Zusammenfassung
Die körperlichen Übungen der Edu-Kinestetik sollen Lese- und Rechtschreibprobleme bei Kindern ebenso verschwinden lassen wie Sprachstörungen und Verhaltensauffälligkeiten. Darüber hinaus verspricht die Edu-Kinestetik eine allgemeine Leistungssteigerung. Von ihren Verfechtern fälschlich als ganzheitliche Reformpädagogik gefeiert, hat sich die Edu-Kinestetik inzwischen in Schulen, Volkshochschulen, sogar in der Lehrerfortbildung etabliert. Doch die erhofften Wirkungen konnten nicht nachgewiesen werden. Auch die zugrunde liegende Theorie erweist sich bei näherer Betrachtung als obsolet. Der Mix aus mystischen Vorstellungen von „Energiebahnen im Körper“ und veralteten neurologischen Ansätzen ist eher mechanistisch gedacht als ganzheitlich. So blendet die Edu-Kinestetik die konkrete Lebenssituation des Einzelnen völlig aus. Auch ein reformpädagogischer Ansatz ist nicht zu entdecken: Vielmehr propagiert die Edu-Kinestetik einen unrealistischen Machbarkeitswahn und zementiert damit die Strukturen, die sie angeblich auflösen will.
Auszug aus dem Artikel
In den letzten zwanzig Jahren hat sich ein gewerblicher LebenshilfeMarkt etabliert, dessen Angebote die Heilung körperlicher Beschwerden, psychischer Störungen, die Bewältigung von Lebenskrisen, Leistungssteigerungen und vieles mehr versprechen. Zunehmend werden Eltern, Kinder und Pädagogen zu Adressaten dieses „PsychoMarktes“. Zahlreiche Ansätze und Methoden beziehen sich heute explizit auf pädagogische Probleme und drängen immer stärker in pädagogische Arbeitsfelder vor. Den größten Zulauf konnte in den letzten Jahren die so genannte Edu-Kinestetik bzw. Edu-Kinesiologie (auch: Brain-Gym) verzeichnen, die von ihren Vertretern als Heilsweg für die unterschiedlichsten pädagogischen Probleme propagiert wird.
Insbesondere im Schulbereich hat sich Edu-Kinestetik boomartig verbreitet. Sie wird von vielen Lehrern und Heilpädagogen praktiziert und ist in einigen Bundesländern sogar Bestandteil der Lehrerfortbildung. Etliche „Kinesiologen“ bieten heute in Schulen, Volkshochschulen und privaten Praxen Kurse bzw. Behandlungen von Kindern mit Edu-Kinestetik an. Kernstück dieser Methode sind körpernahe Behandlungstechniken, für deren Anwendung bei Kindern zahlreiche positive Effekte prophezeit werden, etwa die Behebung von Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten, von Sprachstörungen, Sehfehlern, Hyperaktivität, Aggressionen und Ängsten, vermehrte Leistungssteigerungen, ein besseres Sozialverhalten oder die „Erweiterung des Gehirnpotenzials“.
Die einschlägigen Schriften berichten wortreich von angeblichen „Heilungen“ und Leistungssteigerungen bei Schul- und Kindergartenkindern durch Edu-Kinestetik und versprechen Pädagogen merkliche Arbeitserleichterungen. Mit Slogans wie „Bewegung ist das Tor zum Lernen“ oder dem Verweis auf ihre „Ganzheitlichkeit“ erweckt die Edu-Kinestetik den Anschein eines (reform)pädagogisch orientierten Ansatzes. Dieser Eindruck wird in den Schriften auch durch das gesellschaftskritische Auftreten ihrer Vertreter und das Anprangern schulischer Missstände gestärkt. Die Edu-Kinestetik stelle eine „natürliche, gesunde Alternative“ zu herkömmlichen Methoden der Problembewältigung dar (Dennison, Dennison 1998a, S. 11), und es sei im Sinne einer humanen, kindgerechten Bildung zu wünschen, dass Edu-Kinestetik bei möglichst vielen Kindern angewandt werde (vgl. Stier 1996). Ihre Vertreter behaupten, mit Edu-Kinestetik eine wissenschaftlich fundierte Methode vorzulegen. So heißt es unter anderem, ihr Begründer Paul Dennison sei ein „Pionier in Angewandter Gehirnforschung“ (Dennison, Dennison, 1998a, S. 6) und habe die Edu-Kinestetik auf dem Hintergrund neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelt. Die Edu-Kinestetik-Literatur kennzeichnet ein wissenschaftlicher Jargon, der von medizinischen – insbesondere neurologischen – Fachbegriffen dominiert wird. Zudem erwecken zahllose Verweise auf angebliche wissenschaftliche Untersuchungen und Disziplinen, aus denen heraus das Verfahren entwickelt worden sein soll, den Anschein von Wissenschaftlichkeit und Expertise.
Zwar ist die Methode in der Praxis weit verbreitet, eine wissenschaftliche Diskussion des Konzepts fehlt indes weitgehend. Was aber ist Edu-Kinestetik genau? Von welchen Annahmen geht sie aus? Ist sie tatsächlich ein seriöser, wissenschaftlich fundierter und pädagogisch sinnvoller Ansatz? Nachfolgend werden die zentralen Annahmen und Techniken der Edu-Kinestetik offengelegt. Es folgt eine Einschätzung der Wissenschaftlichkeit der Edu-Kinestetik und eine Bewertung aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive. Anschließend werden die Konsequenzen einer Übernahme der Edu-Kinestetik in pädagogische Kontexte antizipiert und ihre Seriosität beurteilt. Im Fazit und Ausblick werden Forderungen im Hinblick auf den Umgang mit der Edu-Kinestetik und anderen Heilsangeboten der gewerblichen Lebenshilfe formuliert.
Lesen Sie im Rest des Artikels:
- Zentrale Annahmen und Techniken der Edu-Kinestetik
- Wissenschaftliche Fundierung der Edu-Kinestetik
- Edu-Kinestetik aus erziehungswissenschaftlicher Sicht
- Implikationen der Edu-Kinestetik und Konsequenzen ihrer Rezeption in pädagogische Kontexte
- Seriosität der Edu-Kinestetik
- Fazit und Ausblick
Bestellen Sie die Ausgabe 3/2004 des "Skeptiker" mit wenigen Mausklicks hier auf der Website.
Lesen Sie außerdem bei den Skeptikern:
- Lexikon-Eintrag "Edu-Kinestetik"
- Ausführliche Informationen zu Edu-Kinestetik, Brain-Gym und Co.
- "Edu-Kinestetik in Hessen" und "Edu-Kinestetik in Hessen zum Zweiten" (Newsmeldungen, 07. und 14.12.2006)