Buch aus der schwarz-okkulten Szene als jugendgefährdend eingestuft
Auf Antrag der Hamburger Innenbehörde hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) mit Beschluss vom 6. Oktober 2005 „Das Buch Noctemeron – Vom Wesen des Vampirismus“ indiziert. Das Buch darf somit Kindern und Jugendlichen nicht zugänglich gemacht und nicht mehr beworben werden. Als Autor zeichnet ein gewisser „Frater Mordor“, der sich auf seiner Homepage www.noctemeron.com als „Schriftsteller, Künstler und Lehrer“ bezeichnet. Erschienen ist das Buch im Leipziger Bohmeier-Verlag, der nach Expertenmeinung der neosatanistischen „Thelema Society“ (früher „Netzwerk Thelema“) zuzurechnen ist.
Nach Einschätzung der BPjM ist „Das Buch Noctemeron“ geeignet, „die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen (...) zu gefährden“.
Das Buch wende sich an eine bestimmte Gruppe innerhalb der „Schwarzen Szene“. Es enthalte Abhandlungen über den Vampirismus und schildere angebliche Rituale und Techniken. Die Darstellungen beschäftigten sich durchweg mit den Themen Tötung, Sterben und Gewalt. Dagegen machte der Verlag geltend, das Buch enthalte die Geschichte – „und nur die Geschichte“ – eines Vampirs und sei damit ein künstlerisches Werk mit „fiktiven Sichtweisen“ im Sinne künstlerischer Freiheit.
Der Vampir als emotionales Leitbild
Die Bundesprüfstelle gab dazu ein Gutachten bei dem Politologen und Journalisten Dr. Rainer Fromm („Satanismus in Deutschland“) in Auftrag. Darin heißt es unter anderem:
„Die geistige Auseinandersetzung in der Vampirszene mit ihren Idolen geht weit über das historische und modische Interesse hinaus. Der Vampir ist auch zum emotionalen Leitbild einer gesellschaftlich relevanten Szene geworden, die alleine in Deutschland zu Zehntausenden die Webseiten, Gästebücher, Foren und Chats besucht. (...)
Bei der Betrachtung möglicher Gefährdungsmomente ist also mit einer numerisch relevanten Zielgruppe eine erste Voraussetzung unzweifelhaft erfüllt. Die Existenz von so genannten Vampir-Toplisten im Internet, Gästebucheinträge und Forendiskussionen ergibt eine beachtliche Bandbreite von Menschen, die sich heute selbst als Vampire empfinden oder ausgeben. Das Spektrum erfasst so genannte „Vampyre“, die sich mit Dracula und Co. in einer Seelenverwandtschaft sehen, bis hin zu Anhängern eines Blutfetisch, die ihre sexuellen Fantasien bei der Diskussion über Blutbeschaffung und Blutaufnahme von Dritten befriedigen“.
Gefahr des Realitätsverlustes
Fromm weiter: „Unzweifelhaft sind Gewalt und die Gefahr eines signifikanten Realitätsverlustes integrale Bestandteile des Genre. In der Vampirszene ist es völlig selbstverständlich über Formen der freiwilligen und unfreiwilligen Blutgewinnung durch Dritte sich auszutauschen. Die allgegenwärtige Integration von Serienmördern in den Vampirismus bei gleichzeitiger – zum Teil völlig unkritischer bis idealisierender Wiedergabe ihrer Taten – trägt zu einem Gewöhnungsprozess von Gewalt bei.
Diese Habitualisierung von Mord wird durch eine Art Entmenschlichung der Opfer vampiristischer Gewalt verstärkt, die schlicht als „Beute“, „Donors“, „Source“ oder von Frater Mordor auch als „Vieh“ bezeichnet werden. „Das Buch Noctemeron“ wiederum verhilft den Blut- und Gewaltfantasien der Szene in die Realität.“
Gewöhnung an Gewalt
Fromm kommt zu dem Schluss, dass „Das Buch Noctemeron“ aufgrund „seines verrohenden Inhaltes und zu Verbrechen anreizenden Inhalts sowie des von ihm propagierten in weiten Teilen menschenverachtenden Menschenbildes“ jugendgefährdend ist.
Zur Verbreitung des Buches beziehungsweise zur zahlenmäßigen und gesellschaftlichen Relevanz der Vampir-Szene führte Fromm aus:
– „Das Buch ist im okkult-esoterischen sowie im so genannten Vampir-Spektrum sehr präsent und wird hier kontrovers diskutiert. Das heißt: Das Buch hat eine Relevanz – auch in Jugendsubkulturen der „Schwarzen Szene“ wie den Grufties beziehungsweise Dark Wavern sowie den BlackMetal-Fans.“
– „Die Buchbesprechungen und die in den Foren geführten Diskussionen über das Buch dokumentieren weiter, dass die Inhalte von zahlreichen Szeneangehörigen nicht nur als fiktional, sondern real angesehen werden.
– „Die sehr brutalen Inhalte des Buches finden über die Buchbesprechungen und Diskussionen Verbreitung in den Mainstream der Gothic-Subkultur. Damit führt das Buch zu einer Gewöhnung von Gewalt in der Jugendszene.“
Mangel an wissenschaftlichen Studien
In der zwölfseitigen schriftlichen Begründung des Indizierungsbeschlusses hielt die BPjM am Ende fest: „Mit diesem Text wurde der Versuch unternommen, das Dunkelfeld der Vampirsubkultur in Deutschland zu beleuchten. Aus Ermangelung wissenschaftlicher Studien ergibt die Analyse von Primärinformation wie Internetforen, Chaträume, Gästebücher und Artikel in Magazinen der Gothicoder Gruftie-Subkultur ein ambivalentes Bild. Die bisher zusammengefassten Merkmale der Vampir-Subkultur dokumentieren zum einen eine romantische, friedliche und sehr belesene Subkultur, die in Barockbällen, Lesungen, vampireskem Flair und extravaganter Kleidung eine große Ästhetik beinhaltet. Wortwahl und Habitus in den Diskussionsräumen – virtuell wie auch real – lassen auch auf eine hohes Maß an Toleranz und Bildung schließen.
Auf der anderen Seite ergibt die Analyse auch eine Vielzahl weiterer Gefährdungsmomente für Jugendliche. Die Bandbreite reicht von ernstzunehmenden Wahrnehmungsstörungen bei Szeneangehörigen, die fest an reale Vampire glauben und ihr Leben an den blutigen Riten – die im Regelfall Romanen und Filmen entnommen sind – ausrichten, bis hin zu einem weit verbreiteten Blutfetischismus (...)“
Zusammengefasst stelle „Das Buch Noctemeron“ nur einen „Baustein einer sehr neuen von Minderjährigen und jungen Erwachsenen geprägten Subkultur dar, die dringend einer weitergehenden kontinuierlichen Betrachtung und Auswertungsarbeit bedarf.“
Bernd Harder