Der Begriff "Aberglaube" wird je nach Zusammenhang in verschiedenen Bedeutungen gebraucht. Umgangssprachlich bezeichnet er den Glauben an wissenschaftlich nicht nachweisbare, magische Kräfte, die auf den Menschen wirken. Abergläubische Vorstellungen beziehen sich oft auf Vorzeichen oder auf Rituale zur Abwendung von Unglück („Klopf auf Holz“). Einer Umfrage des Institut für Demoskopie Allensbach war der irrrationaler Glaube an gute und schlechte Vorzeichen in Deutschland 2005 stärker verbreitet als 1973. Beispielsweise sehen 42 Prozent der Befragten in einem vierblättrigen Kleeblatt einen Glücksbringer, 1973 waren es nur 26 Prozent. Eine Sternschnuppe am Nachthimmel ist für 40 Prozent lebensbedeutsam (1973: 22 Prozent). 36 Prozent betrachten die Begegnung mit einem Schornsteinfeger als Glück verheißendes Omen (1973: 23 Prozent).
Weitere, fachspezifische Verwendungsweisen des Begriffs:
- Im Kontext der vorherrschenden (christlichen) Religion werden widersprechende Glaubensinalte als Aberglaube bezeichnet (Aberglaube als „Glaube der anderen“). Oft sind dies Elemente früherer Religionen, etwa des germanischen Götterglaubens, die im christlichen Umfald bruchstückhaft erhalten geblieben sind.
- In der jüngeren Volkskunde wird der Begriff Aberglaube wegen seiner abwertenden Konnotation vermieden. Die moderne Volkskunde hat eine herabsetzend-wertende Betrachtung des Aberglaubens ebenso überwunden wie die Verklärung superstitiöser Alltagspraktiken als Relikte germanisch-heidnischer Mythologie. In objektiverender Perspektive werden unter Aberglauben heute alle Formen der Zauberei, der Magie und des Wahrsagens begriffen (Harmening 1983). Studien mit historischer Langzeitperspektive haben zudem gezeigt, wie sehr volksläufige Aberglaubenspraktiken von gelehrten, oberschichtlichen Magiekonzepten der Antike und der Frühen Neuzeit abhängen (Daxelmüller 1993). Die aktuelle Forschung betont zudem die Verbreitung von Aberglauben durch Medien, etwa populäre Zauberbücher oder das Internet. Damit erweist sich Aberglaube nicht als Gegensatz zu einer aufgeklärten, technisch-rationalen Moderne, sondern als deren Nutznießer und Begleiter (Bachter 2005). Aberglaube kann, so der Ansatz von GWUP-Wissenschaftsrat und Volkskundler Dr. Stephan Bachter, auch als trivialisiertes (d. h. für recht banale Alltagszwecke eingesetztes), fragmentiertes (d. h. aus komplexen philosophischen und wissenschaftlichen Zusammenhängen herausgelöstes) und popularisiertes (d. h. über alle Medien, Buchdruck, Fernsehen und Internet verbreitetes) Wissen definiert werden (Bachter 2005, S. 39-240).
Inge Hüsgen, Dr. Stephan Bachter
Links:
Allensbach-Umfrage zur Verbreitung von Aberglauben
Literatur:
- Bachter, S. (2005): Anleitung zum Aberglauben. Zauberbücher und die Verbreitung magischen „Wissens“ seit dem 18. Jahrhundert. Dissertation Universität Hamburg 2005.
- Doering-Manteuffel, S. (2008): Das Okkulte. Eine Erfolgsgeschichte im Schatten der Aufklärung. Von Gutenberg bis zum World Wide Web. Siedler, München.
- Daxelmüller, C. (1993): Zauberpraktiken. Eine Ideengeschichte der Magie. Artemis & Winkler, Zürich.
- Groschwitz, H. (2008): Mondzeiten. Zu Genese und Praxis moderner Mondkalender. Münster 2008 (Regensburger Schriften zur Volkskunde/Vergleichenden Kulturwissenschaft 18).
- Harmening, D. (1983): Artikel „Aberglaube“. In: Kindlers Enzyklopädie Der Mensch. Band VI. Kindler, Zürich. S. 707-718.
Stand: 12.07.2012