Wie sollten wir mit Parawissenschaften umgehen?
Amardeo Sarma
Warum halten wir manche Thesen für gesichert, andere für zweifelhaft? Wie sollten Behauptungen aus dem Bereich der Parawissenschaften überprüft werden? Wie sollte Kritik geübt werden und wie nicht? Wie können wir überzeugen und welche Fehler werden dabei oft gemacht? Dieser Aufsatz ist ein Plädoyer für eine informierte und angemessene Kritik.
"Sie lehnen es nur ab, weil Sie es nicht erklären können", ist ein häufiger Vorwurf, den Mitglieder der GWUP zu hören bekommen. Auch mit "Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde ..." oder "Wer heilt, hat recht" wird man oft konfrontiert. Es wird dabei unterstellt, daß bestimmte Phänomene bereits nachgewiesen seien und nur noch deren Erklärung fehle. Andere wiederum werfen Skeptikern vor, sie seien nicht "offen" genug und würden alles von vornherein, a priori, ablehnen. Kritiker schauten sich die Phänomene nicht ernsthaft genug an. Sie seien blind gegenüber offensichtlichen Tatsachen und würden Untersuchungen meiden oder so hohe Hürden aufstellen, daß die Phänomene keine Chance hätten. Einwände wie diese führen zum Nachdenken über das eigene Selbstverständnis. Wie geht die GWUP vor? Welche Methoden und Kriterien werden angewandt? Wie sollte etwas untersucht werden? Antworten hierzu können doppelt genutzt werden. Es wird Klarheit gewonnen über die eigene Vorgehensweise, und gleichzeitig ergeben sich Hinweise darauf, wie man in der öffentlichkeit das Wesentliche herausarbeiten und Scheinargumente erkennen kann. Auch in der "real existierenden" Wissenschaft werden wissenschaftliche Methoden viel zu häufig vernachlässigt. Für mich persönlich hat die Auseinandersetzung mit Para- und Pseudowissenschaften viel dazu beigetragen, eigene Irrtümer zu erkennen, ganz im Sinne des Aufsatzes von Gerhard Vollmer "Wozu Pseudowissenschaften gut sind" [18]. In der Schule und an der Universität habe ich das vermißt.
Warum Physik, warum nicht Geister?
Auch wenn wir uns für denkende oder rationale Menschen halten, glauben wir Dinge, ohne sie direkt zu überprüfen. Wenn wir in einem Physik- oder Astronomiebuch lesen, die Sonne sei etwa 150 Millionen Kilometer von der Erde entfernt, gehen wir recht unskeptisch davon aus, daß dies stimmt. Dagegen mißtrauen wir zutiefst der Geistergeschichte des Nachbarn, auch wenn wir wissen, daß er ein grundehrlicher Mensch ist, auch wenn er es mit Nachdruck beteuert, und sogar dann, wenn sein Bericht in einem Buch veröffentlicht wurde. Wo liegt denn hier der Unterschied? Vielleicht denken wir, Kriterien oder Methoden zu haben, die uns eine Entscheidung erlauben. Zum Beispiel könnten wir verlangen, daß eine Aussage mit anderen wissenschaftlichen Erkenntnissen verträglich sein muß. Man stelle sich vor, bestimmte Aussagen der Chemie widersprächen Aussagen der Physik oder der Biologie. Dies wäre ein großes Problem, und alle Anstrengungen müßten unternommen werden, um zu klären, wo der Fehler liegt. Hinsichtlich der Sonnenentfernung sehen wir keinen Widerspruch zu dem, was wir sonst noch kennen. Die Geistergeschichte des Nachbarn jedoch scheint unseren biologischen Kenntnissen von Leben und Tod zu widersprechen. Sollten solche Aussagen stimmen, müßten wir einen Großteil unseres Wissens über Bord werfen und neu beginnen [12]. Dies ist nicht unmöglich und schon vorgekommen. So eine Revolution (im Sinne Kuhns [10]) kann passieren, es ist aber extrem selten. Wir können aber auch unabhängig von der Vereinbarkeit mit bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen verlangen, daß Aussagen überprüft wurden und daß sie solche Prüfungen erfolgreich bestanden haben. Das hat nichts mit der Erklärbarkeit eines Phänomens zu tun. Auch wenn die Erklärung für ein Phänomen (noch) fehlt, ist es kein Problem, darauf vorläufig zu verzichten. In der naturwissenschaftlich begründeten Medizin ist dies ständig der Fall. Viele Medikamente werden nach dem Nachweis ihrer Wirksamkeit angewandt, obwohl ihre genaue Wirkungsweise noch gar nicht geklärt ist. Wenn erst einmal eine These oder eine Wirkung bestätigt wurde, dann können wir nach einer Erklärung suchen. Der Vorwurf also, daß Skeptiker etwas nur deshalb ablehnen, weil eine Erklärung fehlt, könnte falscher kaum sein. Auf diese fundamentale Fehlbeurteilung skeptischer Einwände sollte immer wieder hingewiesen werden. Im Gegensatz dazu liefern Anhänger vieler Parawissenschaften gerne kunstvolle Erklärungen für Dinge, die gar nicht belegt sind. Eine These, die sich nicht aus anerkannten Annahmen logisch ableiten läßt, muß empirisch geprüft werden. Dabei müssen strenge Kriterien gelten, die Alternativhypothesen und Fehler ausschließen oder zumindest sehr unwahrscheinlich machen. Hier setzen wissenschaftliche Untersuchungen an.
Gefragt werden könnte aber auch, warum bei Thesen überhaupt Untersuchungen durchgeführt werden sollten, bei denen die innere oder äußere Konsistenz fehlt, die also entweder bereits in sich widersprüchlich sind oder aber im Widerspruch zu als sicher angenommenen Wissen stehen. Warum sollten wir "Geister" untersuchen? Hier gibt es zwei Antworten. Erstens ist es denkbar, auch wenn zur Zeit nichts dafür spricht, daß wir bei der Feststellung der inneren oder äußeren Konsistenz unrichtige Annahmen oder sonstige Fehler gemacht haben und daß die These doch stimmt. Für Skeptiker gibt es aber einen weiteren, wichtigen Grund: Da in der öffentlichkeit viele Menschen den Argumenten der inneren und äußeren Konsistenz nicht folgen können, sind Untersuchungen eine hervorragende Gelegenheit, nachvollziehbar zu zeigen, daß Thesen oft nicht halten, was sie versprechen. Eine These sollte also zumindest im Prinzip prüfbar sein [15, 17, 18]. Ist sie es nicht, so wird keine denkbare Beobachtung und keine denkbare Erfahrung in der Lage sein, die These jemals als falsch zu erweisen. Sie wäre dogmatisch festgelegt und gegen alle nur vorstellbaren Einwände geschützt. Wenn ich behaupte, ich könne fliegen, allerdings nur dann, wenn niemand zusieht, dann ist das unwiderlegbar. Eine Untersuchung der Aussage ist prinzipiell nicht möglich. Auch solche Behauptungen können wahr sein, wir können dies aber niemals überprüfen. "Poltergeister" sollen ja aber gerade einen Einfluß auf Materie haben, weshalb die Folgen dieser Geisterthese durchaus testbar sind.
Methodenzwang?
Sind diese Kriterien oder Methoden aber auch sinnvoll und vollständig? Gibt es dafür irgendeinen zwingenden Grund [6]? Wenn Methoden oder Kriterien nicht begründet werden, wäre dies dogmatisch und eine bloße Lehrmeinung. Viele Vertreter von Parawissenschaften erheben genau diesen Vorwurf. Die Methoden und Kriterien, könnte man argumentieren, haben sich bewährt. Dann stellt sich wieder die Frage, woher wir sicher sein können, daß dieses grundsätzlichere Kriterium (das der Bewährung) nun stimmt. Wir geraten so von einer Begründung zur nächsten und schließlich in einen unendlichen Regreß, eine unendliche Kette von Begründungen, die wir entweder irgendwann dogmatisch abbrechen müssen oder im Sinne eines Zirkelschlusses durch eine der schon erläuterten Methoden begründen. Die antiken Skeptiker, die Pyrrhonisten, zogen es aus diesem Grunde vor, sich eines Urteils zu enthalten [3], da ein endgültiger Beweis nicht erbracht werden kann. Pyrrhonisten haben auf hervorragende Weise die Argumente der Dogmatiker (zum Beispiel der Stoiker) demoliert, konnten ihnen aber außer der Urteilsenthaltung nichts entgegensetzen. Dies kann uns kaum zufriedenstellen, denn dann gäbe es ja in der Tat keinen Unterschied zwischen dem größten Schwachsinn und einer bestens belegten These.
Schon in der Antike vertraten einige, wie z. B. Karneades, einen gemäßigteren Skeptizismus [11]. Eine ähnliche Haltung nahm auch David Hume im 18. Jahrhundert ein [7]. Sie meinten, zwischen Wahrscheinlichem und Unwahrscheinlichem oder weniger Wahrscheinlichem unterscheiden zu können. Diese Haltung wurde schon von den Pyrrhonisten verworfen, weil sie zeigen konnten, daß auch die Unterscheidung zwischen Wahrscheinlichem und weniger Wahrscheinlichem ebenfalls Kriterien bedarf, die wiederum entweder dogmatisch festgelegt werden müssen oder zu einem unendlichen Regreß oder Zirkelschluß führen. Das Problem wird also durch Wahrscheinlichkeitsaussagen nicht grundsätzlich gelöst. Heute bietet die "Neue Skepsis" (die ich u. a. durch Kurtz [11] und Vollmer [17] vertreten sehe) durch eine innovative Neufassung einen Ausweg. Das Methodeninventar, das auf Kritisierbarkeit beruht, darf selbst der Kritik ausgesetzt werden. Damit wird bewußt das Risiko eingegangen, daß auch Methoden als unzweckmäßig oder fehlerhaft verworfen werden. Skepsis und Kritik werden dabei zur selbstanwendbaren Methode, die ständig versucht, wissenschaftliche Thesen und die Skepsis selbst von Irrtümern zu befreien. Sie geht sogar das Risiko ein, sich selbst aufzuheben. Das Streben nach absoluter Sicherheit und Gewißheit wird aufgegeben, vielmehr gibt man sich mit den bestgeprüften Methoden und Kriterien und danach mit den bestgeprüften Thesen - denen der Wissenschaft - zufrieden. Da niemand etwas Besseres anzubieten hat, bin auch ich damit zufrieden.
Argumente und Kritik
In der Rhetorik sind verschiedene Arten der unfairen (irrelevanten) Argumentation bekannt [2, 16], die nicht verwendet werden sollten und schon gar nicht als Beweis taugen, zum Beispiel:
- Ad-hominem-Argument: Die Vertreter der Gegenthese sind Schufte.
- Unterstellungen: Argumente der Gegenseite werden falsch dargestellt oder verdreht.
- Appelle an populäre Vorurteile oder an Wunschdenken.
Daneben gibt es weitere Möglichkeiten unsachlicher (nebensächlicher) Argumente:
- Traditionsargument: Das ist schon immer so als richtig oder falsch erkannt worden.
- Autoritätsargument: "Einstein hat das auch gesagt".
Klassische Beispiele dafür finden sich in der Paramedizin, bei der alle Varianten unfairer und unsachlicher Argumente vorkommen. Die Homöopathie beruht zum Beispiel auf ihrer Tradition und auf der Autorität Hahnemanns, der nicht kritisiert werden darf. Aber auch Skeptiker können versucht sein, solche unsachlichen Wege zu gehen. Zu den sachlichen Argumenten zählen in erster Linie Beispiele. Nicht eindeutig zuzuordnen sind hingegen Appelle an Mitleid aufgrund der Konsequenzen von Handeln oder Nichthandeln. Diese Art der Argumentation baut sicher primär auf Emotionen auf, aber hier kommt es auf die Art und Weise an, wie Schlußfolgerungen abgeleitet werden. Neben dem Argumentieren mit Beispielen halte ich den Appell an das Mitleid in bestimmten Fällen für zulässig. Bei Wunderheilern wäre es demnach durchaus angebracht, auf die Folgen des Glaubens an Wunderheiler hinzuweisen.
Mit unsachlichen Traditions- und Autoritätsargumenten konfrontiert, sollte man darauf hinweisen, daß auch Traditionen fehlerhaft sein können, daß Autoritäten irren können, und daß es auch genau gegenteilige Traditions- und Autoritätsargumente gibt. Diese taugen aber nur als Reaktion, nicht als eigene Argumente. Unfairen Argumenten kann man nur so begegnen, indem man sie als solche aufdeckt und kennzeichnet. Beispiele sollten keine unzulässigen Verallgemeinerungen enthalten. In der Diskussion sollten unzulässige Verallgemeinerungen als solche gekennzeichnet und darauf hingewiesen werden, daß es auch Gegenbeispiele gibt, die die Sache relativieren. Weitere Argumentationshilfen sind bei Lemmermann [13] nachzulesen.
Mit Beispielen argumentieren
Einige Erkenntnistheoretiker haben vorgeschlagen, mit Beispielen im Sinne der Induktion vorzugehen. Darunter ist eine Verallgemeinerung zu verstehen, bei der aus dem Speziellen (Beispiele für eine These) auf das Allgemeine (die These) geschlossen wird. Zum Beispiel könnte man aus der Beobachtung, daß Menschen sich an Feuer verbrannt haben, schließen, Feuer sei immer so heiß, daß es zu Verbrennungen führt. Doch gibt es tatsächlich bei bestimmten Chemikalien Feuer, an dem man sich nicht verbrennt. Solange die Induktion nicht alle Fälle umfaßt, und das tut sie selten, kann kein endgültiger Schluß gezogen werden: Wir müssen immer bereit sein, aufgrund neuer Erkenntnisse unsere These zu korrigieren oder gar zu verwerfen. Ein weiteres Beispiel, das auch von David Hume verwendet wurde, ist der tägliche Sonnenaufgang. Aus der Erfahrung, daß die Sonne bisher jeden Tag aufging, schließen wir, die Sonne gehe morgens immer auf. Gilt dies aber auch für die Zukunft, den nächsten Tag? Lassen wir dabei ruhig Spitzfindigkeiten beiseite, zum Beispiel, daß es nördlich des Polarkreises monatelang dunkel bleibt. Wir erwarten ganz sicher, daß die Sonne morgens aufgeht, aber worauf beruht denn diese Sicherheit? Hierfür ist eine zwingende Prämisse notwendig, ein Kriterium: die Naturgesetze müssen mit der Zeit konstant bleiben oder zumindest keine ruckartigen änderungen vorweisen. Haben wir einen Beweis für diese Prämisse? Wenn wir sagen, es sei ja bisher immer so gewesen, dann begründen wir den Gegenstand, der bewiesen werden soll, durch sich selbst: ein Zirkelschluß, der sogar in der Rhetorik unzulässig ist. Können wir uns zumindest darauf zurückziehen, daß die Sonne sehr wahrscheinlich aufgehen wird? Nein, denn auch hier benötigen wir Prämissen über Wahrscheinlichkeiten für die Stetigkeit der Naturgesetze, die sich ebenfalls nicht durch sich selbst belegen lassen. Bleibt uns nichts anderes übrig als Urteilsenthaltung, wie die antiken Skeptiker forderten? Wäre es also gar nicht mehr notwendig, sich auf das Morgen vorzubereiten? Ein Lebewesen, das dies täte, würde bald sterben.
Die Lösung ist auch hier: Unser Streben nach absoluter Gewißheit müssen wir entsprechend der methodischen Skepsis aufgeben. Wegen der Fehlbarkeit der Induktion kann es keine absolut sicheren Erkenntnisse geben. Es ist aber rational und vernünftig, uns nach den bestgeprüften und bewährten Thesen zu richten, also nach den mit wissenschaftlichen Methoden überprüften Thesen.
Angemessene und schlechte Kritik
Auch Skeptiker machen Fehler, gerade in der Art der Kritik und des Argumentierens. Viele Fehler sind vermeidbar, streicheln nur kurzfristig das Ego, schaden aber langfristig ungemein. Ray Hyman [8] ist vor einiger Zeit in ähnlicher Weise darauf eingegangen. Wir sollten uns mit der Sache und nicht mit Personen auseinandersetzen. Es fällt allen Menschen schwer, gerade wenn sie empört sind, der Versuchung zu widerstehen, den Widersacher persönlich anzugreifen. Vielleicht wurden sie selbst emotional angegriffen. Persönliche Angriffe fördern einen Solidarisierungseffekt mit dem Angegriffenen und schmälern die wahrgenommene Objektivität des Angreifers. Außerdem sind sie oft unbegründet.Vertreter von Parawissenschaften sind meist ehrliche Menschen. Sie meinen, im Recht zu sein. Sie lügen selten bewußt und haben oft korrekte Beobachtungen gemacht. Problematisch sind eher die Interpretationen und die Folgerungen, die sie daraus ziehen. Das Fazit ist, sich stets auf die Sache zu konzentrieren. Die Zuhörer sind in der Lage, sich selbst eine Meinung zu bilden; deshalb sollte man die Fakten für sich sprechen lassen. Konkrete Behauptungen sollten wir nur dann versuchen auch konkret zu widerlegen, wenn wir begründete Argumente und Belege haben. Dazu benötigen wir die erforderlichen Fachkenntnisse und eine Detailkenntnis der Materie. Wenn erforderlich, sollten kompetente Fachleute konsultiert werden. Erst recht ist bei öffentlichen Diskussionen eine gründliche Vorbereitung zwingend erforderlich.
Unsere Kritik sollte genau belegbar sein. Es ist besser zu schweigen, als das Risiko einzugehen, daß sich eine vermeintlich "natürliche" Erklärung als falsch erweist. Die UFO-Experten der GWUP können ein Lied davon singen, wie manch ein Skeptiker oder Astronom sich mit falschen natürlichen Erklärungen in die Nesseln gesetzt hat. Hier sollte man klar sagen, daß man den jeweiligen Fall nicht kenne und daher keine Aussagen machen kann, der Sache aber nachgehen wolle. Es ist keine Schande zu sagen: "Ich weiß es nicht!". Betonen kann man allerdings, daß - solange nicht das Gegenteil erwiesen ist - zunächst einmal von einer natürlichen Erklärung auszugehen ist, gerade auch angesichts der bisherigen Erfahrungen mit behaupteten "übernatürlichen" Phänomenen. Bei allen Diskussionen sollte immer wieder herausgestellt werden, daß wir bei entsprechenden Belegen durchaus bereit sind, unsere Meinung zu ändern - und so sollten wir uns auch verhalten. Eigene Aussagen müssen fundiert sein. Gerade wenn man sich von anderen positiv unterscheiden will, darf man der "anderen Seite" nicht Dinge unterstellen, die nicht zutreffen. Wir sollten bewußt fair und unseren "Gegnern" gegenüber eher großzügig sein. Das Ziel der GWUP ist es nicht, recht zu haben oder zu bekommen, sondern gemeinsam möglichst nahe an die Wahrheit heranzukommen.
Der rationale Diskurs und die Wissenschaft sind das Betätigungsfeld der GWUP, nicht der Gerichtssaal oder das Arbeiten mit Verboten. Die GWUP will überzeugen und hat es sich nicht zu ihrem Ziel gemacht, Rechtsstreitereien zu führen. Unsere Sprache sollte so behutsam und fair sein, daß wir auch selbst nicht in solche Verfahren hineingezogen werden. Dies gelingt jedoch nicht immer, und manchmal werden sachliche Argumente als persönliche Diffamierungen umgedeutet. Wenn gesagt wird, eine bestimmte Sache sei unbegründet, fassen es die Vertreter der Sache als persönlichen Angriff gegen sich selbst auf, insbesondere (aber nicht nur), wenn sie damit Geld verdienen.
Mißverstandene Kritik an Parawissenschaften
Die Erfahrungen zeigen, daß es nicht einfach ist, zu vermitteln, worin der Kern der von der GWUP vorgetragenen Kritik besteht. Hier einige Beispiele für solche Mißverständnisse: Das vielleicht größte Mißverständnis ist, daß die Hauptkritik an Parawissenschaften die fehlende Erklärbarkeit der Phänomene sei. Tatsächlich richtet sich die Kritik aber entweder darauf, daß die Phänomene selbst noch gar nicht zuverlässig nachgewiesen wurden, so daß eine Erklärung gar nicht ansteht, oder daß bei nachgewiesenen Phänomenen längst bekannte und gesicherte natürliche Erklärungen ignoriert und stattdessen fantastische oder obskure Erklärungsansätze angeboten werden. Typisch für dieses Mißverständnis ist der bedeutungsvolle Hinweis, "zwischen Himmel und Erde" lasse sich eben nicht alles erklären - was von überhaupt niemandem bestritten wird. Immer wieder wird behauptet, "übernatürliche" Phänomene ließen sich nicht experimentell nachweisen, da sie eben "anderer Natur" seien. Paramedizinische Behauptungen sollen z. B. in diese Kategorie fallen. Dies ist allerdings meist nichts weiter als die Flucht vor kritischen Prüfungen der Thesen. Keineswegs ist es durch die Phänomene selbst begründet, denn sie sind oft sehr wohl falsifizierbar. Die meisten Behauptungen lassen sich prüfen, nur suchen ihre Vertreter oft von vornherein nach einem Hintertürchen für den Fall negativer Testergebnisse. Viele Behauptungen der Homöopathie, der Astrologie und der Lehre von den "Erdstrahlen" wurden sorgfältig geprüft und widerlegt. Weiter meinen viele, Paraphänomene würden nicht untersucht, da dies dem Weltbild der Wissenschaftler widerspreche. Tatsächlich führen die meisten Universitäten jedoch deshalb keine Untersuchungen zum Beispiel im Bereich der Parapsychologie durch, weil sie kaum Chancen sehen, hier etwas Neues zu entdecken. In Zeiten schwindender Mittel für die Forschung ist das eine Frage der ökonomie.
Wie sollte man Parawissenschaften untersuchen?
Skeptiker sind leider häufig finanziell und personell nicht in der Lage, eigene Untersuchungen durchzuführen. Viel zu selten ergibt es sich, daß sie Gelegenheit haben, selbst eine solche Untersuchung zu planen, durchzuführen, zu begleiten, zu begutachten oder zu bewerten. Aber auch wenn wir nur von einer Untersuchung lesen, ist es gut zu wissen, worauf es gerade bei "fantastischen Phänomenen" ankommt. Behauptungen oder Thesen lassen sich bezüglich ihrer Prüfbarkeit in zwei Klassen einteilen: solche, die direkt nachgewiesen werden können und solche, für die statistische Verfahren notwendig sind. Für die zweite Gruppe müssen zusätzliche Kriterien beachtet werden. Zunächst ist es sinnvoll, sich mit einem Argument vieler Vertreter von Parawissenschaften auseinanderzusetzen. Sie sagen - zu Recht - daß ihnen gegenüber extrem strenge Maßstäbe angelegt werden, die auch Teile der etablierten Wissenschaft nicht erfüllen können. So wird zum Beispiel auf parapsychologische Untersuchungen verwiesen, die derart strenge Vorsichtsmaßnahmen enthalten, wie sie in vielen Bereichen der "normalen" Wissenschaft nicht angewandt werden. Wird hier mit zweierlei Maß gemessen?
Die geforderte Strenge ist bei solchen Untersuchungen durchaus begründet. Erstens gibt es in der "normalen" Wissenschaft oft zahlreiche Untersuchungen zu einem bestimmten Thema, daß sich - relativ gesehen - mit der Zeit trotz weniger Vorsichtsmaßnahmen die Spreu vom Weizen trennt. Je weniger Untersuchungen, desto strenger müssen wir sein. Zweitens und wichtiger haben parawissenschaftliche Behauptungen oft viele gesicherte Erkenntnisse gegen sich. Wenn wenige Ergebnisse gegen eine überwältigende Fülle anderer Ergebnisse stehen, dann müssen diese wenigen Untersuchungen um so besser begründet werden. Die Physik führt beispielsweise alle Phänomene auf vier Grundkräfte zurück. Eine Behauptung, die eine fünfte Kraft [12] als notwendig postuliert, hat eine Menge Aufholarbeit vor sich. Es gibt nur ein Maß. Wenn aber die eine Waagschale unzählig viele unabhängige Objekte aufweist, dann müssen einzelne Objekte auf der anderen Waagschale wirklich sehr schwer wiegen, um einen Ausgleich schaffen zu können. Oder es muß gezeigt werden, daß die Gegenseite eben doch nicht so schwer ist. Wenn wir im Rahmen einer Untersuchung einen Nachweis für eine These führen wollen, müssen einige Kriterien erfüllt sein:
- Die zu prüfende Hypothese und die Erfolgskriterien müssen vor der Durchführung der Experimente genau festgelegt werden. Ergebnisse sollten für sich sprechen und möglichst wenig intepretationsbedürftig sein.
- Das Ergebnis muß korrekt aufgenommen werden. Die Messung darf nicht von den Erwartungen der Untersucher beeinflußt werden. Hierzu dienen vor allem doppelblinde Versuchsanordnungen. Versuchspersonen und Untersucher müssen von Informationen, die das Ergebnis beeinflussen können, abgeschirmt werden.
- Gegen Manipulation, ob bewußt oder unbewußt, müssen Vorsichtsmaßnahmen eingerichtet werden. Wissenschaftler sind häufig nicht in der Lage, Manipulationen zu erkennen. Hier sollte zum Beispiel ein Zauberkünstler mit entsprechenden Kenntnissen einbezogen werden. Auch nicht alle Zauberkünstler verfügen über das Fachwissen, Tricks von "Medien" wie Uri Geller zu erkennen.
- Es muß ausgeschlossen werden, daß andere Ursachen für das Ergebnis verantwortlich sind. Wenn Wünschelrutengänger zu 80 % erfolgreich sind, kann es daran liegen, daß die Zufallswahrscheinlichkeit, Wasser zu finden, ebenfalls 80 % ist. Um dies auszuschließen, können beispielsweise Basisversuche durchgeführt werden, die die erwartete Wahrscheinlichkeit ohne Effekt feststellen.
- Es muß gewissenhaft und gründlich geprüft werden, ob nicht doch irgendwelche anderen Faktoren das Ergebnis beeinflussen können. Diese müssen ausgeschlossen oder ausgeglichen werden.
Viele Phänomene, so wird behauptet, zeigen sich nicht immer, sondern nur statistisch. Auch wenn dies in manchen Fällen nicht sehr einleuchtend ist, gehen wir hier davon aus, daß wir statistisch relevante Phänomene untersuchen. In diesem Bereich gibt es zusätzliche Anforderungen:
- Einzelheiten, wie Fallzahl, Anzahl der Versuchsreihen, Kriterien für den Abbruch usw. müssen im voraus festgelegt werden.
- Die Art der Datenauswertung muß im voraus festgelegt werden, um eine nachträgliche interessengeleitete Interpretation auszuschließen. Eine ergebnisorientierte Datenselektion muß ausgeschlossen werden. Es können nicht anschließend die angeblich "guten" von den angeblich "schlechten" Daten getrennt werden. Kriterien für "gute" Daten können aber vor dem Test festgelegt werden, wenn die anschließende Aussortierung automatisch ist und keiner Interpretation mehr bedarf.
- Es muß verhindert werden, daß erfolglose Versuchsreihen vorzeitig abgebrochen werden können, während erfolgversprechende Reihen zu Ende geführt werden, sonst ist eine Verzerrung der Ergebnisse zu erwarten.
- Die statistischen Verfahren müssen im voraus genau festgelegt werden. Bei den gleichen Daten können nämlich verschiedene statistische Verfahren unterschiedliche Ergebnisse liefern. Ist man in dieser Hinsicht frei, kann man so lange Verfahren ausprobieren, bis ein passendes gefunden wurde [4].
Diese Angaben können nur als eine grobe Richtlinie angesehen werden. Jede Behauptung muß auf ihre Besonderheit geprüft und gegebenenfalls durch innovative Experimente getestet werden. Wichtig ist, daß das Ergebnis einer Untersuchung offen ist: Es sollte positiv sein, wenn die Behauptung stimmt und negativ, wenn sie nicht stimmt. Eine Untersuchung sollte kein Lotteriespiel sein, die einem Spieler die Möglichkeit des Gewinnens einräumt, auch wenn die Behauptung nicht stimmt. Es sollte aber auch nicht so sein, daß ein möglicher Effekt durch ein nicht angemessenes Experiment unentdeckt bleibt. Musterbeispiele für einen Mißbrauch von Statistik zeigen sich bei der Beschreibung der Wünschelruten-Experimente von Randi in Australien durch Betz [1, S. 179], aber auch bei Publikationen von Ertel [5, 14]. Betz wählt aus den Tests von Randi nachträglich eine Untergruppe aus (Datenselektion), bei der er dann eine statistische Signifikanz mit einer nachträglich festgelegten Methode (Verfahrensselektion) feststellt. Eine weitere Warnung bleibt aber: Kein Experiment, so gut es auch ist, kann eine Frage endgültig klären. Keine Untersuchung ist so perfekt, daß Fehler unmöglich sind. Deshalb bleibt die Forderung nach Wiederholbarkeit, denn ein stabiles Phänomen verschwindet nicht, sondern läßt sich immer wieder nachweisen.
Zusammenfassung
Mit Gerhard Vollmer bin ich der Ansicht, daß die Auseinandersetzung mit Parawissenschaften eine reizvolle Aufgabe ist. Sie hilft uns, unser Denken zu schärfen, nicht nur gegenüber Parawissenschaften, sondern auch hinsichtlich der Richtigkeit unserer eigenen überzeugungen und Methoden. Skepsis und das Testen der Konsequenzen unserer Annahmen können Fehler und Irrtümer in unseren überzeugungen aufzeigen. Dies gilt auch für "normale" Wissenschaften, wo es oft genug an Kritikfähigkeit mangelt. Auch Wissenschaftler sind Menschen. Es gilt, sich in der Auseinandersetzung um Parawissenschaften als kompetente und faire Partner zu profilieren. Die Werkzeuge dafür sind wissenschaftliche Methoden. Die GWUP ist der Ansicht, daß diese sich bewährt haben, läßt aber Kritik zu und setzt ihre Methoden sogar dem Risiko der Selbstaufhebung aus. Nach diesen Methoden gibt es bisher, soweit ich sehe, keine Belege für "übersinnliche" Phänomene. Wir sollten unsere Untersuchungen so gestalten, daß der Ausgang offen ist und nur davon abhängt, ob die jeweiligen Thesen stimmen. Dann sprechen die Ergebnisse für sich.
Literatur
1. Betz, H. D.; König, H. L.: Der Wünschelrutenreport. Eigenverlag, München 1989
2. Capaldi, N.: The Art of Deception. Prometheus Books, Buffalo/New York 1979
3. Empiricus, S.: Outlines of Pyrrhonism. Prometheus Books, Buffalo/New York 1990
4. Enright, J. T.: Water Dowsing: the Scheunen Experiments. Naturwissenschaften 82, 360, 1995
5. Ertel, S.: Gauquelins Mars-Effekt: Illusion oder Irritation? Skeptiker 10 (3), 88, 1997
6. Feyerabend, P.: Wider den Methodenzwang. Suhrkamp, Frankfurt 1993
7. Hume, D.: On Human Nature and the Understanding. Collier Maximillian Publishers, London 1962
8. Hyman, R.: The Elusive Quarry. Prometheus Books, Buffalo/New York 1989
9. Kanitscheider, B.: Im Innern der Natur. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1996
10. Kuhn, T.: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Suhrkamp, Frankfurt 1993
11. Kurtz, P.: The New Skepticism. Prometheus Books, Buffalo/New York 1992
12. Lambeck, M.: Können paranormale Phänomene physikalisch erklärt werden? Skeptiker 10 (2), 52, 1997
13. Lemmermann, H.: Schule der Debatte. Günter Olzog Verlag, München 1986
14. Nienhuys, J. W.: Ertels Mars-Effekt: Anatomie einer Pseudowissenschaft. Skeptiker 10 (3), 92, 1997
15. Popper, K.: Logik der Forschung. Piper, 10. Aufl., München 1994
16. Schlüter, H.: Grundkurs der Rhetorik. Deutscher Taschenbuch Verlag, 13. Aufl., München 1994
17. Vollmer, G.: Wissenschaftstheorie im Einsatz. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1993
18. Vollmer, G.: Wozu Pseudowissenschaften gut sind. Skeptiker 7 (4), 94, 1994
Dieser Artikel erschien im "Skeptiker", Ausgabe 4/1997.
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