von Bernd Harder
Stimmt es, dass im Strichcode auf den Waren Verpackungen die Zahl des Teufels versteckt ist?
Was verbirgt sich eigentlich hinter dem Bar-, Strich- oder Balkencode auf fast allen Handelsartikeln? Es handelt sich dabei um eine maschinenlesbare Darstellung der EAN, der „International Article Number" (früher „European Article Number", deshalb das „E"). Die EAN wird als „Zebrastreifen" auf die Verpackung aufgedruckt und beim Bezahlen an Scannerkassen von einem Laserscanner decodiert. Nutznießer ist in erster Linie der Handel, denn der Strichcode vereinfacht den Kassiervorgang und die inner- beziehungsweise zwischenbetriebliche Kommunikation.
Die ersten beiden Stellen der EAN sind das Länderkennzeichen, aus dem das Produkt kommt (zum Beispiel 40 - 43 für Deutschland, 90-91 für Österreich und 76 für die Schweiz). Die nächsten fünf Zahlen beinhalten die Adresse des Herstellers bzw. Lieferanten. Die folgenden fünf Zahlen sagen etwas über den Artikel selbst aus. Beispielsweise können sie bedeuten: Pralinenmischung, 100 g, Geschenkpackung. Die letzte Ziffer ist eine Prüfziffer, die der elektronischen Datenverarbeitung als Sicherheit zur Verhinderung von Fehlern dient und nach einer bestimmten Formel aus den ersten zwölf Stellen berechnet wird. Über den Strichcode kann also jeder Artikel identifiziert werden. „Für den Verbraucher hat die EAN keine allzu große Bedeutung", erklärt das Europäische Verbraucherzentrum in Kiel. In diesem Punkt allerdings sind Verschwörungs-Fans und auch eine kleine Minderheit besorgter Christen aus dem charismatisch-fundamentalistischen Umfeld ganz anderer Auffassung. Wieso?
Im letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes (Apokalypse), steht im Kapitel 13 zu lesen: „Und es macht, dass sie allesamt, die Kleinen und Großen, die Reichen und Armen, die Freien und Sklaven, sich ein Zeichen machen an ihre rechte Hand oder an ihre Stirn, und dass niemand kaufen oder verkaufen kann, wenn er nicht das Zeichen hat, nämlich den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens. Hier ist Weisheit. Wer Verstand hat, der überlege die Zahl des Tieres; denn es ist die Zahl eines Menschen, und seine Zahl ist sechshundertsechsundsechzig."
Die Rede ist hier vom „Großen Tier", dem Antichristen, der in der Endzeit als Gegenspieler Jesu Christi auftritt. Nun wimmelt es in der biblischen „Apokalypse" nur so von seltsamen Symbolen, rätselhaften Ereignissen und merkwürdigen Zahlenangaben. Und kein Text der Welt - nicht einmal die sagenumwobenen „Centurien" des Nostradamus - ist so vielfach für Endzeit-Fahrpläne missbraucht worden. Kaum verwunderlich also, dass einzelne missionarisch gesinnte Christen Hand in Hand mit Verschwörungstheoretikern auch aus Kapitel 13 „Anhaltspunkte" für die drohende Herrschaft des Teufels herauslesen. Konkret soll es hier angeblich um die „Helferrolle der kapitalistischen Industrie bei der Ausbreitung des antichristlichen Lebens" gehen. Denn der Strichcode auf unseren Waren sei das vorausgesagte „Zeichen", ohne das „niemand kaufen oder verkaufen kann", wie es in der Johannes-Offenbarung heißt. In dem aufgedruckten Zebrastreifen sei nämlich durchweg die „teuflische" Zahl 666 verborgen.
Und wo? Die 13 Zahlen des EAN-Strichcodes sind zwar auch lesbar aufgedruckt - aber nur für uns Verbraucher. Der Scanner an der Kasse erfasst stattdessen die dünnen und dicken Linien und Balken des Strichcodes und berechnet daraus die EAN. Für diesen Strichcode werden die Zahlen in so genannte Bitcodes umgewandelt. Das heißt stark vereinfacht: Jede Ziffer ergibt im Strichcode ein Muster aus abwechselnd weißen und schwarzen Streifen und Zwischenräumen von jeweils ganz spezieller Breite. Am Anfang, in der Mitte und am Ende des Strichcodes ist darüber hinaus jeweils ein Paar dünner Striche zu sehen, die länger sind als die übrigen und die nach unten aus dem Strichcode herausragen. Bei diesen drei Doppelstrichen handelt es sich um eine Art Trennungsstriche. Sie geben keinen Zahlenwert an, sondern werden als Normung eingefügt, um den Lesegeräten Vergleichswerte für die Breite der folgen den Striche zu bieten. So weit, so gut.
Da aber Endzeit-Prediger dazu neigen, in winzigen „Zeichen" viel zu sehen, versteigen sie sich zu der Behauptung, die drei Trennungsstriche würden so ähnlich aussehen wie jene Striche, mit denen die Zahl 6 codiert wird. Und folgern daraus, dass bei jedem Bezahlvorgang an einer Supermarktkasse eine dreifache 6, also „666", eingescannt werde, was wiederum die Erfüllung der alten biblischen Prophezeiung bedeute. Was soll man dazu sagen? Dass die drei Doppelstriche am Anfang, in der Mitte und am Ende des Balkencodes gar keinen Zahlenwert ergeben, sondern lediglich der Begrenzung dienen? Dass es in der Sprache der Bibel, dem klassischen Hebräisch, gar keine Ziffern gab, sondern Zahlen stets in Buchstaben ausgeschrieben wurden - was bedeutet, dass in der Urschrift keine „666" steht, sondern eine Buchstabenfolge, und die dreifache Sechs lediglich die heutige Schreibung widerspiegelt? Dass solche „Beweisführungen" von unanständig viel Interpretationsspielraum leben und die Resultate stets willkürlich oder zufällig sind?
Der Weltanschauungsbeauftragte der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, der Theologe Dr. Hansjörg Hemminger, hat jedenfalls eine klare Meinung zu dieser religiösen Spökenkiekerei: „Niemand außer Gott allein - so sagt das Bild der biblischen Apokalypse - versteht den Gang und das Ende der Weltgeschichte. Hätten sich die zahllosen Seher und Sektierer, die sich bis zum heutigen Tag an der Offenbarung des Johannes abmühen, diese Botschaft zu Herzen genommen - viel Unsinn wäre der Christenheit erspart geblieben."
Dieser Artikel erschien im "Skeptiker" 1/2006.