Von Ulrich Berger
Teil 2
Es war im fünften Jahr eines neuen Jahrhunderts, als ein in der Öffentlichkeit nahezu unbekannter Patentbeamter in einem kleinen Land im Herzen Europas sich anschickte, mit seltsamen Ideen über Raum und Zeit die Physik der Lehrbücher seiner Generation völlig umzukrempeln... Wer jetzt meint, hier werde wieder einmal die Geschichte von Albert Einstein und seinem „annus mirabilis" 1905 eingeleitet, liegt falsch. Die Rede ist hier von dem pensionierten Wiener Patentbeamten Walter Dröscher.
Ein Sprung in den Hyperraum
2005 war das Jahr, in dem Walter Dröscher und sein Koautor Jochem Häuser, Professor an der deutschen Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel, einen Preis des renommierten amerikanischen AIAA (American Institute of Aeronautics and Astronautics) erhielten. Mit einem „Best Paper Award 2004" ausgezeichnet wurde ihr Konferenzbeitrag über „Guidelines for a Space Propulsion Device based on Heim's Quantum Theory".1 Ein Bericht über diesen Beitrag im New Scientist Anfang 2006 trug den Titel „Take a leap into hyperspace", und wie Science Fiction liest sich auch der Inhalt. Um es kurz zu fassen: Dröscher und Häuser schlugen eine futuristisch anmutende neue Antriebsart vor, durch die ein zukünftiges Raumschiff auf seinen Reisen durch das All eine Abkürzung via „Hyperraum" nehmen könne, was etwa eine Reise zum Mars in guten drei Stunden ermöglichen würde.2
Der Bericht im New Scientist löste augenblicklich ein gewaltiges Raunen in einschlägigen Diskussionsforen aus. Der Grund dafür war nicht nur die revolutionäre Antriebstechnik, sondern auch ihre theoretische Basis, die „Heim Quantentheorie" (HQT), ursprünglich entwickelt von dem 2001 verstorbenen deutschen Physiker Burkhard Heim, später unter Mitwirkung von Walter Dröscher. Diese sei nichts weniger als eine „vereinheitlichte Feldtheorie in einem quantisierten höherdimensionalen Raum", berichten Dröscher und Häuser in ihrem Artikel, und gleich im ersten Absatz verweisen sie auf auffällige Parallelen zur derzeit in der mathematischen Physik heiß diskutierten Theorie der Quantengravitation, einer möglichen Alternative zur Stringtheorie.
Burkhard Heim
Der Lebenslauf von Burkhard Heim, dem geistigen Vater der HQT, liest sich wahrlich dramatisch. 1925 geboren, wollte er schon als Kind Raketenwissenschaftler werden und experimentierte im heimischen Keller mit Sprengstoffen. Im zweiten Weltkrieg war er tatsächlich als Sprengstofftechniker beschäftigt, wobei er 1944 Opfer eines tragischen Unfalles wurde. Bei diesem verlor er beide Hände sowie 90% seines Seh- und Hörvermögens. Trotz seiner schweren Behinderung studierte er, unterstützt durch seine Frau und seinen Vater, nach dem Krieg Physik. Dank seines phänomenalen Gedächtnisses konnte er sich trotz der widrigen Umstände mit Relativitäts- und Quantentheorie vertraut machen, und fortan arbeitete er wie besessen an seinem Lebenswerk, das schließlich in drei Bänden veröffentlicht wurde.3
Ein schwerbehinderter Physiker, der im stillen Kämmerlein die Vereinheitlichung von Relativitätstheorie und Quantentheorie, den heiligen Gral der modernen Physik, gefunden hat und der von seinen Anhängern mit Stephen Hawking und Albert Einstein verglichen wird? Was soll man davon halten? Einerseits klingt die ganze Geschichte verdächtig nach einem der in der Physik besonders zahlreichen Pseudowissenschaftler, üblicherweise wenig schmeichelhaft als „Spinner" bezeichnet. Andererseits wurde seine Theorie offenbar aufgegriffen, angeblich weiterentwickelt und zumindest indirekt mit einem Forschungspreis einer renommierten Wissenschaftlervereinigung gewürdigt. Was bei näherem Hinsehen allerdings stutzig macht, sind einige Punkte, die insgesamt den Verdacht nahe legen, dass hier viel Lärm um Nichts gemacht wurde.
Das beginnt bereits bei Heims Arbeit. In sturköpfiger Art und Weise weigerte sich Heim, die in der Wissenschaft übliche Vorgehensweise einzuhalten. Er hatte kein Interesse daran, ein Doktorat zu erwerben oder seine Arbeit in Form von Artikeln bei Fachzeitschriften einzureichen. Er verwendete nicht nur hochkomplexe Mathematik, sondern erfand dazu auch eine eigene Symbolik, die es für Außenstehende enorm schwer machte, seine Schritte nachzuvollziehen. Auch kam es dadurch, dass er gezwungen war, seine Schriften anderen zum Mitschreiben zu diktieren, unvermeidlich zu Fehlern in der Transkription. Die Resultate jahrelanger Arbeit sind mit einer einzigen kleinen Ausnahme niemals einem rigorosen peer review unterzogen worden. Was blieb, waren im Wesentlichen drei dicke Bücher, die mit Fehlern gespickt waren und deren Inhalt auch theoretische Physiker kaum nachvollziehen können. Erschienen sind sie nicht in einem Fachverlag, sondern in einem kleinen Innsbrucker Verlag von Heims Freund Andreas Resch, einem Theologen und inzwischen pensionierten Professor für klinische Psychologie und „Paranormologie" an der Päpstlichen Lateranuniversität Rom.4
Paranormologie
Wer bei „Paranormologie" und „päpstlicher Universität" unwillkürlich an die wundersam geheilten Krampfadern einer brasilianischen Nonne denken muss, die zur Seligsprechung des letzten österreichischen Kaisers führten, der liegt nicht weit daneben. Die Druckwerke eines solchen Verlagshauses gehören verständlicherweise nicht zur typischen Lektüre von Quantenphysikern. Dass Heims Theorie vom wissenschaftlichen Mainstream fast völlig ignoriert wurde, liegt auch daran, dass er sich kaum von esoterischen Randbezirken abgrenzte. So pflegte er etwa auch intensive Kontakte5 zu dem „UFO-Forscher" Illobrand von Ludwiger, der ebenfalls fleißig die Werbetrommel für die HQT rührt.6
Nun kann man es Heim nicht zum Vorwurf machen, dass seine Theorie hauptsächlich von Personen vereinnahmt wird, die in der akademischen Physik gänzlich unbekannt sind. Wie steht es aber um seine „Nachfolger", Dröscher und Häuser? Beide führten nach dem Tod von Heim dessen Arbeit fort und passten die Terminologie an die heute übliche an. Das Resultat war eine Version, die sich EHT („Extended Heim Theory") nennt. Zunächst: Jochem Häuser ist in seinem Fach ein erfolgreicher Wissenschaftler, aber weder seine noch Dröschers zentrale Arbeitsgebiete waren jemals Quantenphysik oder Feldtheorien. Häuser ist Professor für Informatik und ehemaliger Abteilungsleiter der Europäischen Raumfahrtagentur,7 Dröscher ist, wie erwähnt, ehemaliger Patentbeamter.8
Grenzgebiete der Wissenschaft
Walter Dröscher nannte als Zugehörigkeit in seinem AIAA Papier ein „Institut für Grenzgebiete der Wissenschaft (IGW), Leopold-Franzens Universität Innsbruck". Da die Webseite dieses Instituts zwar unter der Domain der Uni Innsbruck angesiedelt war und auch den Namen der Uni in der Titelleiste trug, in deren Organigramm aber nicht auftauchte, fragte ich bei der Universitätsverwaltung nach. Es stellte sich heraus, dass das Institut nichts mit der Innsbrucker Universität zu tun hatte. Tatsächlich ist das Institut für Grenzgebiete der Wissenschaft identisch mit dem Verlag von Andreas Resch. Der Vizerektor für Forschung reagierte schnell: Zwei Tage später ging das Institut offline. Später tauchte es unter einer anderen Domain wieder auf, diesmal allerdings ohne eine Zugehörigkeit zur Uni Innsbruck vorzutäuschen.9
Nun mag es sein, dass eine Universität sich in der Adresszeile eines Fachartikels besser macht als ein Institut mit einem esoterisch klingenden Namen alleine. Dieser Umstand kann aber wohl kaum dazu geführt haben, dass die AIAA eine Auszeichnung für einen Konferenzbeitrag vergibt. Auch dieser Preis relativiert sich bei genauerer Betrachtung allerdings einigermaßen. Zunächst darf man nicht glauben, dass Dröscher und Häuser „den" Preis des AIAA erhalten haben. Tatsächlich ist das AIAA in Dutzende Untergruppen gegliedert, von denen jede einzelne Preise für ihr Spezialgebiet vergibt, und zwar nicht einen, sondern mehrere jährlich. Insgesamt gibt es über 70 verschiedene solcher Preise.10 Der „Best Paper Award" für den Dröscher-Häuser Beitrag war einer von insgesamt 21 Best Paper Awards, die 2005 vergeben wurden.11 Er stammt vom „Technical Committee Nuclear and Future Flight Propulsion". In diesem sitzt zwar kein Quantenphysiker, dafür aber Koautor Jochem Häuser.
Peer Review
All das ist natürlich für sich genommen noch kein Grund, die EHT nicht ernst zu nehmen. Nur: wie soll ein interessierter Laie das entscheiden? Die Theorie ist hoch abstrakt, und wenn man nicht zufällig mathematischer Physiker ist oder aus sonst einem Grund mit „metrischen Tensoren" und „lokal Minkowskischen Mannigfaltigkeiten" auf Du und Du, dann hat man keine Chance, darüber eigenständig zu urteilen. Dafür ist bekanntlich das Peer-Review-Verfahren zuständig. Bedauerlicherweise ist auch die EHT bisher noch kein einziges Mal einer solchen strengen Überprüfung von fachkundiger Seite unterzogen worden. Eine Publikation in einer Fachzeitschrift fehlt nach wie vor.
Eine gewisse Art von peer review gab es schließlich doch. Der renommierte Astrophysiker Lawrence M. Krauss urteilte über das Dröscher-Häuser Papier wenig schmeichelhaft: „completely crackpot, as far as I can see".12 Auch der Mathematiker Gerhard Brunn, emeritierter Professor der TU Darmstadt, hat sich die EHT im Dröscher-Häuser Artikel näher angesehen. Er fand einen schwerwiegenden Fehler, und zwar bereits in der allerersten Gleichung. Auch der Versuch einer Widerlegung von Bruhns Argumenten scheiterte drastisch.13 Seither ist auf dieser Ebene Funkstille. Stattdessen mehren sich die Publikationen, in denen die EHT „populärwissenschaftlich" und vierfarbig aufbereitet wird.
Am Ende steht also eher Hype als Hyperspace: eine hoch spekulative Theorie, die sich aus recht durchsichtigen Gründen an eine Überprüfung durch Fachkollegen nicht herantraut, und trotzdem daran scheitert. Ob unsere Urenkel in Zukunft durch den Hyperraum zum Mars düsen werden, bleibt weiterhin ungewiss.
Quantenteleportation am PC
Szenenwechsel. Vor drei Jahren, also etwa zur gleichen Zeit, als die EHT Gestalt annahm, ereigneten sich wundersame Dinge auf einem sehr eng verwandten Gebiet, ebenfalls in Österreich. Die Vorgänge, von denen hier die Rede ist, waren allerdings deutlich ein paar Schubladen tiefer angesiedelt als die um Dröscher und Häuser. Wer mit „Quantenteleportation" bis dahin hauptsächlich den Namen des österreichischen Quantenphysikers Anton Zeilinger verbunden hatte, der konnte der Webseite der niederösterreichischen Donau-Universität Krems Anfang 2004 einigermaßen erstaunt entnehmen, dass eine solche auch in deren Medienlabor, dem TIM-Lab, stattgefunden habe.14 Dabei sollen Daten zu einem nahe München angesiedelten privaten „Institut für Raum-Energie Forschung" (IREF) übertragen worden sein. Nicht über Kabel oder Funk, sondern „über das kosmische Hintergrundrauschen", und zwar mit Überlichtgeschwindigkeit.
Lottoprognose
Dieser hanebüchene Unsinn fügte sich nahtlos in das „Global-Scaling"-Seminarangebot des IREF-Leiters Hartmut Müller ein, wo man allerlei über „Freie Energie", „Gravitationsabschirmung" und „kalte Kernfusion" lernen kann.15 Gemeinsam mit TIM-Lab Leiter Erwin Bratengeyer wurde das neue Verfahren (erfolglos) in Berlin „demonstriert",16 wurden Artikel verfasst und Vorträge gehalten. Dass die dubiose Technik für „kosmisches Internet" dieselbe war, die noch kurz zuvor „Biohandys" mittels „stehender Gravitationswellen" hätte ermöglichen sollen,17 hatte wohl eher marketingtechnische als physikalische Gründe. Fragwürdig auch, ob die Leeds Metropolitan University von der ganzen Sache begeistert gewesen wäre - schließlich war auch sie gleichzeitig Kooperationspartner des TIM-Lab, ausgerechnet für das erste PhD-Studium in Krems.
Dass die Partnerschaft mit einem Privatinstitut, das eine „Lottoprognose" anbietet,18 für das Image der Donau-Uni auf Dauer förderlich ist, darf bezweifelt werden. Von einem renommierten Physiker der TU Wien auf die peinliche Angelegenheit aufmerksam gemacht, ließ der damalige Rektor der Donau-Universität Krems die Meldung über die angebliche Teleportation im Sommer 2005 aus dem Webarchiv entfernen. Hartmut Müller lächelte trotzdem noch Monate später von einem Erinnerungsfoto des Kremser „Expertenmeeting Forschung".19
Auch findet man im News-Archiv nach wie vor die stolze Meldung, wonach Bratengeyer gemeinsam mit Müller auf einer internationalen IPSI-Wissenschaftskonferenz 2005 in Italien über „Global Scaling" vortragen durfte.20 Diese IPSI-Konferenzen sind in Insider-Kreisen dafür berüchtigt, eingereichte Beiträge einem, sagen wir, eher weniger strengen Begutachtungsverfahren zu unterziehen. Genaugenommen akzeptieren sie gerne auch sogenannte „random generated papers".21 Diese Produkte einer von Studenten am Bostoner MIT ausgeklügelten Software zur Erzeugung von wissenschaftlich klingenden Artikeln aus zusammenhangslosen Zufallsphrasen haben schon einigen professionellen Konferenzausrichtern mit eher monetären als akademischen Motiven großes Kopfzerbrechen bereitet.22 Bis zur Donau-Uni hat sich das anscheinend noch nicht herumgesprochen.
Erratum:
In Teil 1 dieser Artikelserie war von dem „in einem französischen Gefängnis sitzenden ,Wunderheiler[s]' Gerd Ryke Hamer" die Rede. Tatsächlich wurde Hamer jedoch bereits im Februar 2006 aus dem Gefängnis entlassen.
Dieser Artikel erschein im Skeptiker 2/2007.
1 http://www.hpcc-space.com/pubIications/documents/aiaa2004-3700-a4.pdf
2 http://www.newscientist.com/channel/fimdamentals/mg 18925331,200-take-a-leap-into-hyperspace.html
3 http://www.engon.de/protosimplex/px_heimd.htm
4 http://www.igw-resch-verlag.at/resch/andreas_resch/0 lbiographie.html
5 http://www.mufon-ces.org/tcxt/deutsch/sommerer.htm
6 http://www.alphamusic.de/3457756.html
7 http://www.hpcc-space.de/aboutUs/haeuser/index.html
8 http://en.wikipedia.org/wiki/Walter_Dröscher
9 http://www.igw-resch-verlag.at/index.html
10 http://www.Maa.org/c_ntent.cftn7pageicfc: 194
11 http://www.aiaa.org/pdf/insidc/bestpapers2005.pdf
12 http://www.msnbc.msn.com/id/l0694827/
13 http://www.mathematik.tu-darmstadt.de/-bruhn/IGW.html
14 http://web.archivc.org/web/20041009233838/www.donau-uni.ac.at/de/sludium/fachabtciluiigen/
tim/zentren/timlab/news/archiv/02475/index.php
15 http://www.diealternativen.de/seminar-raumenergie-berater-global-scaling.htm
16 http://www.teltarif.de/arch/2004/kw08/sl2922.html
17 http://217.160.88.14/ir_de_forschung_g_com/detai l .php?nr = 738&kategor ie =
ir_de_forschung_g_com
18 http://www.globalscaling.de/lottoprognose/
19 http://wbt.donau-uni.ac.at/gast/cxpertenmeeting2005/C]MG 1400.html
20 http://www.donau-uni.ac.at/de/aktuell/news/archiv/04783/
21 http://www.mwise.de/blog/index.php/2005/l2/29/scigen-for-scientific-research-a-case-study/
22 http://www.newscientisttech.com/channel/tech/mg 18624963.700.html