03.09.2016 (GWUP): Ein spanischer Verlag hat angekündigt, ein Faksimile des Voynich-Manuskripts zu veröffentlichen, eines vermutlich 500 Jahre alten Dokuments in einer unbekannten Schrift. Klaus Schmeh ist Experte für Kryptographie und hat sich ausgiebig mit dem Werk beschäftigt. Wir haben ihm aus aktuellem Anlass dazu ein paar Fragen gestellt.
GWUP: Herr Schmeh, was veranlasst einen Verlag, ein jahrhundertealtes Manuskript, das kein Mensch lesen kann, als Buch zu veröffentlichen? Hofft man vielleicht durch die Verbreitung in einer Auflage von 898 Exemplaren jemanden zu finden, der den Text entschlüsselt?
Klaus Schmeh: Die Beinecke Library, die das Voynich-Manuskript besitzt, kann sich vor Anfragen kaum retten. Voynich-Fans wollen das Buch sehen, Museen wollen es für Ausstellungen ausleihen. Die Beinecke Library hofft wohl, dass gute Faksimiles das enorme Interesse am Original eindämmen können. Dass man dabei noch etwas Geld einnehmen kann, ist sicherlich ein weiterer Grund. Dass die Chancen auf eine Entschlüsselung durch solche Faksimiles wesentlich steigen, glaube ich dagegen nicht. Schließlich gibt es sehr gute Scans im Internet, die sich jeder anschauen kann.
GWUP: Anleitung für Alchemisten, Gebrauchsanweisung für Apotheker - um die Darstellungen im Buch ranken sich zahllose Vermutungen. Welche Thesen gibt es noch, was im Voynich-Manuskript beschrieben sein könnte?
KS: Von einer Abhandlung über Abtreibung über ein ketzerisches Traktat bis zu einem Kräuterkunde-Buch gibt es nahezu nichts, was nicht schon vorgeschlagen wurde. Selbst Außerirdische wurden schon als Autoren ins Spiel gebracht. Experten halten sich bisher auffällig mit solchen Spekulationen zurück - es gibt einfach zu wenige konkrete Anhaltspunkte.
GWUP: Welche Thesen halten Sie für die wahrscheinlichsten?
KS: Meine Lieblingshypothese ist nach wie vor, dass das Voynich-Manuskript nur geschaffen wurde, um es für viel Geld an einen reichen Büchersammler zu verkaufen. Sollte dies zutreffen, dann steht vermutlich nur sinnloser Kauderwelsch oder allenfalls etwas Belangloses darin. Für denkbar halte ich auch, dass eine psychisch gestörte Person das Manuskript verfasst hat. Ich könnte mir zum Beispiel einen Mönch vorstellen, der in einer klösterlichen Schreibstube seinen Kollegen auf die Nerven gegangen ist. Um ihn zu beschäftigen, hat man ihm Pergament und Tinte gegeben. Möglicherweise hat er die Arbeit seiner Kollegen imitiert, ohne richtig schreiben zu können.
GWUP: Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit der Entschlüsselung von Codes. Gibt es noch viele ähnliche Schriften wie das ,,Voynich"-Manuskript?
KS: Verschlüsselte Briefe, Postkarten, Telegramme und ähnliches gibt es massenweise. In meinem Blog Klausis Krypto-Kolumne schreibe ich regelmäßig über solche Dinge. Mir sind außerdem über 80 verschlüsselte Bücher bekannt. Ich habe eine eigene Webseite zu diesem Thema eingerichtet. Allerdings kann man die meisten dieser verschlüsselten Bücher nicht mit dem Voynich-Manuskript vergleichen. Die meisten davon sind längst entschlüsselt. Bei einigen handelt es sich um verschlüsselte Tagebücher oder Notizbücher. Andere stammen von den Freimaurern oder ähnlichen Organisationen und enthalten beispielsweise verschlüsselte Ritualbeschreibungen. Wiederum andere verschlüsselte Bücher sind kaum älter als ein paar Jahre und wurden von Künstlern geschaffen. Ich kenne nur ein Buch, das mit dem Voynich-Manuskript vergleichbar ist: den Codex Rohonci. Dieser ist etwa 500 Jahre alt. Herkunft, Autor und Inhalt sind unbekannt. Der Inhalt ist verschlüsselt und wurde bisher nicht dechiffriert. Wenn es das Voynich-Manuskript nicht gäbe, wäre der Codex Rohonci vermutlich um ein Vielfaches bekannter.
GWUP: Glauben Sie, dass es gelingt, das Manuskript jemals zu entschlüsseln?
KS: Ich bin da recht pessimistisch. Vermutlich wird man es es nie lösen können. Aber man weiß ja nie.
GWUP: Und welches ähnliche Dokument, welchen Code, der noch nicht geknackt ist, würden Sie gerne noch entschlüsseln?
KS: Da gibt es viele. Besonders spannend finde ich ungelöste Verschlüsselungen, die mit ungelösten Kirminalfällen in einem Zusammenhang stehen. Auf meinem Blog habe ich schon einiges zu diesem Thema geschrieben. Besonders interessant sind die Fälle des Zodiac-Killers, des Somerton-Manns, des Drogenkuriers Ricky McCormick, des Frauenmörders Henry Debosnys und des Mordopfers Paul Rubin . Wer die jeweilige Verschlüsselung knackt, könnte einen Kriminalfall lösen.
GWUP: Herr Schmeh, vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg für Ihre Arbeit!
Das Gespräch führte Holger von Rybinski.
Im SKEPTIKER 2/2008 wurde dem Thema übrigens schon mal ein Titel gewidmet.