Der Szene-Insider und Herausgeber von Connection, Wolf Schneider, hat ein Buch über "Esoterik-Irrtümer" geschrieben. Wir wollten von ihm wissen, warum.
In einer Pressemitteilung zu Ihrem Buch heißt es, ein "ernüchterter Szene-Aussteiger" rechne mit der Esoterik ab. Ist das so?
Den Erleuchtungshungrigen sage ich immer: Ich bin nicht erleuchtet, aber ernüchtert - was letzten Endes der wahre Kern hinter der Erleuchtung ist. Denn "Erleuchtung" ist himmelwärts gerichtet und bedeutet in der Regel, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ernüchterung heißt dagegen, Federn zu lassen und sich von Illusionen zu verabschieden. Insofern bin ich tatsächlich ernüchtert. Und ich bin auch enttäuscht von der Leichtgläubigkeit der Szene, das war eine weitere Motivation, das Buch zu schreiben.
Worüber sind Sie denn konkret ernüchtert?
Ich bin jetzt seit mehr als drei Jahrzehnten in dieser Szene drin und mache seit 23 Jahren mit der Zeitschrift Connection ein Produkt für diese Szene. Und werde natürlich Tag für Tag zugeschüttet mit Beiträgen, Texten, Interviewangeboten von "Heiligen" und "Erleuchteten" jeder Art. Irgendwann kann man diesen Jargon einfach nicht mehr hören. Was da ständig von "Energie" und "Schwingungen" und so weiter geredet wird und was die Leute alles "fühlen" und "in ihrem Herzen spüren".
Bloß etwas zu fühlen offenbart noch keine höhere Wahrheit.
Eben. Ich sehe dann immer die Bilder zum Beispiel von der Hitler-Begeisterung im Dritten Reich vor mir. Oder die Anhänger irgendwelcher Gurus, die Blumen auf seinen Weg streuen. Da ist fraglos jede Menge Herzlichkeit im Spiel, zugleich wird aber auch schmerzhaft deutlich, wie beliebt es ist, den Verstand einfach beiseite zu lassen. Spätestens da kommt bei mir Skepsis auf und dann kann ich nicht mehr so ohne Weiteres ein sentimentales Dahergerede vom "Herzen" akzeptieren. Viele verwechseln anscheinend das Herz mit einer Art Kitsch-Chakra und täuschen sich damit selbst.
In der Tat geht es in Ihrem Lexikon weniger um eine knallharte Abrechnung mit der Esoterik-Szene als vielmehr um Begriffe. Sie geben zu jedem der knapp 300 Termini erst die esoterische Definition an, um dann Ihre eigene Auslegung zu erläutern.
Wenn mein Buch dabei hilft, Begriffe in Frage zu stellen, ist das gut. Es soll ja Anregungen geben. Zum Stichwort "Herz" etwa habe ich geschrieben: "Die Emotionalität einseitig zu bevorzugen führt zu Impulsivität, Unzuverlässigkeit oder Sentimentalität. Nur wenn mit Herz eine Tiefe jenseits von Emotionalität oder sonst einer Einseitigkeit gemeint ist, sollte man dem Herzen den Vorzug gegenüber dem Kopf geben." Statt "Herz" kann man hier fast synonym auch "Bauch" einsetzen.
Was wollen Sie damit bewirken - wenn es Ihnen weder um den Ausstieg aus der Szene geht noch darum, die Esoterik abzuschaffen?
Dazu müssen wir erst einmal klären, was "Esoterik" ist. Ich sage mal flapsig: 90 Prozent davon ist Unsinn, zehn Prozent macht Sinn.
Mit "Unsinn" meinen Sie ...
Nebulöses, ungenaues Dahergerede. Beispielsweise Sätze wie "Alles ist Energie" oder "Hier und Jetzt ist alles, was ist" oder "Ich bin damit noch mitten im Prozess." Letzteres sagt man in der Szene gern, wenn man mit etwas nicht klarkommt. Das sind Tricksereien, Ausreden, Halbverstandenes, im besten Fall Halbwahrheiten.
Nun heißt Dir Buch aber nicht „Lexikon des esoterischen Unsinns", sondern „Lexikon esoterischer Irrtümer".
Die gibt es natürlich auch, zum Beispiel die Annahme der Astrologiegläubigen, ein doppelter Löwe habe andere Charaktereigenschaften als eine Jungfrau mit Aszendent Fische. Wenn das so wäre, müsste bei einer statistischen Untersuchung doch zumindest eine gewisse Häufung von Gemeinsamkeiten bei den jeweiligen Tierkreiszeichen nachweisbar sein. Das konnte meines Wissens aber noch nie wissenschaftlich seriös bestätigt werden. Folglich sage ich: Hier handelt es sich um einen Irrtum.
So argumentieren die Skeptiker. Esoteriker halten aber üblicherweise nichts von Statistik und anderen wissenschaftlichen Methoden.
Das ist leider wahr, es sei denn, eine wissenschaftliche Erkenntnis scheint ihre Thesen zu bestätigen. Offenbar eine Hassliebe. Die Quantenphysik etwa kommt den "alten esoterischen Weisheiten" angeblich am nächsten. Dabei bedeutet zum Beispiel die Heisenberg'sche Unschärferelation keineswegs, dass jede Erkenntnis "irgendwie unscharf" ist. Solches Gewurstel hat mir noch nie behagt, aber in den letzten Jahren bin ich mit meiner Kritik an diesen Irrtümern und Halbwahrheiten sehr viel schärfer geworden.
Wie reagiert denn Ihre Zielgruppe darauf?
Meine Ansichten über die Esoterik äußere ich, wie gesagt, seit Jahren schon regelmäßig, zumindest für die Leserschaft von Connection dürfte das Buch kein allzu großer Schock sein - umso mehr, da meine Leser sich nicht eigentlich als Esoteriker sehen, sondern als spirituelle Menschen. Bis jetzt bin ich jedenfalls guter Dinge, wir verzeichnen keine massenhaften Abo-Kündigungen, sondern sogar ein leichtes Plus. Ich denke, das ist ein gutes Zeichen, was den Humor der Zielgruppe anbelangt, aber auch ihre Fähigkeit zur Einsicht.
Obwohl Sie in Ihrem Buch Esoteriker als "sehr leichtgläubig" bezeichnen. Zitat: "Man will nicht erwachsen werden. Man will die kindlich-naive, verträumte, magische Weltanschauung beibehalten und bezeichnet sie deshalb zweckmäßig als eine heilige, die die Erwachsenen erst noch zu erreichen hätten".
Schauen Sie sich nur die Auflagenzahlen von Rhonda Byrnes "The Secret" an. Wenn so ein seichtes Buch zum Weltbestseller wird, dann kann die Esoterik-Szene nicht sonderlich tiefgründig sein.
Haben Sie eine Erklärung für den Erfolg solcher Wunscherfüllungsbücher?
Ich denke, das ist eine Widerspiegelung der globalisierten Weltwirtschaft. Die alten Religionen passen in diese schamlos kommerzialisierte neue Welt nicht mehr richtig rein, die Pop-Esoterik hingegen ist geschmeidig genug, um sich da anzupassen. "The Secret" zum Beispiel ist ein hoch dosierter Pusch von Pop-Esoterik. Satz für Satz ernst genommen ist das Unsinn. Das Buch ist aber erfolgreich in der krassen Vermittlung von positivem Denken und Einbildung beziehungsweise selektiver Wahrnehmung. Das geht soweit, dass sogar sowas wie eine erfolgreiche Parkplatzsuche mit dem angeblichen universellen "Law of Attraction" in Zusammenhang gebracht wird.
Apropos tiefgründig: Sie sprachen eingangs von "zehn Prozent Sinn" in der Esoterik - der wäre? Was ist Ihrer Meinung nach der gute Kern der Esoterik, den es zu bewahren gilt?
Das ist die Mystik, so wie sie in der Religionswissenschaft definiert wird. Die unterscheide ich von Mystizismus, dem "mystisch Gemachten". Das ist das, was Uri Geller und so viele andere machen: einen Schleier über die Wirklichkeit werfen, um sie "wiederzuverzaubern", damit alles hübsch ist und wie im Märchen. Ich will keine Märchen, ich will die Wahrheit wissen. Und der Weg dahin führt über die Wahrnehmung, über die Frage: Was können wir wirklich wahrnehmen?
Das können Neurowissenschaftler und Wahrnehmungspsychologen aber doch besser beantworten als Esoteriker.
Die Hauptaufgabe der Wissenschaft ist die Aufklärung, da hat sie grandiose Methoden. Aber die Wissenschaft lehrt nicht die Selbstwahrnehmung, da in der Forschung Subjekt und Objekt voneinander getrennt sein müssen. Der Kern der Philosophie dagegen ist seit Sokrates die Selbsterkenntnis, da muss man anders vorgehen. Ich meine, dass die Stille Meditation eine gute Methoden ist, um eine reine, unverstellte Wahrnehmung zu erreichen und ideologiefrei zu werden. Der Anspruch, ganz in sich zu ruhen, nicht mehr manipulierbar zu sein, nicht von der Werbung, nicht religiös, politisch, ideologisch, von keinem verführbar zu sein - das ist mein Ideal.
Und das nennt sich dann Mystik?
Ja, das ist das, was Menschen wie Meister Eckart, Dschalal ad-Din ar-Rumi oder Buddha erlebt haben: die Welt ohne eine verfälschende Brille wahrzunehmen. Den religionswissenschaftlichen Begriff "Mystik" finde ich dafür halbwegs passend, auch wenn ich eine Religiosität jenseits von Theismus oder Atheismus vertrete. Was an der "echten" Esoterik gut ist, ist diese Mystik - oder wenigstens der Versuch, diese Art der Wahrnehmung zu erreichen, den sollte man anerkennen.
Ist eine Wahrnehmung, die nicht durch Überzeugungen, Einstellungen oder Konzepte geprägt ist, überhaupt möglich?
Das ist die spannende Frage - für spirituelle Menschen ebenso wie für Wissenschaftler. Meine Philosophie ist nicht "Mind over Matter", ich schlage mich erst einmal weder auf die materialistische noch auf die idealistische Seite, sondern sage: Das sind zwei verschiedene Aspekte derselben Sache, genauso wie Licht als Welle oder als Teilchen betrachtet werden kann. Im Weiteren wäre dann zu fragen, welche Sichtweise weitgehend widerspruchsfrei ist und eine bessere Erklärung der Wirklichkeit bietet.
Sie lesen regelmäßig den Skeptiker und verfolgen auch diese "Szene" - was wünschen Sie sich von den Skeptikern?
Die Skeptiker sollen ruhig so weiter machen, mit ihrer wissenschaftlichen Methodik und viel Humor, und die Geistheiler und Rutengänger und Telepathen beim Wort nehmen und testen. Was ich mir wünsche, wäre manchmal etwas weniger Häme gegenüber den ernsthaft Suchenden in der esoterischen, spirituellen und religiösen Landschaft. Das ist für diese Menschen verletzend. Und dann öffnen sie sich auch nicht den an sich sehr guten Methoden der Wissenschaft.
Interview: Bernd Harder
Wolf Schneider, geboren 1952 in Tübingen, wuchs im Umfeld der Max-Planck-Institute Seewiesen auf, geprägt durch seinen Vater, der in der biologischen Grundlagenforschung tätig war. Nach einem Abitur mit Bestnote studierte er in München vier Jahre lang Naturwissenschaften und Philosophie (unter anderem bei Wolfgang Stegmüller und Carl-Friedrich von Weizsäcker). Die Suche nach dem Sinn des Lebens trieb ihn jedoch aus den heimatlichen Gefilden hinaus, und so begab er sich ohne Universitätsabschluss auf Weltreise, die ihn für einige Jahre nach Süd- und Südostasien führte. In Thailand trat er 1976 für sechs Monate in ein buddhistisches Kloster ein und wurde 1977 Schüler von Osho. Zurück in Europa, lebte Schneider von 1978 an in verschiedenen spirituellen Gemeinschaften. Seinen Lebensunterhalt verdiente er in diesen Jahren unter anderem als Taxifahrer in München. Dort gründete Schneider 1985 dort die Zeitschrift Connection, die er seitdem herausgibt, heute als connection spirit. Sie vertritt nach eigenen Angaben eine aufgeklärte, transpersonale und transkulturelle Mystik und versteht sich als Vorreiter einer neuen Lebenskunst, die Spiritualität, Ökologie, Religion sowie eine sinnliche, diesseitige Lebenslust miteinander verbindet. (Zit. nach http://wolf-schneider.info/) |
Der Artikel erschien im Skeptiker 4/2008