André Pix
Interview mit Prof. Dr. Rainer Bunge, Leiter des Institutes für Umwelt- und Verfahrenstechnik (Umtec) an der Hochschule Rapperswil/Schweiz, über fragwürdige Produkte und Verfahren im Umweltschutz.
Herr Prof. Dr. Bunge, Sie sind Leiter eines renommierten Umweltinstitutes, Erfinder und Träger des Schweizer Umweltpreises. Warum setzen Sie sich neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit mit höchst dubiosen Produkten der Umwelttechnik auseinander? Gab es ein Schlüsselereignis oder werden Sie in ihrer Berufspraxis direkt mit „Öko-Esoterik“ konfrontiert?
In der Tat wurden meine Aktivitäten gegen die „Umwelt-Esoterik“ durch ein Schlüsselerlebnis ausgelöst. Ein Bekannter hatte privat ein „Wasservitalisierungsgerät“ im Schwimmbad seines Hauses einbauen lassen – auf Empfehlung von Nachbarn und zu Kosten von rund 2500 €. Bis dahin war ich, wie wohl die meisten meiner Kollegen, davon ausgegangen, dass man außerordentlich naiv sein müsse, um sich derartige Geräte aufschwatzen zu lassen. Mein Bekannter ist allerdings ein cleverer, knallharter und sehr erfolgreicher Geschäftsmann – von Naivität keine Spur. Erst da wurde mir klar, dass für jemanden, der nicht selbst eine technisch/ wissenschaftliche Ausbildung absolviert hat, echte Innovation von pseudowissenschaftlich verpacktem Humbug gar nicht zu unterscheiden ist. Umgekehrt kriechen wir Techniker ja auch „Finanzberatern“ oder „Heilern“ auf den Leim, die jeder Banker oder Arzt sofort als unseriös entlarven würde.
Sie kommen immer wieder mit Anbietern neuer Technologien und Produkte in Berührung. Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass Innovationen vorschnell als pseudowissenschaftlich eingeordnet werden, nur weil man sie evtl. (noch) nicht versteht?
Diese Gefahr sehe ich nicht. Es ist ein verbreiteter Irrtum anzunehmen, dass innovative Technologien „wissenschaftlich erklärbar“ sein müssen, um von der technisch/wissenschaftlichen Gemeinschaft akzeptiert zu werden. Stimmt nicht: uns würde der experimentelle Nachweis bereits völlig ausreichen. Würde durch einen Magneten an der Treibstoffleitung eines Motors dessen Abgasemission tatsächlich verringert, so ließe sich dies ganz einfach auf einem Prüfstand nachweisen, auch wenn es bislang noch keine Theorie gibt, die diesen Effekt erklären würde. Seriös ist, was reproduzierbar funktioniert, egal ob „wissenschaftlich erklärbar“ oder nicht. Allerdings liegt die Beweislast für das Funktionieren einer „innovativen“ Apparatur immer beim Anbieter und nicht etwa beim Kritiker.
Wie erklären Sie es sich, dass einige Apparaturen, wie z.B. zur Wasserentkalkung, seit Jahrzehnten hergestellt und vertrieben werden, obwohl keine technische Wirkung von ihnen ausgeht? Irgendwann, so würde man erwarten, müsste es doch zu einer Auslese unwirksamer Techniken kommen.
Der Zyniker würde wohl anmerken, dass Dummheit eine unbegrenzt erneuerbare Ressource ist. Allerdings sind die typischen Opfer „esotechnischer Produkte“, wie oben ausgeführt, zumeist eben gar nicht dumm, sondern ganz im Gegenteil. Sie sind geistig wendig, interessiert und aufgeschlossen gegenüber Neuem, haben aber keine Möglichkeit „esotechnische Produkte“ von echter technischer Innovation zu unterscheiden. Die überhebliche Haltung der technisch/wissenschaftlichen Gemeinschaft nach dem Motto „wer die Dinger kauft ist sowieso blöd“, wird nicht dazu beitragen die Esoterik aus dem technischen Umfeld zurückzudrängen. Solange nicht funktionierende Geräte nicht klar als solche identifiziert werden, steht den vollmundigen Versprechungen unseriöser Anbieter kein Argument entgegen. Durch den riesigen Markt für „esotechnische Produkte“ geraten sogar seriöse Firmen unter wirtschaftlichen Druck und in Versuchung. Mir ist der Fall einer ansonsten topseriösen Unternehmung bekannt, die neben erwiesenermaßen funktionierenden Ionenaustauschern zur Wasserentkalkung neuerdings auch Geräte zur „physikalischen“ Wasserbehandlung anbietet. Zwar ist man sich dessen sehr wohl bewusst, dass diese Geräte nicht funktionieren, aber es gibt halt eine Nachfrage danach, die befriedigt wird.
Einige der Erfinder oder Bewerber pseudowissenschaftlicher Umwelttechniken sind Naturwissenschaftler oder Ingenieure. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum manche Menschen von der Wissenschaft zum Obskurantismus überwechseln?
In Deutschland gibt es 650 000 Ingenieure. In die „Esotechnik“ sind bundesweit vielleicht 65 Ingenieure involviert. Es spricht wohl für die hervorragende Qualität unserer Ausbildung, dass nur einer von 10 000 Ingenieuren offenbar gar nichts von dem begriffen hat, was er im Studium gelernt haben sollte. Leider sind sogar Ingenieure nicht völlig immun gegen autosuggestive Wahnvorstellungen. Im Gespräch mit Ingenieuren, die über die Esotechnikschiene gleiten, habe ich übrigens nur ganz selten den Eindruck dass diese in betrügerischer Absicht unbrauchbare Geräte verkaufen. Vielmehr sind sie selbst ganz und gar von der Wunderwirksamkeit ihrer Produkte überzeugt. Eigentlich sind sie damit mehr bedauernswerte Opfer als gewissenlose Täter.
Ihr Institut hat vor einigen Jahren eine interessante Anregung gemacht: Die Schweiz solle finanzielle Mittel für die Untersuchung fragwürdiger Produkte durch seriöse Einrichtungen bereitstellen. Die Resultate dieser Analysen sollten jedem Interessierten zugänglich sein. Wie haben Politik und Öffentlichkeit auf diesen Vorschlag reagiert?
Grundsätzlich wurde die Idee sehr positiv aufgenommen, denn im Moment hat der verunsicherte Konsument gar keine Möglichkeit, sich objektiv über die Wirksamkeit zweifelhafter Geräte zu informieren. So wurden schon Steuergelder für die Anschaffung obskurer Geräte, z.B. in öffentlichen Schwimmbädern, eingesetzt. Wir planen zurzeit die Einrichtung eines Fonds zur Untersuchung „verdächtiger“ Geräte und suchen Finanzierungspartner hierfür. Eine Anschubfinanzierung für dieses Vorhaben wurde uns bereits durch den Dachverband Aqua-Suisse in Aussicht gestellt, dessen Mitglieder durch die Verbreitung von unseriösen Konkurrenzprodukten wirtschaftlich geschädigt werden. Auch das Schweizer Bundesamt für Gesundheit hat Interesse angemeldet. Eine Konsumentenschutzzeitschrift hat sich ebenfalls für die Teilnahme interessiert und erwägt eine quartalsweise erscheinende Kolumne zur Publikation der Untersuchungsergebnisse einzurichten.
Dieser Artikel erschien im "Skeptiker", Ausgabe 3/2009.