Klaus Richter
Messleeren als Hilfsmittel der Pyramidenbauer?
In der Ausgabe 1/2003 von "Sagenhafte Zeiten" präsentiert das Autorengespann Eenboom, Belting und Fiebag einen Erklärungsansatz für die Bedeutung der Schächte in der Königs- und der Königinnenkammer der Cheops-Pyramide. Die Autoren vertreten die These, die ägyptischen Baumeister hätten, als die Pyramide immer höher wurde und es dadurch immer unsicherer geworden sei, einen konstanten Böschungswinkel von 51,84 Grad durch bodenorientierte Messverfahren zu kontrollieren, dynamische Messleeren eingesetzt. Diese seien, ausgehend von der Königinnenkammer, in Nord- und Südrichtung exakt auf die Mittelsenkrechte ausgerichtet worden. Die Form dieser Messleeren habe möglicherweise der des Buchstaben "T" entsprochen; aus Vierkanthölzern exakt gefertigt, sei der senkrechte Balken im Winkel des späteren Schachtverlaufes von ca. 39 Grad einjustiert worden; das horizontale Segment sei dem senkrechten in einem Winkel zugeordnet worden, der dem Böschungswinkel der Pyramide entsprochen habe (Eenboom et al., S. 11). Einen möglichen Hinweis auf die Verwendung derartiger Messleeren sehen die Autoren in einem Graffito, das auf einem Abdeckstein der östlichen Barkengrube neben der Cheops-Pyramide gefunden wurde (vgl. Haase, Cheops, S. 209). Angesichts dieses Graffito vermuten Eenboom et al., dass es noch einen dritten Miniaturgang im unteren Bereich der Pyramide geben könne (Eenboom et al., S. 12). Der Beitrag von Eenboom, Belting und Fiebag weist "Licht" und "Schatten" auf.
a. "Licht"
Positiv zu bewerten ist, dass sich drei führende Autoren der A.A.S. Gedanken über den Pyramidenbau machen, der in eine Richtung weg von außerirdischen Kulturbringern, für die die Ägypter allenfalls die "Drecksarbeit" machten (von Däniken, Spuren im Sand) hin zu den wahren Erbauern der Pyramiden führt: Den alten Ägyptern selbst. Interessant ist auch der - scheinbare oder gewollte? - Gegensatz zu Erich von Dänikens Ausführungen, die unter dem Titel "Ägyptologisches Wunschdenken" in Sagenhafte Zeiten 6/2002 erschienen sind (vgl. "Erich von Däniken und die Cheops-Pyramide"). Erich von Däniken übte dort "Manöverkritik" an der am 17. September 2002 weltweit ausgestrahlten Öffnung des Blockiersteins im Südschacht der Königinnenkammer und griff darin unter anderem Michael Haase an, der vor der Live-Übertragung der Öffnung zu Gast im ZDF-Studio war und dort zur Öffnung interviewt wurde (von Däniken, 2002, S. 12): "Michael Haase (...) meinte, 'massive Blockierungssysteme' würden ausschliessen, dass sich dahinter (dem Gantenbrink-Schacht) eine Kammer befinde. 'Sie wäre auch nicht begehbar.' Haase schlägt vor, vielleicht hätten die schmalen Schächte in der Pyramide eine 'logistische Funktion' gehabt, sie wären also 'bautechnisch begründet' gewesen. Und etwas später noch die Feststellung von Michael Haase, die ganze Bauerei sei 'Bestandteil eines grossen Logistiksystems' gewesen. Nach diesen gescheiten Zitaten möchte ich durchatmen. - Hinter dem Gantenbrink-Schacht kann sich nichts befinden, weil Blockierungsysteme dies verhindern und weil der Schacht ohnehin zu klein wäre, also 'nicht begehbar.' Gleichzeitig war die Bauerei ein gigantisches Logistiksystem. Weshalb haben die cleveren Logiker im alten Ägypten 'Blockierungssysteme' vor einer Türe angelegt, hinter der sich gar nichts befindet? Und der wiederholte Hinweis - nicht nur durch Michael Haase - durch den engen Schacht könne niemand kriechen, geschweige denn einen Sarkophag oder Schatz verstecken, eben weil er 'nicht begehbar' sei und sich demnach nichts dahinter befinden könne, ist gerade das Tüpfelchen auf dem 'i' des Wörtchens 'Unsinn.' Wer das Interview gesehen hat, weiß, dass von Däniken hier Haase eine Äußerung in den Mund gelegt hat, die dieser nie gemacht hat. Die "massiven Blockierungssysteme" erwähnte Haase im Zusammenhang mit dem Kammersystem der Cheops-Pyramide, das klar als typisches Kammersystem der 4. Dynastie zu definieren sei und das weitere geheime Grab- oder Schatzkammern ausschließe. Eine geheime Kammer hinter dem Blockierstein des Südschachtes, so Haase weiter, sei nicht vorstellbar, denn der Schacht sei wegen seiner Breite und Höhe von 20,5 cm nicht begehbar, eine Kammer könne gar nicht betreten werden. An dieser Stelle war von Blockiersystemen gar keine Rede: es gibt keine Blockiersysteme in den Schächten. Zur Funktion der Schächte ging Haase dann auf zwei Lösungsansätze ein, die in der Wissenschaft diskutiert werden: Einerseits könnten die Schächte einem religiösen Aspekt gedient haben, und zwar als "Modellkorridore" für die Seele des verstorbenen Königs. Andererseits sei aber auch eine rein logistische Funktion der Schächte vorstellbar, beispielsweise um die Arbeiter in der Pyramide mit Luft zu versorgen (Einzelheiten bei Haase, Sokar 5, S. 8 -11). Angesichts dieser klaren Aussagen Haases muten die Verdrehungen durch von Däniken willkürlich an. In der nachfolgenden Ausgabe von "Sagenhafte Zeiten" erfolgt eine Rehabilitierung der bautechnischen Interpretation durch Haase: Die Autoren Eenboom, Belting und Fiebag greifen Haases Vorschlag, das Schachtsystem technisch zu interpretieren auf und schließen sich seiner Ablehnung, in den Schächten Elemente eines religiösen Sternenkultes zu sehen, an. Eenboom et al. zitieren Haase auf S. 10 wie folgt (Cheops, S. 147 f.):
"Ich halte dies für Spekulation und frage mich, wieso niemand bisher auf den Gedanken gekommen ist, dass Lage und Orientierung der vier Schächte in der Cheops-Pyramide lediglich durch einfache meßtechnische Bedingungen zustande kamen, die einzig und allein aus dem Konstruktionsprinzip des Kammersystems entstanden. Beispielsweise erkennt man (...), dass alle Schächte in gewisser Weise fast im rechten Winkel auf die Außenverkleidung der Pyramide zusteuern."Eenboom et al. regen an, die Denkansätze von Haase bautechnisch zu konkretisieren und schlagen auf dieser Grundlage ihr Modell einer Messleere vor. Eine interessante - scheinbare ? - Kehrtwendung in der Bewertung von Haases Interpretation des Schachtsystems in der Cheops-Pyramide. Vier weitere Punkte fallen ebenfalls auf:
- Die Autoren kommen bei der Darstellung ihrer These ohne die in pseudowissenschaftlichen Kreisen sonst übliche Wissenschaftsfeindlichkeit aus, ganz anders als noch Erich von Däniken in der vorherigen Ausgabe von "Sagenhafte Zeiten."
- Während Erich von Däniken den Südschacht der Königinnenkammer als "Gantenbrink-Schacht" bezeichnet, wird er bei Eenboom et al. vorsichtiger als "sogenannter Gantenbrink-Schacht" bezeichnet (Eenboom et al., S. 11). Diese Vorsicht ist durchaus angebracht, denn niemand in der Fachwelt nennt diesen Schacht "Gantenbrink-Schacht." Diese Bezeichnung existiert allein in der Pseudoarchäologie.
- Während Erich von Däniken von einer "Tür" am Ende des "Gantenbrink-Schachts" spricht (von Däniken, 2002, S. 12), verwenden Eenboom et al. zwei zutreffendere Bezeichnungen: "Blockierstein" (S. 11) und "Verschlussstein" (S. 12). Von einer "Tür" kann angesichts eines 20,5 cm hohen und ebenso breiten Schachts kaum gesprochen werden.
- Auch eine letzte Beobachtung ist von Interesse: Während Erich von Däniken, so legt es das Zitat aus "Sagenhafte Zeiten 6/2002" nahe, durchaus einen Schatz oder einen Sarkophag in einer Geheimkammer hinter einer "Tür" am Ende des "Gantenbrink-Schachtes" annehmen kann, sehen Eenboom et al. das anders. Im Zusammenhang mit drei Gegenständen, die 1872 im Nordschacht gefunden wurden und die sich jetzt im Britischen Museum in London befinden (vgl. Haase, Sokar 1, S. 9 f.) äußern Eenboom et al. (S. 12):
"Sollten sich weitere solche oder ähnliche Objekte hinter dem Verschlussstein befinden, liessen sich durchaus interessante Ergebnisse erhalten (auch ohne den obligatorisch vermuteten Schatz - eine Mumie oder Papyrie)."Sind das Zeichen einer "Palastrevolution" innerhalb der A.A.S.? Oder handelt es sich um den Versuch, die Wogen zu glätten, die von Dänikens sehr emotional gehaltener Beitrag in der vorherigen Ausgabe von "Sagenhafte Zeiten" nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der A.A.S. angerichtet haben mag (dafür würde beispielsweise auch die Veröffentlichung eines kritischen Leserbriefes von F.J. Hermes in Sagenhafte Zeiten 1/2003 sprechen)? Zumindest bieten die Ausgaben 6/2002 und 1/2003 interessante Gegensätze.
b. "Schatten"
Bei allen positiven Ansätzen, die der Beitrag von Eenboom et al. enthalten mag, es bleibt ein pseudoarchäologischer Artikel mit den typischen Mängeln.
1. Auf S. 9 zitieren die Autoren aus dem Buch "Geheimnis der Pyramiden" von Mark Lehner (ebd., S. 218):
"Eine Schlüsselfrage des Pyramidenbaus lautet, wie die ägyptischen Maurer die Achsen und Diagonalen kontrollierten, während sie die Pyramide hochzogen. Sie mußten sicherstellen, daß sie sich oben genau in der Mitte trafen, um nicht buchstäblich den entscheidenden Punkt zu verfehlen."An dieser Stelle endet das Zitat, beginnen die Autoren ihre Überlegungen, die sie dann zu ihrer These der Verwendung von Messleeren führen. Dabei wird es bei Lehner erst jetzt interessant, denn er erklärt, wie die alten Ägypter den Winkel maßen (ebd.):
"Die Ägypter maßen den Neigungswinkel in sequed, eine Einheit, die angibt, wie weit die Pyramidenfläche pro Elle Höhe zurückspringt. Ein Rücksprung von einer Elle pro Elle Höhengewinn ergibt eine # Neigung von 45o. Auf diese Weise lassen sich Winkel festlegen, indem man lediglich in Höhen und Weiten rechnet. Um beispielsweise die Neigung der Cheops-Pyramide zu erzeugen, hätten die antiken Maurer 14 Einheiten nach oben und 11 nach innen abstecken können."Somit stellt sich der Versuch der Autoren, ihre These einzubringen, als eine typische pseudowissenschaftliche Vorgehensweise dar: Der Schaffung eines Rätsels, das dann im Sinne der Autoren gelöst werden kann. Dafür spricht auch eine ausführliche Beschreibung der altägyptischen Meßmethode in "Das Rätsel des Cheops", das die Autoren, wie ihr Beitrag zeigt, durchaus gelesen haben (siehe Haase, Cheops, S. 49 - 53). Auf S. 79 dieses Buches, wo Haase ebenfalls die altägyptische Messmethode beschreibt, wird von Eenboom et al. sogar hingewiesen (vgl. S. 11), ohne dass sie einen Hinweis auf die Messung des Neigungswinkels in sequed geben. Ebenfalls eine typische pseudowissenschaftliche Vorgehensweise: Aussagen aus der Literatur werden verwendet, solange sie in das eigene Konzept hineinpassen; ansonsten werden sie ausgeblendet (oder, wie andere Beispiele zeigen, verdreht).
2. Zur Untermauerung ihres bautechnischen Ansatzes greifen die Autoren auf ein Zitat aus Haase, Das Rätsel des Cheops zurück (dort S. 147 f., siehe oben). Interessant ist, dass Eenboom et al. das Zitat unvollständig wiedergeben: Sie haben nämlich eine Passage herausgenommen, die nicht in ihre Messleeren-These hineinpasst. Hier ist das vollständige Zitat, die ausgelassene entscheidende Passage wurde markiert (Haase, Cheops, S. 147 f.):
"Ich halte dies für Spekulation und frage mich, wieso niemand bisher auf den Gedanken gekommen ist, dass Lage und Orientierung der vier Schächte in der Cheops-Pyramide lediglich durch einfache meßtechnische Bedingungen zustande kamen, die einzig und allein aus dem Konstruktionsprinzip des Kammersystems entstanden. Beispielsweise erkennt man einerseits, dass die oberen Königsschächte etwa auf der gleichen Steinlage enden und andererseits, dass alle Schächte in gewisser Weise fast im rechten Winkel auf die Außenverkleidung der Pyramide zusteuern, wobei die nördlichen Kanäle nicht geradlinig verlaufen, da sie dem Strukturbereich der Großen Galerie ausweichen müssen."Dieser Teil des Zitates stellt ein ernsthaftes Problem für die Anwendung einer Messlehre dar (vgl. unten Punkt 4). Ihn auszublenden, ist ein weiterer Beleg für das selektive pseudowissenschaftliche Vorgehen der Autoren.
3. Auf S. 11 gehen die Autoren auf die Schächte ein und greifen dabei auch auf Lehner zurück:
"Auffällig erscheint uns in diesem Zusammenhang die exakte Auskleidung der Schächte mit geglätten Sandsteinplatten, wodurch eine quadratische Vierkantform entsteht. Mark Lehner vergleicht diese eigentümlichen Strukturen mit 'Antennen', die sich durch den Pyramidenkörper ziehen. Auch hier zeigen sich Ansätze einer technischen Interpretation."Zunächst zu der "Auskleidung" der Schächte mit "geglätten Sandsteinplatten." Man fragt sich, wo die Autoren diese Information hergenommen haben, denn eine Quellenangabe fehlt. Von einer "Auskleidung" mit "geglätten Sandsteinplatten" findet man in den Schächten jedenfalls nichts, vielmehr zeigt sich die Konstruktion wie folgt (Haase, Sokar 5, S. 4):
"Die beiden Schächte der Königskammer wurden auf ihren horizontalen, innerhalb der granitenen Kammerverkleidung liegenden Streckenabschnitten (2,63 Meter im nördlichen bzw. 1,72 Meter im südlichen Schacht) aus insgesamt jeweils drei Granitblöcken konstruiert. Hierbei hatte man die aneinanderliegenden oberen Kanten von zwei Granitblöcken derart abgearbeitet, dass sich nach dem Zusammenschieben der Quader eine rechteckige 'Schachtrinne' bildete. Ein weiterer Granitblock wurde dann auf diese 'Konstruktion' gelegt, so dass dessen Unterseite die Decke des Schachtes bilden konnte. Im aufsteigenden Bereich der Schächte der Königskammer (auch bei denen der Königinnenkammer) wurden dagegen ausschließlich Kalksteinblöcke für deren Aufbau verwendet. Hier sah das Konstruktionsprinzip (bis auf zwei Ausnahmen, jeweils zu Beginn der ansteigenden Schachtabschnitte) vor, dass auf einer Steinunterlage (Boden des Schachtes) ein Steinquader gesetzt wurde, in dessen Unterseite man zuvor eine im Durchschnitt etwa 20,5 Zentimeter breite und 21,5 Zentimeter hohe Schachtaushebung (Decke und Wände) gemei´ßelt hatte."Den Vergleich Lehners der Schächte mit "Antennen" muss man mangels Quellenangabe ebenfalls suchen. Nach geraumer Zeit wird man auf S. 112 von "Geheimnis der Pyramiden" fündig, und zwar in einer Bildbeschriftung:
"Die 'Luftschächte' gehen sowohl von der Kammer des Königs als auch der Königin wie Antennen durch den Pyramidenkörper. Von der Königskammer aus reichen sie bis ins Freie, obwohl diese (vielleicht ursprünglich auch in der Kammer selbst verschlossen) reinen Kultschächte höchstwahrscheinlich vom Außenmantel überdeckt wurden."Wie man aus dieser Aussage Lehners "Ansätze einer technischen Interpretation" herauslesen kann, bleibt schleierhaft.
4. So interessant die These von der "Messleere" auch sein mag, es stellen sich Fragen, die die Autoren nicht diskutieren: Die Schächte der Königinnenkammer reichen, anders als die der Königskammer, nicht bis zur Außenwand der Pyramide. Wie kann hier eine Messleere eingesetzt worden sein, um den Neigungswinkel zu bestimmen? Wie erklärt sich in diesem Zusammenhang, dass die Schächte der Königinnenkammer zur Kammer hin versiegelt waren, die der Königskammer dagegen nicht? Welche Rolle spielen dabei die Blockiersteine, die in beiden Schächten der Königinnenkammer vorhanden sind (Haase, Sokar 5, S. 8)? Wenn, wie die Autoren annehmen, Hohlräume mit Füllmasse verschlossen wurden (Eenboom et al., S. 11): Warum nicht die Schächte in ihrer gesamten Länge, und warum nicht die Schächte der Königskammer? Angenommen, die Messleere wurde sowohl in den Schächten der Königs- wie auch der Königinnenkammer eingesetzt (wie die Autoren durch den Hinweis auf das "Bootsgrubengraffito", (S. 11 f.) nahelegen), weshalb dann nur in den Südschächten? Welche Funktion hatten die Nordschächte? Angenommen, auch in den Nordschächten wurden Messleeren eingesetzt: Wie kann im Nordschacht der Königinnenkammer - nach der These der Autoren - eine Messleere sinnvoll eingesetzt werden, wenn dieser Schacht 18,50 Meter nach dem Schachteingang um 45 Grad nach Westen abknickt, um dem Strukturbereich der großen Galerie auszuweichen (Haase, Sokar 5, S. 7)? Und wie erklären sich die unterschiedlichen Winkel der Schächte (Nordschacht Königskammer: 32,6 Grad; Südschacht Königskammer: 45 Grad; Südschacht Königinnenkammer: 39,61 Grad; Daten bei Haase, Sokar 5, S. 5 f.)? Das sind reichlich Fragen, und es spricht vieles dafür, dass die Messleeren zwar auf den ersten Blick eine gute Idee sein mögen, auf den zweiten hin jedoch kaum praktikabel waren für den Bau der Cheops-Pyramide. Vermutlich hatten die Schächte eine bautechnische Funktion, jedoch nicht für die Verwendung einer Messleere. In der "Lady Arbuthnot-Kammer", der zweitobersten Entlastungkammer über der Königskammer, finden sich zahlreiche Bauarbeiterinschriften, darunter an der östlichen Seite der Nordwand die der Baumannschaft "Die weiße Krone des Chnum-Chufu ist mächtig." Die Inschrift dieser Mannschaft ist an drei Stellen vorhanden und wurde an jeder Stelle durch eine horizontale Vermessungslinie überschrieben. Die Höhenlinie findet sich auch an der Südwand der Kammer, wo sie zwei Bauarbeitergraffiti überlagert. In keiner anderen Entlastungskammer befinden sich solche Markierungszeichnungen (Haase, Sokar 5, S. 12, m.w.N.). Haase hat hier einen interessanten Befund festgestellt (Haase, ebd.):
"Der vertikale Abstand der Höhenlinie zum Basisniveau beträgt ungefähr 59,60 Meter. Interessanterweise enden ungefähr auf dieser Höhe (etwa 35 Meter weiter südlich bzw. ca. 55 Meter weiter nördlich) auch die Schächte der Königinnenkammer. Wenn man diese Korrelation nicht als zufällig abtun möchte, muß man sich die Frage stellen, ob zwischen der an der Nord- und Südwand der 'Lady Arbuthnot-Kammer' angebrachten Höhenlinie und den Endpunkten der beiden Schächte der Königinnenkammer ein konstruktiver Zusammenhang besteht. Man darf also auf die weiteren Untersuchungen gespannt sein."
5. Geradezu begeistert sind die Autoren angesichts von Haases Ausführungen zu einem Graffito, das auf einem Abdeckstein der Cheops-Barke gefunden wurde. Zu diesem Graffito, das bisher noch nicht eindeutig entziffert werden konnte, äußerte sich Haase zurückhaltend (Haase, Cheops, S. 209 f.):
"Abschließend möchte ich noch ein besonderes Graffito, das auf einem der Abdecksteine der Cheops-Barke gefunden wurde, aus der Masse der fast unzähligen Bauarbeiterinschriften herausstellen, da es auf den ersten Blick wie eine zeitgenössische, skizzenhafte Darstellung der Cheops-Pyramide aussieht. Es bleibt noch zu prüfen, ob es sich bei dieser Zeichnung wirklich um eine grobe Skizze des Grabmals handelt oder sich dahinter - wie die Zahlendarstellung andeuten könnte - eine ganz andere Bedeutung verbirgt, vielleicht ein Markierungszeichen für eine Richtung oder Höhe."Trotz dieser vorsichtigen Bewertung durch Haase glauben Eenboom, Belting und Fiebag, dass Haase mit seiner Vermutung bereits 1998 kurz vor der Auflösung des 'Graffito-Rätsels' gestanden habe (Eenboom et al., S. 12):
"Denn was in dieser Zeichnung wiedergegeben wird, scheint nichts anderes zu sein, als die Abbildung von Messleeren, die, eingeschoben in die Schächte, den Winkel der Pyramide anzeigten."Sogar einen dritten "Messleeren"-Schacht wollen die Autoren aus diesem Graffito herauslesen und regen zur genaueren Suche nach diesem Schacht an (ebd.). Das Problem bei der Sache ist: Die Bedeutung dieses Graffitos ist bislang nicht bekannt. Schon von daher erscheint die Interpretation der Autoren mehr als gewagt. Im übrigen darf man die Gegenfrage stellen, was denn eine Darstellung von Messleeren an der Pyramide auf dem Abdeckstein des Cheops-Bootes zu suchen hatte? Liegt hier nicht die Vermutung nahe, dass die Darstellung im Zusammenhang mit den Bootsgruben im Umfeld der Cheops-Pyramide steht? Oder ist es das Symbol eines Arbeitertrupps, der mit der Bearbeitung oder dem Transport des Abdecksteins bzw. der Ausschachtung und Abdeckung der Bootsgrube beschäftigt war? Die weitere Forschung wird es zeigen.
6. Die Autoren gehen auch auf den Befund der Blockiersteinöffnung im September 2002 ein (ebd., S. 12):
"Nach der jüngsten Erkenntnis, dass sich im Südschacht hinter dem von Gantenbrink 1993 entdeckten Verschlussstein eine kleine Kammer und dann erneut eine Steinplatte befinden, bleibt es natürlich für alle ein Rätsel, was sich konkret hinter diesem zweiten 'Türchen' befinden könnte: Setzt sich der Gang wirklich weiter linear fort? Existiert womöglich eine weitere grössere oder kleinere Kammer, in der sich Gegenstände befinden?"Zunächst einmal befindet sich hinter dem Blockierstein im Südschacht keine Kammer, nicht einmal eine kleine. Vielmehr handelt es sich um einen 45 Zentimeter tiefen, dem Anschein nach leeren Hohlraum, der eine Verlängerung des Südschachtes darstellt (Haase, Sokar 5, S. 7). Und das angebliche "Türchen" am Ende des Hohlraums entpuppte sich als anscheinend unpolierter, strukturell mit dem Blockierstein nicht vergleichbaren Steinblock, der einige Risse aufweist (Haase, ebd.):
"Anscheinend hat man hier nun das definitive Ende des Schachtes erreicht und trifft hinter der Hohlraumstruktur bereits auf das massive Kernmauerwerk. Es kann aber derzeit auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich in diesem Bereich noch ein weiterer kleiner, bautechnisch begründeter Hohlraum befindet."Eine kleinere oder größere Kammer, in der Gegenstände gelagert werden (nach Auffassung der Autoren müssen das nicht unbedingt Mumien, Papyri oder sonstige Schätze sein) ergibt keinen Sinn: Wer hätte eine solche Kammer betreten können, und welchen Zweck hätte sie in dem klar definierten Kammersystem der Cheops-Pyramide erfüllen sollen? Die Spekulationen über Geheimkammern am Ende des Südschachtes (und jetzt vermutlich auch am Ende des Nordschachtes) werden aber nicht aufhören, bis nicht eine weitere Forschungsmission den Befund vor Ort genauer erkundet hat.
Fazit: Auch wenn Eenboom, Belting und Fiebag einen für die A.A.S. wichtigen Schritt vorgenommen haben, in dem sie Cheops-Pyramide von den außerirdischen Konstrukteuren weg zu ihren menschlichen Erbauern gerückt haben, weisen die Argumente, die sie für ihre These von einer Messleere vortragen, zu viele Mängel auf, als dass diese These ernsthaft berücksichtigt werden kann. Die Verwendung von einer Messleere beim Pyramidenbau ist auch nicht notwendig, da die altägyptischen Baumeister mit der Messung des Neigungswinkels in sequed ein wohl erprobtes und gängiges Mittel zur Hand hatten. Viel spricht aber dafür, dass die "Luftschächte" in der Cheops-Pyramide eine bautechnische Funktion hatten und nicht allein religiös interpretiert werden können. Welche Funktion das genau war, wird die weitere wissenschaftliche Forschung zeigen. Außerirdische und Pyramidenrampen ? Algund Eenboom, Peter Belting und Peter Fiebag stellten in "Sagenhafte Zeiten 1/2003" ein Modell zur Lösung des Pyramidenbaus vor: Flexible Anstellrampen. Auf zwei Seiten handeln die Autoren, ohne jegliche Literatur- und Quellenangabe, "en passant" das äußerst komplexe Thema der Konstruktion von Pyramidenrampen anhand eines einzigen Beispiels ab, nicht ohne den abschließenden, für die A.A.S. typischen Schlenker auf extraterrestrische Kulturbringer. Keine Erwähnung finden Lösungsansätze und Modelle, die in der Ägyptologie erwähnt werden, wie beispielsweise Mark Lehners Spiralrampenmodell (Lehner, S. 215 f.; Haase, Re, S. 111 ff.). Ebensowenig wird Bezug genommen auf den umfangreichen Literaturapparat zu diesem Themenbereich. Die archäologische Fundlage wird nur anhand von zwei Beispielen erwähnt, deren Quelle noch nicht einmal genannt wird. Auf S.14 ihres Beitrages beschreiben Eenboom et al. Anhaltspunkte für Baurampen an der Pyramide in Meidum:
"Dort befinden sich Reste einer Schleifpiste sowie eines 'Aufweges', der jedoch nach Mark Lehner 'als sehr dünne und wunderlich hohe gerade oder Steigrampe zur Pyramidenseitenfläche' hin konstruiert war."Wer in Lehners Buch "Geheimnis der Pyramiden" recherchiert, wird auf S. 217 fündig. Dort schreibt Lehner:
"In Meidum finden sich Überreste einer Schleifpiste oder möglicherweise Rampe, die von Südwesten her kommt. Sie scheint direktüber die Nebenpyramide zu führen und projiziert die höheren Pyramidenlagen der Westseite. Eine weitere sogenannte Rampe kommt von Osten her, ist aber diesmal eher ein Aufweg als eine Baurampe. Sie liegt jedoch auf einer Linie mit dem Rücksprung auf Höhe der fünften oder sechsten Stufe der zweiten Stufenpyramide (E2); dies veranlaßte Borchardt, sie an dieser Stelle als sehr dünne und wunderlich hohe gerade oder Steigrampe zur Pyramidenseitenfläche zu rekonstruieren."Eine gänzlich andere Aussage als es Eenboom et al. suggerieren wollen. Einen weiteren Fund machen Eenboom et al. in Süd-Abydos aus (Eenboom et al., ebd.):
"Eine solche schmale Rampe, ebenso die Minirampen von Stufenpyramiden wie in Süd-Abydos, mögen zudem in einem einigermassen angemessenen Verhältnis von Aufwand und Ertrag gestanden haben."Der Leser gewinnt dadurch den Eindruck, dass Eenboom et al. dies durch Recherche vor Ort selbst ermittelt haben, denn eine Quellenangabe fehlt. Der Eindruck verflüchtigt sich jedoch, wenn man einen Blick in "Das Rätsel des Cheops" von Michael Haase wirft. Dort findet sich auf S. 100 - 102 ein Kapitel über die Stufen-Pyramide von Abydos, die zwischen 1980 und 1981 durch das DAI unter der Leitung von Gunter Dreyer untersucht wurde und bei der man Reste der Baurampen gefunden hat. Und was ist mit der "Flexiblen Baurampe", die Eenboom et al. als "Lösung für den Pyramidenbau" präsentieren? Die Idee dahinter ist nicht neu. Bereits Illig/Löhner haben sich mit diesem Modell beschäftigt (Illig/Löhner, S. 118 ff., Abb. 78), und die wiederum bauen auf einer Veröffentlichung von Strub-Roessler aus dem Jahr 1952 auf. Auch hier fehlen bei Eenboom et al. jegliche Quellenangaben, ebenso ein Hinweis auf dieses Modell imText. Den Abschluss des Beitrages bilden die für solche Beiträge üblichen Floskeln (Eenboom et al., ebd.):
"Nach wie vor bleibt die Frage offen, wer die wahren Pyramidenkonstrukteure und Logistiker waren oder wer den damaligen Menschen diese Anleitungen vermittelt hat. (...) Wer, so fragen wir uns, waren also die 'Entwicklungshelfer' der Menschheit?."Leider muss Eenboom, Belting und Fiebag an dieser Stelle gesagt werden, dass diese Frage wohl nur in den Köpfen der Pseudoarchäologen "offen" ist. Die Ägyptologie hat diese Frage längst geklärt: Es waren die alten Ägypter selbst, die die Meisterleistung von Planung, Bau und Logistik vollbracht haben. Dabei konnten sie sich nicht nur auf einen effizienten, straff zentralistisch organisierten Beamtenstaat stützen, sondern auch auf die Erfahrungen, die sie seit der 3. Dynastie im Bau von Pyramiden gesammelt hatten. Das haben wohl auch Eenboom et al. gesehen, denn sie schreiben (ebd.):
"Ausser Acht gelassen wird bei den meisten Vorschlägen jedoch immer wieder, dass die Menschen vor jahrtausenden im Stande waren, durch multifunktionale logistische Konzepte ihre technischen Probleme auf höchst effektive Weise zu bewältigen. Unser Konzept berücksichtigt diese Verhaltensweise."Wenn dem so ist: Wozu braucht man dann "himmlische Lehrmeister"? Wieso fällt es so schwer zu akzeptieren, dass die Menschen von ganz allein auf die Lösung von konstruktionsbedingten oder logistischen Problemen gekommen sind? Schließlich waren unsere Vorfahren vor 4500 Jahren nicht dümmer als wir heutigen Menschen, und - allen gegenteiligen Behauptungen aus pseudoarchäologischen Kreisen zum Trotz - die alten Ägypter konnten beim Bau der Cheops-Pyramide auf eigene, mit "Blut, Schweiß und Tränen" erworbene Erfahrungen zurückgreifen.
Literatur:
- Michael Haase, Das Rätsel des Cheops, München 1998
- Michael Haase, Im Zeichen des Re, München 1999
- Michael Haase, Am Rande der Ewigkeit, Sokar 1, S. 4 - 11.
- Michael Haase, Brennpunkt Giza - Die Schachtsysteme der Cheops-Pyramide, Sokar 5, S. 3 - 13.
- Mark Lehner, Geheimnis der Pyramiden, München 1999
- Hermann Strub-Roessler, Vom Kraftwesen der Pyramiden, in: Technische Rundschau 42/43 (17./24.10.1952).
Pseudoarchäologische Literatur:
- Erich von Däniken, Ägyptologisches Wunschdenken, in: Sagenhafte Zeiten 6/2002, S. 12 - 14.
- Algund Eenboom, Peter Belting, Peter Fiebag: Messhilfen der Erbauer, in: Sagenhafte Zeiten 1/2003, S. 8 - 12.
- Algund Eenboom, Peter Belting, Peter Fiebag: Flexible Anstellrampen - Die Lösung für den Pyramidenbau?, in: Sagenhafte Zeiten 1/2003, S. 13 - 14.
- Heribert llig/ Franz Löhner, Der Bau der Cheops-Pyramide, 4. Auflage, Gräfelding 1999.
- Spuren im Sand, Sagenhafte Zeiten 5/2000, S. 19 - 22.