15.07.2018 (GWUP) Mehrere kritische Berichte stellen ein klassisches psychologisches Experiment infrage.
Werden Menschen grausam, sobald sich ihnen die Gelegenheiten dazu bietet? Das „,Stanford-Prison-Experiment", ein vielzitiertes Projekt unter der Leitung des amerikanischen Psychologen Philip Zimbardo aus dem Jahre 1971, schien dies zu belegen, und wurde seither gern als Beleg für diese These herangezogen. Dazu wurde 1971 im Keller der Universität ein provisorisches „Gefängnis" eingerichtet. Ziel des auf zwei Wochen angelegten Projektes sollte es sein, herauszufinden, wie sich Menschen unter Bedingungen der Gefangenschaft verhielten. Ein Teil der Studenten übernahm die Rolle von Gefängnisinsassen, ein anderer die Rolle der Wärter. Allerdings mit fatalen Folgen: Schon nach kurzer Zeit zeigten etliche der Teilnehmer bedenkliche Verhaltensweisen. Die Gefängnisinsassen planten Aufstände, die Gefängniswärter mussten von den Leitern des Experiments im Zaum gehalten werden, weil sie sadiistische Verhaltensweisen entwickelten. Aufgrund der von vielen Teilnehmern gezeigten Stressreaktionen wurde die Verhaltensstudie nach sechs Tagen vorzeitig abgebrochen. Seither wird das Experiment als Beleg dafür herangezogen, wie leicht Menschen unter bestimmten Umständen zu Grausamkeiten fähig sind. Bereits früher geäußerte Zweifel an solchen Schlussfolgerungen wurden nun wieder laut, nachdem Tonbandaufnahmen des Experiments ausgewertet und Recherchen des Journalisten Ben Blum veröfftentlicht wurden, wie unter anderem Sebastian Hermann in der „SZ" und Stefanie Kara auf „ZEIT.online" berichten. Von fingierten Nervenzusammenbrüchen ist die Rede und von Aufforderungen der Versuchsleiter an die „Gefängniswärter", mehr Strenge und Härte gegenüber den falschen Häftlingen zu zeigen - was der These widerspräche, diese unschönen Eigenschaften wären allein aus der gespielten Rolle der Versuchteilnehmer hervorgetreten.
Wie das Experiment letztendlich zu bewerten ist, müssen Fachleute entscheiden. Es lohnt sich auf jeden Fall, einen Blick auf die ausführliche Stellungnahme von Versuchsleiter Philipp Zimbardo zu der Kritik zu werfen, die zahlreiche wissenswerte Fakten hierzu bietet.
Holger von Rybinski