Die Affäre Wilkomirski
Harald Merckelbach
Zusammenfassung
"Aus einer Kindheit 1939-1948" - so untertitelte der Suhrkamp-Verlag 1995 das Buch "Bruchstücke" von Binjamin Wilkomirski. Der Autor beschreibt darin seine fragmentarischen Erinnerungen an die Kindheit in zwei deutschen Konzentrationslagern. Die Veröffentlichung erregte Aufsehen im In- und Ausland; die Kritik nahm das Buch begeistert auf. Doch drei Jahre später wurde die wahre Identität Wilkomirskis aufgedeckt: Sein eigentlicher Name ist Bruno Dössekker und die Lager kennt er nur als Tourist. Die vermeintlichen Erinnerungen an den Holocaust sind Ergebnis einer suggestiven Psychotherapie.
Der Historiker Stefan Mächler zeichnet in seinem Buch "Der Fall Wilkomirski" Dössekkers Biografie nach. Seine falschen Erinnerungen an den Holocaust seien durch die Transformation von wirklichen traumatischen Erinnerungen an Schweizer Kinderheime entstanden, so Mächler.
Historisch ist diese Arbeit korrekt, auf psychologischem Gebiet unterlaufen Mächler allerdings einige Fehleinschätzungen. Zu diesem Schluss kommt im vorliegenden Aufsatz der Psychologe Harald Merckelbach. Er betrachtet den Fall Wilkomirski als Beispiel von fantasy proneness, der Neigung zu Fantasien und Tagträumen. Weiter befasst er sich kritisch mit der Frage, ob überhaupt ein reales Trauma als Substrat für Dössekkers adaptiertes Holocaust-Trauma angenommen werden muss.
Dieser Artikel erschien im "Skeptiker", Ausgabe 3/2002.