. Die Apotheker Zeitung vom 25.7.1988 berichtet, -daß in den zurückliegenden zwölf Monaten mehr als 1300 Ärzte an 37 verschiedenen Kursen teilgenommen hätten, davon über 1000 Ärzte an Kursen für Homöopathie. Mit den von dieser Akademie angebotenen "Schnellkursen" soll vor allem Berufsanfängern und arbeitslosen Ärzten innerhalb von drei Monaten eine Chance gegeben werden (Gesundheitspolitische Umschau vom März 1987, S.66). Demnach rücken Homöopathen neuerdings vom Anspruch einer intensiven Ausbildung und Sammlung von Erfahrungen vor Anwendung einer homöopathischen Behandlung ab.
Nach Ansicht des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte soll sich die Homöopathie auch als "Entwicklungshilfe für viele Länder der Dritten Welt" eignen (Gesundheitspolitische Umschau vom Juni 1986, S. 137). Ein Echo von Seiten der Entwicklungshilfe-Organisationen zu diesem Vorschlag ist noch nicht bekannt. Wen wundert es bei dieser Situation, daß der Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte, Dr. med. Karl-Heinz Gebhardt, kürzlich mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde (BNN)?
Literatur:
[1] BENVENISTE, J.: Schlußwort. Nature 334, 291, 1988.
[2] BNN: Bundesverdienstkreuz für Dr. med. Karl Heinz Gebhardt - Wegbereiter der Homöopathie gewürdigt. Homöopathie aktuell S. 5,1988 / H.l.
[3] DAVENAS, E., BEAUVAIS, F., AMARA, J., OBERBAUM, M., ROBINZON, B., MIADONNA, A., TEDESCHE, A., POMERANZ, B., FORTNER, P.. BELON. P., SAINTE- LAUDY. J., POITEVIN, B., BENVENISTE, J.: Human basophil degranulation triggered by very dilute antiserum against IgE. Nature 333, 81b, 1988.
[4] HOPFF, W.H.: Der Neomystizismus in der Medizin. Beispiel Homöopathie. Wien. med. Wschr. 137, 542, 1987.
[5] Leserbriefe zur Publikation DAVENAS, E. u.a.: Explanation of Benveniste. Nature 334, 285, 1988.
[6] MADDOX, J., RANDI, J., STEWART, W.W.: .,High-dilution" experiments a delusion. Nature 334. 287, 1988.
[7] POPP, F.A.- Bericht an Bonn. Ergebnisse eines Forschungsauftrags zum Wirksamkeitsnachweis der Homöopathie. Verlag für Ganzheitsmedizir, (Essen) 1986.
[8] REILLY, D.T., TAYLOR, M.A., McCHARRY, C., AITCHISON, T.. Is homoeopathy a placebo response? Controlled trial of homoeopathy potency, with pollen in hayfever as model. Lancet 1986/11, 881.
[9] STUX, G. Kein Zweifel. Welt v. 2.8.1988, S.17.
Irmgard Oepen ist Ärztin und Universitätsprofessorin für Rechtsmedizin an der Universität Marburg und Präsidentin der GWUP.
Dieser Artikel erschien im Skeptiker 2/1988.