Eine Sonderausgabe der britischen Fachzeitschrift Homeopathy [1] (Band 96, Ausgabe 3, August 2007) hat sich mit dem Gedächtnis des Wassers („The Memory of Water") auseinandergesetzt und eine Reihe unterschiedlicher Beiträge zu diesem Thema zusammengestellt. Ein Fragezeichen kommt im Untertitel nicht vor - bis auf einen skeptischen Beitrag von Jose Teixeira gehen alle Artikel fest davon aus, dass das Gedächtnis des Wassers eine Realität sei. Leider wird an keiner Stelle klar definiert, was damit eigentlich gemeint sein soll. Die Beispiele des Herausgebers Martin Chaplin [2], etwa aus den Wänden gläserner Behälter herausgelöstes Silizium oder mikroskopische Gasblasen, weisen zurecht auf die Komplexität der scheinbar einfachen Flüssigkeit H2O hin und auf die Tatsache, dass es absolut reines H2O nicht geben kann. Sie sind aber ebenso unumstritten wie irrelevant in Bezug auf „ultra-molekulare" homöopathische Verdünnungen, in denen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein einziges Molekül der Urtinktur mehr vorhanden ist, aber ein für diese Urtinktur spezifischer Effekt existieren soll.
Dr. Peter Fisher, Herausgeber von Homeopathy und Homöopath der englischen Königin, hat sich seinen Kritikern gestellt und die Artikel auf der skeptischen Seite badscience.net von Ben Goldacre, Wissenschaftsjournalist des Guardian, zur Verfügung gestellt [3] und zur Diskussion freigegeben. Einige Beiträge haben zu einer lebhaften, aber weitestgehend sachlichen und niveauvollen Diskussion geführt, aus der auch einige Briefe an Homeopathy entstanden sind (die allesamt in Band 97, Nr. 1, 2008, veröffentlicht wurden und auf badscience.net nachgelesen werden können). Einige ausgewählte Artikel aus Homeopathy sollen im Folgenden kurz zusammengefasst und kritisch hinterfragt werden.
Experimentelle Artikel
Der Schweizer Louis Rey untersucht selbst hergestellte homöopathische Hochpotenzen mittels Thermolumineszenz. Dabei wird eine Probe eingefroren und mit flüssigem Stickstoff (-196°C) gekühlt, bestrahlt und anschließend kontrolliert wieder erwärmt. Durch die Bestrahlung entstehen Defekte im Eiskristall, die sich während der Erwärmung ab einer bestimmten Temperatur selbst „reparieren" und dabei den Kristall leuchten lassen. Die Thermolumineszenzkurve von reinem Lösungsmittel (schweres Wasser, D20, wird verwendet, da der Effekt stärker ist als bei normalem Wasser, H2O), homöopathischen Hochpotenzen (NaCl und LiCl, jeweils C 15) und einem homöopathischen Placebo, das durch wiederholtes „Verdünnen" und Schütteln von reinem D2O hergestellt wird, weisen dabei Unterschiede auf. Rey vermutet, dass die Sukkussion (Verschüttelung) sowie eingeschlossene Gasbläschen eine wichtige Rolle spielen, da die Lumineszenzkurven sich je nach Atmosphäre, unter der die Präparate hergestellt wurden, stark unterscheiden. Leider werden im Artikel keine Angaben zur Genauigkeit oder Reproduzierbarkeit der Versuche gemacht, sodass die Bedeutung der Ergebnisse schwer einzuordnen ist. Auch wird darauf verwiesen, dass unabhängige Forscher um den Niederländer Roeland van Wijk die Ergebnisse reproduziert hätten. Eine Übertreibung, denn in dessen Bericht (van Wijk et al. 2006) heißt es, die Unterschiede zwischen den verschiedenen Präparaten bestätigten zwar Reys Tendenzen, seien aber statistisch nicht signifikant. Jedenfalls scheint van Wijks Gruppe wesentlich sorgfältiger als Rey gearbeitet zu haben: experimenteller Aufbau und Herstellung der Präparate werden detailliert beschrieben, die Darstellung der Ergebnisse ist konsistent und ihre starken statistischen Streuungen innerhalb der Versuchsreihen werden nicht verschwiegen.
Philippe Leick, geboren 1976 in Bonn, Studium der Physik in Hamburg, am Ende mit Schwerpunkt Laserphysik und Quantenoptik, Diplomarbeit am Institut für Laserphysik (2001). Seitdem arbeitet er in einer Forschungsabteilung eines großen Automobilzulieferers bei Stuttgart. Mehrere Veröffentlichungen zum Thema Messtechnik zur Bewertung der Eigenschaften von Sprays (i.e. Dieselsprays). |
Thixotropie bezeichnet die Eigenschaft bestimmter Flüssigkeiten, deren Zähigkeit nach längerem Fließen abnimmt. Die bekannteste thixotropische Substanz ist vermutlich Ketchup: beim Schütteln der Flasche passiert zuerst sehr wenig, aber irgendwann landet meist der ganze Inhalt auf dem Teller. Die Physiker Bohumil Vybiral und Pavel Voräoek von der Universität Hradec Krälove in der Tschechischen Republik berichten über nicht-ideales Fließverhalten - leichte Thixotropie - von destilliertem Wasser, das lange genug ungestört stehen gelassen wurde. Warum dieser zweifellos interessante Artikel in einer Zeitschrift für Homöopathie publiziert wird, ist unklar. Mit dem Gedächtnis von Wasser hat der Effekt jedenfalls gar nichts zu tun, da er mit gelösten Salzen in Verbindung gebracht wird und bei Verwendung von destilliertem und deionisiertem Wasser verschwindet. Möglicherweise spielt auch die Zersetzung organischer Verunreinigungen eine Rolle. Die experimentellen Ergebnisse beziehen sich auf makroskopische Eigenschaften des Wassers. Für die von den Autoren vermutete Bildung langlebiger Wasserstoffbrücken-Cluster (einer mikroskopischen Eigenschaft) liefern sie keinerlei Hinweise, zumal experimentell bereits nachgewiesen wurde, dass die Lebensdauer von Wasserstoffbrücken im Femtosekundenbereich liegt (Cowan et al. 2005).
Theoretische Artikel
Während bei den experimentellen Arbeiten noch gute Wissenschaft zu erkennen ist, brechen bei den theoretischen Beiträgen alle Dämme. Das zentrale Problem ist meist, dass die Wirksamkeit homöopathischer Hochpotenzen als selbstverständliche Tatsache betrachtet wird. Wenn Physik oder Chemie gewichtige Gründe gegen diese Tatsache anführen, müssen eben zusätzliche Mechanismen existieren und gefunden werden, die diese Einwände außer Kraft setzen! Den Anfang macht ein ziemlich wirrer Artikel zur „Natur der aktiven Zutat in ultra-molekularen Verdünnungen" von Otto Weingärtner (der bei Dr. Reckeweg & Co. GmbH arbeitet, einem Hersteller homöopathischer Präparate). Es wird über Nichtlokalität, verallgemeinerte Verschränkung und schwache Quantentheorie (WQT) spekuliert (siehe Leick 2006 für eine ausführliche Auseinandersetzung mit der WQT) sowie ein „Sequential Box" genanntes Modell des homöopathischen Potenzierens vorgestellt. Statt eine immer geringere Menge der Ursubstanz zu betrachten, sollte diese als konstant angenommen werden und zum Ausgleich die Menge des Lösungsmittels bei jeder Verdünnung entsprechend erhöht werden. Weingärtner ist die Tatsache nicht entgangen, dass mit diesem Ansatz ziemlich schnell mehr Lösungsmittel erforderlich ist, als Materie im Universum zur Verfügung steht. Inwieweit es relevant ist, dass in der Praxis anders potenziert wird, diskutiert Weingärtner nicht. Da die Konzentration der Ursubstanz natürlich auch in diesem Modell schnell gegen Null tendiert, „muss" eine zusätzliche, die Information der Ursubstanz tragende nichtlokale Eigenschaft existieren, die im Rahmen der schwachen Quantentheorie beschrieben werden kann.
Ebenso wie Harald Walach (siehe Leick 2006 und darin enthaltene Referenzen) hat auch Lionel R. Milgrom ein Modell der Homöopathie entwickelt, das auf der schwachen Quantentheorie basiert. Während Walach nur eine doppelte Verschränkung (Symptome <-> Urtinktur, Urtinktur <-> homöopathisches Präparat) betrachtet, fügt Milgrom eine dritte Verschränkung zwischen Patient und Therapeut hinzu. Dadurch wird sein Modell aber nicht wissenschaftlicher als Walachs, denn beide Ansätze haben ähnliche Schwächen. Die Lektüre von Milgroms Artikel wird zusätzlich dadurch erschwert, dass selten klar ist, ob Aussagen zur (schwachen) Quantenmechanik metaphorisch oder wörtlich interpretiert werden sollen. Sein Umgang mit Referenzen folgt dem Motto „viel hilft viel", worunter die Genauigkeit sehr leidet. Die äußerst hohe Zahl an Fehlern bei Aussagen zur Quantenmechanik nährt den Verdacht, dass Milgrom davon wenig verstanden und entsprechende Passagen schnell und sorglos abgeschrieben hat (Leick 2006, 2008; Chrastina 2007).
Zusammenfassung
Die Sonderausgabe von Homeopathy enthält einerseits eine Zusammenfassung zum Stand der Forschung zum Gedächtnis des Wassers. Das Wort Gedächtnis ist dabei nicht ganz zutreffend, da teilweise Eigenschaften betrachtet werden, die zwar mit der Vorgeschichte der Proben zusammenhängen, aber nicht mit Substanzen in Verbindung stehen, die aus den Proben herausverdünnt wurden. Andererseits wird die Diskussion um den (hypothetischen!) physikalischen Mechanismus der homöopathischen Hochpotenzen um einige Ideen erweitert, die bisher zu wenig betrachtet wurden. Keine dieser Ideen vermag es aber, die Idee eines Gedächtnisses des Wassers im Sinne der Homöopathie plausibel zu machen. Darüber hinaus muss leider festgestellt werden, dass das wissenschaftliche Niveau einiger Beiträge nicht sehr hoch ist. Von fehlenden Details zum experimentellen Aufbau oder zu den Auswertungsmethoden, falschen oder irreführenden Zitaten, unzureichenden Statistiken bis hin zum selektiven Ignorieren von Messdaten (wofür es in einem Paper leider starke Anzeichen gibt) sind alle Fehler dabei, die der Peer-Review-Prozess eigentlich ausmerzen sollte. Mehrere Beiträge leiten aus der Wirksamkeit der Homöopathie die Existenz eines Mechanismus zum Kopieren oder Verstärken von Informationen ab, der die Verdünnung der Urtinktur kompensieren soll. Über die Eigenschaften dieses Mechanismus lässt sich dann frei von empirischen Randbedingungen vorzüglich spekulieren; dass dabei natürlich Hahnemanns Ideen oder die heutige homöopathische Praxis bestätigt werden, muss dann niemanden mehr überraschen.
Philippe Leick
Dieser Artikel erschien im Skeptiker 2/2008.
Literatur
Chrastina. D. (2007): Electronic Letters to eCAM: 4: 7-16. (Milgrom, L. R.: Journeys in The Country of The Blind: Entanglement Theory and The Effects of Blinding on Trials of Homeopathy and Homeopathic Provings). online auf http://ecam.oxfordjournals.org/cgi/eletters/4/1/7.
Cowan, M. L. et al. (2005): Ultrafast memory loss and energy redistribution in the hydrogen bond network of liquid H20. Nature. 434:199-200.
Leiek, P. (2006): Die „schwache Quantentheorie" und die Homöopathie. Skeptiker 3/06. S. 92-102.
Leick. P. (2008) : Homeopathy. 97:50-51, online auf http://www.badscience.net/?p=528//comment-17246 (21.01.2008).
van Wijk. R.; Bosnian, S.; van Wijk, E.P.A. (2006): Thermoluminescence in Ultra-High Dilution Research. The Journal of Alternative and Complementary Medicine. 12.6.437-443.
Online-Quellen:
[1] Homeopathy (Elsevier). http://www.sciencedirect.com/science/journal/14754916 (21.01.2008).
[2] http://www.lsbu.ac.uk/water/chaplin.html (21.10.2007).
[3] http://www.badscience.net /?p=490 (30.09.2007).