Bärbel Schwertfeger
Persönlichkeitstrainings liegen im Trend. Doch nicht jedes angebotene Training hält, was es verspricht und manche Anbieter arbeiten sogar mit äußerst fragwürdigen Methoden. Sie manipulieren ihre Teilnehmer, erzeugen geschickt Erfolgserlebnisse und werden daher manchmal sogar als Geheimtip in den Unternehmen gehandelt.
Sie versprechen viel: Mehr Energie und innere Stärke, ein besseres Selbstwertgefühl oder gar den Durchbruch zu Harmonie und Lebensfreude. Doch wie man dieses Wunder in drei oder vier Tagen erreicht, verraten die Anbieter mancher Persönlichkeitsseminare nicht. Denn, so ihr Argument, der Erfolg des Seminars hängt davon ab, daß der Teilnehmer nicht weiß, was auf ihn zukommt. Er muß sich eben einlassen auf den Prozeß. Im Training erwartet ihn dann nicht selten autoritärer Drill. Mit wenig Schlaf, einem Schweigegebot und nächtelangen Gruppensitzungen soll er seine inneren Blockaden überwinden und seine Leistungsfähigkeit steigern. Er soll sein Innerstes preisgeben, emotional belastende Übungen absolvieren und danach nichts über das Seminar erzählen - damit sich auch künftige Teilnehmer ganz auf den Prozeß einlassen können. Was dabei in so manchem Persönlichkeitsseminar abläuft, ist Stoff für einen Horrorfilm. Da wird den Teilnehmern dann vorgeschrieben, wieviele Paar Socken sie während des viereinhalbtägigen Seminars benützen dürfen. Da werden einzelne vor der Gruppe zutiefst gedemütigt. Da werden traumatische Kindheitserlebnisse hervorgeholt und dann wird der Betroffene damit alleingelassen.
Und die Teilnehmer spuren. Ohne zu mucken lassen sie sich zu unmündigen Marionetten degradieren und befolgen die teils abstrusen Befehle der Trainer. Denn schließlich lockt am Ende die Erlösung und nur wer alles brav mitmacht, der wird den versprochenen Erfolg haben. Und tatsächlich sind viele danach begeistert. "Das war die intensivste Zeit meines Lebens", schwärmen sie dann, ohne so genau erklären zu können, warum. "Das mußt du einfach selbst erleben", werden die Skeptiker abgespeist und so avanciert so manches dubiose Training schnell zum Geheimtip im Unternehmen. Crashkurse für die Psyche liegen im Trend. Statt sich mühsam mit Verhaltensveränderungen oder Selbstreflexionen abzumühen, sind Patentrezepte gefragt. Die Persönlichkeitsveränderung soll möglichst schnell und effektiv sein. Gerade Manager gehen dabei häufig von dem Irrglauben aus, der Mensch funktioniere wie eine Maschine. Man bräuchte ihn nur in das richtige Training zu schicken und schon kommt die Erfolgspersönlichkeit heraus. Auch so mancher Trainer hat eine etwas merkwürdige Auffassung. "Manager brauchen manchmal einfach ein sauberes Hirn. Sie müssen ihren emotionalen Ballast abwerfen, damit sie voll leistungsfähig sind", erklärt ein Managementtrainer. Dazu bräuchte man eben wirksame Methoden. Daß man dabei die Kursteilnehmer manipuliert, sei schon in Ordnung. Schließlich brauchen die Unternehmen doch schnelle Veränderungen. So werden autoritärer Drill und Demütigungen nicht selten als einziger Weg zu mehr Leistungsfähigkeit und Selbstbewußtsein verherrlicht und damit pervertiert.
Nur wenige Teilnehmer reflektieren, was dort wirklich passiert ist. Manager sind hier im doppelten Sinn gefährdet. Denn sie können weder sich selbst noch ihrem Umfeld eingestehen, daß sie sich zur willenlosen Marionette degradieren ließen. Manager, die das öffentlich zugeben, machen sich lächerlich. "Also mit mir könnten Sie so etwas nicht machen. Das würde ich mir nie gefallen lassen", heißt es dann. "Wer so etwas mitmacht, ist doch selbst schuld. Das sind doch nur schwache und unsichere Menschen, die auf so etwas hereinfallen." In den Trainings werden die Teilnehmer oft mit mehr Gefühlen und Konflikten konfrontiert, als sie auf einmal bearbeiten und ertragen können. Plötzlich müssen sie ihr gesamtes Leben in einer sehr konzentrierten Art und Weise Revue passieren lassen. Fast alles wird in Frage gestellt. Meist haben sie auch aufgrund der langen Arbeitszeiten während des Trainings keine Zeit, das Erlebte zu reflektieren. Die Betroffenen sind verunsichert und verwirrt und greifen dankbar nach dem Strohhalm, den ihnen der Trainer bietet. Natürlich kann solch ein Seminar bei einzelnen auch positive Effekte haben. Mancher fühlt sich vielleicht gestärkt und geht mit neuem Schwung an die Arbeit. Die Frage ist allerdings, wie lange die Euphorie anhält. So mancher ist jedoch verunsichert, leidet unter Konzentrationsschwäche oder Schlafstörungen und sucht - wie es ihm im Seminar meist eingebleut wird - die Schuld bei sich. Öffentliche Kritik am Seminar üben daher nur wenige. Ein Grund dafür ist sicher auch die Angst vor der Blamage. Vielleicht hat Seminarleiter erlebt, wie ein Teilnehmer schluchzend von seinen Versagensängsten erzählte und schon allein die Vorstellung, der Chef könnte etwas davon erfahren, läßt viele schweigen. Zwar werden Mitarbeiter wohl nur selten zum Psychoseminar abkommandiert, aber sie sind häufig einem subtilen Druck ausgesetzt. Was soll der einzelne tun, wenn alle seine Kollegen schon im Seminar waren und begeistert sind? Wie reagiert ein Mitarbeiter, der von seinem Chef hört: "Also Herr Müller, ich glaube, Sie müßten einmal etwas für Ihre Persönlichkeit tun. Vielleicht sollten Sie mal das Seminar XY besuchen?"
Doch auch subtiler Zwang ist Zwang. Es liegt also am System, daß nur so wenige öffentlich zu ihren wirklichen Erfahrungen stehen. Manche können im Nachhinein selbst nicht mehr verstehen, warum sie das alles mitgemacht haben. "Das schlimmste war für mich diese unheimliche Autorität der Trainer und daß ich mich dagegen einfach nicht wehren konnte", erzählt ein Manager nach dem Besuch eines Persönlichkeitstrainings. "Du hast einfach keine Chance. Entweder du machst mit oder du gehst." Was in so manchem Seminar abläufig, entspricht durchaus einer mentalen Umprogrammierung oder Gehirnwäsche. "Gehirnwäsche ist die nicht sichtbare soziale Anpassung", schreibt Margaret Singer, die wohl beste Kennerin und Expertin im Bereich Psychokulte. Leider herrscht in vielen Köpfen noch immer die Vorstellung, Gehirnwäsche funktioniert nur, wenn man gefesselt auf einem Stuhl sitzt und der "Folterer" einem eintrichtert, was man zu glauben oder zu tun hat. Doch es ist ein Mythos, das physische Gewalt Voraussetzung für eine Gehirnwäsche ist. "Alle Forschungen, die ich und andere auf dem Gebiet durchgeführt haben, zeigen in aller Deutlichkeit, daß Gefangenschaft und Gewaltanwendung keine notwendigen Bedingungen, sondern im Gegenteil kontraproduktiv sind, wenn es darum geht, die Einstellungen und das Verhalten von Menschen zu verändern. Wenn man andere wirklich umdrehen will, dann sind die weichen Methoden billiger, weniger auffällig und hocheffektiv", schreibt Margaret Singer. "Die alte Devise, daß Honig mehr Fliegen anzieht als Essig gilt auch heute noch". Gehirnwäsche sei kein einmaliger Vorgang, sondern ein schleichender Prozeß der Destabilisierung und Veränderung durch die Manipulation sozialer und psychologischer Einflußfaktoren. "Die Programme zielen darauf ab, das Selbstkonzept einer Person zu destabilisieren, sie dazu zu bringen, ihre Lebensgeschichte völlig neu zu interpretieren und eine neue Version der Wirklichkeit und der ursächlichen Zusammenhänge zu akzeptieren", schreibt Singer. Für die Psychologieprofessorin sind sechs Voraussetzungen notwendig, damit das Ganze funktioniert.
Die Betroffenen merken dabei meist nicht, wie ihre Einstellungen durch die geschickte Manipulation sozialer und psychologischer Faktoren verändert werden. Sie reagieren begeistert, weil sie durch einen raffinierten Prozeß dazu konditioniert wurden, begeistert zu reagieren. Das System funktioniert und ist nur schwer zu durchbrechen. Denn Menschen, die unwissentlich manipuliert wurden, fühlen sich natürlich niemals manipuliert. Sie sind davon überzeugt, alles freiwillig mitgemacht zu haben und aus völligen freien Stücken zu ihren neuen Erkenntnissen und Überzeugungen gekommen zu sein. Menschen, die durch den Prozeß der Gehirnwäsche gegangen sind, verteidigen daher häufig ihren Manipulator und behaupten, er habe ihm den Weg zur Selbsterkenntnis gezeigt. Damit werden jedoch auch die Lobeshymnen vieler Teilnehmer wertlos. Anbieter, die mit derartigen Methoden arbeiten setzen - wissentlich oder unwissentlich - auf dieselben hochwirksamen Methoden wie Psychokulte oder Sekten, auch wenn sie nichts mit ihnen zu tun haben. Doch leider fehlt bisher das Bewußtsein, daß es nicht um die Zugehörigkeit zu einer problematischen Gruppierung geht, sondern um die Methoden der manipulativen Verhaltenssteuerung. Wie verbreitet dubiose Seminare in den Unternehmen sind, ist schwer zu beurteilen. Glaubt man den Anbietern, dann sind sie äußerst erfolgreich. In den Unternehmen selbst hält man sich bedeckt. Betroffene Mitarbeiter schweigen meist aus Angst. "Jedes Mal, wenn wir wieder so ein Seminar hatten, dann brauche ich erst einmal zwei Tage, um mich wieder davon zu erholen", erzählt der Mitarbeiter einer großen Versicherung. Doch öffentlich Kritk üben würde er nie. "Ich will doch meinen Arbeitsplatz nicht verlieren", sagt er. Und je größer die Angst um den Arbeitsplatz, umso seltener wird ein Mitarbeiter gegen fragwürdige Trainings aufbegehren. Wem es nicht paßt, dem bleibt machmal nur noch die Kündigung. Doch damit verliert das Unternehmen oftmals seine besten Mitarbeiter. Denn sie sind es, die Verantwortung und Standfestigkeit zeigen, während sich die anderen unterordnen und anpassen. Fraglich ist auch, was die Mitarbeiter in solchen Seminaren tatsächlich lernen. Kritikfähigkeit bestimmt nicht. "Seitdem mehrere Führungskräfte in diesem Seminar waren, geht es bei uns wieder autoritärer zu", berichtet ein Manager. Dabei ist es manchmal unfaßbar, wie leichtfertig Trainer von den Unternehmen eingekauft werden. Da schwärmt ein Kollege von einem tollen Seminar und das genügt bereits als Qualitätskriterium. Dabei fehlt vielen Personalverantwortlichen aber auch schlichtweg das Know-how, um Persönlichkeitsseminare richtig einschätzen zu können. Kein Wunder, daß so mancher Seminaranbieter mit seinen abenteuerlichen Versprechungen bei ihnen offene Türen einrennt. Dabei würde häufig schon die Nachfrage nach der Ausbildung Klarheit bringen. Doch während jeder Lehrling auf Herz und Nieren geprüft wird, genügt bei einem Persönlichkeitstrainer oftmals der nichtssagende Hinweis auf "verschiedene Weiterbildungen in Methoden der humanistischen Psychologie". Nicht selten verbirgt sich dahinter dann nur ein Wochenendkurs. Doch eine anerkannte Therapieausbildung dauert mehrere Jahre. Personalverantwortliche sollten daher stets fragen, wo der Seminarleiter seine Ausbildung gemacht hat? Welcher Fachverband erkennt diese Ausbildung an? Häufig bieten umstrittene Trainer sogar ihre eigenen Ausbildungen an. Da bildet dann der gelernte Bankkaufmann mit psychologischer Schmalspurausbildung andere selbst zum psychologischen Berater aus. Viele umstrittene Anbieter kommen daher schon bei der Frage nach der Ausbildung ins Schleudern. Aber auch bei den Referenzen wird kräftig geschummelt und beeindruckende Referenzlisten erweisen sich nicht selten als falsch. Leider fragen nur wenige Chef ihre Mitarbeiter nach ihren Erfahrungen im Seminar und noch weniger legen dabei Wert auf eine ehrliche Rückmeldung. Doch wer verantwortungsvolle Mitarbeiter möchte, der muß sich auch ihre Meinung anhören. Verantwortungsvolle Mitarbeiter müssen es sich auch nicht gefallen lassen, wenn sie im Seminar gedemütigt zu werden. Hier zeigt sich, wie ernst ein Unternehmen seine Forderung nach Selbständigkeit und Eigenverantwortung wirklich meint.
Frau Schwertfeger ist Dipl. Psychologin und freie Journalistin aus München. Sie schreibt u.a. für Wirtschaftswoche, Handelsblatt, Blick durch die Wirtschaft, Junge Karriere, Süddeutsche Zeitung, Stern, Zeit, e-market. Seit 1994 beschäftigt sie sich intensiv mit dem Thema "Psychoseminare", daneben schreibt sie über Themen aus den Bereichen: Personalentwicklung, E-Learning, Karriere, MBA, Weiterbildung uvm. Aktuelle Veröffentlichung: Bärbel Schwertfeger: Die Bluff-Gesellschaft - Schein, Karriere, Betrug, 2002.
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Literatur:
- Christ, Angelika und Goldner, Steven (1996) Scientology im Management, Düsseldorf.
- Efler, Ingolf und Reile, Holger (Hrsg.)(1995) VPM - Die Psychosekte. Reinbek.
- Kanning, Uwe P. (2007): Wie Sie garantiert nicht erfolgreich werden!Dem Phänomen der Erfolgsgurus auf der Spur. Lengerich.
- Lell, Martin (1997) Das Forum. Protokoll einer Gehirnwäsche. Der Psychokonzern Landmark Education. München.
- Scheich, Günter (2001) Positives Denken macht krank - Vom Schwindel mit gefährlichen Erfolgsversprechen. Frankfurt/Main.
- Schwertfeger, Bärbel (1998) Griff nach der Psyche - Was umstrittene Persönlichkeitstrainer in Unternehmen anrichten. Frankfurt/Main.
- Schwertfeger, Bärbel: Dubioser Konkurs - Die Bodo Schäfer Finanz Coaching GmbH ist pleite, doch der Geldguru will unschuldig sein. In: Wirtschaftswoche Nr. 24 / 8.6.2000, S. 88 - 90.
- Singer, Margaret und Lalich, Janja (1996) Cults in our Midst. San Francisco.
- Rouven Schäfer: Parawissenschaften in Management und Fortbildung, Bericht über die 9. GWUP-Konferenz in Roßdorf, 13. - 15. Mai 1999. Frau Bärbel Schwertfeger hielt den Eröffnungsvortrag.
- Carroll, Robert Todd (2002) Psycho-Pate? In: Skeptiker 1/2003, S. 30 - 33.
Linktipps:
- "Zeit"-Dossier: Die Diktatur der Optimisten, ZEIT 25/2001
- Christian Schüler: Motivationstrainer führen einen zu Glück und Erfolg - man muss es nur wollen, ZEIT 42/1999
- Bärbel Schwertfeger für Spiegel online: Motivationsguru Jürgen Höller - Das Ende der Windmaschine
- Artikel bei Spiegel online zu dem Buch von Frau Schwertfeger: Die Bluff-Gesellschaft