Christoph Bördlein
Der Ausdruck „Barnum-Effekt" geht zurück auf Meehl (1956) und bezeichnet den Umstand, dass Menschen Beschreibungen ihrer Person akzeptieren, welche vor allem aus vagen Aussagen bestehen, die auf fast alle Menschen zutreffen („People willingly accept interpretations of personality tests containing vague statements that are applicable to the general population." Piper-Terry und Downey 1998). Das erste Experiment, das dies demonstrierte, fand bereits einige Jahre zuvor statt. Forer ließ 1949 falsche Persönlichkeitstest-Resultate auf ihre Angemessenheit bewerten und fand, dass die Ergebnisse trotzdem im Allgemeinen als gut und zutreffend bewertet wurden. Barnum-Aussagen sollten so sein, dass sie auf möglichst alle Menschen passen können. So definiert Layne (1979) Barnum-Aussagen als „höchst zutreffende, triviale, vorteilhafte Beschreibungen aller normalen Menschen" („Barnum descriptions are highly accurate, trivial, favorable descriptions of all normal people").
Die Frage ist nun, welche Merkmale der Person diese für die Akzeptanz derartiger Aussagen besonders empfänglich machen. Beispielsweise geht eine externale Kontrollüberzeugung (also die Überzeugung, dass das Auftreten von Ereignissen von der eigenen Einflussnahme unabhängig ist) mit einer erhöhten Akzeptanzbereitschaft von Barnum-Aussagen einher, ebenso situative und überdauernde Unsicherheit.
Es gab jedoch bislang keine nennenswerten Resultate bezüglich des Geschlechtes der Personen, die Barnum-Aussagen als zutreffend akzeptieren. Auch die Überblicksarbeit zum Barnum-Effekt von Furnham und Schofield (1987) nennt das Geschlecht nur als mögliche Varianzquelle in Verbindung mit anderen Variablen.
In einer jüngst erschienenen Studie untersuchten daher Piper-Terry und Downey (1998) einen möglicherweise indirekten Einfluss des Geschlechts auf die Bereitschaft zur Akzeptanz von Barnum-Texten. An der Studie nahmen 42 Frauen und 33 Männer mit einem Durchschnittsalter von 22,5 Jahren teil. Diese Personen, Teilnehmer eines Anfängerkurses in Psychologie, ließen wiederum jeweils eine andere Person - Freunde - diverse projektive Verfahren bearbeiten. Diese Tests („Zeichne ein Haus", „... einen Baum", „... einen Mann") sind tiefenpsychologische Persönlichkeitstests, die für ihre miserable Testgüte berüchtigt sind.
Zwei Tage später teilten die Psychologiestudierenden ihren Freunden - den eigentlichen Versuchspersonen - das „Testergebnis" mit, welches tatsächlich ein Standard-Barnum-Text war. Die Paare waren dabei nach Geschlecht gemixt, so dass es insgesamt 4 Experimentalgruppen gab: 15 Männer, die Männer testeten; 18 Männer, die Frauen testeten; 18 Frauen, die Männer testeten und 24 Frauen, die Frauen testeten. Die Freunde der Studenten wurden um Auskunft gebeten, ob sie die Ergebnisse als zutreffend empfunden hätten.
Des Weiteren wurden noch 39 Männern und 67 Frauen, ebenfalls Psychologiestudierenden (ob darunter die Teilnehmer aus der ersten Studie waren, ist nicht klar: Piper-Terry und Downey machen darüber keine Angaben), insgesamt vier Fragen gestellt. Zum einen, ob sie einem Freund/einer Freundin zuliebe die Bewertung einer diesem Menschen nahe stehenden Person „schönen" würden. Zum anderen, ob sie einem Freund/einer Freundin gegenüber dessen/deren Arbeit milder beurteilen würden. Damit sollte das „Bedürfnis zu helfen" („desire to be helpful") erfragt werden.
Die Autoren fanden für den ersten Teil der Studie einen signifikanten Einfluss des Geschlechtes, derart, dass Frauen die falschen Ergebnisse des Persönlichkeitstests eher akzeptierten als Männer. Was das „Bedürfnis zu helfen" angeht, so gab es einen signifikanten Unterschied zwischen den Situationen „Bekannten eines Freundes bewerten" und „Arbeit eines Freundes bewerten"; die Teilnehmer waren eher in der zweiten Situation bereit, ihre Aussage zu „schönen". Frauen antworteten hier, dass sie gegenüber männlichen und weiblichen Freunden gleichermaßen „hilfsbereit" seien, Männer erwiesen diesen Gefallen eher ihren weiblichen Freunden.
Die Autoren interpretieren die Ergebnisse so, dass es nicht, wie in früheren Studien angenommen, die Leichtgläubigkeit sei, die Menschen Barnum-Aussagen akzeptieren lasse, sondern mehr der Wunsch, dem „Interpreten" einen Gefallen zu tun. Ebenso müsste wohl auch das Vertrauen in der Barnum-Situation eine Rolle spielen, wobei Vertrauen („high trust", Piper-Terry und Downey erläutern jedoch nicht, wer wem gegenüber Vertrauen zeigt) nicht mit „Leichtgläubigkeit" zu verwechseln sei.
Layne (1998) widerspricht Piper-Terrys und Downeys Interpretation ihrer Ergebnisse, nach denen die größere Bereitschaft von Frauen, anderen zu helfen, bewirke, dass die Teilnehmerinnen ihres Experiments die falschen Ergebnisse von Persönlichkeitstests eher akzeptieren als Männer.
Zum einen könne man mit derselben Argumentation auch ein gegenteiliges Ergebnis erklären: Wenn Frauen ihren Freunden helfen wollen, könnten sie ebenso diesen gegenüber besonders offen sein (um ihnen so weiterzuhelfen, insbesondere, da es sich um Psychologiestudierende handelte), also die Barnum-Ergebnisse eher als unzutreffend zurückweisen. Zum anderen bezieht sich Layne auf seine Arbeit von 1979. Demnach ist der Barnum-Effekt eher ein Zeichen von Rationalität. Möglicherweise, so Layne, glauben Frauen - aus gutem Grund -, dass ihre Freunde sie gut kennen, also auch die Interpretation der Testergebnisse zutreffen müsse, wohingegen Männer eher weniger Kenntnisse bei ihren Freunden vermuten. Tatsächlich sind Frauen ihren Freunden gegenüber offener als Männer. „It is rational for socially connected women to expect accurate personality interpretations from friends. It is rational for independent men to expect less accuracy" (Layne 1998).
Die Rationalitäts-Hypothese erklärt, im Gegensatz zur Hilfsbereitschafts-Hypothese, auch andere Barnum-Phänomene. Layne legt die Einführung einer weiteren Variablen nahe: „Test-Auswerter kennt Versuchsperson: ja/nein". Eine Studie, in der diese Variable manipuliert werde, könne entscheiden, welche Hypothese tatsächlich die angemessenere ist.
Downey (1999) weist Laynes Interpretation zurück. Layne bezieht sich auf Geschlechtsunterschiede, die für Beziehungen im Allgemeinen gelten („connected" vs. „independent"). Hingegen kann er keinen Beleg dafür liefern, dass Frauen eher als Männer Persönlichkeitsbeschreibungen von ihren Freunden als richtig akzeptieren. Um diesen Punkt zu klären, befragte Downey nochmals 62 Versuchspersonen (17 Männer, 45 Frauen), ob sie glaubten, dass ihre Freunde im Schnitt ihre Persönlichkeit zutreffend beschreiben können. Dabei konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen Männern und Frauen gefunden werden (wobei die Versuchspersonenzahl m. E. recht gering ist). Dieses Ergebnis stützt also Laynes Vermutung nicht.
Der Befund, dass Frauen ihre Empathie höher einschätzen als Männer, entkräftet Laynes Argument gegen die „helpfulness"-Interpretation: Denn Frauen, die - wie in der Untersuchung - von sich behaupten, die Gefühle ihrer Freunde nicht verletzen zu wollen, würden dies vermutlich nicht durch besonders harsche Ehrlichkeit tun.
Zudem war die Hälfte der Personen, die den weiblichen Versuchspersonen die Testresultate rückmeldeten, Männer, was gegen Laynes Annahme spricht, hier spiele eine spezielle „weibliche" Beziehungsform eine Rolle.
Downey kritisiert darüber hinaus Laynes Annahme von 1979, der Barnum-Effekt sei ein Zeichen von Rationalität. Vielmehr liege ihm ein Denkfehler zugrunde, nämlich die Unfähigkeit, zu erkennen, dass die Barnum-Texte auf beinahe alle Personen zutreffen.
Literatur:
- Downey, J. L. (1999): Sex and the Barnum-Effect: A reply to Layne. Psychological Reports 84, S. 424-426
- Forer, B. R. (1949): The fallacy of personal validation: a classroom demonstration of gullibility. Journal of Abnormal and Social Psychology 44, S. 118-123
- Furnham, A., Schofield, S. (1987): Accepting personality test feedback: a review of the Barnum Effect. Current Psychological Research and Reviews 6, S. 162-178
- Layne, C. (1979): The Barnum Effect: rationality versus gullibility? Journal of Consulting and Clinical Psychology 47, S. 219-221
- Layne, C. (1998): Gender and the Barnum effect: A reinterpretation of Piper-Terry and Downey´s results. Psychological Reports 83, S. 608-610
- Meehl, P. E. (1956): Wanted - a good cookbook. American Psychologist 11, S. 262-272
- Piper-Terry, M. L., Downey, J.L. (1998): Sex, gullibility, and the Barnum effect. Psychological Reports 82, S. 571-576
Dieser Artikel erschien im "Skeptiker", Ausgabe 4/1999.