When bad things happen to good people
Bernd Harder
„Der Kündigungsbrief flattert ins Haus, die Versicherung und die Miete erhöhen sich von einem Tag auf den anderen, sodass der gewohnte Lebensstandard kaum mehr zu halten ist, und in der Beziehung erreichen die Probleme einen kritischen Punkt. Um abzuschalten und für einige Stunden alle Probleme vergessen zu können, dreht man den Fernseher auf, zappt sich durch die Kanäle. Die Nachrichten berichten von Kriegen, Erdbeben, Katastrophen aller Art, von Drogen- und Mafiabossen, von der ausufernden Korruption in der Politik, von Affären und Skandalen, von einer Verflechtung der Mächtigen in dunkle Geschäfte. Denkschablonen drängen sich auf, die das scheinbar Unzusammenhängende miteinander in Beziehung setzen. Und plötzlich ist es einem klar: Nicht man selbst ist schuld an seinem Schicksal - nein, das Unglück ist fremdbestimmt. Die korrupten Politiker, die nur in die eigene Tasche arbeiten, haben sich ein Machtkartell zusammengezimmert.
Vor allem im Internet zieht sich das Netz der Verschwörer zusammen. Szene aus dem Hacker-Film „23 - Nichts ist so, wie es scheint" |
Die Polizei, das Finanzamt, der Vermieter und die Behörden, sie alle sind nur verlängerte Arme der im Stillen operierenden Mächte, der geheimen Oberen, die keiner kennt und die nur schwer enttarnt werden können. Kein Wunder, dass das Wirtschaftswachstum stagniert, die Arbeitslosigkeit steigt und die Kriminalität staatsgefährdende Ausmaße annimmt. Wahrscheinlich entwickelte sich der Filz dieser Verschwörung schon seit Jahren, vielleicht sogar seit Jahrhunderten. Doch wann hatte dieser geheime Plan seinen Anfang? Hatte am Ende gar der Vater Recht, als er meinte, dass es die Juden seien und die Freimaurer, die hinter jenen Vorgängen in der Welt steckten, deretwegen die Menschen leiden müssen? So einfach kann es ja nun auch wieder nicht sein. Wer aber sind dann die Leute, die die Fäden der Welt in Händen halten? Wie sind ihre Namen? Wo sitzen die Drahtzieher für diese fatale Entwicklung, die jeder am eigenen Leib verspüren kann?" (Gugenberger, Petri und Schweidlenka 1998)
Die Wahrheit ist irgendwo da draußen. Alles hängt mit allem zusammen. Vertrauen Sie niemandem. - Dieser Dreiklang aus Argwohn, Angst und Unzufriedenheit mutiert zum neuen Mantra der Pop-Kultur. „Warum sind Sie so paranoid, Mulder?", will die FBI-Agentin Dana Scully in der TV-Serie „Akte X" von ihrem obskuranten Kollegen wissen. „Ich weiß nicht", antwortet der. „Vielleicht, weil es mir schwerfällt, irgend jemandem zu vertrauen."
„Akte X" ist „Mystery" und Kult. Doch im wirklichen Leben wird daraus schnell Hysterie - und eine reale Gefahr. Vor wenigen Jahren kam im Nordosten der USA ein neues Getränk namens „Tropical Fantasy" auf den Markt, das sich in Wohngegenden mit niedrigen Einkommensgruppen äußerst gut verkaufte.
„Du kanst dir niemals wirklich sicher sein..." ... ob die Spionage-Satelliten im All tatsächlich nur den „Gegner" ausspähen. |
Die Tatsache, dass die Angestellten des Herstellers im New Yorker Stadtteil Brooklyn vorwiegend Schwarze waren, verlieh dem Getränk nur noch mehr Anziehungskraft. Dann aber tauchten in schwarzen Wohngebieten anonyme Pamphlete mit der Warnung auf, das alkoholfreie Getränk sei vom Ku-Klux-Klan produziert und enthalte „Stimulantien, um den schwarzen Mann zu sterilisieren". Obwohl dieser Vorwurf sich nach journalistischen und polizeilichen Nachforschungen als völlig haltlos erwies, sank der Umsatz von „Tropical Fantasy" um 70%. Andere Produkte erlitten ähnliche Einbußen nach entsprechenden Verleumdungen (Pipes 1998).
Amerikanische Milizen verbreiten im Internet die Botschaft, dass die Regierung sich gegen das Volk verschworen habe; es sei an der Zeit, Waffenlager anzulegen. Neonazis faseln von geheimen „Plänen zur Unterwanderung des deutschen Volkes"; die Einwanderung von Asylbewerbern sei eine „systematisch eingesetzte Ausrottungswaffe". Die UFOlogen haben offenkundig ein besonderes Faible für die Geheimdienste und stellen sie unter Pauschalverdacht: Sie hielten Informationen über UFO-Abstürze und das Kidnapping von Erdenbürgern zurück, die ins All entführt würden. Religiöse Grenzgänger meinen schließlich im Weltgeschehen das Wirken von Kräften zu erkennen, die als „satanisch" oder „teuflisch" charakterisiert werden. Und in dem Esoterikblatt Das Magazin für neues Wissen findet sich die These, dass bestimmte „Männerbünde" ein weltweites Verschwörungsnetz bilden, das für „Kriege, Faschismus, Ausbeutung der Natur, aber auch Unterdrückung von Frauen, Kindern und gesellschaftlichen Randgruppen" verantwortlich sei (Pörksen 1996). Und sogar mindestens ein Todesfall ist bereits amtlich: In Darmstadt stach 1998 ein junger Mann mitten in der Innenstadt einen in rot gekleideten Bankkaufmann nieder, weil er ihn für einen Illuminaten hielt.
„Die Bereitschaft, überall unsichtbare Feinde zu wittern, sitzt bei den Menschen ganz tief drinnen...", weiß der Regisseur des Verschwörungs-Thrillers „Fletchers Visionen", Richard Donner: „...Man fühlt sich wohl bei der Vorstellung, dass es bösartige Mächte gibt, an denen man seine Wut auslassen kann."
Oder, wie Dieter Groh, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Konstanz, analysiert (siehe auch den Kasten „Kognitive Dissonanz" in diesem Heft, S. 136):
... „Der Gewinn eines auf einer Konspirationstheorie basierenden Deutungsmusters oder Weltbildes liegt für diejenigen, die es akzeptieren, in Folgendem: Erstens ermöglicht oder zumindest erleichtert es ein solches Muster, dissonante Wahrnehmungen zu reduzieren. Zweitens erlaubt es, Komplexität drastisch zu reduzieren. Oder mit anderen Worten: Anziehungskraft und Verbreitung von Verschwörungstheorien verdanken sich ihrer Funktion, Gruppen oder Einzelne, die unter Stress geraten, vom Druck der Realität weitgehend zu entlasten. ,When bad things happen to good people..., dann kann in der Welt etwas nicht stimmen; diese Unstimmigkeit können Verschwörungstheorien überzeugend deuten, und sie können auch, was das Wir-Gefühl der von einer Verschwörung Betroffenen massiv verstärkt, die Verursacher als ,Sündenböcke... namhaft machen. Einzelne, Gruppen, Schichten, Klassen, Völker, Nationen, ,Rassen..., Kulturen machen sich mit Hilfe solcher Theorien und der mit ihnen verbundenen Deutungsmuster scheinbar zum Herrn von Verhältnissen, deren Herr sie gerade nicht sind." (Groh 1996)
Die Tatsache, dass längst nicht alles logisch Mögliche auch wirklich sinnvoll oder vernünftig ist, ficht Konspirations-Anhänger dabei nicht an. Obwohl das ganze Projekt unter der eigenen Implausibilität zusammenbricht, setzen sie eine so lange Kette des Betrugs, eine solch enorm hohe Intelligenz und ein derartig großes Personal an Komplizen voraus, dass sich selbst „Akte X"-Produzent Chris Carter skeptisch zeigt: „Den Menschen fällt es schwer, etwas für sich zu behalten. Und es gibt zu viele eigennützige Leute."
Auch der Autor des Kult-Romans „Illuminatus!", Robert Anton Wilson, glaubt selbst nicht an die große Weltverschwörung:
„Einerseits haben die traditionellen Machtgruppen in den letzten zehn bis 15 Jahren mehr Geld gemacht als jemals zuvor - auf diesem Level sind sie erfolgreicher denn je. Aber auf einem sehr grundsätzlichen Level, glaube ich, verlieren sie gleichzeitig die Kontrolle, denn die Welt ist so kompliziert geworden, dass eine kleine Gruppe gar nicht genug davon verstehen kann, um sie zu kontrollieren."
Verschwörungen, die sich über Hunderte von Jahren erstrecken, hält Wilson bestenfalls für einen guten Stoff für melodramatische Romane: ... „Die best dokumentierte Verschwörung, die wir kennen, die der P2-Loge in Italien, war nur zehn Jahre lang erfolgreich. Mitte der achtziger Jahre waren ihre Führer entweder tot oder im Gefängnis oder untergetaucht" (Wilson 2000). Doch der Verweis auf Fakten „...erweckt bei geübten Konspirationstheoretikern lediglich das müde Lächeln des Eingeweihten, der den Lauf der Welt wirklich durchschaut", hat der Journalist Bernhard Pörksen festgestellt. Verschwörungstheorien sind selbstimmunisierend, weil sich alles und jedes als Beweis der vermuteten Ränkespiele deuten lässt. Außerdem: „Wer von einer Verschwörungstheorie besessen ist, sieht keinen Anlass mehr, Dinge zu überprüfen. Er fühlt sich von Selbstkritik dispensiert. Er steigert sich in eine Rechthaberei hinein, die von jedem Unrecht verstärkt wird." (Sander 1996).
Aufklärung setzt daher nicht zuletzt Verständnis für die Gefühle und Wünsche der Szene voraus. Hoffnungsvoll mag indes die Tatsache stimmen, dass eine einschlägige Internet-„Weltverschwörungsseite", die jede Hirnfraß-Deutung der Weltgeschichte von Kennedy bis MJ-12 auflistet, seit kurzem folgende Hinweise an ihre Leser vorausschickt:
Entwarnung
„Sie werden auf dieser Homepage mit einigen Themen konfrontiert, die Sie möglicherweise in tiefe Depressionen stürzen können. Dies soll Ihnen eine psychische Stütze sein: Bedenken Sie bei allem, was Sie auf der Homepage lesen werden, dass es Ihnen bisher ohne dieses Wissen in ihrem Leben wirklich gut ging.
- Diese ganzen Verschwörer konnten und werden Ihr Privatleben nicht beeinflussen.
- Sie haben es bisher nicht getan und werden nur, weil Sie diese Seite besucht haben, Sie nicht verfolgen.
- Die Verfasser dieser Homepage erfreuen sich bester Gesundheit und wurden keineswegs verfolgt oder bedroht.
- Bedenken Sie, dass alles auf der Homepage Angesprochene nur der Phantasie der Verfasser entsprungen sein kann.
- Betrachten Sie das ganze Thema der Homepage auch unter dem Aspekt der Fiktion.
- Vergessen Sie nicht: Das Gute siegt am Ende immer.
- Bedenken Sie, dass jede Person diese Themen subjektiv anders betrachtet und sie mit ihrer Realität in Einklang bringt.
- Was für den einen eine Verschwörung ist, ist es für den anderen noch lange nicht.
- Sie sind gesund, ihre Realität entspricht ihrer Wirklichkeit, Verschwörungen gibt es in ihrer Realität nur insoweit, wie Sie dies persönlich zulassen und für richtig halten.
- Sie erschaffen Ihre Wirklichkeit.
- Sie werden sich demnach keine Wirklichkeit erschaffen, in der Sie Angst vor Verfolgung und Bedrohung haben.
- Freuen Sie sich lieber. Was bringt Ihnen Angst denn? Nichts!"
Dieser Artikel erschienen im "Skeptiker", Ausgabe 3/2000.