Im Tiefflug durchs Kühlregal
Ihr Ex-Verlobter befindet sich in psychiatrischer Behandlung. Sagt jedenfalls Bettina. Bettina ist eine Hexe. Keine warzige Alte aus dem Märchenbuch, sondern eine attraktive 18-Jährige, die sogar schon als Model gejobbt hat. Ihr Freund fand das bezaubernd. Doch dann schickte Bettina ihn ohne sein Wissen zum Teufel. Mit einem „Trennungs-Ritual". Hex und Hopp. „Ich habe schon sehr vielen Menschen geschadet, weil ich in der Magie Fehler gemacht habe", schützt Bettina so etwas wie Bedauern über ihren faulen Zauber vor.
Es ist noch hell im Fürstenrieder Wald bei München. Sanft rüttelt der Abendwind an einer hohen Tanne, unter der Bettina einen Liebesaltar aufbaut. „Bäume haben eine Seele, und ich spreche gern mit ihnen", erklärt die schwarzgewandete Nachwuchs-Hexe. „Sie spenden Energie und tragen die Gedanken weiter in die Natur." Der Altar entpuppt sich als quadratmetergroßes Seidentuch, auf dem Bettina eine Statuette der griechischen Liebesgöttin Venus, drei Teelichter, eine rosafarbene Kerze und ein Stück Räucherkohle drapiert. Die Venus-Figur ist für die 18-Jährige „die erste richtige Freundin, die ich habe. Sie ist eitel, ich bete sie beim Liebesritual an." Es zischt leise, als die junge Hexe pulverisierte Pflanzen aus dem Esoterik-Laden auf die mittlerweile glühende Kohle gibt. Im Schneidersitz wedelt Bettina den aufsteigenden Rauch in Richtung ihres Bauchnabels, ihres Herzens und der Brust. Dann erzählt sie der Venus leise ihren Wunsch.
„Hexen all over!", ruft nicht nur die Teenager-Zeitschrift Mädchen einen neuen Hexen-Boom aus: „Sie (ver-) zaubern einfach überall. Im Kino, in Büchern und im Internet." Im weltweiten Datennetz hat jetzt sogar das virtuelle Klassenzimmer einer Hexen-Fernschule seine Pforten geöffnet. Dort können die Adepten für 107 Mark pro Monat zum Beispiel „Erfolgsmagie" erlernen: „Lohnverhandlungen, Prüfungen, Spekulationen, Preisverhandlungen, Unternehmungen". Im Kino spukt die „Blair Witch", im Fernsehen becircen „Buffy" (großes Foto), „Sabrina" und „Zauberhafte Hexen" (alle Pro Sieben) ihre Fans - mit Marktanteilen von mehr als 18 Prozent. „Drei Engel für Charlie mit Zauberbuch", nölt ein TV-Kritiker an letztgenannter Fantasy-Reihe herum. Und in der Tat wirken die einzelnen Folgen wie ein großer Hexenkessel, in dem verrückte New-Age-Schwingungen mit Girl-Power-Message und soapigem Sex-Appeal auf mittlerer Flamme brodeln. Sicher nicht zufällig tragen die „Zauberhaften Hexen" Prue, Phoebe und Piper den Nachnamen von Popstar Geri Halliwell: dem spicigsten aller „Spice Girls", das einst sogar Prinz Charles respektlos in den königlichen Po kniff. Sind die Mystery-Mädchen Vorbilder fürs junge weibliche Serien-Publikum? „Das könnte sein", hofft Produzent Aaron Spelling: „Sie wohnen im eigenen Haus, haben Jobs. Es sind selbstbewusste Girls, die für ihre eigenen Interesse kämpfen."
Letzteres gilt wohl auch für die „echte" Hexe Bettina. „Betty" will eigentlich Mode-Designerin werden. Zuvor absolviert sie ein „Hexen-Studium" bei der bekannten Münchner Hexe Sandra. Profane Hautprobleme waren es, die das junge Mädchen auf die Hexenschiene brachten. Statt übersinnlicher Faszination wie in der Kultserie „Akte X" ging es ihr eher um Akne nix: „Ich habe so mit 15,16 ziemlich viel gemodelt. Plötzlich sah mein Gesicht wie ein Streuselkuchen aus." Da half nur wegzaubern - mit einem Mix aus drei gekochten Karotten und Thymian. „Das schmeckte widerlich, aber ich hatte Erfolg." Neben Kräuterkunde will Bettina Eso-Techniken wie Kartenlegen beherrschen. Dem Skeptiker-Reporter sagt sie auf den Kopf zu, dass er einen emsigen Kampf im Berufsstress führt. Gut zu wissen. Da macht es doch fast gar nichts, dass Betty sich beim Hexeneinmaleins auch öfter mal krass verrechnet: Mal raunt sie düster etwas von einem Geist namens Leopold in ihrer Wohnung. Mal behauptet sie törichterweise, man könne in Deutschland ins Gefängnis kommen, wenn man bestimmte Zauberbücher besitze.
Auch der Zeitschrift Mädchen hat Bettina bereitwillig von ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten erzählt. „Mit Hexenkraft die Jungs verzaubern", ist der Artikel neckisch überschrieben. Da dürfen natürlich auch „Rezepte, mit denen Du Deinen Traumboy erobern kannst", nicht fehlen. Das liest sich dann so: „Liebesöle sorgen für eine mit Liebe erfüllte Atmosphäre ... Frösche bringen Liebesglück: Schenk Deinem Schwarm einen Frosch (aus Stoff, Ton oder Glas) und wünsch Dir ganz fest etwas dabei ... Magischer Kerzenzauber soll dafür sorgen, dass ihr immer näher zusammenrückt. Dazu musst Du einfach zwei rote Kerzen mit etwas Abstand nebeneinander stellen ... Liebes-Energien werden durch Lindenblütentee geweckt."
Reichlich alberne Tipps, sollte man als unbedarfter Leser meinen, der sich nicht vom fotogenen Lächeln der 18-Jährigen verzaubern lässt. Von richtiger Hexerei ist denn auch kaum etwas zu entdecken: „Das höchste Prinzip überhaupt ist der Einklang mit der Natur", doziert Betty. Sich mit Magie zu beschäftigen, heiße in er-ster Linie „geduldig sein, innerste Energien einzusetzen, nichts erzwingen zu wollen." Am Ende gibts dann noch einen Test: „Bist Du magic?",will die Redaktion von ihren Leserinnen wissen. Frage fünf: „In einem CD-Shop greifst Du zur gleichen Zeit nach einer CD wie der Junge neben Dir. Eure Hände berühren sich, und wie von einem elektrischen Schlag getroffen, zuckt ihr gleichzeitig zurück. Wie erklärst Du Dir diesen Blitz?"
Hinter so viel bezaubernder Naivität will die Kiosk-Konkurrenz natürlich nicht zurückstehen. In Sugar heißt die Vorzeige-Hexe Martine, ist 16 Jahre alt und weiß, dass das Hexenwesen „gar nicht so wie im Film ist - es ist viel besser!" Denn: „Nachdem ich eine Hexe geworden bin, ist mein Leben sehr viel leichter", erzählt Martine voller Euphorie. Die Botschaft des bunten Pop-Blatts an die Leserinnen ist überdeutlich: Mit Hilfe magischer Praktiken ist es möglich, persönlichen Machtgewinn zu erreichen und Herr individueller Probleme zu werden.
Doch selbst wenn Martine ihre Kräfte „ausschließlich nur für Gutes" benutzen will - am Hexenbesen wird die Welt wohl kaum genesen. Auch wenn einige Medien statt der lahmen Generation X nun die lärmende Generation HEX entdeckt haben. Amerikanische Journalisten etwa erblicken in den telegenen „Zauberhaften Hexen" wenig mehr als drei Vertreterinnen eines zeitgemäßen Feminismus, „der von der pragmatischen Idee ausgeht, dass Frauen klug und erfolgreich sein können und sich trotzdem für Schuhe, Modezeitschriften und Jungs begeistern dürfen" (Time Magazine). Aha.
In der frühen Neuzeit wurden unter anderem Hebammen sowie kräuter- und heilkundige Frauen als Hexen gebrandmarkt. In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts standen Hexen vor allem für Emanzipation: „Zittert, zittert, die Hexen sind zurück!", hallte es 1977 durch die Straßen Roms, als Tausende von Frauen gegen die italienischen Abtreibungsgesetze protestierten. Heute sind die Hexen zum Girlie mutiert. Zu zittern braucht niemand mehr vor ihnen. Es sei denn, der männliche Teil der Leser oder TV-Zuschauer reagiert wunschgemäß auf die unterschwellige Modekatalog-Erotik der betont über-sinnlichen Sexy-Hexies.
Der „Hexenkalender 2001" stellt so drängende Gegenwartsfragen wie „Liebe, Glück, Erfolg" in den Vordergrund und gibt zudem „verhexte Fashion-Tipps". Ein „Hexenkochbuch" schickt gar „die moderne Frau im Tiefflug durchs Kühlregal".
Im besten Fall taugt der neue Hexen-Boom zu kurzlebiger Unterhaltung. „Ein bisschen mehr Zauber im Leben wünscht sich doch jeder", meint die prominente New Yorker Oberhexe Lexa Roséan spirituell korrekt. Das ist denn auch schon alles. Hollywood-Superstar Nicole Kidman etwa mimt in dem Video-Streifen „Practical Magic" ebenfalls eine moderne Hexe. Und was tat die Tom-Cruise-Gattin, um für die Rolle richtig wild und hexisch zu sein? Sie trank einfach „viel Tequila".
Der Club der guten Hexen
Als Hexe war US-Teenie-Star Shannen Doherty einst nur bei ihren Regisseuren berüchtigt. Jetzt darf sich die kapriziöse Schönheit ganz offiziell als solche geben: „Charmed - Zauberhafte Hexen" ist eine Mischung aus „Akte X" und „Melrose Place" - und ein Quoten-Hit bei Pro Sieben. Es geht darin um drei Schwestern, die eines Tages ihre magischen Fähigkeiten entdecken. Weitere aktuelle Hexen-Serien: „Buffy - Im Bann der Dämonen" (Pro Sieben) und „Sabrina - total verhext" (Pro Sieben).
Dieser Artikel erschien im "Skeptiker", Ausgabe 1/2001.