Holm Hümmler
Die Chemtrails-Theorie behauptet, dass verschiedene Regierungen systematisch Chemikalien in der hohen Atmosphäre versprühen lassen, um damit die globale Erwärmung zu reduzieren oder andere geheime Ziele zu erreichen. Als Indiz hierfür werden Flugzeug-Kondensstreifen angeführt, die sich nicht wie gewohnt in wenigen Minuten auflösen, sondern sich ausdehnen und in dünne Wolkendecken übergehen. Viele der angeführten Phänomene lassen sich jedoch einfach als meteorologische Erscheinungen oder Fehlinterpretationen von Fachinformationen erklären.
Der Begriff "Chemtrail" leitet sich vom englischen "contrail" (Kondensstreifen) her. Im Gegensatz zu einem normalen Kondensstreifen soll ein Chemtrail jedoch zusätzliche Chemikalien enthalten, die entweder dem Treibstoff zugesetzt oder durch speziell am Flugzeug angebrachte Düsen versprüht werden.
In den USA kursiert die Chemtrails-Theorie seit etwa 1999. Bekanntheit in Deutschland erlangte sie besonders durch zwei Artikel von Gabriel Stetter in der Zeitschrift Raum und Zeit im Jahr 2004, seitdem wird sie vor allem über das Internet verbreitet. In der Folge erschienen auch deutschsprachige Bücher zu diesem Thema.
Ablehnende Stellungnahmen, z. B. von Fernseh-Wetterfrosch Jörg Kachelmann, vom Umweltbundesamt oder der Umweltorganisation Greenpeace, erhöhten die Präsenz in der Tagespresse und dürften insgesamt eher zur Verbreitung der Chemtrails-Theorie beigetragen haben. Chemtrails-Propagandisten zitieren darüber hinaus zustimmende oder zumindest missverständliche Äußerungen des demokratischen US-Politikers Dennis Kucinich und der ehemaligen niedersächsischen Umweltministerin Monika Griefahn (SPD).
Der angebliche Zweck von Chemtrails
Das am häufigsten (unter anderem auch von Stetter) unterstellte Ziel des Erzeugens von Chemtrails ist eine Reduzierung der globalen Erwärmung. Entsprechende Ansätze wurden in den 90er Jahren tatsächlich ernsthaft diskutiert. So wurde 1991 der Hughes Aircraft Corporation ein Patent erteilt für ein Verfahren, den Treibhauseffekt durch die Freisetzung von Metalloxiden in die Atmosphäre zu reduzieren. Dieses so genannte Welsbach-Patent wird häufig als Beleg für die Existenz von Chemtrails zitiert, obwohl es juristisch die Nutzung solcher Methoden eher einschränkt.
Ebenfalls gerne angeführt wird der Klimaveränderungsbericht 2001 des Zwischenstaatlichen Gremiums für Klimaveränderungen (IPCC) der UNO. In einem Unterkapitel wird auf einer knappen Seite des 750-seitigen Berichts einer der Unterarbeitsgruppen des Gremiums auf verschiedene Machbarkeitsstudien zu verstärkter Reflexion des Sonnenlichts hingewiesen. Entsprechende Ansätze werden jedoch durchweg aus Umwelt- und Kostengesichtspunkten abgelehnt. Dennoch wird dieser Bericht zum Anlass genommen, neben der US-Regierung vor allem die UNO als Urheber der angeblichen Verschwörung zu sehen.
Andere Vertreter der Chemtrails-Theorie unterstellen weniger wohlmeinende Ziele für das angebliche Versprühen von Chemikalien. So sollen Chemtrails Teil eines großangelegten Programms zur militärischen Wettermanipulation sein. Als Beleg hierfür wird eine Zukunftsstudie der US-Luftwaffe aus dem Jahr 1995 über mögliche Aspekte der Kriegsführung im Jahr 2025 angeführt. Tatsächlich geht es in Kapitel 15 dieser Studie darum, dass es eventuell im Jahr 2025 möglich sein könnte, kurzfristig über Schlachtfeldern das lokale Wetter zum eigenen Vorteil zu verändern. Für entsprechende Projekte, die keinerlei Ähnlichkeit mit dem angeblichen Aussehen von Chemtrails hätten, wurden jedoch bislang weder konkrete Pläne vorgelegt noch Haushaltsmittel beantragt. Chemtrails-Seiten im Internet spekulieren noch über weitere düstere Pläne.
Auch eine Verbindung zu einer anderen Verschwörungstheorie um Wetterveränderungen durch das internationale Stratosphären-Forschungsprojekt HAARP wird immer wieder hergestellt. Daneben sollen Chemtrails geheimdienstliche Abhöraktionen erleichtern, heimliche Massenimpfungen ermöglichen, als biologische Waffe Krankheiten verbreiten oder schlicht die Weltbevölkerung um zwei bis vier Milliarden Menschen reduzieren.
Die vermeintliche Zusammensetzung von Chemtrails
Wie zu den Zielen der angeblichen Sprühaktionen gehen die Hypothesen auch zu ihren Inhaltsstoffen auseinander. Am häufigsten genannt werden Metalloxide, insbesondere Aluminiumoxid sowie verschiedene Bariumsalze, die, wie im Welsbach-Patent vorgeschlagen, die Wellenlänge von Wärmestrahlung so verschieben könnten, dass der Treibhauseffekt reduziert würde.
Entsprechend werden auch sämtliche Funde solcher Metalloxide in Gewässern oder im Erdreich als Belege für Chemtrails gewertet, selbst wenn es dafür weitaus plausiblere Ursachen gibt: Aluminiumoxid ist der Hauptbestandteil natürlicher Tonerde, während Bariumsalze z. B. in der Zuckerproduktion, Glas- und Keramikherstellung sowie in Feuerwerkskörpern verwendet werden. Autoren, die Chemtrails nicht notwendigerweise im Zusammenhang mit dem Treibhauseffekt sehen, nehmen auch andere Inhaltsstoffe an, darunter Benzol, Blei und andere Additive des militärischen Mehrzwecktreibstoffs JP-8.
Schließlich werden den Chemtrails neben einer Vielzahl von Giften auch verschiedene mehr oder weniger verbreitete Mikroorganismen zugeschrieben. Auf der Seite www.chemtrailsinfo.de werden diese als "Bio-Kampfstoffe" bezeichnet, selbst wenn sie, wie das Darmbakterium Escherichia coli, für eine Verwendung als Waffe völlig ungeeignet sind und beim Versprühen in 10 000 m Höhe durch Austrocknung auch gar nicht lebend den Erdboden erreichen würden.
Die im Verdacht stehenden Flugzeuge
Zugeschrieben wird die Erzeugung von Chemtrails in erster Linie Militärflugzeugen, vor allem den amerikanischen Luftbetankungsflugzeugen der Typen KC-10 und KC-135. Die 60 jemals gebauten KC-10 und 800 KC-135 können jedoch unmöglich die Unzahl angeblich fast täglich berichteter Chemtrails auf der ganzen Welt erklären. Darüber hinaus ist es immer wieder möglich, eindeutig zivile Linienmaschinen zu erkennen, deren Kondensstreifen sich über längere Zeit nicht auflösen.
Daher verdächtigen Chemtrails-Autoren auch zivile Passagier- und Frachtflugzeuge, am Versprühen von Chemtrails beteiligt zu sein. Die Piloten sowie die Mehrzahl der an der Wartung der Maschinen beteiligten Mechaniker bemerken hiervon angeblich nichts. Versprüht werden sollen Chemtrails grundsätzlich von mehreren Flugzeugen koordiniert in einem Gebiet, jedoch nicht notwendigerweise gleichzeitig. Durch Schleifen, Gitter- oder Spinnennetzmuster wird somit ein größeres Gebiet von den Streifen überdeckt.
Beschriebene Kennzeichen von Chemtrails
Als wichtigstes Unterscheidungsmerkmal von Chemtrails im Vergleich zu gewöhnlichen Kondensstreifen wird ihre lange Lebensdauer bis zur Auflösung genannt. Chemtrails sollen länger als 20 Minuten bis mehrere Stunden sichtbar sein und im Lauf der Zeit ausfasern, sich zerflocken oder gar pilzförmige Auswüchse nach oben entwickeln. Häufig sollen sie auch nur abschnittsweise fortbestehen und sich dazwischen auflösen, was mit so genanntem Intervallsprühen begründet wird.
Das flächendeckende Besprühen großer Gebiete soll zu unregelmäßigen Gittermustern mit entweder parallelen, gekreuzten oder gekrümmten Streifen führen. Da aber Geraden in einer Ebene zwangsläufig entweder parallel oder gekreuzt verlaufen, wird jede Kombination langlebiger Kondensstreifen über einem Gebiet eines dieser Kriterien erfüllen.
Interessant ist die weitere Wetterentwicklung nach einem unterstellten Chemtrail-Einsatz. Die Chemtrails sollen im Verlauf mehrerer Stunden in faserige Wolkenstreifen oder eine diffuse Schicht in großer Höhe übergehen. In dieser Schicht sollen dann häufig ringförmige Reflexe um die Sonne (so genannte Halos) zu beobachten sein. Später sollen diese dünnen Wolken in eine dickere, geschlossene Schicht übergehen.
Wann sehen Kondensstreifen aus wie Chemtrails?
Will man der Verschwörungstheorie nicht ungeprüft Glauben schenken, dann stellt sich somit die Frage, unter welchen atmosphärischen Bedingungen gewöhnliche Kondensstreifen natürlicherweise die zitierten Eigenschaften von Chemtrails aufweisen sollten.
In einem Flugzeugtriebwerk verbrennt Kerosin (ein Gemisch von Kohlenwasserstoffen mit 10 bis 16 Kohlenstoffatomen) in der komprimierten Umgebungsluft. Die Abgase enthalten somit, neben heißer, komprimierter Luft, Kohlendioxid, Wasserdampf und in der Regel einige Rußpartikel. Nach dem Ausströmen aus dem Triebwerk dehnen sich die Gase aus und kühlen sich auf die Umgebungstemperatur, in Reiseflughöhe meist unter -50°C, ab. Dadurch kondensiert der enthaltene Wasserdampf an Partikeln zu kleinen Eiskristallen.
Bei Kondensstreifen handelt es sich somit um langgestreckte, künstlich erzeugte Eiswolken. Von natürlichen Wolken unterscheiden sie sich neben der Form vor allem dadurch, dass sie kurzfristig auch in Luftmassen existieren können, in denen sich mangels Feuchtigkeit oderdurch absinkende Luft keine natürlichen Wolken bilden würden. Dort sollten sie sich aber in der Regel schnell auflösen.
Befindet sich eine Luftmasse hingegen bereits an der Schwelle zur Wolkenbildung, so löst sich ein Kondensstreifen nicht auf. Stattdessen wird er sich in gleicher Weise weiterentwickeln wie eine an gleicher Stelle natürlich entstandene Wolke. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn die Temperaturverteilung in der Höhe das Entstehen von Quellwolken begünstigt. In diesem Fall werden pilzförmige Auswüchse (so genannte Castellanus- oder Türmchenwolken) auf dem Kondensstreifen entstehen, genau wie dies als ein Kennzeichen von Chemtrails genannt wurde.
Häufiger tritt in Höhen, in denen Kondensstreifen zu beobachten sind, die Bildung dünner, zum Teil aber durch lokale Auf- und Abwinde fragmentierter Schichtwolken auf. Wie hier beschrieben, sind diese ein typisches Phänomen im Bereich einer durchziehenden Warmfront.
Die zuströmende Warmluft gleitet über vorhandene Kaltluft und wird dabei großflächig angehoben. Dabei entsteht zunächst in großer Höhe ein kaum sichtbarer, dünner Wolkenschleier (Cirrostratus). Dieser wird im Lauf der Zeit dicke
(Altostratus) und kann schließlich zu Niesel- oder andauerndem Landregen führen.
Bereits vor dem Auftreten der ersten Wolken, aber auch noch im kaum sichtbaren Wolkenschleier, würde ein Kondensstreifen sich nicht auflösen, sondern sich durch Diffusion und örtliche Luftbewegungen faser- oder flockenförmig ausbreiten. Örtliche Auf- und Abwinde, zum Beispiel als Folge von Bodenunebenheiten oder von Quellwolken in tieferen Luftschichten, würden dazu führen, dass sich der Kondensstreifen in Zonen mit absinkender Luft auflöst, wenige hundert Meter weiter in aufsteigender Luft hingegen sogar noch an Dicke gewinnt.
Im Bereich einer durchziehenden Warmfront sollte ein gewöhnlicher Kondensstreifen somit alle wichtigen Kennzeichen eines Chemtrails aufweisen. Falls dort innerhalb mehrerer Stunden mehrere Flugzeuge fliegen, was über Nordamerika oder Europa fast unvermeidlich ist, würden die verschiedenen, zeitversetzt entstehenden Kondensstreifen auch zwangsläufig ein Gittermuster bilden. Schließlich entspricht auch die Wetterentwicklung an einer Warmfront genau dem Verlauf, der nach der Chemtrails-Theorie als Folge starker Chemtrail-Aktivität auftreten sollte.
Somit ist es interessant zu prüfen, ob die von Chemtrail-Gläubigen angeführten Chemtrail-Häufungen mit Warmfronten oder warmfront-ähnlichen Zuflüssen milder Luftmassen in der jeweiligen Region zusammenfallen. Wenn dies zutrifft, dann sind die angeblichen Chemtrail-Beobachtungen vollständig durch gewöhnliche Kondensstreifen und den Warmluftzufluss zu erklären.
Leider sind nur zu relativ wenigen der im Internet fotografisch dokumentierten Chemtrail-Häufungen Datum, Uhrzeit und Ort für eine solche Analyse hinreichend zuverlässig angegeben. Hierzu gehören insbesondere der 21./22.4., der 30.5. sowie der 25.11.2004 im Raum Konstanz, für die auf der Seite www.chemtrails-info.de umfassende Fotostrecken mit Uhrzeiten zu finden sind. Am 30.5.2004 beginnen die Chemtrail-Beobachtungen am Morgen; bis abends hat sich eine geschlossene Wolkendecke gebildet. Der Warmfrontdurchgang sollte also im Lauf des Tages erfolgt sein.
Aufgrund umfassender Archivwetterkarten der privat betriebenen Wetterzentrale.de und der amerikanischen Ozeanografie-und Meteorologiebehörde NOAA wurde eine Frontenanalyse für Mitteleuropa zum 30.5.2004, 12 Uhr UTC (14 Uhr MESZ), durchgeführt. Das Ergebnis (Abb. 1) zeigt eine Warmfront, die etwa in der Tagesmitte den Bodenseeraum überquert. Der Isobarenverlauf in der Bodendruckkarte und die Temperaturverläufe in den Höhenkarten lassen hinsichtlich des Verlaufs der Warmfront kaum Interpretationsspielraum. Die angeblichen Chemtrail-Beobachtungen entsprechen also exakt der zu erwartenden Entwicklung von Kondensstreifen bei der herrschenden Wetterlage.
Kurze Analysen der Wetterkarten vom 21. und 22.4.2004 sowie vom 25.11.2004 ergaben ebenfalls deutlich erkennbare Warmluftzuflüsse aus westlicher Richtung, was die beobachteten Effekte auch für diese Termine zweifelsfrei erklärt.
Gekrümmte Kondensstreifen als Kennzeichen von Chemtrails?
Von einem Verkehrsflugzeug, das sich planmäßig auf Reiseflughöhe bewegt, ist in der Regel nicht zu erwarten, dass es seine Richtung kurzfristig um 90 Grad oder mehr ändert. Dementsprechend werden insbesondere mehrere durch Kurvenflüge stark gekrümmte Kondensstreifen gleichzeitig in einem Gebiet als Beweis für Chemtrails angeführt.
Auf Gabriel Stetters Seite www.chemtrails.ch wird zum Beispiel eine Aufnahme von mehreren um 180 Grad gekrümmten Kondensstreifen aus dem US-Bundesstaat Wisconsin abgebildet. Die gleichen Eigenheiten (stark gekrümmte Kondensstreifen in auffälligen Formationen, unterschiedlich stark zerlaufen) finden sich jedoch etwa auch auf einem Beispielbild für Kondensstreifen in einem Meteorologielehrbuch für Erstsemester von Fritz Möller aus dem Jahr 1973. Das Bild wurde somit mindestens 20 Jahre vor dem angeblichen Beginn der ersten Chemtrails-Programme aufgenommen. Auf dieser Aufnahme lassen die Kondensstreifen sogar deutlich Formationsflüge mehrerer Maschinen in kleinem Abstand erkennen: Kurven- und Halbkreisflüge in großer Höhe sind für Verkehrsflugzeuge zwar ungewöhnlich, im Rahmen militärischer Übungsflüge jedoch völlig normal.
Faserige Wolkenstreifen als Kennzeichen von Chemtrails?
Breite, faserige Wolkenstreifen werden von verschiedenen Autoren ebenfalls als direktes Überbleibsel früherer Chemtrails angesehen. Entsprechend werden Aufnahmen solcher, auf den ersten Blick ungewöhnlich anmutender Wolken ebenfalls als Indizien für Chemtrails genannt. Abbildungen der gleichen, faserigen, streifenförmigen Wolken finden sich jedoch auch in jahrzehntealten Meteorologiebüchern und Wolkenatlanten. Das Buch "Atmospheric Physics“ von Iribarne und Cho aus dem Jahr 1980 bemerkt hierzu: "Das faserige Aussehen ist typisch für die hohen Eiswolken."
Die Streifenform entsteht in den seltensten Fällen durch das Auseinanderdiffundieren von Kondensstreifen, sondern zumeist durch wellenförmige Turbulenzen, die auftreten, wenn sich eine Luftmasse über eine andere schiebt.
Halo-Erscheinungen als Kennzeichen von Chemtrails?
Ein weiterer angeblicher Beweis für die Existenz von Chemtrails sind ringförmige, zum Teil regenbogenartig schillernde Reflexe um die Sonne, so genannte Halos oder Sonnenhöfe. Zum Teil wird hierfür auch der Fantasiebegriff "Chembow" verwendet. Tatsächlich sind solche Erscheinungen zwar relativ selten, aber in der Wetterbeobachtung seit langem bekannt. Gelegentlich sind auf einem Halo auch besonders helle, oft in den Spektralfarben schillernde Punkte rechts und links der Sonne zu erkennen, so genannte Nebensonnen.
Weitaus spektakulärere Fotos von Halo-Erscheinungen als auf den meisten Chemtrails-Seiten finden sich zum Beispiel im Meteorologischen Kalender von 1995, auf der Webseite www. meteoros.de, oder im GEO Special "Wetter" von 1982. Dort wird auch die Entstehung von Halo-Effekten erläutert: "In großer Höhe haben sich konturlose durchsichtige Cirrostratus-Wolken gebildet. Sie bestehen aus Eiskristallen, an deren gleichmäßiger Struktur sich Licht bricht und einen hellen Ring um die Sonne erzeugt. Dieser sogenannte Halo signalisiert, daß die Warmfront eines Tiefs aufzieht." Die Entstehung in
der dünnen Wolkenschicht an einer Warmfront erklärt auch, warum Halos meist gerade an den Tagen zu sehen sind, an denen sich auch Kondensstreifen nicht auflösen und den Eindruck von Chemtrails erwecken.
Ein ungewöhnliches Angebot
Auch andere auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinende Wolken werden auf einschlägigen Seiten als Folge von Chemtrails und somit als Beweis für deren Existenz dargestellt. Eine besondere Kreativität beweist hier die Seite www.chemtrails.erazor-zone.de. So wird eine Aufnahme von völlig typischen wellenförmig-flachen Föhnwolken über Konstanz mit dem Schriftzug versehen: "Wer hat einen Namen für diese Wolken? Kachelmann oder Südkurier-Wolken?" Der Südkurier hatte zuvor eine skeptische Stellungnahme von Jörg Kachelmann zur Chemtrails-Theorie wiedergegeben.
Ein ungewöhnliches Angebot findet sich unter einer Gruppe von Bildern, die jeweils mit der Aufschrift versehen sind: "08.08.04. KN und Schweiz. Riesen-Chemiwolken, die in keinem Buch stehen!" Darunter heißt es: "Wenn Sie diese Wolkenart in einem Buch, Atlas oder sonstigen Publikation über Wolken finden, putze ich Ihre Wohnung umsonst." Die verschiedenen Bilder zeigen jedoch nicht eine, sondern unterschiedliche Wolkenarten an einem turbulenten Himmel nach Auflösung von Schauern und mit einer nahenden Warmfront, mit unregelmäßigen Eiswolken über tiefen, aus Wassertröpfchen bestehenden Quellwolken. In einem Fall handelt es sich bei der offensichtlich gesuchten Wolkenart um die häkchenförmige Eiswolke (Cirrus uncinus), die häufig auftritt, wenn sich eine Warmfront über eine turbulente Kaltluftschicht mit großen Quellwolken schiebt.
Ein anderes Bild, auf das sich das Angebot eindeutig bezieht, zeigt ein Feld kleiner Quellwolken auf Eiswolkenhöhe (Cirrocumulus). Die exakt gleichen Wolken sind in dem bereits erwähnten Meteorologiebuch für das erste Semester (Möller 1973) abgebildet. Da auf der Internetseite kein Impressum angegeben ist, war es dem Autor bislang jedoch nicht möglich, die für diesen Nachweis versprochene Reinigungsleistung einzufordern.
Die Zunahme komplexer Kondensstreifen-Gitter
Als weiteres Indiz für die Existenz von Chemtrails und für die relative Neuigkeit dieses Phänomens verweisen viele der Chemtrails-Seiten den Leser darauf, dass die dort abgebildeten gitterförmigen Häufungen angeblicher Chemtrails vor 15 bis 20 Jahren nie zu sehen gewesen seien. Dieser Appell an das Erinnerungsvermögen der Leser ist zwar wenig wissenschaftlich, das unterstellte Ergebnis jedoch leicht zu erklären.
Seit dem Jahr 1990 hat sich die Zahl der Flugbewegungen im deutschen Luftraum mehr als verdoppelt. Zufällige Verteilung der Flüge in großer Höhe angenommen, hat sich somit die Wahrscheinlichkeit, an einem beliebigen Stück Himmel zu einem beliebigen Zeitpunkt einen Kondensstreifen zu sehen, ebenfalls verdoppelt. Die Wahrscheinlichkeit, dort zwei Kondensstreifen gleichzeitig zu sehen, hat sich aber vervierfacht, für drei Kondensstreifen verachtfacht und für gleichzeitig zehn Kondensstreifen mehr als vertausendfacht.
Die Schwierigkeit, eine Flughöhe zu schätzen
Häufig wird behauptet, Chemtrails würden bei Flughöhen erzeugt, in denen keine natürlichen Kondensstreifen entstehen können. Dies wird häufig mit der Behauptung verbunden, Kondensstreifen könnten unter keinen Umständen bei Flughöhen unter 10 000 Metern (auf anderen Seiten 8300 Metern) entstehen.
Tatsächlich können Kondensstreifen immer dann auftreten, wenn die aus den Triebwerken austretenden Abgase stark genug abgekühlt werden, um den enthaltenen Wasserdampf zu Eiskristallen kondensieren zu lassen. Die Temperatur, bei der dies passiert, hängt vom Sättigungsgrad der Abgase und somit von Schub, Geschwindigkeit und Triebwerkstyp ab. In der Regel bilden sich Eiskristalle bei -35 bis -40°C. Die entsprechende Höhe ist dann abhängig von der Jahreszeit und der Wetterlage. Generell kann man für Deutschland annehmen, dass die tiefsten sichtbaren Kondensstreifen zwischen 7000 und 9000 Metern auftreten sollten.
Ebenso zweifelhaft ist allerdings die Schätzung der Flughöhe durch die Verschwörungstheoretiker. Meist wird empfohlen, die Flughöhe durch den Vergleich mit sichtbaren Wolken zu schätzen. Deren Untergrenze könne man zum Beispiel aus einem Flugwetterbericht entnehmen. Die gängigen öffentlich zugänglichen Flugwetterberichte sind jedoch in der Regel für Sportflieger bestimmt und erwähnen Bewölkung über 3000 Metern meist nur am Rande und ohne exakte Höhenangabe.
Zu welchen Fehleinschätzungen der Flughöhe das genannte Verfahren führen kann, zeigt die Chemtrails-Seite www.norbertmoch.de/_diverses/Chemtrails.htm. Zu mehreren Fotos von Flugzeugen mit Kondensstreifen spekuliert der Autor der Seite, was es mit ominösen dunklen Streifen im Bild auf sich haben könnte, die jeweils direkt neben den Kondensstreifen verlaufen. Um Schatten auf der im Bild sichtbaren dünnen Eiswolkenschicht könne es sich nicht handeln, da die Flugzeuge ja erkennbar unter dieser Wolkenschicht flögen. Ausschnittsvergrößerungen zeigen jedoch deutlich, dass es sich in der Tat um Schatten handelt und die Flugzeuge in Wirklichkeit über den Wolken fliegen, während durch die Transparenz der Wolken eine Täuschung entsteht.
Ein angebliches Beweisfoto
Als "Smoking Gun" für angebliche Chemtrail-Sprühaktionen präsentieren verschiedene Chemtrails-Seiten ein in stark schwankender Qualität wiedergegebenes Foto von Edelstahltanks in einer unaufgeräumt wirkenden Montagehalle. Dem Bildinhalt ist keinerlei Bezug zu Flugzeugen zu entnehmen, jedoch ordnet die von Stetter betriebene Seite das Bild der kanadischen Firma Conair in Abbotsford bei Vancouver zu.
Ein Besuch auf der Internetseite von Conair erklärt dann auch, weshalb in der Firma an Edelstahltanks gearbeitet wird: Conair baut und betreibt Feuerlöschflugzeuge im Auftrag nordamerikanischer Forstbehörden. Allerdings hat Conair ausschließlich tieffliegende Propellerflugzeuge im Angebot, die mit Kondens- oder ähnlichen Streifen in keinerlei Zusammenhang zu bringen sind. Weitere Infos über das Versprühen von Substanzen durch Flugzeuge hier.
Die Angebote für Chemtrail-Geängstigte
Wer nach der Lektüre von Artikeln und Internetseiten zu Chemtrails um seine Gesundheit besorgt ist, dem bieten die meisten Chemtrails-Seiten einfache Lösungen an, die entweder über diese Seiten selbst oder über verlinkte Partnerseiten auch käuflich zu erwerben sind. Hier zeigt sich die unmittelbare Verbindung vieler dieser Seiten zum klassischen Esoterikhandel.
Das am häufigsten empfohlene Angebot ist ein so genannter Cloudbuster. Das bloße Aufstellen eines solchen Cloudbusters soll über dem Standort zur Auflösung von Wolken und selbstverständlich auch von Chemtrails führen. Die behauptete Wirkung beruft sich auf die Orgontheorie Wilhelm Reichs, wobei der konkrete Entwurf von dem amerikanischen Chemtrails-Aktivisten Don Croft "durch Pendeln" entwickelt worden sein soll.
Eine Bauanleitung für Cloudbuster ist im Internet herunterzuladen, wobei die relativ ungenaue Anleitung und die problematische Beschaffung der Materialien für viele Interessierte eher den Kauf einer fertigen Anordnung zum Preis von 275 Euro nahelegen dürften. Dass das behauptete Wirkprinzip einschließlich des Orgonbegriffs in eklatantem Widerspruch zum Wissensstand der Naturwissenschaft steht, dürfte kaum einer Erwähnung bedürfen.
Eine andere, sehr aufwendig gestaltete Chemtrails-Seite betont die ökologische Bedenklichkeit eines solchen, angeblichen Eingriffs in das lokale Wetter. Die vorgeschlagene Lösung erscheint jedoch aus naturwissenschaftlicher Sicht kaum realistischer: Durch den Verzehr sonnenbestrahlter Materialien sollen besorgte Käufer ihrem Körper das entgangene Sonnenlicht zuführen. Die angebotenen "Bio-Lichtkonzentrate" umfassen unter der Bezeichnung "Licht-Globuli" sonnenbestrahlte Zuckerkügelchen, "durch Sonnenbestrahlung mit Biophotonen angereichertes" Olivenöl mit Mohnblüten sowie sonnenbestrahltes Ziegenmilchpulver mit Kampher. Die für zwei bis vier Wochen empfohlene Menge wird für jedes der drei Produkte für je 15 bis 30 Euro angeboten.
Fazit
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass alle untersuchten angeblich am Himmel zu erkennenden Beweise für die Existenz von Chemtrails problemlos durch Kondensstreifen und bekannte Wetterphänomene zu erklären waren. Die Zunahme dieser Phänomene erklärt sich einfach durch die ständig zunehmende Zahl von Flugbewegungen.
Erscheinungen, die erst seit dem Beginn der unterstellten Chemtrail-Einsätze in den 90er Jahren existieren sollten, lassen sich auch auf Bildern in deutlich älteren Druckerzeugnissen nachweisen. Die Interpretation von Wolkenfotos, Radarbildern oder Flugzeugbildern durch Vertreter der Chemtrails-Theorie zeugt von oft abenteuerlichem Mangel an Hintergrundwissen.
Als eine mögliche Motivation für die aktive Verbreitung dieser Verschwörungstheorie drängen sich die fragwürdigen und zum Teil sehr teuren Esoterikprodukte auf, die auf verschiedenen Internetseiten mit dem Hinweis auf Chemtrails vertrieben werden.
Literatur:
Deutsche Meteorologische Gesellschaft (Hg.): Meteorologischer Kalender 1995.
Haderer, C.; Hiess, P. (2005): Chemtrails. Verschwörung am Himmel? Wettermanipulationen unter den Augen der Öffentlichkeit. Graz.
Iribarne, J. V.; Han-Ru Cho (1980): Atmospheric Physics. Dordrecht.
Möller, F. (1973): Einführung in die Meteorologie I. Mannheim.
Naatz, O.-W. (1982): Heiter bis wolkig. GEO Special Wetter, 1. Quartal 1982.
Stetter, G. (2004): Die Zerstörung des Himmels. Raum & Zeit Nr. 127, Januar 2004.
Stetter, G. (2004): Grauen hinter dem Regenbogen. Raum & Zeit Nr. 131, September 2004.
www.chemtrails-info.de, Stand 1.5.2006.
www.chemtrails.de, Stand 15.3. 2006.
www.chemtrailcentral.com, Stand 21.5.2006.
www.gandhi-auftrag.de, Stand 21.5.2006.
www.meteoros.de, Stand 12.7.2006.
http://www.orgonise-africa.net, Stand 27.5.2006.
www.wetterzentrale.de, Stand 28.3.2006.