Schlank im Schlaf: Eine endlose Geschichte
Krista Federspiel und Marie P. Prins
Von Ärzten und der Ärztekammer mehrfach wegen Kurpfuscherei verklagt, musste Neuner seinen Plan, ein "Sanatorium" zu eröffnen, aufgeben. Allerdings erlangte er für die Region eine so große wirtschaftliche Bedeutung, dass ihm der Ehrenring der Gemeinde Kirchbichl, das Verdienstkreuz des Landes Tirol und sogar das große Goldene Verdienstzeichen der Republik Österreich verliehen wurden. Vom päpstlichen Sanitätsorden wurde er mit dem Titel Commendatore di Gratiae ausgezeichnet. Als er 1994 starb, übernahm Doris den Betrieb; bald überließ sie die Vermarktung der Firma Rieser-Malzer.
Diese bewarb Neuners Figur-Paket nun aggressiv. Es solle "Schlackenstoffe aus dem Inneren des Fettgewebes lösen und Riesenfettzellen auf ein gesundes Maß" reduzieren. So bringe es "den Körper wieder in Form". Die Inserate behaupteten, in der ORF-Fernsehsendung "Wir" sei die Kur erfolgreich überprüft und bei "Fliege" in der ARD bestätigt worden. Sie enthielten Zitate aus begeisterten Zuschriften angeblich zufriedener Anwender und ebensolcher Ärzte, die ihren Patienten diese Mittel empfehlen. Man zitierte selbst ernannte Gutachter und nannte Fachleute, die - wie sich später herausstellen sollte - an den angegebenen Instituten und Kliniken nicht bekannt waren, und legte dem österreichischen Hormonexperten Prof. DDr. Johannes Huber zu Werbezwecken ein - aus dem Zusammenhang gerissenes - Zitat in den Mund. Die Annoncen enthielten nur eine Telefonnummer für die Aufnahme von Bestellungen; die Erzeuger- und Versandadresse der Firma Rieser-Malzer in Mayerhofen (Tirol) war im Inserat nicht angegeben.
Die aggressive Werbung bewog viele Leser zu Protesten beim österreichischen Verbraucherschutz VKI (Verein für Konsumenteninformation). Das Gesundheitsministerium wurde aufmerksam, denn lediglich ein Produkt des Pakets, der so genannte Entschlackungstee, verfügte über eine Zulassung als Arzneimittel zur rezeptfreien Abgabe in Apotheken und Drogerien. Die drei anderen Mittel des Figur-Pakets waren bloß als Verzehrprodukte angemeldet. Schlankheitsversprechen sind für diese nicht erlaubt - und beim Neuner Figur-Paket auch nicht einzuhalten.
Verführung zur Irreführung
In Österreich darf ein Nahrungsergänzungsmittel oder Verzehrprodukt vom Tag der Anmeldung an drei Monate lang ungehindert verkauft werden. Das Gesetz sieht vor, dass das Ministerium für Verbraucherschutz in dieser Zeit die vorgelegten Produkte und Papiere nach § 18 des Lebensmittelgesetzes überprüft. Die Inhaltsstoffe dürfen keine medizinische Wirkung entfalten, Packung und Beipackzettel dürfen keine gesundheitsbezogenen Versprechen enthalten. Ansonsten muss der Hersteller sein Produkt spätestens nach drei Monaten ab Anmeldung vom Markt nehmen, will er nicht eine Geldstrafe von bis zu ÖS 100 000 (DM 14 300) riskieren.
Innerhalb der Dreimonatsfrist überprüft das Institut für Lebensmittelforschung, ob sich schädliche Rückstände im Produkt finden.
Auch im Internet wird mit Öko-Image und Experten-Autorität für das Figur-Paket geworben.
Dieses muss zurückgezogen werden, wenn seine Unbedenklichkeit nicht gewährleistet ist oder wenn es aufgrund seiner Zusammensetzung tatsächlich eine medizinische Wirkung hat. In diesem Fall muss der wissenschaftliche Nachweis einer speziellen heilenden Wirkung vorgelegt und um Zulassung als Arzneimittel ersucht werden - und das kann längere Zeit dauern.
Viele Anbieter tricksen deshalb die Behörde aus und kalkulieren eine Beanstandung oder Untersagung ein: Weil laut Lebensmittelgesetz Werbung für "Schlankmacher" grundsätzlich verboten ist, legen manche Firmen so genannte "weiße Packungen" ohne therapeutische Aussagen vor und "vergessen" auch, die Werbetexte vorzuweisen. Erst nach Ablauf der Anmeldefrist legen sie dann den Packungen bunte Begleittexte mit lautstarken Abmagerungs-Versprechen bei. Es überraschte niemanden, dass bei einem Test 1993 mehr als die Hälfte (53%) der vom österreichischen Marktamt gezogenen Verzehrprodukte-Proben falsch bezeichnet war.
Diese Strategie betreibt auch die Firma Rieser-Malzer mit Erfolg: Sie macht Geschäfte und - wartet gelassen auf eine Beanstandung. Dabei werden und wurden mehrere Vorschriften übertreten: das Verbot der Werbung für schlankmachende Mittel wie auch das Verbot des Versands von Verzehrprodukten und Medikamenten. Schließlich wurden 1994 die Arbeiterkammer und die Tiroler Lebensmittelbehörde aktiv und klagten, und endlich verbot das Gesundheitsministerium den griffigen Slogan "Schlank im Schlaf".
Die Firma reagierte auf die Beschwerdeflut und brachte eine neue Werbebroschüre heraus, auf der die alten Sprüche fehlten. Ende März 1995 stellte sie bei einer Pressekonferenz das leicht veränderte Neuner Figur-Paket vor. Nun sollte es der "Entschlackung, Reinigung, Aktivierung und Harmonisierung des Körpers" dienen, wodurch letztlich eine "Gewichtsreduktion" erzielt werden sollte. Jetzt enthielt es wieder neue Stoffe: zum Beispiel Spurenelemente aus Blasentang, vor allem Jod, das den Grundumsatz und damit den Kalorienverbrauch anhebt (weshalb das Produkt als Arzneimittel zuzulassen wäre - deshalb wurde das Jod bald darauf wieder aus dem Rezept genommen), sowie die Blaualge Spirulina.
Verzehrprodukte mit Blaualgen kamen in Mode, als sie 1981 der National Enquirer in den USA fälschlich als "natürliche, sichere Diätpille" anpries. Aber bereits ein Jahr später mussten amerikanische Anbieter-Firmen horrende Strafen bezahlen (z. B. Miscorp $ 225 000), weil sie ihre Spirulinapräparate mit schlank machender und heilender Wirkung beworben hatten: Produkte aus Spirulina enthalten keine Nährstoffe, die man nicht auch aus anderen Lebensmitteln gewinnen kann, und sie haben keinen nachgewiesenen Nutzen bei der Behandlung irgendeines gesundheitlichen Problems. Aber sie wurden in Massen gekauft - obwohl sie pro Gramm Protein sechsfach teurer waren als etwa Protein aus Steaks. In der Folgezeit fanden sich viele Nachahmer, die an dem Millionengeschäft mitprofitieren wollten, so auch Rieser-Malzer.
Neuners Janusgesicht
Zusätzlich füllte die Firma Rieser-Malzer ihre Kapseln nun mit den Aminosäuren Phenylalanin, Lysin und Carnitin, denen sie eine erhöhte Kalorien-Verbrennung zuschrieben. Die Schwestern Neuner attestierten diesen Mitteln "Aktivierung Ihres Stoffwechsels". Allerdings haben Sportler keinen erhöhten Bedarf an Carnitin, das trifft nur für Kranke mit fortschreitendem Muskelschwund zu. Der Clou des neuen Angebots aber waren die so genannten "Janustropfen". Sie sollten der "Kurverstärkung" dienen, entpuppten sich aber - wie die Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung feststellte - als verunreinigtes Wasser. Kosten pro Fläschchen: ÖS 800 (DM 110)!
Nun wurde die Vertriebsfirma auch wegen ihrer Wucherpreise für verunreinigtes Wasser verklagt, außerdem wegen Irreführung durch Vortäuschen eines vom ORF durchgeführten Tests:
1995 verzichtete die Neuner-Werbung kurzfristig auf das Versprechen "Schlank im Schlaf" - zwei Jahre später tauchte der Slogan wieder auf.
Die Sendung "WIR" wollte 1993 demonstrieren, wie kläglich Schlankheitsmittel versagen. Rieser-Malzer machte daraus eine getarnte Verkaufsaktion, rief 7000 Interessenten zur Mitwirkung auf und verlangte von den Teilnehmern den vollen Preis für die Kur - ÖS 1980 (DM 270). Als "Teilrefundierung" für nicht erreichte Gewichtsabnahme gewährte sie 200 Schilling, genau genommen also einen 10%-Rabatt. Die Verfahren endeten zum Teil mit Vergleichen bzw. mit der Zahlung einer geringen Summe (ÖS 20 000 = rund DM 3000), zum Teil sind sie bis heute nicht abgeschlossen.
Rieser-Malzer steckte zurück, warb ab 1995 nur noch für "Fettgewebe-Entschlackung". Doch zwei Jahre später warf die Firma wieder das verführerische Versprechen "Schlank im Schlaf" in die Werbeschlacht - im Ausland. In Deutschland wurden nun andere Inhaltsstoffe in den Vordergrund gerückt: "Die 100% natürlichen Apfelextrakte entfernen die Schlackenstoffe, saugen wie ein Schwamm Giftrückstände aus dem Darm und führen bereits nach 1/3 der normalen Speisemengen zur völligen Sättigung, so daß weniger Kalorien zugeführt werden ..." Zusätzlich enthielten die Kapseln nun Vitamin B6, Vitamin C und Sojaeiweiß-Hydrolysat. Diese Substanzen sind keine Fettkiller, aber die Werbelyrik suggerierte fälschlich: "20 Kilo in vier Wochen ... Bis jetzt 4 Kilo in einer Woche entschlackt, obwohl sie keine strenge Diät hielt ... Minus 104 Pfund ... 22 Kilo leichter ... Blasenwege gereinigt ..." Die zitierten Anwender schwärmten auch vom Verschwinden hartnäckiger Darmpilze.
Da ein solches, nicht als Arzneimittel zugelassenes Produkt in Deutschland nicht über Versandhandel vertrieben werden darf und für ein Verzehrprodukt weder Schlankheitswerbung noch krankheitsbezogene Aussagen zulässig sind, haben 1997 die Verbraucherzentralen Anzeigen erstattet (Verstoß gegen §6 der Nährwertkennzeichnungsverordnung NKV, gegen § 17/1/5, § 18/1 Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz LMBG, gegen §3,3a Heilwesenwerbungsgesetz HWG sowie gegen § 2/1 Arzneimittelgesetz AMG). Es gab eine einstweilige Abmahnung, der Rechtsstreit ist aber noch nicht abgeschlossen und könnte - laut Verband Sozialer Wettbewerb - bis zum Bundesverwaltungs-Gerichtshof gehen. Die Mühlen der deutschen Justiz mahlen langsam.
Anders in den Niederlanden. Hier wurde ebenfalls - wie auch in der Schweiz - "Schlank im Schlaf" flächendeckend in Tages-, Wochen- und Regionalzeitungen mit teuren Inseraten, in Magazinen und billigen Postwurfsendungen angepriesen. Im Sommer 1998 fielen den niederländischen Skeptikern Jan Willem Nienhuys und Marie P. Prins ganzseitige Annoncen auf, in denen ein "Dr. Neuner" als Erfinder für die Schlank-im-Schlaf-Kur warb. Mit dem Verdacht, dass es sich um einen ausgemachten Schwindel handle, wandten sie sich an die "Reclame Code Commissie" (die Kommission für Werbewahrheit). Doris Neuner, nach dem Doktortitel ihres Vaters befragt, erklärte diesen als Übersetzungsfehler. Trotzdem verbot die Kommission im Februar 1999 die Werbung in der vorliegenden Form, weil erstens Hans Neuner kein "Dr." war, zweitens die Sendung "WIR" die Wirksamkeit der Kur nicht bestätigt hat und drittens nicht klar ist, wer die Produkte anbietet - eine Fernsprechnummer reicht dazu nicht aus. Einige Wochen lang versiegte die Inseratenflut - aber Ende Mai 1998 fand sich wieder eine Anzeige mit der Schlank-im-Schlaf-Kur von "Dr. Neuner", diesmal in der Zeitschrift Party; das Bestelltelefon hatte eine niederländische Nummer.
In dieser Werbung wurde auch ein Kunde zitiert - zwar nur mit den Initialen seines Namens, aber sein ebenfalls genannter Wohnort ist so klein, dass ihn - außer uns - auch ein Dutzend anderer Leser ausfindig gemacht und ihn nach seinem Erfolg gefragt hat. Der Mann war empört und sagte das auch jedem: Er war ohne seine Zustimmung für die Werbung missbraucht worden, fand die Kur viel zu teuer. Überdies hatte der Erfolg nicht angehalten.
Seit Herbst 1999 wirbt Rieser-Malzer wieder ungeniert, trotz aller Verbote, mit leicht verändertem Werbetext in allen großen niederländischen Zeitungen.
Milliardenumsatz?
Ungehindert nimmt das Call-Center in Mayerhofen in Tirol weiterhin laufend Bestellungen entgegen. Fünf Telefonistinnen arbeiten an sechs Tagen die Woche von 7 bis 22 Uhr, sonntags von 8 bis 20 Uhr. Angeblich hat bis jetzt schon eine halbe Million Menschen das Kur-Paket bestellt - ein Milliardenumsatz! Was weiß die Steuerbehörde davon? Im Frühjahr 1999 meldete sich Krista Federspiel als Interessentin und erfuhr, dass die "Originalkur wieder verbessert" wurde; man versicherte ihr, dass die "Intensivkur" zu ÖS 2790 (DM 400) eine Gewichtsabnahme von mehr als zehn Kilo in einem Monat bringe. Nein, eine Garantie mit Geld-Rückgabe komme leider nicht in Frage, denn man könne ja nicht kontrollieren, ob alles richtig eingenommen werde. Die Auskunft war falsch: Von Telefongeschäften kann man zurücktreten, und dann muss der Anbieter auch das Geld zurückzahlen.
Nähere Informationen wurden schriftlich zugeschickt. Auf dem Kopf des Informationsblattes findet sich der unverfrorene und irreführende Hinweis, Neuners Kur-Paket entspreche den deutschen lebens- und arzneimittelrechtlichen Bestimmungen. Ferner wird erwähnt, dass die Intensivkur Chrompicolinat enthalte. Diesem Stoff wird vom Vertreiber nachgesagt, dass er die "Fettverbrennung um 30% verstärken und gleichzeitig das Muskelgewebe festigen" würde. Auch dies ist eine Mär, auch sie entstand ursprünglich in den USA, und auch diese Wirkvorstellungen sind, laut Food and Drug Administration (FDA), durch keine Studie belegt. Das Infoblatt behauptet außerdem, Arginin könne den Körper anregen, "Wachstumszellen zu bilden" - hieß es früher nicht Wachstumshormone? Wahrscheinlich ein Druckfehler, aber wer wird es schon so genau nehmen!
Detailliertere Inhaltsangaben der vier Produkte waren trotz zweier freundlicher Briefe an die Geschäftsleitung nicht zu erhalten. Im Gegenteil: Ein Antwortschreiben wies das Ansinnen süffisant zurück mit der Frage, welche Referenzen denn die Anfragenden vorweisen könnten, denn verantwortungslose Journalisten hätten den Ruf der Firma bereits geschädigt ... Gut, das konnten wir auch tun. Wir verständigten das österreichische Ministerium für Verbraucherschutz. Die Antwort kam - endlich nach neun Wochen. Es stellte sich heraus, dass dort niemand von der intensiven Werbekampagne in anderen europäischen Ländern wusste. Immerhin verständigte man daraufhin das Tiroler Marktamt und erstattete Anzeige. Ein Ergebnis ist bislang nicht bekannt.
1992 waren in den USA mehr als 100 Menschen durch Schlankheitsmittel zu Schaden gekommen, es gab sogar einen Todesfall. Kurz darauf verbot die Gesundheitsbehörde den Verkauf von mehr als 110 Stoffen in rezeptfreien Schlankheitsmitteln, darunter auch einige, die in der Schlank-im-Schlaf-Kur enthalten sind: Arginin, Coffein, Phenylalanin, Tryptophan und Vitamin B6. Die FDA hat auch ausdrücklich den Verkauf von Schlankeitsprodukten verboten, die im Schlaf eine Gewichtsabnahme durch Stimulation von Wachtsumsfaktoren propagieren.
Ein entsprechendes Verkaufsverbot ist in Europa bislang nicht durchzusetzen. Das frühere Bundesgesundheitsamt hat dreimal bloß vor Betrug mit Schlankheitsmitteln und anderen, gefährlichen Rezepturen gewarnt.
Zahnlose Gesetze
Die Behörden sind offenkundig überfordert, die Gesetze zahnlos, die Strafen lächerlich gering: Hierzulande machen Dutzende solcher Schwindelfirmen mit Schlankeitsmitteln Millionengewinne. Wenn der Händler seine Auslieferung und Call-Centers in verschiedenen europäischen Ländern hat, keine bzw. eine Postkasten-Adresse angibt, die Produkte immer wieder aus neuen Inhaltsstoffen zusammensetzt oder laufend neue Wundermittel und neue Werbeslogans kreiert, greifen die nationalen Gesetze nicht.
Zusätzlich erschweren zersplitterte Kompetenzen den Informationsfluss und das Eingreifen: In Österreich sind drei verschiedene Ministerien zuständig (Gesundheit, Wirtschaft, Umwelt- und Verbraucherschutz). Das Geschäft mit der Verzweiflung über das Übergewicht könnte nur durch länderübergreifende Gesetze und eine schmerzliche Strafandrohung für die Händler und für die Annoncen-Abteilungen der Printmedien eingeschränkt werden. Wirksamer ist private Initiative: In Deutschland können erboste Konsumenten zum Telefonhörer greifen und die Anzeigenabteilungen der Printmedien daran erinnern, dass sie irreführende, rechtswidrige Anzeigen nicht veröffentlichen dürfen. Und sie sollten die Verbraucherschutzverbände informieren und mobilisieren.
In Österreich hat die Recherche zu diesem Artikel die Konsumentenschutz-Vereinigung VKI dazu angeregt, einen großen Test der telefonbeworbenen Schlankheitsmittel durchzuführen und eine Broschüre mit Warnhinweisen zu erstellen. Die Firma Rieser-Malzer geht nun mit Gerichtsklagen wegen Geschäfts- und Rufschädigung gegen die Wiener Arbeiterkammer und den VKI vor. Weitsichtig beugt sie einem Einbruch ihres Umsatzes vor: Alle paar Monate bietet sie eine neue Schlankheitskur an. Derzeit aktuell: eine "Anti-Blitz-Diät", eine "Fettkiller"-Kur, die durch "levitiertes Wasser" verstärkt wird, und der letzte Schrei: Pyruvat, das Salz der Brenztraubensäure, das unter dem suggestiven Produktnamen "Pyrofat" (pyro = verbrennen, fat = Fett) vertrieben wird.
Das Neuner-Paket "Schlank im Schlaf" besteht aus vier Komponenten:
- Neuner Entschlackungstee F 25: eine Mischung aus registrierpflichtigen Kräutern, z. B. Birkenblättern, Löwenzahnwurzel, Petersilien- und Hagebuttenfrüchten, die mehr oder weniger harntreibend wirken. Das erklärt auch die Gewichtsabnahme binnen weniger Tage der Einnahme - sie ist ausschließlich auf den Wasserverlust zurückzuführen und hat nichts mit einem Abbau von Fettzellen zu tun. Überdies führen sowohl der Beipacktext als auch der Austria Codex (das Verzeichnis aller in Österreich zugelassenen Medikamente) eine Reihe von Gegenanzeigen und Nebenwirkungen dieser Kräuter an.
- Neuner Mate-Tee: ein teeähnliches Erzeugnis aus den coffeinhaltigen Blättern eines südamerikanischen Strauches. Den gesamten Tagesbedarf an Flüssigkeit - etwa zwei Liter - mit einem solchen Aufguss zu decken, wie es die Neuner-Kur vorsieht, ist allerdings aus medizinischer Sicht wenig sinnvoll. Überdies gibt es den Mate-Tee in jedem Tee-Laden wesentlich billiger.
- Neuners Pflanzenelixier: eine alkoholfreie Mischung aus Extrakten verschiedener Gemüse sowie Apfelkonzentrat, Zwetschgen- und Zitronensaft, die ebenfalls entwässernde beziehungsweise abführende Wirkung haben.
- Eiweißergänzungs-Kapseln, die das Schlankwerden im Schlaf versprechen. Sie stehen im Mittelpunkt der Werbung. Die darin enthaltenen Aminosäuren L-Arginin und L-Ornithin fördern angeblich die Bildung von Wachstumshormon, das wiederum nachhaltig Fettgewebe abbauen soll. Die pseudowissenschaftliche Anpreisung ist in mehrfacher Hinsicht Unfug. Erstens: Wenn die Kapseln die Aminosäuren tatsächlich wesentlich konzentrierter enthielten, als sie in verschiedenen Lebensmitteln in natürlicher Form vorkommen, dürfte das Präparat nur als Arzneimittel auf den Markt kommen. Zweitens: Ganz im Gegensatz zur Werbung werden die beiden Aminosäuren in der Medizin zur Proteinanreicherung im Körper verabreicht, um nach eiweißabbauenden Zuständen - zum Beispiel nach einer Verletzung - oder bei fortschreitendem Muskelschwund einen weiteren Gewichtsverlust zu vermeiden. Auch werden sie als Leberschutzpräparate eingesetzt. Weil sie das Wachstumshormon Somatotropin (STH) stimulieren, dienen sie vor allem dazu, wachstumsgestörten Kindern zu einem natürlichen Wuchs zu verhelfen. Drittens: Selbstverständlich gehört jede Hormonbehandlung in die Hände eines qualifizierten Arztes, denn vermehrte Wachstumshormone im Blut können Akromegalie auslösen, eine Krankheit, bei der Hände, Füße und Gesicht abnorm vergrößert werden. - Die in den Kapseln enthaltene Dosis könne sicher nichts bewirken, kommentierte bereits vor fünf Jahren Prof. DDr. Huber, vor allem, da die Aminosäuren eingenommen und nicht injiziert würden.
Dr. Krista Federspiel, geb. 1941 in Niederösterreich, lebt in Wien. Studium der Germanistik, Psychologie, Volkskunde und Theaterwissenschaft an der Wiener Universität. Tätigkeit als Redakteurin und freie Journalistin in Zeitungen und Zeitschriften mit den Schwerpunkten Arbeitswelt, Frauenpolitik, Sozialpolitik, Gesundheit. Wissenschaftsjournalistin in den Bereichen Medizin und Alternativmedizin. Radioarbeit und TV-Moderation beim ORF. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, u. a. "Frauen der ersten Stunde, 1945-55" (1985), "Sozialstaat Österreich, bei Bedarf geschlossen" (1987), "Ökobilanz Österreich" (1988), "Wer? Ein Anti-Who-ist-Who" (1988), "Arbeit, fünfzig deutsche Karrieren" (1990), "Die andere Medizin" (1991/92/96), "Bittere Pillen" (Mitarbeit 1993), "Kursbuch Seele" (1996), "Krebs - mit der Krankheit leben" (1999), "Lexikon der Parawissenschaften" (Mitherausgeberin, 1999).
Anschrift: Pramergasse 3/11, A-1090 Wien, Österreich
Marie P. Prins, Ausbildung zur Diplom-Ingenieurin (Elektrotechnik) an der University of Minnesota (BSEE 1961) und der Ohio State University (MSEE 1974). Seit der Pensionierung widmet sie sich verstärkt ihren Hobbys Kochen und Gärtnern, die zu einem Interesse an (Heil-)Kräutern führten. Gegen Kurpfuscherei-Annoncen versucht sie - durch gelegentliche Erfolge ermutigt - rechtlich vorzugehen.
Anschrift: Rijnstraat 20, NL-4388 TV Oost-Souburg, Nederland
Dieser Artikel erschien im "Skeptiker", Ausgabe 2/2000.