Hans Richter
Selbsternannte Experten haben Albert Einsteins spezieller Relativitätstheorie den Kampf angesagt. Zusammengeschlossen in der Internationalen Vereinigung zur Fortentwicklung der Naturwissenschaften," wollen sie dem Perpetuum mobile zum Durchbruch verhelfen.
"Der Jammer mit der Menschheit ist, daß die Narren so selbstsicher sind und die Gescheiten so voller Zweifel" (Bertrand Russell).
Etwa 80 Personen trafen sich Ende April 1988 zu einem zweitägigen Kongreß im Münchener Kongreßzentrum des Deutschen Museums. Eingeladen hatte der "Internationale Verein zur Förderung der Randwissenschaften." Es war der erste Kongreß dieser noch jungen Gesellschaft ' die sich gleich zu Veranstaltungsbeginn in die "Internationale Vereinigung zur Fortentwicklung der Naturwissenschaften" umbenannte. Des Ortes der Veranstaltung, des Deutschen Museums, würdig, schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Das mechanistische Weltbild des vorigen Jahrhunderts feierte fröhliche Urstände. Ununterbrochen kreiste die Diskussion um Energiefelder, Atome, Raum, Zeit, Relativität, Gravitation und immer wieder Albert Einstein und seine spezielle Relativitätstheorie.
Einstein, so der Vorwurf, werde Genialität unterstellt, "Propagandalügen" und ein "gigantischer Betrug" rankten sich um sein wirres Haupt und seine "hochgradig schwachsinnige Theorie," die "wissenschaftlich einwandfrei widerlegt" sei. Ihm sei es zu verdanken, daß die Menschheit mit seinem Irrglauben auf einen Abgrund zumanövriert." Die Heftigkeit und Art der Anwürfe erinnern fatal an die Zeit der "Deutschen Physik," als sogenannte nichtarische, undeutsche Theorien und Wissenschaftler mit ähnlichen Beschimpfungen bedacht wurden. Wo immer Einsteins Porträt die Publikationen der fanatischen Gesellschaft heute ziert, ist es mit einem großen Fragezeichen versehen. Ist das alter Antisemitismus in neuem Gewand? Hochgradig schwachsinnig sei nach Auffassung der Vertreter einer "neuen Physik" Einsteins spezielle Relativitätstheorie, die er 1905 formuliert hatte. Sie besagt unter anderem, daß kein physikalischer Körper, so hoch er auch beschleunigt wird, die Lichtgeschwindigkeit erreicht, die im Vakuum fast 300 000 Kilometer pro Sekunde beträgt. Je mehr sich die Geschwindigkeit eines Körpers derjenigen des Lichts nähert, umso mehr Widerstand setzt seine immer größer werdende Masse jedem Versuch entgegen, ihn noch stärker zu beschleunigen. Die Lichtgeschwindigkeit (Vakuumgeschwindigkeit) ist eine der absoluten Naturkonstanten, die für den allgemeinen Aufbau der Materie im gesamten Weltall fundamentale Bedeutung hat. Der Betrieb von Teilchenbeschleunigern, wie bei CERN und DESY, bestätigen Einsteins spezielle Relativitätstheorie jeden Tag aufs neue. Sie gehört zum täglichen Brot in der Elementarteilchenphysik.
"Der Fortschritt darf nicht vin den Etablierten wissenschaftlich behindert werden."
Elf Jahre später, 1916, stellte Einstein dann seine allgemeine Relativitätstheorie auf, die einen Zusammenhang zwischen Gravitation, Raum, Zeit und Masse, insbesondere die Gleichheit von schwerer und träger Masse, herstellt. Experimentell bisher nicht widerlegt, hat diese Theorie einen Mangel: Sie läßt Quanteneffekte außer acht. Gegenwärtig werden Versuche unternommen, beide Aspekte in einer noch allgemeineren Theorie zu vereinen. Demgegenüber halten die Verfechter der "neuen Physik" die Relativitätstheorie für einen "unverzeihlichen Irrtum." Ihre Widerlegung besitze "einen epochalen Charakter," der "neue Horizonte eröffnet für die Erforschung der Natur, der Materie und des Universums schlechthin. Der Fortschritt darf nicht von den Etablierten wissenschaftlich behindert werden."
Was sind das für Menschen, die sich hier engagieren, die geduldig einander zuhören, obwohl sie oft völlig konträre Ansichten vertreten? Was sind das für Menschen, die mit Kritik untereinander sehr zurückhaltend umgehen, aber unerschütterlich gegen Einstein und alles, was mit seinem Namen in Verbindung gebracht werden kann, vorgehen?
"37.567 Elfinos bilden ein Wasserstoffatom."
Wo Albert Einstein angeblich versagt, springen die demagogischen Jünger der "neuen Physik mit ihren Schützlingen in die vermeintliche Lücke: zum Beispiel mit den "Elfinos." Alle statischen und dynamischen Felder, so die krause Vorstellung, bestünden aus Ketten von Elfinos. Sogar die Atome seien so aufgebaut. So enthalte ein Wasserstoffatom genau 37 567 dieser neuen Elementarteilchen, tat die Szene-Zeitschrift für Irrationalitäten jeglicher Art, raum & zeit, in ihrer Ausgabe Nr. 31 vom Dezember/Januar 1987/88 kund. Den abenteuerlichen, ja skurrilen "Elfino"-Phantasien folgten auf dem Münchener Kongreß nicht weniger abstruse Vorstellungen. So wurde die Levitation, die lokale Aufhebung des Erdschwerefeldes, als experimentell erwiesen angesehen. Auf der Sonne, so eine andere neue Erkenntnis," soll keine Gravitation herrschen. Deshalb sei die Lichtgeschwindigkeit des Sonnenlichts in diesem Bereich um zwei Drittel geringer als die im Vakuum. Auf die Frage eines Zuhörers, was denn die Sonne nun zusammenhalte, wenn die Gravitation als nichtig angesehen werde, kam die Antwort: Es gebe da andere Kräfte, immerhin pulsiere ja die Sonne auch sehr stark. Und ein weiterer Jünger der "neuen Physik" behauptete allen Ernstes, den elektrischen Strom in einem Proton ausgerechnet zu haben - beachtliche 36 000 Ampere.
Den Höhepunkt des Kongresses bildete ein .Feldenergiekonverter," vorgestellt von Professor D. Zielinski und angeblich begutachtet von der Universität Utrecht in Holland. Ein "Feldenergiekonverter," so wissen es die Eingeweihten, ist so etwas wie ein Perpetuum mobile, eine Apparatur, die das Unmögliche möglich macht: Aus Feldern unablässig Energie zu produzieren, ohne daß irgendeine Gegenleistung erforderlich ist. Daß damit elementare Hauptsätze der Physik über Energie und Entropie außer Kraft gesetzt werden - was unmöglich ist - stört offensichtlich niemanden. Man ist angetreten, mit der herkömmlichen Physik abzurechnen. Und wenn sich damit auch noch sämtliche Energieprobleme der Menschheit lösen lassen, um so besser.
Angesichts Zielinskis umständlicher Einleitung werden die Zuhörer verständlicherweise unruhig. „Wie funktioniert es?“, "Wo ist es zu sehen?" Ungeduldige Fragen bedrängen den Herrn Professor Zielinski. die typische deutsche Ungeduld beklagend, zeigt sich gnädig. Auf einen Wink hin trägt ein Assistent das mit einem Tuch verhüllte Objekt herein. Da sieht sie nun, die Wundermaschine. Einem Magier gleich zieht der Erfinder das Tuch beiseite. Befreites Aufatmen geht durch die Kehlen, um mit einem Seufzer der Enttäuschung abzuschließen. Das Perpetuum mobile, die Befreiung aus allen Energieengpässen, ist nur ein Modell. Das Original, so verkündet Zielinski, sei vor drei Jahren explodiert. Soviel Energie habe es aus dem Nichts heraus gesammelt. Er sei von der vor lauter Energie strotzenden und schließlich berstenden Maschine beinahe erschlagen worden. Jetzt würde der "Feldenergiekonverter" aber bereits kommerziell entwickelt und mit einer Bremse, bestehend aus einer bei Raumtemperatur (!) supraleitenden Spule, versehen, um zukünftigen Explosionen vorzubeugen. Und, wie nun funktioniert die Zauberapparatur? Ähnlich den feststehenden und den rotierenden Schaufeln einer Turbine stünden sich Permanent-Magneten auf einem Stator und einem Rotor gegenüber. Offenbar sind sie so gepolt, daß sie sich gegenseitig abstoßen und so den Rotor in Drehung versetzen. Mehr ist nicht in Erfahrung zu bringen. Kritische Fragen werden nicht gestellt, die Glaubensgemeinde ist mit Zielinskis Allgemeinplätzen zufrieden.
Daß sich die Kongreßteilnehmer so billig abspeisen ließen, kann nur Folge ihrer unerschütterlichen Gläubigkeit an die versammelten Autoritäten gewesen sein. Denn an Professionalität herrschte kein Mangel. Unter den 32 im Programm aufgeführten Referenten befanden sich 7 Professoren, 14 Promovierte, 5 Diplom-Ingenieure und ein Regierungsdirektor vom Deutschen Patentamt. Bei soviel fachlicher Autorität bleibt der Ruf nach staatlichen Forschungsgeldern nicht aus, wie auf dem Kongreß bereits lauthals gefordert wurde. Warum sollte es auch nicht eine öffentlich geförderte Arbeitsgruppe für unkonventionelle Naturwissenschaften geben? Vorbilder gibt es bereits, wie den „Arbeitskreis Unkonventionelle Methoden der Krebsbekämpfung", der das vom Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) mit 417.277 DM finanzierte Erdstrahlen-WünschelrutenProjekt an der Universität München befürwortete und somit ins Leben gerufen hat.
Ob die illustre Schar der Pseudophysiker, die von sich behauptet, Lösungen aufzuzeigen, "die zur Grundlage der Physik von Morgen werden können," eines Tages wohl doch noch die Energieprobleme der Menschheit lösen und ein funktionierendes Perpetuum mobile auf die Beine stellen wird? Im deutschen Museum, in unmittelbarer Nähe des absonderlichen Kongresses, sind drei klassische Modelle der nimmermüden Energieerzeuger zu besichtigen. Das älteste der drei vergeblichen Versuche, aus dem Nichts Energie zu gewinnen, stammt von Wilars aus dem Jahre 1245, das jüngste von Jakob de Stade aus dem Jahre 1575. Das dritte konstruierte kein Geringerer als Leonardo da Vinci, der einst dazu schelmisch anmerkte: "Erforscher der beständigen Bewegung, wie viele eitle Hirngespinste habt Ihr geschaffen bei dieser Suche! Gesellt Euch lieber zu den Goldmachern!"
Dieser Artikel erschien im Skeptiker 1/1989.