08.12.2020 (GWUP): Es hätte das Jahr der Hellseher sein können. Hätten Vertreter dieser Zunft Anfang des Jahres in ihren Prognosen Stichworte wie Lockdown oder Maskenpflicht erwähnt, man hätte sie zwar anfangs belächelt, aber bereits im Frühjahr hätten sie stolz auf ihre Prognosetreffer verweisen können. Doch die weltweite Corona-Pandemie und ihre Folgen sucht man in den esoterischen Zukunftsprognosen vergeblich. Auch für das abgelaufene Jahr hat die GWUP die Prognosen der esoterischen Augurenzunft ausgewertet, und wie in jedem Jahr blamierten sich Wahrsager, Astrologen und Hellseher auf ganzer Linie.
Für den Mainzer Mathematiker Michael Kunkel, der seit fast 20 Jahren solche Prognosen und Weissagungen auswertet, ist dies keine Überraschung: „Prognosen beziehen sich in der Regel auf bereits bekannte Szenarien, und da gehörte eine Pandemie und ihre Folgen bisher nicht dazu.“ Im Nachhinein gab es allerdings diverse astrologische Erklärungen der Pandemie, z.B. von Christine Keidel-Joura (sah den Höhepunkt der Pandemie Anfang März erreicht), Birgit Braun (analysierte Mondfinsternisdaten von 2019 weltweit) oder Sylvia Grotsch (fand Hinweise im Horoskop für Berlin vom 20.03.2019). Nur warum fiel das diesen und anderen Sterndeutern erst auf als die Pandemie begonnen hatte?
Amüsanter waren nur die Versuche einiger Protagonisten der Szene, irgendwelche früheren, sehr schwammigen Prognosen als Hinweis auf Corona zu deuten. So sah Elizabeth Teissier für den 12. Januar ein „schlimmes Ereignis“ voraus und deutete das ebenso als Hinweis auf Corona wie Dr. Christoph Niederwieser, der in einem seiner Texte aus dem Jahr 2016 schwammig von Krisen und möglichem Wandel geschrieben hatte. „Wenn man einen Prognosetreffer nachträglich wortreich erklären muss, dann kann die Prognose nicht so toll gewesen sein“, erläutert Kunkel und ergänzt: „Da gefallen mir die skurrilen Prognosen besser, die sind wenigstens unterhaltsam.“ Das kanadische Medium Nikki Pezaro lehnte sich auch für 2020 diesbezüglich weit aus dem Fenster: ein Riesenaffe à la King Kong sollte auf einer einsamen Insel entdeckt werden, ein Roboter eine Bank überfallen und Pinguine in einer Stadt die Menschen belästigen.
Auch für 2020 wurden – wie in jedem Jahr – die üblichen Naturkatastrophen (Vulkanausbrüche, Erdbeben, Tsunamis, Waldbrände) vorhergesagt, und wie in jedem Jahr waren diese Prognosen entweder trivial (Waldbrände in Australien oder Kalifornien gibt es alljährlich) oder zu ungenau (bei Erdbeben möchte man schon vorher das ungefähre Datum wissen). Sportprognosen wurden durch die Corona-Krise ausgebremst: die englische Fußballnationalmannschaft konnte kein wichtiges Turnier gewinnen (Nicolas Aujula) und auf der Webseite von Judy Hevenly verschwanden noch im Januar prognostizierte Olympiasieger. Einfacher waren die Prognosen zur US-amerikanischen Präsidentenwahl. Hevenly, der Leipziger Palmblattdeuter Thomas Ritter und der Fernsehprediger Pat Robertson sahen Trumps Sieg voraus, Robertson sogar mit folgendem Weltuntergang. Der Astrologe Dincer Güner prognostizierte seine Abwahl, andere (Hevenly, Pezaro, Hellseher Craig Hamilton-Parker) waren sicher, dass Joe Biden nicht antreten würde. Jedes denkbare Szenario wurde vorhergesagt; Kunkel fehlt nur eine Prognose: „Dass Trump das Ergebnis der Wahl in vielen Bundesstaaten vor Gericht anfechten würde, hat meines Wissens niemand prophezeit.“
In der Regenbogenpresse dominierten bei den dort üblichen Promiprognosen die bekannten Themen Liebe, Gesundheit und Karriere. Außerdem wurde – wie jedes Jahr – für junge Familien aus Königshäusern Nachwuchs vorhergesagt. Treffer sind bei solchen Prognosen nicht zu vermeiden. Eher überraschend war für Kunkel ein Treffer des Vorsitzenden des Deutschen Astrologenverbands: Klemens Ludwig hatte sich Ende 2018 festgelegt, dass der deutsche Aktienindex DAX bis 2024 „auf mindestens 8500 Punkte fallen“ würde. Im März 2020 war es dann tatsächlich soweit und Kunkel gratuliert: „Auch wenn's nur an wenigen Tagen war und es in der astrologischen Analyse um langfristige Tendenzen ging – der DAX war unter 8500 Punkten und die Prognose damit richtig.“
Die Prognosen für das nächste Jahr schreiben sich laut Kunkel praktisch von selbst. „Neben den üblichen Katastrophenprognosen und Weltuntergängen dürfte die Nachfolge im Kanzleramt ebenso Thema sein wie weitere Folgen der Pandemie. Jetzt ist das Szenario ja bekannt.“ Spektakuläre Treffer erwartet er aber auch 2021 nicht.
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