Den Uneingeweihten - und anscheinend sichert unser Erziehungssystem, daß sie die große Mehrheit sind – kommt Wissenschaft wundersam und unnahbar vor. mit geringem intellektuellem Aufwand jedoch ist fast jeder in der Lage, an ihren Bausteinen teilzuhaben. Dies macht die Wissenschaft potentiell zu einem ausgleichenden menschlichen Unterfangen. Wäre dies erkannt worden, zumindest nach dem 2. Weltkrieg, dann wäre CSICOP (Arm. d. Übers.: Committee For The Scientific Investigation Of Claims Of The Paranormal) heute unnötig. Heute, da sogar hohe Regierungsbeamte, Industriemanager, Verleger und Redakteure erschreckende Unbildung im Bereich diesen überragenden Antriebs moderner Zivilisation zeigen.
Wissenschaft ist vielmehr ein intellektuelles Werkzeug als eine Ansammlung von Fakten. Sie ist das wirksamste Instrument, das jemals mit menschlichem Verstand zur Lenkung des Schicksals erdacht wurde. Im Gegensatz dazu erfordern die meisten Religionen unkritischen Glauben, stille Hingabe an das irdische Schicksal und vor allem, daß keine Fragen gestellt werden. Zum Ausgleich wird dem Gläubigen zugesagt, daß all seine Mühsal eines Tages zu einem Ende kommt, gefolgt von einem Leben nach dem Tode unter Bestrafung oder Belohnung, abhängig von seinem Verhalten auf Erden ewige Verdammnis für den Bösen und ein idyllischer Himmel für den Rechtschaffen.
Wissenschaft bietet keine solch wirksamen Versicherungen. Sie kann nur einigen Einblick in eine physische Welt während der irdischen Reise des Menschen und vielleicht etwas Kontrolle über sein augenblickliches Los anbieten. Durch da.9 Fehlen eines rationalen Ansatzpunktes kann die Wissenschaft keine Hilfe zu den Fragen nach der Existenz einer richtenden Gottheit oder nach einem Leben nach den Tode leisten. Es sollte selbstverständlich sein, daß ethische Grundsätze, erreicht durch Erfahrung über Jahrtausende, maßgebend sein müssen, gleich ob eine Gottheit existiert oder nicht. Würde Mord ohne die Zehn Gebote irgendwie mehr annehmbar sein? Der Übergang von der Hoffnung auf ein Leben nach dem Tode zur Hoffnung für das Diesseitige stellt vielleicht die aufregendste gegenwärtige Veränderung in den menschlichen Erwartungen dar. Die Wissenschaft zieht den Schleier der Unkenntnis und den Aberglaubens, zur Seite, um diesen Übergang zu erleichtern.
Es ist kein Wunder, daß die intellektuelle Kraft der Wissenschaft so vielen Angst macht; kein Wunder, daß daher Erziehungssysteme ihr weltweit widerstanden haben und sich ihr weiter widersetzen, auch wenn dies selten, wenn überhaupt, eingestanden und im Gegenteil aus verschiedensten Gründen entschuldigt wird. Aber vielen Leuten, die sogar eine oberflächliche Bekanntschaft mit anerkannter Wissenschaft entwickeln, werden abgeschreckt, zumindest entmutigt oder. verärgert durch elitäre und herablassende Anmaßungen, die von zu vielen ihrer sich öfter öffentlich äußernden Vertreter an den Tag gelegt werden.
Das muß nicht so sein! Es gibt ein grundlegendes Prinzip der Wissenschaft, das einen wichtigen und unmittelbaren, äußerst nützlichen Einfluß auf alltägliche Dinge menschlichen Daseins hat. Dieses herausragende geistige Werkzeug der Wissenschaft wird "Ockhams Kriterium" genannt. Wie viele Erkenntnisse wurde es vor langer Zeit erstmals im Mittelalter formuliert, obgleich es in verschiedenen Formen in älteren und neueren Texten auftaucht, wie bei dem Theologen Durand de Saint-Pourcin im 13.Jh., oder später bei Galileo zur Verteidigung der Planeten-Hypothese.
Wilhelm von Ockham war ein einflußreicher katholischer Philosoph des 14.Jh. Er erzeugte in der Kirche einigen Wirbel, wurde exkommuniziert und starb vermutlich an der Pest während der großen Epidemie von 1349. Ockham ist verbunden mit seinem berühmten Denk-Kriterium durch die Feststellung des folgenden Prinzips:
„Entitia non sunt multiplicanda praeter necessitatem“
Ungefähr übersetzt bedeutet das, daß Dinge nicht über das Notwendige hinaus vervielfacht werden sollen, und das auch so wiedergegeben werden kann: "Man soll aus einer Mücke keinen Elefanten machen." Es behauptet, daß der Wahrheit eine zurückhaltende Überlegung gewöhnlich am nächsten kommt oder daß die einfachste Erklärung für eine Beobachtung am wahrscheinlichsten die richtige ist.
Die ehrliche und einfache Anwendung dieses Prinzips auf pseudowissenschaftliche Behauptungen würde rasch die meisten davon vergessen lassen, ihre Aufsteller würden von frustrierenden emotionalen Belastungen befreit, und die Verschwendung von Kräften könnte fruchtbareren Aufgaben zugeführt werden. Bisher hielten UFO-Beobachtungen, das Bermuda-Dreieck, Biorhythmus, Astrologie, das Ungeheuer von Loch Ness, PSI-Phänomene und ähnliche einer genauen Anwendung von Ockhams Kriterium in der Trennung von Tatsachen und Erfindungen nicht stand.
Wissenschaft beruht auf einem Grundstock langsam und gewissenhaft gesammelter, stimmiger Beweise, hervorgegangen aus sorgfältiger Beobachtung und wiederholter Prüfung von Hypothesen, damit anhaftende menschliche Vorurteile stets ausgeschlossen werden können. Nur wenn eine Hypothese gezeigt hat , daß sie alle beobachteten Daten einschließt, wird es möglich, die Regeln formaler Logik auf sie anzuwenden und Schlüsse zur Vorhersage aus ihr abzuleiten. Jeder rational Denkende ist willkommen, sich dem Anliegen der Wissenschaft anzuschließen. Um Mitglied zu werden, gilt es, keine Bekenntnisse abzulegen, nur die Vernunft anzuwenden.
Elie A. Shneour ist Direktor des Biosystems Research Institute, La Jolla, Kalifornien.
Nach Elie A. Shneour in "The Sceptical Inquirer" 12 S. 310 (1986). Mit Erlaubnis auszugsweise aus dem Amerikanischen übersetzt von C.H. Roß.
Dieser Beitrag erschien im "Skeptiker" 1/1987.