Bernd Harder
Seit Anfang März läuft „Männer die auf Ziegen starren" in unseren Kinos. Der Film erzählt die absurde, aber reale Geschichte der „Jedi-Krieger" des Pentagons.
US-Lieutnant fliegt Hubschrauberangriff auf vietnamesisches Dorf und lässt dabei Wagners „Ritt der Walküren" aus Lautsprechern dröhnen. Irre Szene, kennen Sie den Film?(1)
Oder den: Nuklearwissenschaftler verwandelt sich in grünes Muskelmonster und schlägt unterirdischen Militärstützpunkt kurz und klein, bis er mit nichttödlichem Klebeschaum besprüht und gestoppt wird – fesselnd!(2)
Und schließlich noch den hier: Amerikanische Supersoldaten konzentrieren sich mit ganzer Kraft darauf, eine Ziege totzustarren, nur so zur Übung. Total abgefahrene Story, oder? Kleine Quizfrage dazu: Welche dieser drei Filmsequenzen hat eine reale Entsprechung?
Richtige Antwort: alle drei. Annähernd jedenfalls.
Als die Amerikaner 1989 in Panama einmarschierten und General Noriega sich nicht ergeben mochte, wurde die Zuflucht des Diktators mit Musik beschallt: AC/DC und Metallica in voller Lautstärke. Nach 24 Stunden gab Noriega auf. Im Februar 1995, als Friedenstruppen der Vereinten Nationen in Somalia versuchten, Nahrungsmittel zu verteilen, näherte sich in offenbar bedrohlicher Absicht eine aufgebrachte Menschenmenge. Die US-Marine setzte schnell härtenden Schaum ein, um eine Sofortmauer zwischen UNO-Mitarbeitern und Somalis zu errichten. Das funktionierte auch. Für etwa fünf Minuten, dann kletterten die Menschen einfach darüber.
Und die Geschichte mit der Geiß, wie sie im aktuellen Hollywoodstreifen „Männer die auf Ziegen starren" geschildert wird? Hierzu müssen wir drei Jahrzehnte zurückgehen.
Jedis, Gespenster, Dinosaurier
Sie hatten keinen Zugang zur Kaffeekasse der amerikanischen Armee. Sie mussten ihren eigenen Kaffee zur Arbeit mitbringen. „Darüber ärgerten sie sich immer mehr", schreibt der englische Journalist Jon Ronson in seinem Bestseller „Durch die Wand". Sie – das waren die „PSI-Spione". Die „Parapsychologischen". Die „Jedi-Krieger". Doch diese schillernden Bezeichnungen änderten nichts an der Tatsache, dass das Team „als Folge seiner offiziellen Nichtexistenz über kein Kaffeebudget verfügte", erzählt Ronson weiter. „Ein Umstand, den sie alle übelnahmen. Sie wurden langsam verrückt."
Koffeinmangel als limitierender Faktor? Für eine Truppe, die dafür trainiert wurde, „durch Objekte, beispielsweise Wände, zu schreiten, mit ihrem Geist Metall zu verbiegen, über Feuer zu gehen, schneller zu rechnen als ein Computer, ihr Herz anzuhalten, ohne Schaden zu nehmen, in die Zukunft zu sehen, außerkörperliche Erfahrungen zu machen"? So jedenfalls steht es im „Handbuch des Ersten Erdbatallions" von 1979 zu lesen. Doch die meiste Zeit saß das halbe Dutzend PSI-Soldaten „in einem streng bewachten, halb zerfallenen Schindelhaus in Fort Meade, Maryland, rum" und versuchte, parapsychologische Fähigkeiten zu entwickeln.
Mit eher zweifelhaftem Erfolg. „Ein Major namens Ed Dames hatte begonnen, in den flauen Monaten das Ungeheuer von Loch Ness medial auszuspähen, als es nicht viel parapsychologische Arbeit für das Militär gab", recherchierte Ronson. „Er fand heraus, dass es sich um das Gespenst eines Dinosauriers handelte. Dieser Befund irritierte einige andere, die ihn für unwissenschaftlich und schlicht unwahrscheinlich hielten."
Und auch offizielle Aufträge nahmen einen ähnlich desaströsen Verlauf.
„Fragt Kristy McNichol"
Wo ist Noriega? Das beispielsweise wollte eine amerikanische Regierungsbehörde von der PSI-Einheit wissen, als der erklärte Lieblingsfeind Washingtons nach seinem Sturz in Panama-Stadt einfach abtauchte. Einer der Supersoldaten versetzte sich in Trance und schrieb auf ein Stück Papier: „Fragt Kristy McNichol!(3)" Da niemand dem „Durch die Wand"Autor Jon Ronson sagen konnte oder wollte, ob die besagte US-Behörde seinerzeit diesem Rat tatsächlich gefolgt war, fragte er selbst bei der beliebten Schauspielerin nach: „Ich erhielt nie eine Antwort."
Spätestens an dieser Stelle wäre zu fragen, ob wir es hier mit einer Satire oder einer durchgeknallten Comedy zu tun haben? Die Antwort lautet nein. „More of this is true than you would believe" heißt es gleich zu Beginn der aktuellen „Durch die Wand"-Verfilmung „Männer die auf Ziegen starren". Auch der Skeptiker hat schon über die „PSI-Spione des Pentagon" berichtet.(4) Und die Buchrezension im Skeptic-Magazin war zutreffend mit „The Pentagon's Psychic Friend's Network" überschrieben.(5)
Der „Ziegenstarrer" Lyn Cassady (George Clooney), der wirrköpfige Oberguru der paranormalen Spezialeinheit Bill Django (Jeff Bridges), der glühend gläubige EsoGeneral Hopgood (Stephen Lang) – sie alle gibt es wirklich. Und „Abartigkeit war nie ein Grund für die Armee, etwas nicht zu tun", schreibt Ronson in seiner literarischen Vorlage zu „Männer die auf Ziegen starren".
Der Film löst sich insofern vom Buch, als dass er den roten Faden in Ronsons zahlreichen Interviews und Gesprächen findet und eine zusammenhängende Geschichte daraus macht – entlarvend komisch, von guten Schauspielern getragen, wenn auch ohne sonderliche inszenatorische Dichte. Sie dreht sich um einen amerikanischen Lokalreporter, der als Freelancer vom Irak-Krieg berichten will und dort einen ehemaligen Psychokrieger des „Projekt Jedi" trifft, der in Rückblenden die ganze abstruse Story um die „New Earth Army" (real: First Earth Battalion6) enthüllt.
Von der Komödie zur Tragödie
Ganz zum Schluss indes kippen Film und Buch „von der Komödie zur Tragödie" (Spiegel), denn beide ziehen eine direkte Verbindung zu den Folterknechten von Abu Ghuraib und Guantanamo. Im Buch heißt es dazu in einer Art Zusammenfassung: „Vielleicht geht die Geschichte so: In den späten 1970er-Jahren suchte der von Vietnam traumatisierte Jim (Channon; A.d.A.) Trost in der aufkommenden Human-Potential-Bewegung in Kalifornien. Seine Ideen führte er in die Armee ein, und sie brachten bei den hochrangigen Offizieren, die sich vorher nie als New-Agergesehen hatten, eine Saite zum Schwingen – in ihrem Post-Vietnam-Trübsal begann dies alles Sinn zu machen. Aber dann, in den folgenden Jahrzehnten, erlangte die Armee, wie sie nun mal ist, ihre Kraft zurück und sah, dass man einige Ideen in Jims Handbuch dazu einsetzen konnte, um Menschen zu brechen, statt sie zu heilen. Das sind die Ideen, die im Krieg gegen den Terror fortleben."
Hat er – oder hat er nicht? Noch heute zehrt der „Psychic Warrior" Guy Savelli (im Film: Lyn Cassady, gespielt von George Clooney) von seinem Ruhm als der Mann, der kraft seiner Gedanken das Herz einer Ziege anhalten kann. Foto: Kinowelt Filmverleih |
Keine Siege ohne Ziege
Der Film endet mit einer Herde Ziegen, derer die beiden Protagonisten zufällig ansichtig werden – auf einem amerikanischen Militärstützpunkt irgendwo in der irakischen Wüste. Die Geschichte der „Jedi-Krieger" ist also noch nicht zu Ende. Und in der Wirklichkeit? Kommen wir nochmal auf die fehlende Kaffeemaschine zurück. Jemand vom First Earth Battalion erzählte Ronson bei seinen Nachforschungen mit verschwörerischem Unterton, er habe begonnen zu glauben, es gäbe noch eine andere, viel besser versteckte PSI-Einheit, mit mutmaßlich glamouröseren Büros, und ihre Einheit sei enttarnt worden, um die Aufmerksamkeit von dieser anderen Einheit abzulenken. „Damals schenkte ich dieser Theorie kaum Glauben", schreibt Ronson. „Aber heute bin ich mir nicht mehr so sicher."
Fest steht: Der berühmte „Ziegentotstarrer", der mit richtigem Namen Guy Savelli heißt, rief Ronson noch im Jahr 2004 an, um ihm aufgeregt mitzuteilen, dass er wieder nach Fort Bragg beordert worden sei, ins Hauptquartier der amerikanischen Sondereinheiten. Mit einer Ziege?, wollte Ronson wissen. „Ich kann Ihnen nur sagen", antwortete Guy, „dass ein Tier eine Rolle spielen wird."
Zum Thema:
Jon Ronson: Durch die Wand. Salis, Zürich 2008, 240 Seiten, 16,90 EUR (Taschenbuchausgabe: „Männer die auf Ziegen starren", Heyne, München 2010, 7,95 EUR).
Quellen:
- „Apokalypse Now", USA 1979
- „Hulk", USA 2003
- Im Film wird in der entsprechenden Szene allerdings Angela Lansbury genannt.
- Skeptiker 2/07, Seite 77 – 84
- Beim Aufrufen der Seite firstearthbatallion.com ertönt das Meckern einer Ziege.