Claus Schwing
Ein Phantasieprodukt wird zur Geschäftsgrundlage: Erdstrahlen." Vorträge, gebührenpflichtige Hausbegehungen und der Verkauf von obskuren Schutzgeräten füllen die Kassen der Scharlatane. Aufgewertet durch das "Erdstrahlen"-Projekt des Bundesministeriums für Forschung und Technologie, blüht das Geschäft mit der Angst.
Mittwoch, 26. Oktober 1988. Groß-Umstadt, ein kleiner hessischer Ort in der Nähe von Darmstadt Manfred Siebert hat zu einer öffentlichen Veranstaltung im Gasthof "Zum Lamm" eingeladen - per Inserat. Thema:"Vorsicht Erdstrahlen!" Es ist eine jener ungezählten Veranstaltungen, die der 50jährige aus Memmingen in seiner nunmehr 22jährigen Tätigkeit als Handelsreisender ins Sachen Erdstrahlen durchführt. Manfred Siebert, Radiästhesist und Rutengänger, ist nicht der einzige, der an diesem Tag mit der Angst hausieren geht. Er hat Konkurrenz, wie den Nürnberger Erdstrahlenjäger Dieter Bratenstein, der in gleicher Mission und mit gleicher Masche durch die Republik zieht. Mit den beiden sind etliche andere auf DeutschlandTournee - Jahr für Jahr.
Die meisten kann Siebert nicht ausstehen. Sie schadeten der Sache, da sie ungenaue Messungen durchführten und sogar vor "unseriösen" Methoden nicht zurückschreckten, wie magische Hufeisen unter die Betten ihrer Kunden zu legen. Es ist kein einfaches Leben. Tag für Tag der gleiche Vortrag, Woche für Woche ein anderer Gasthof in einer anderen Stadt. Sobald eine Region "durchgekämmt" ist, geht es weiter. Doch der Aufwand lohnt sich. Rund 50 Groß-Umstädter folgten Sieberts Aufruf am Nachmittag. Nochmals 50 kamen zur Abendvorstellung, wollten zum Eintrittspreis von 5 DM Näheres darüber wissen, wie man den..Erdstrahlen" ausweichen, sich vor ihnen schützen kann. Erlös der beiden MittwochVeranstaltungen: 500 DM. Kein schlechter Tagesumsatz für zwei Vorträge à zwei Stunden.
Doch Siebert hat Ausgaben. Allein die Agentur, die seine Auftritte managed und die Anzeigen aufgibt, kostet eine Menge Geld; nicht zu vergessen die Reise- und Übernachtungskasten. Nein, von Vorträgen allein können er und sein junger Helfer nicht leben. Der Ausweg aus der finanziellen Klemme: "jeder Besucher hat die Möglichkeit, eine radiästhetische Haus- oder Wohnungsvermessung zu beantragen," so ist es in seinen Veranstaltungs-Anzeigen zu lesen. Darauf weist er auch am Ende seines Vortrags hin, verteilt Anmeldekarten und erhält fast die Hälfte sofort ausgefüllt zurück. Von 100 Veranstaltungsbesuchern. überschlägt Siebert, erhalte er im Durchschnitt 35 "Kontakte." Preis für die Dienstleistung vor Ort: 95 DM. Das Angebot ist eine Woche gültig, danach kostet der okkulte Service gut das Dreifache.
Eine Teilnehmerin entscheidet sich für das Sonderangebot. Denn Risse im Putz, Ameisen im Haus und dann diese zuvor noch nie gespürten Gelenkbeschwerden, das alles, von Siebert zuvor in seinem Referat erwähnt, deute auf eine akute Gefährdung durch "Erdstrahlen" hin, glaubt die ältere Frau, die Ursache ihres Leidens nun erkannt zu haben, während sie das Anmeldeformular ausfüllt. "Ich will investieren, bevor ich voreilig mein neues Bett rauswerfe, nur weil es möglicherweise am falschen Ort steht." Sie ist nicht das einzige Opfer der Angstkampagne mit den "Erdstrahlen," ein moderner Ersatz für die Krankheitsdämonen früherer Zeiten. Nicht nur Ameisen, sagt Siebert, auch Mücken, Bienen oder Katzen seien "Strahlensucher." Wo sie sich bevorzugt aufhalten, müsse mit einer "Erdstrahlenquelle" gerechnet werden. Ganz anders verhielten sich Hunde, Vögel sowie Stalltiere. Wenn sie bestimmte Orte meiden, sei das nicht verwunderlich. "Diese Lebewesen sind Strahlenflüchter" und geben angeblich ebenfalls wichtige Hinweise für gesundheitsbeeinträchtigende Strahlen. Doch genauen Aufschluß könne nur der Wünschelrutengänger geben. Die versammelte Landgemeinde horcht auf. "Erdstrahlen“, da ist sich der Memminger Rutengänger ganz sicher, sind gefährlich: "Sie können praktisch alles bekommen, jede Krankheit." Denn dort, wo Erdverwerfungen Störungen des allumfassenden "Globalgitternetzes" hervorrufen, würden "Krebsbetten" entstehen. Und die, warnt Siebert eindringlich, "suchen sich die Schwachpunkte im Körper."
Zweifel? Siebert bittet einen Besucher auf die Bühne und schließt ihn an eine Apparatur an. "Da bekommen Sie einen Schreck, was da für Werte rauskommen." Und in der Tat, dort wo Siebert mit überkreuzenden Zollstöcken eine Störzone am Boden markiert hat, schlägt das zuvor ruhig tickende Gerät plötzlich wild aus. Selbst in der hintersten Reihe sind die schrillen Warntöne vernehmbar. Die Apparatur, ein handelsübliches Gerät zur Elektroakupunktur, ist nichts weiter als ein elektrisches Widerstandsmeßgerät. Kleinste Positionsänderungen der Prüfspitze, auf die Hand des Probanden aufgesetzt, genügen, um von dem Ohmmeter den gewünschten Wert z-u erhalten. Einige durchschauen den Trick. Doch die meisten Zuschauer sind beeindruckt.
Kritische Teilnehmer, sagt Siebert, habe er in jeder Veranstaltung sitzen. Doch in der letzten Zeit "wächst das Interesse, die Leute sind weniger skeptisch, sie sind wacher, aufgeweckter und nicht mehr so abweisend." Die Ursache für den wachsenden Zuspruch: Veronica Carstens und dem "Erdstrahlen"-Projekt des Bundesministeriums für Forschung und Technologie habe er viel zu verdanken, sagt Siebert.
Auch wenn die Forschungssumme von rund 400.000 DM nicht gerade viel ist," so sei die Initiative doch zu begrüßen, fördere sie doch seine Arbeit. In anderen Ländern sei man viel weiter, wie beispielsweise in der Sowjetunion. Da gibt es ganze Lehrstühle" und Spezial-Kliniken, in denen Erdstrahlengeschädigte, von der Schulmedizin aufgegeben, erfolgreich behandelt werden, behauptet Siebert dreist, denn mit der Wahrheit nimmt er es nicht allzu genau. Siebert: "Es wird höchste Zeit, daß das auch bei uns anfängt." Höchste Zeit wird es auch für den Wünschelrutengänger Siebert. Gut 50 Besuche muß er in den nächsten Tagen in Groß-Umstadt absolvieren, "bei der die ganze Familie anwesend sein soll." Denn je mehr Personen er pro Zeiteinheit beeindrucken kann, desto höher ist die Weiterempfehlungsquote. 4750 DM wird ihm die Störstrahlensuche inklusive Bettumstellung bringen, die Weiterempfehlungsgeschäfte nicht einberechnet. In zwei bis drei Tagen müßte das zu schaffen sein.
Und wenn die "ehrlichen Messungen" (Siebert) mit Wünschelrute und Elektroakupunktur gar Schreckliches ans Tageslicht bringen? Wenn weder die Bettumstellung, noch die Installation eines Netzfreischalters fürs feldfreie Schlafzimmer oder gar die Verbannung so mancher elektrischer Geräte aus dem Haushalt fruchten? Dann offeriert Siebert sein Magnetfeld-Taschengerät mit Schutzdecke zum Preis von 980 DM. Geschätzter Großhandels-Einkaufspreis der nutzlosen batteriebetriebenen Miniapparatur: höchstens 100 DM. Die Herstellungskosten dürften bei etwa 15 DM liegen.
Dieser Artikel erschien im Skeptiker 1/1989.