Segensreicher Pharaonenfluch
Die Archäologen, die 1922 die Grabkammer des Tutanchamun öffneten, überlebten dieses vermeintliche Sakrileg im Durchschnitt mehr als 23 Jahre.
Bernd Harder
"Der Tod kommt auf schnellen Flügeln zu dem, der das Grab des Pharao berührt!" So lautet angeblich der Fluch des Tutanchamuns, dessen Ruhestätte im Tal der Könige bei Luxor am 26. 11. 1922 von Archäologen geöffnet wurde. Und wirklich: Der Geldgeber der Ausgrabungen, Lord Carnarvon, starb nur fünf Monate später an einer Infektion. Als nächsten traf es 1926 George Bénédicte, einen Mitarbeiter des Pariser Louvre, danach war der New Yorker Museumsarchäologe Arthur Mace (1928) an der Reihe. Schauerlich - wenn da nicht die Tatsache wäre, dass "der Fluch des Tutanchamun sich in Wirklichkeit als ein Segen für diejenigen entpuppte, die am engsten mit ihm befasst waren", stellen die beiden englischen Archäologen Peter James und Nick Thorpe richtig. Denn: "Von insgesamt vier Personen, die als erste ihren Fuß in das Grab gesetzt hatten und daher einem besonderen Risiko ausgesetzt gewesen wären, blieben drei völlig unberührt."
Nämlich der Expeditionsleiter Howard Carter (der das Hauptziel des Fluches hätte sein müssen), sein Assistent A. R. Callender und Lord Carnarvons Tochter Lady Evelyn Herbert. Der Anatom Dr. Douglas Derry, der die Mumie des Pharao auswickelte, lebte danach noch 44 Jahre. Auch die meisten anderen Mitglieder von Carters Team erreichten ein Alter von mehr als 70 Jahren und kamen als Ägyptologen zu hohem Ansehen.
Der amerikanische Skeptiker James Randi recherchierte unten stehende Tabelle [Anm. des Webmasters: Leider nur in der Print-Ausgabe vorhanden!], aus der hervorgeht, dass die 22 Ausländer, die unmittelbar mit der Öffnung des Grabes zu tun hatten, den "Fluch" um durchschnittlich mehr als 23 Jahre überlebten. Die Beteiligten starben im Schnitt mit 73 Jahren, "womit sie ungefähr ein Jahr älter wurden als andere Personen ihres Standes und ihrer Jahrgänge".
Der britische Sergeant Richard Adamson etwa, der sieben Jahre lang in dem Pharaonengrab schlief, um es zu bewachen (und dabei nach eigener Aussage oft laut Grammophonmusik laufen ließ) war noch 57 Jahre nach diesem Sakrileg gesund und munter. Mehr noch: Weder am Eingang noch an anderer Stelle des Grabes wurde ein Fluch gefunden: "Tatsächlich finden sich Inschriften mit Bannflüchen nur selten in ägyptischen Gräbern, und wenn, dann nur in Privatgräbern, nicht in denen der Pharaonen. In der Zeit Tutanchamuns waren sie ganz ungebräuchlich", stellen James/Thorpe klar. Vermutlich ist der "Fluch" eine reine Erfindung der Presse und der Wachleute gewesen. "Um Grabräuber weiterhin fern zu halten, kam uns die Sache mit dem Fluch gelegen", erzählte Sergeant Adamson vor zwanzig Jahren der Daily Mail. "Journalisten hatten sich die Sache ausgedacht, weil sie in anderen Gräbern Flüche an der Wand gefunden hatten. Wir haben die Zeitungsleute - äh - nicht darin entmutigt."
Die schaurige Sentenz vom "Tod auf schnellen Flügeln" stammt aus der Feder der schwärmerisch veranlagten Schriftstellerin Minnie McKay, die unter dem Pseudonym "Marie Corelli" unter anderem eine gespenstische Mumien-Geschichte verfasste.
Übrigens: 1982 verklagte ein gewisser George LaBrash die Stadt San Francisco auf Invalidenrente, weil er bei einer Ausstellung die Maske Tutanchamuns bewacht und dabei einen Schlaganfall erlitten hatte. Begründung: Der Schlaganfall sei ein Arbeitsunfall gewesen, den der alte Fluch bewirkt habe. Die Klage wurde abgewiesen.
Literatur:
- Benecke, M. (2001): Endlich Ruhe im Sarkophag. Im Internet unter www.benecke.com/ruhe.html
- James, P./Thorpe, N. (2001): Halley, Hünen, Hinkelsteine. Sanssouci, Zürich
- Randi, J. (2001): Lexikon der übersinnlichen Phänomene. Heyne, München
Dieser Artikel erschien im "Skeptiker", Ausgabe 1/2002.