Klaus Schmeh
Ein paar Werbeanzeigen aus dem Jahr 1941 sorgten in den USA über Jahrzehnte hinweg für Diskussionen. Was die einen für eine simple Reklame hielten, war für die anderen eine versteckte Mitteilung des japanischen Geheimdiensts. Wie so oft, ist die weniger spektakuläre Erklärung die deutlich wahrscheinlichere.
Im November 1941 erschienen in der US-Zeitschrift New Yorker zwei ungewöhnliche Werbeanzeigen. Die kleinere davon – sie war innerhalb der Ausgabe mehrfach abgedruckt – zeigte zwei Spielwürfel, auf denen die Zahlen 12, XX und 24 sowie 5, 0 und 7 zu erkennen waren. Außerdem verwies das Inserat auf die deutlich größere zweite Anzeige, die sich auf Seite 86 befand. Dort waren ein paar Personen in einem Luftschutzkeller abgebildet, die sich während eines Bombenangriffs mit einem Würfelspiel vergnügten. Die beiden Anzeigen stammten von einer Firma namens Monarch Publishing. Sie warben für ein damals neues Würfelspiel namens „Deadly Double“, für das man zwei auf die dargestellte Weise bedruckte Würfel benötigte. In der größeren Anzeige war ein Text zu lesen, in dem dazu aufgef ordert wurde, sich angesichts der unsicheren Zeiten (in Europa war der Zweite Weltkrieg bereits im Gange) Gedanken über mögliche Nächte im Luftschutzkeller zu machen. In denen wäre man über ein vorbereitetes Paket mit den wichtigsten Utensilien (Wasserflaschen, Kerzen, warme Kleidung usw.) sicherlich froh. Zudem wäre etwas Zerstreuung im Luftschutzkeller nicht verkehrt – eben mit einem flotten Würfelspiel wie Deadly Double. Unter dem Text war ein stilisierter Adler abgebildet, der an ein offizielles Wappen erinnerte. Beide Anzeigen waren zusätzlich mit dem dreisprachigen Hinweis „Achtung, Warning, Alerte!“ versehen.
Eine geheime Botschaft?
Drei Wochen nach Erscheinen der Anzeigen griffen die Japaner Pearl Harbor auf Hawaii an. Damit begann auch für die USA der Zweite Weltkrieg. Nach weiteren vier Wochen stieß ein FBI-Agent auf Hawaii auf eine merkwürdige Beobachtung: Der linke Würfel in der New-Yorker-Anzeige zeigte unter anderem die Zahl 12, der rechts unter anderem die Zahl 7. Dies konnte man als einen Hinweis auf den 7. Dezember interpretieren – den Tag des Pearl-Harbor-Angriffs. Eine mögliche Erklärung war schnell gefunden: Hatte vielleicht der japanische Geheimdienst über eine Tarnfirma diese Anzeigen geschaltet, um seine Agenten in den USA vor dem bevorstehenden Angriff zu warnen? War das angebliche Werbeinserat also in Wirklichkeit eine über die Medien verbreitete Geheimbotschaft, die nur für Eingeweihte zu verstehen war? Auf den ersten Blick klingt diese Theorie durchaus plausibel. Zweifellos gab es in den USA bei Kriegsausbruch zahlreiche japanische Agenten. Und zweifellos wäre es für den Geheimdienst zu aufwendig gewesen, alle davon innerhalb weniger Wochen über die üblichen Kommunikationskanäle (Tote Briefkästen, Funksender usw.) zu informieren. Eine Anzeige im New Yorker, die auf eine vorher vereinbarte Weise kodiert war, war die deutlich einfachere Alternative. Der stilisierte Adler, der an den deutschen Reichsadler erinnerte, diente hierbei möglicherweise als Erkennungszeichen.
Zufälle gibt’s
Der Verdacht war also erst einmal in der Welt, und so sorgte die vermeintliche Deadly-Double-Verschwörung über Jahrzehnte hinweg für Diskussionen. Das FBI stellte eine Untersuchung an, bei der herauskam, dass hinter der Firma Monarch Publishing ein Geschäftsmann namens Roger Craig steckte. Dieser hatte das Unternehmen ein Jahr vor Erscheinen der Anzeige gegründet und bereits im Jahr danach verschwand Monarch Publishing wieder vom Markt. War Craig also nur ein Strohmann der Japaner gewesen? Weitere Untersuchungen förderten allerdings nichts Verdächtiges mehr zutage. Das Spiel Deadly Double war tatsächlich auf den Markt gekommen und wurde im Einzelhandel verkauft (wenn auch ohne Erfolg). Das FBI fand keinen Hinweis darauf, dass Craig in irgendeiner Form Kontakt mit Japanern gehabt hätte. Auch unbekannte Geldgeber waren nicht auszumachen. Bis heute gibt es zudem keine Zeitzeugen (z. B. ehemalige japanische Agenten oder Geheimdienstmitarbeiter), die einen eventuellen Anzeigen-Geheimcode bestätigen. Geheimdienstexperten winkten ebenfalls ab. Das Gründen einer Tarnfirma und das Schalten einer Anzeige lohnten sich nur, um eine größere Menge von Agenten zu informieren (mit ein paar Einzelpersonen hätte man auch einfacher kommunizieren können). Es ist jedoch kaum anzunehmen, dass die Japaner ihre wohl wichtigste Geheiminformation jener Tage gleichsam im Gießkannenprinzip an ihre Agenten streute. Die Gefahr, dass das Geheimnis verraten werden würde, wäre zu groß gewesen. Auch kodierungstechnische Argumente lassen Zweifel an einer Verschwörung aufkommen. So ist es nicht gerade zwingend, die beiden Würfel mit dem Datum 7.12. in Verbindung zu bringen. Je nach Interpretationsweise kann man auch den 20.12, den 24.12., den 5.12., den 5.7., den 7.5., den 24.5 oder den 24.7. darin erkennen. Zudem können die sechs Zahlen auf den beiden Würfeln so ziemlich alles darstellen, sofern ihnen ein entsprechender Code zugrunde liegt. Abgesehen von diesen Argumenten gibt es noch ein weiteres: Anzeigen von Monarch Publishing mit demselben Würfelmotiv hatte es im New Yorker bereits ein Jahr vorher gegeben. Die Wahrscheinlichkeit, dass damals bereits auf den Tag genau festgelegt war, wann ein Angriff auf Pearl Harbor stattfinden sollte, ist gleich Null. Die ominöse Deadly-Double-Anzeige war daher kein Produkt einer Verschwörung, sondern nur eines: Zufall. Der Fall Deadly Double ähnelt damit zahlreichen anderen Geschichten, die Skeptikern seit langem bekannt sind – etwa dem Marsgesicht oder der angeblichen Vorhersage des Titanic-Untergangs. Für diese Fälle gilt: Neben übernatürlichen Mächten, Außerirdischen und Verschwörern sollte man den Zufall als mögliche Ursache nicht vernachlässigen.
Dieser Artikel ist ein Auszug aus folgendem Buch des Autors: „Versteckte Botschaften – Die faszinierende Geschichte der Steganografie“ (Dpunkt Verlag 2008, ISBN 3936931542).
Klaus Schmeh ist Informatiker mit Schwerpunkt Verschlüsselungstechnik, Autor zahlreicher Sachbücher und GWUP-Mitglied. Er beschäftigt sich unter anderem mit parawissenschaftlichen Code-Fragen (z. B. Bibelcode, Voynich-Manuskript, Da-Vinci-Code).