Ein Seminar mit Ray Hyman
Inge Hüsgen
Auf der Suche nach einem lukrativen Studentenjob kam dem jungen Ray Hyman das Handlesen gerade recht. Zwar glaubte er selbst keineswegs an übersinnliche Kräfte, aber er mimte den Überzeugten, wie es zu einer guten Vorführung gehört. Und seine Deutungen stimmten fast immer, wie ihm Klienten versicherten.
Vielleicht gab es so etwas wie Hellseherei ja doch? Nach mehreren Jahren Handlesen war Hyman davon überzeugt. Bis ihm der professionelle Bühnenmagier Dr. Stanley Jaks ein Experiment vorschlug. Hyman erinnert sich: „Ich sollte das Gegenteil dessen voraussagen, was die Handlinien nach dem üblichen Interpretationsschema bedeuteten, und beobachten, was dann geschieht.“ Und siehe da: Diese Aussagen waren genauso treffsicher wie immer. „Vielleicht hat dieses Erlebnis mich dazu gebracht, Psychologie zu studieren“, meint der 75-jährige Hyman rückblickend.
Dem Themenfeld blieb er auch nach seiner Promotion im Jahre 1953 treu. An den Universitäten von Harvard und Oregon forschte Hyman zu verschiedenen Fragen der Kognitionswissenschaften. Darüber hinaus trat der inzwischen emeritierte Psychologie-Professor immer wieder als Kritiker vermeintlicher, tricktechnisch begabter „Medien“ in Erscheinung. Hymans Fazit zum Wahrsagen: Wer einen bereitwilligen Zuhörer hat und seine Aussagen möglichst vage hält, kann als Wahrsager verblüffende Treffer landen – ganz ohne übersinnliche Kräfte.
Eine hocheffiziente Ergänzung ist die Technik des Cold Reading, des scheinbaren Wahrsagens aufgrund von Verhalten und Erscheinungsbild des Gegenübers. Die Grundsätze lassen sich an einem einzigen Tag trainieren. Davon konnten sich die Teilnehmer des letzten GWUP-Seminars in Roßdorf selbst überzeugen. Am 30. August führte Ray Hyman höchstpersönlich in die profanen Geheimnisse des Cold Reading ein.
Sein Seminar war indes alles andere als ein Schnellkurs für zukünftige Hellseher. Im Gegenteil, gerade die praktischen Übungen führten den Teilnehmern plastisch vor Augen, dass bei solchen Aussagen mitnichten paranormale Kräfte am Werk sind. Dazu mussten die Teilnehmer zunächst – einander möglichst unbekannte – Paare bilden. Nach einem prüfenden Blick auf den Partner versuchte dann jeder eine Charakterdeutung des Partners.
Dabei erfuhren die Teilnehmer zum einen, wie viel Kleidung und Körpersprache verraten. Wirkt der Gegenüber extravertiert oder zurückhaltend, sportlich oder gemütlich? Ist die Kleidung leger oder elegant? Aus vielen solchen Details setzten die Teilnehmer ganze Charakter-Mosaike zusammen. Fast spielerisch entdeckten sie dabei auch verschieden Hilfstechniken, wie Schmeicheleien („Sie sind eine starke Persönlichkeit.“) und vage Aussagen, die mit ihrer breiten Trefferwahrscheinlichkeit auf viele Menschen zutreffen („Mir scheint, Sie sind kein Marathonläufer.“).
Cold Reading funktioniert sogar per Telefon. Denn Wortwahl, Syntax, Aussprache und emotionale Färbung der Stimme verraten auch am Hörer vieles, was über das inhaltlich Gesagte hinausgeht. Professionelle Telefon-Hellseher eröffnen deshalb ihre Sitzungen oft mit kurzem Geplauder, so Hyman, der selbst einmal für eine britische Dokumentationssendung als vermeintlicher Telefon-Hellseher agierte.
Seinen wichtigsten Helfer aber findet der Wahrsager direkt gegenüber. Denn der Kunde arbeitet aktiv an der Deutung des Gesagten mit. Selbst bei objektiv völlig falschen Aussagen finden die Zuhörer einen Bezug zu ihrer Situation. „Die meisten übertragen das Gesagte dazu in eine andere Zeitebene (Zukunft) oder auf einen nahe stehenden Menschen“, sagt Hyman. Und sie nehmen es in der Regel sehr ernst. Für unbedachte Flapsigkeiten oder gar grobe Scherze wie Todesprophezeiungen ist deshalb bei eigenen Cold-Reading-Versuchen kein Platz.
Fingerspitzengefühl brauchen auch alle, die öffentliche Cold-Reading-Vorführungen für aufklärerische Zwecke nutzen möchten. Unterzieht man ahnungslose Personen öffentlich einer scheinbaren Charakter- und Zukunftsdeutung, nur um ihnen danach zu verraten, dass „alles nur ein Trick“ war, fühlen sie sich leicht hintergangen und lächerlich gemacht – und das zu Recht.
Von einem solchen Vorgehen distanziert sich auch Ray Hyman. Denn es ist nicht nur grob unhöflich, sondern auch kontraproduktiv, sagt der Psychologe. Allzu leicht steht der übereifrige Skeptiker danach als unsympathischer Besserwisser da.
Ray Hyman hat das Problem auf seine eigene Weise gelöst. Er zeigt Verständnis für die immense Überzeugungskraft gekonnter Wahrsage-Shows: Bei den Dreharbeiten zu einer kritischen Fernsehsendung erzählte er seinen unfreiwilligen Versuchspersonen nach der Vorstellung von den eigenen ersten Erfahrungen mit der Handleserei und dass er selbst eine Zeit lang daran geglaubt hat.
Regeln für „Wahrsager“, zusammengestellt von Ray Hyman
- Vertrauen schaffen! Wer beim Wahrsagen den Eindruck erweckt, er sei vom eigenen Tun überzeugt, kann sogar eine inhaltlich unzutreffende Aussage überzeugend präsentieren.
- Verfolgen Sie aktuelle Meinungsumfragen und Statistiken und lassen Sie die Ergebnisse in ihre Beratungen einfließe
- Vorsicht mit vollmundigen Versprechen
- Versichern Sie sich schon im Vorfeld der Mitarbeit des Klienten
- Requisiten wie Tarotkarten oder eine Kristallkugelwirken beeindruckend und sorgen für eine mystische Atmosphäre. Aber auch Techniken wie Handlesen machen sich gut.
- Keine Scheu vor Binsenweisheiten und Allgemeinplätzen
- Halten Sie die Augen offen.
- Versuchen Sie Ihr Glück mit „fishing“, also mitvagen Aussagen. Häufig greift der Klient sie auf und präzisiert sie selbst.
- Gute Wahrsager sind auch aufmerksame Zuhörer. Auch in scheinbar nichtssagenden Äußerungen ihrer Klienten finden sie Hinweise auf deren Situation.
- Erwecken Sie den Eindruck, Sie wüssten mehr, als Sie sagen.Schmeicheleien verfehlen selten ihre Wirkung.
- Die „goldene Regel des Wahrsagens“: Sagen Sie dem Klienten, was er hören möchte.
Dieser Beitrag erschien erstmals in: Skeptiker 3/2003