von Roland Glaser
An der Universität Sudbury (Kanada) wurde eine Reihe von Experimenten durchgeführt, aus denen M. A. Persinger und Mitarbeiter schlossen, dass die Stimulation des Gehirns durch Magnetpulse mit einer Frequenz von zwei Hertz bei Probanden mystische und religiöse Visionen erzeugen. Die TV-Kanäle CNN, BBC und Discovery Channel verbreiteten diese Nachricht sofort in verschiedenen Sendungen und erhielten viel Resonanz. Im Internet wurde sogar schon ein kommerzielles Gerät zum Eigengebrauch angeboten. Religiös und mystisch gestimmte Personen betrachteten es als Beweis für die Realität von Offenbarungen, Skeptiker sahen darin eine Bestätigung ihrer Hypothese, wonach göttliche Visionen und mystische Erlebnisse das Produkt gestörter Gehirntätigkeit seien. Nun ist tatsächlich durch neuronale Stimulation Manches möglich, doch die hier verwendeten magnetischen Flussdichten von drei bis zehn Mikrotesla dürften um ein Vielfaches zu schwach sein. Sie sind um das Zehn- bis Fünffache schwächer als das uns umgebende Erdmagnetfeld (ca. 40 Mikrotesla), und um das 100 000-fache als jenes das in der Medizin zur Erzeugung stimulierender Hirnströme verwendet wird (ca. 1 Tesla). Pulse von wenigen Mikrotesla, das ist unumstritten, reichen bei weitem nicht aus, um Wirbelströme im Gehirn zu erzeugen, welche auch nur annähernd stark genug wären, um eine Nervenerregung auszulösen. Diese schwachen Ströme würden völlig im Rauschen untergehen. Sollte es aber vielleicht noch andere, biophysikalisch bisher unerklärliche Wirkungen des Magnetfeldes geben?
Eine Gruppe aus Neurowissenschaftlern und Psychologen der Universitäten Lund, Malmö und Uppsala (Schweden) wollte dieser Sache auf den Grund gehen und die kanadischen Experimente von Persinger wiederholen. Sie setzten streng kontrollierte Doppelblind-Experimente an. 46 Studenten der Theologie und 43 der Psychologie wurden als Probanden gewonnen. Die Untersuchungen erfolgten in Absprache mit und mit Unterstützung durch M. A. Persinger, der ein Applikationsgerät einschließlich des „Persinger-Helms" mit den eingebauten Spulen zur Verfügung stellte, sowie die Software lieferte, welche den Feldgenerator steuert.
Den Probanden wurde vor dem Versuch natürlich nichts von möglichen mystischen Erlebnissen gesagt, sondern lediglich erklärt, es ginge um mögliche Einflüsse sehr schwacher und daher völlig ungefährlicher Magnetfelder. In einem 4 m2 großen Raum nahmen sie auf einem bequemen Sessel Platz. Der Raum enthielt außer der Stimulationselektronik zwei Computer und Anlagen zur Aufnahme eines EEGs. Nach Ausfüllung eines Fragebogens und der Aufforderung, sich zu entspannen, wurden sie für 30 Minuten im Dunkeln allein gelassen. Anschließend hatten sie noch 10 Minuten Zeit, einen weiteren Fragebogen auszufüllen. Natürlich wurde nur in der Hälfte der Fälle, ohne Kenntnis der Probanden und der Versuchsleiter, ein Feld appliziert, die andere Hälfte der Versuche diente der Kontrolle.
Die Quantifizierung des Resultats erfolgte durch spezielle Fragebögen entsprechend denen, die auch Persinger seinen Probanden vorgelegt hatte. Ereignisse in der Art wie: „Ich fühlte mich wie außer mir", „Ein Erlebnis, das mich stark beeindruckte", „Ich fühlte mich wie mit Allem verbunden" etc. waren formuliert und mussten mit 0 = „nie", 1 = „manchmal" oder 2 = „häufig" beantwortet werden. Man nutzte drei solcher thematisch orientierter Listen („EXIT", „Sensed presence" und „Mysticism"), die jeweils zwischen 20 bis 30 solcher Situationen benannten. Die derart ermittelten Zahlen erlaubten einen statistisch berechenbaren Vergleich.
Das Ergebnis war ernüchternd: es gab keinerlei Unterschiede, weder bezüglich der Exposition durch das Magnetfeld noch hinsichtlich irgendwelcher anderen Variablen wie Alter der Probanden, Geschlecht, Ausbildung etc. Wie erklärt sich nun die Differenz zu den Ergebnissen der Persinger-Gruppe? Warum ließen sich die kanadischen Ergebnisse nicht replizieren? Die schwedischen Wissenschaftler sehen den Hauptgrund in Unterschieden der Versuchsdurchführung. So konnten sie aus den Publikationen von Persinger nicht ersehen, ob dieser seine Experimente tatsächlich vollständig „verblindet" hatte. Wenn nicht, so läge die Erklärung der unterschiedlichen Ergebnisse auf der Hand.
Diesen Vorwurf bestreitet Persinger in einem „Letter to the Editor". Er sieht für die Differenz zu den schwedischen Experimenten hingegen drei Gründe: Erstens habe man in Schweden einen schnelleren Rechner benutzt und folglich seine Magnetpulse nicht originalgetreu reproduziert. Zweitens hätten Larsson et al. bei ihrem Besuch in seinem Labor in Kanada erklärt, sie würden für die Überprüfung auch PET (Positronen-Emmisions-Tomographie) einsetzen, dies sei jedoch erst höchstens 15 Minuten nach dem Experiment möglich, wenn der Effekt bereits abgeklungen sei. Drittens: der Raum sei zu klein und außerdem nicht als Faraday-Raum abgeschirmt. Da es sich um sehr subtile Effekte handele, könne jedoch eine kleine Abweichung von den Versuchs bedingungen bereits entscheidend sein.
In einem weiteren „Letter" antwortet M. Larssen auf diese Argumente. Er verteidigt seine Meinung, wonach in den Publikationen von Persinger zwar von „blind", nicht jedoch von „doppelblind" die Rede sei. Das bedeutet, dass zwar die Probanden im Unklaren gelassen würden, ob sie tatsächlich einem Feld ausgesetzt seien oder nicht, der Versuchsleiter jedoch dies wüsste. In diesem Fall ist jedoch eine Beeinflussung der Probanden durch den Versuchsleiter, bewusst oder unbewusst, durch Mimik oder Gesten, durchaus vorstellbar. Die anderen von Persinger angeführten Gründe halten sie für nicht stichhaltig. Unterschiede in den Computern hätte man im Voraus mit Persinger diskutiert und dessen Programm trotz des unterschiedlichen Rechners mit DOS laufen lassen, zusätzlich die Signale noch kontrolliert, und auch die Größe des Raumes könne die Differenzen nicht klären. Die PET-Messungen habe man zwar ursprünglich vorgehabt, als sich jedoch in den Tests keinerlei Unterschiede zeigten, habe man dann darauf verzichtet. Die Schweden schlagen vor, die Kontroverse dadurch klären, dass die Versuche durch eine weitere unabhängige Gruppe wiederholt werden sollten.
Prof. em. Dr. Roland Glaser lehrte Biophysik an der Humboldt-Universität Berlin
Der Artikel erschien im "Skeptiker" 4/2005.
Literatur
Granqvist, R; Fredrikson, M.; Unge, P.; Hagenfeldt, A.; Valind, S.; Larhammar, D.; Larsson, M. (2005): Sensed presence and mystical experiences are predicted by suggestibility, not by the application of transcranial weak complex magnetic fields. Neuroscience Letters; 379,1-6.
Persinger, M. A.; Koren, S.A. (2005): A response to Granqvist et al. "Sensed presence and mystical experiences are predicted by suggestibility, not by the application of transcranial weak magnetic fields". Neuroscience Letters. 380,346-347.
Larsson, M.; Larhammar, D.; Fredrikson, M.; and Granqvist, P. (2005): Reply to M.A. Persinger and S. A. Koren's response to Granqvist et al. '"Sensed presence and mystical experiences are predicted by suggestibility, not by the application of transcranial weak magnetic fields". Neuroscience Letters, 380,348-350.